Dreißigstes Kapitel

Handelt lediglich von Gerichtspraxis und verschiedenen bedeutenden Rechtsgelehrten.

Verstreut in den vielen Trakten und Winkeln des „Tempels“ liegen gewisse düstere und schmutzige Zimmer, in denen selbst während der Gerichtsferien den ganzen Vormittag über und während der Sitzungsperiode auch noch den ganzen Nachmittag lang bis in den halben Abend hinein ein fast ununterbrochenes Kommen und Gehen von Menschen herrscht, die Aktenbündel unter den Arm geklemmt oder aus den Taschen heraushängen haben: es sind die Advokatenschreiber.

Es gibt bekanntlich verschiedene Klassen von Advokatenschreibern. Da ist vor allem der Volontär, der bezahlt hat und ein Rechtsanwalt in spe ist. Er hat Jahresrechnung beim Schneider, verkehrt in Gesellschaften, kennt eine Familie in Gowerstreet und eine andre in Tavistocksquare, besucht in den Ferien seinen Vater, der eine Unzahl Pferde hält – kurz, er ist der Aristokrat unter den Schreibern. Dann kommt im Rang der salarierte Schreiber, der den größten Teil seines Wochengehaltes von dreißig Schilling auf sein Vergnügen und seine Garderobe verwendet, wenigstens dreimal wöchentlich zu halbem Preis ins Adelphitheater geht, darauf in den Mostkellern eine Orgie feiert und eine Art schäbige Karikatur der vorletzten Mode ist. Dann gibt es noch den Kopisten, den Mann in mittleren Jahren, mit einer großen Familie, immer abgeschabt gekleidet und öfters betrunken, und endlich die kleinen Praktikanten in ihren ersten Überröcken, die auf die Schuljugend mit Verachtung herabsehen und, wenn sie abends die Schreibstube verlassen und in die Kneipe rennen, denken: Es geht doch nichts über das „Leben“.

Diese abgelegenen Winkel sind die Werkstätten des Gesetzes, wo Vorladungen ausgefertigt, Gutachten unterzeichnet, Klagen eingeleitet und eine Menge andrer sinnreicher Maschinerien in Bewegung gesetzt werden, die zur Marter der getreuen Untertanen Seiner Majestät und zu Nutz und Frommen der Juristen erfunden sind. Die meisten dieser Stuben sind niedrige, dumpfe Gemächer, in denen zahllose Pergamentrollen, modrig schon seit einem Jahrhundert, ihren angenehmen Geruch tagsüber mit dem Aroma der Trockenfäule und abends mit den verschiedenen Ausdünstungen nasser, dampfender Mäntel, triefender Regenschirme und schlechtester Talglichter vermischen.

Eines Abends, ungefähr zehn bis vierzehn Tage nach der Rückkehr Mr. Pickwicks und seiner Freunde, erschien gegen halb acht Uhr in einer dieser Gerichtsstuben in großer Eile ein junger Mensch in einem braunen Überrock mit messingenen Knöpfen, das lange Haar unter dem Rand des abgetragenen Hutes sorgfältig gescheitelt und die beschmutzte grobe Hose so straff über die Blücherstiefel gezogen, daß die Knie jeden Augenblick aus ihrer Verhüllung hervorzubrechen drohten, und zog aus seiner Rocktasche einen langen, schmalen Pergamentstreifen, auf den der diensthabende Schreiber einen unleserlichen schwarzen Stempel drückte. Dann legte er vier Papierschnitzel von ähnlichen Dimensionen vor, deren jeder eine gedruckte Abschrift des Pergamentstreifens enthielt – mit einem freien Raum darunter für einen Namen –, ließ die freien Räume ausfüllen, steckte die fünf Dokumente wieder in die Tasche und enteilte.

Der Mann mit dem braunen Rock und den geheimnisvollen Dokumenten war Mr. Jackson von Dodson und Fogg, Freemans Court, Cornhill. Statt aber in die Schreibstube zurückzukehren, aus der er gekommen war, lenkte er seine Schritte gerade auf Sun Court zu und ging in den „Georg und Geier , wo er nach Mr. Pickwick verlangte.

„Wie ist Ihr Name, Sir?“ fragte der Kellner.

„Jackson.“

Der Kellner eilte die Treppe hinauf, um Mr. Jackson zu melden, aber dieser überhob ihn der Mühe, folgte ihm auf dem Fuße nach und trat ins Zimmer, ehe jener noch eine Silbe hervorzubringen vermochte. Mr. Pickwick hatte seine drei Freunde zu Tisch geladen, und die Herren saßen vor dem Kamin gerade beim Wein.

„Wie geht’s, Sir?“ fragte Mr. Jackson und nickte Mr. Pickwick zu.

Der leutselige Gelehrte verbeugte sich und sah etwas verblüfft drein, denn Mr. Jacksons Züge waren seinem Gedächtnis nicht mehr gegenwärtig. „Ich komme von Dodson und Fogg“, bemerkte Mr. Jackson erklärend.

Mr. Pickwick erhob sich empört.

„Ich verweise Sie an meinen Anwalt, Sir, Mr. Perker in Grays Inn“, sagte er. „Kellner, begleiten Sie den Herrn wieder hinaus.“

„Bitte um Entschuldigung, Mr. Pickwick“, fiel Jackson ein, legte ungeniert seinen Hut ab und zog den Pergamentstreifen aus der Tasche, „es handelt sich um persönliche Einhändigung. Sie verstehen, Mr. Pickwick, in solchen Fällen geht nichts über Vorsicht – wie?“

Dabei warf Mr. Jackson einen Blick auf das Pergament, stützte sich mit den Händen auf den Tisch, sah sich mit gewinnendem und beredtem Lächeln ringsum und fuhr ungeniert fort:

„Also zur Sache. Welcher von den Herren nennt sich Snodgraß?“

Bei dieser Frage machte Mr. Snodgraß eine so unzweideutige und lebhafte Bewegung, daß es keiner weiteren Erklärung bedurfte.

„Habe mir’s gleich gedacht“, sagte Mr. Jackson noch freundlicher als zuvor. „Ich habe hier eine Kleinigkeit, womit ich Sie belästigen muß, Sir.“

„Mich?“ rief Mr. Snodgraß.

„Es ist nur eine Zeugenvorladung in Sachen Bardell kontra Pickwick“, erwiderte Jackson, suchte unter den Papierstreifen einen heraus und zog einen Schilling aus der Westentasche. „Der Termin ist auf den vierzehnten Februar anberaumt; wir haben eine Vorverhandlung beantragt. Da ist Ihre Vorladung, Mr. Snodgraß.“

Mit diesen Worten drückte Jackson Mr. Snodgraß das Papier und den Schilling in die Hand und wiederholte das Manöver mit Lebendigkeit bei Mr. Tupman und Mr. Winkle.

„Sie werden mich vielleicht für aufdringlich halten“, fuhr er fort, „aber ich muß noch nach jemand fragen. Ich habe hier noch den Namen Samuel Weller stehen, Mr. Pickwick.“

„Schicken Sie nach meinem Diener, Kellner“, befahl Mr. Pickwick. Der Kellner entfernte sich äußerst erstaunt, und Mr. Pickwick bot Mr. Jackson einen Stuhl an.

Nach einer längern Pause peinlichen Stillschweigens sagte der Gelehrte mit steigendem Unwillen:

„Ich vermute, Sir, Ihre Prinzipale haben die Absicht, durch das Zeugnis meiner eigenen Freunde Beweismaterial für meine angebliche Schuld gegen mich zu sammeln?“

Mr. Jackson legte seinen Zeigefinger an die Nase, um dadurch anzudeuten, daß er nicht aus der Schule schwatzen dürfe.

„Wozu werden denn meine Freunde vorgeladen, wenn nicht aus diesem Grunde?“

„Eine verfängliche Frage, Mr. Pickwick“, erwiderte Jackson kopfschüttelnd. „Kann wirklich nicht dienen. Nützt alles nichts. Aus mir werden Sie nichts herausbringen. Nein, nein, Mr. Pickwick“, setzte er hinzu. „Perkers Leute müssen den Zweck dieser Vorladungen schon selbst erraten. Wenn’s ihnen nicht gelingt, so müssen sie eben warten, bis die Sache verhandelt wird.“

Mr. Pickwick warf einen Blick höchsten Widerwillens auf seinen unwillkommenen Gast und würde wahrscheinlich Fluch und Verdammnis auf die Häupter der Herren Dodson und Fogg herabgerufen haben, hätte ihn nicht in diesem Augenblick Sams Eintritt unterbrochen. „Samuel Weller?“ fragte Mr. Jackson.

„Das is eins von den wahrhaftigsten Worten, wo Sie seit vielen Jahren gesagt haben“, versetzte Sam gelassen.

„Hier ist eine sub poena für Sie, Mr. Weller“, sagte Jackson.

„Was heißt das in unserer Muttersprache?“ fragte Sam.

„Hier ist das Original“, fuhr Jackson fort, ohne sich auf verlangte Erklärung einzulassen.

„Welches?“

„Dieses hier“, erwiderte Jackson und hielt das Pergament hin.

„So, so, das ist also das Original“, sagte Sam. „Na, das freut mich aber. Da fällt mir richtiggehend ’n Stein vom Herzen.“

„Und hier ist der Schilling“, fuhr Jackson fort. „Von Dodson und Fogg.“

„Ach, das is ja ungemein hübsch von Dodson und Fogg, wo die mir doch so wenig kennen, daß sie mir ’n Präsent schicken“, sagte Sam. „Ich empfinde es als ein großes Kompliment, Sir, und es macht denen sehr viel Ehre, daß sie Verdienste belohnen, wo sie welche finden. Es schlägt einem direkt aufs Gemüt.“

Bei diesen Worten rieb sich Mr. Weller theatralisch mit dem Rockärmel das rechte Augenlid.

Mr. Jackson schien durch Sams Benehmen ein wenig aus der Fassung gebracht, aber da er sich seiner Vorladungen entledigt hatte und nichts weiter zu sagen wußte, machte er eine Bewegung, als wenn er den einzigen Handschuh, den er des guten Eindrucks wegen immer in der Hand trug, anziehen wollte, und kehrte in seine Kanzlei zurück, um Rapport zu erstatten.

Mr. Pickwick schlief in dieser Nacht wenig; man hatte seinem Gedächtnis einen reichlich unangenehmen Denkzettel wegen der Bardellschen Klage verabfolgt.

Er frühstückte am folgenden Morgen beizeiten und machte sich in Sams Begleitung nach dem Grays-Inn-Viertel auf den Weg.

„Sam!“ sagte er, als sie das Ende von Cheapside erreicht hatten, sah einige Sekunden lang seinem Diener mit einem leeren Blick ins Gesicht und stieß einen schweren Seufzer aus.

„Was is Ihnen, Herr?“ fragte Sam.

„Also am Vierzehnten nächsten Monats soll die Sache zur Verhandlung kommen.“

„Ein merkwürdiges Zusammentreffen das, Sir“, versetzte Sam.

„Wieso, merkwürdig, Sam?“

„’s is gerade Valentinstag, Sir“, erwiderte Sam scherzend „’n sehr geeigneter Tag zu ’ner Gerichtsverhandlung wegen Bruchs eines Eheversprechens.“

Mr. Wellers Anspielung rief nicht das geringste Lächeln auf seines Herrn Gesicht hervor. Mr. Pickwick wandte sich um und nahm schweigend seinen Weg wieder auf.

Sie waren eine Strecke weit gegangen – Mr. Pickwick in tiefes Nachdenken versunken voraus –, als Sam, entschlossen, seinen Herrn aufzuheitern, seine Schritte beschleunigte, bis er hart hinter ihm stand, und auf ein Haus deutend, an dem sie vorüberkamen, sagte:

„Ein sehr hübscher Fleischladen das, Sir.“

„Ja, es scheint“, erwiderte Mr. Pickwick.

„Berühmte Wurstfabrik.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich“, wiederholte Sam mit wichtiger Miene; „das will ich meinen. Gott segne Ihre unschuldigen Augenbrauen; das is doch dasselbe Haus, wo vor ’n paar Jahren ’n achtbarer Handelsmann auf geheimnisvolle Weise verschwand.“

„Er wurde doch nicht ermordet, Sam?“ fragte Mr. Pickwick, sich hastig umsehend.

„Nö nich gerade ermordet, Sir“, erwiderte Mr. Weller, „ich wollte, ’s wäre so, denn es ging ihm noch viel schlimmer. Der Laden gehörte ihm und er war der Erfinder von „ne Patentwurstdampfmaschine, wo „n Flasterstein so leicht zu Mettwurst zerreiben kann wie „n kleines Kind. War natürlich mächtig stolz auf diese Maschine und stand immer im Keller und sah ihr zu, wenn sie so richtig in Schwung war, bis er vor Freude ganz melancholisch wurde. Er hätte ’n sehr glücklicher Mann sein können, mit seiner Maschine und den zwei netten Kindern, die er hatte, wenn seine Frau nich gewesen wäre. Das war ’ne böse Sieben. Immer war sie hinter ihm her und lag ihm in den Ohren, bis er es schließlich nich mehr aushaken konnte. ,Ich will dir mal was sagen, mein Schatz‘, sagte er, ,ich will verdammt sein, wenn ich nich nach Amerika abhaue, und damit Punktum.‘ – ,Du bist ’n Taugenichts‘, sagte sie, ,und ich wünsche den Amerikanern Glück zu dem Fang.‘ Und denn keifte sie noch ’ne halbe Stunde lang und lief in das Ladenstübchen und fing an zu schreien, daß er noch ihr Tod sein würde, und denn bekam sie ’n Anfall und schlug mit Händen und Füßen um sich; drei ganze Stunden lang. Na, und am andern Morgen wurde der Mann vermißt. Er hatte nichts aus der Kasse genommen, nich mal seinen großen Überrock angezogen; es war also klar, daß er nich nach Amerika gegangen war. Kam am andern Tag nich, kam in der andern Woche nich; die Frau ließ veröffentlichen, daß ihm alles vergeben sein sollte, wenn er zurückkommen würde – Kunststück, wo er gar nichts gemacht hatte. – Alle Kanäle wurden abgefischt, und wenn sie in den nächsten zwei Monaten irgendwo ’ne Leiche fanden, denn wurde die in den Wurstladen gebracht, als ob es ganz selbstverständlich war. Aber – er wurde auch so nich gefunden, und da hieß es denn, er wäre abgehauen, und sie machte denn mit dem Geschäft weiter. Einen Samstag gegen Abend kam ’n kleiner dürrer alter Herr ganz aufgeregt in den Laden und sagte: ,Gehört Ihnen dieser Laden?‘ – ,Allerdings gehört er mir‘, sagte sie. – ,Na gut, Ma’am‘, schreit er, ,denn muß ich Sie sagen, daß ich mitsamt meine Familie für nichts und gar nichts beinahe erstickt wäre. Wenn Sie schon nich das beste Fleisch für ihre Wurstmachern nehmen, denn nehme ich doch an, daß Sie aber wenigstens die Hosenknöpfe weglassen könnten.‘ – ,Hosenknöpfe, Sir?‘ sagte sie. Ja, Hosenknöpfe, Madam!‘ sagte der kleine alte Herr, wickelt ’n Papier aus und zeigt ihr zwanzig bis dreißig halbe Knöpfe. ,Das sind die Knöpfe von meinem Mann‘, sagt die Witwe und wird beinahe ohnmächtig. ,Was?‘ schreit der kleine alte Herr und wird ganz blaß. Jetzt ist mir alles klar‘, sagte die Witwe, ,er hat sich selbst in einem Anfall von Wahnsinn Hals über Kopf in Wurst verwandeln lassen!‘ – Und so war es denn auch“, schloß Mr. Weller und blickte Mr. Pickwick ruhevoll in das schreckensbleiche Antlitz, „oder is er vielleicht zufällig zu nahe an die Maschine gekommen – aber wie es nu auch war, der kleine alte Herr, wo von Kindheit an so gerne Wurst gegessen hatte, raste aus dem Laden raus und ließ nie wieder was von sich hören.“

Herr und Diener waren während der rührenden Erzählung dieses ergreifenden Begebnisses aus dem Privatleben in der Wohnung Mr. Perkers angekommen. Mr. Lowten unterhielt sich gerade zwischen Tür und Angel mit einem schlecht gekleideten, erbärmlich aussehenden Klienten in Stiefeln, aus denen die Zehen hervorguckten, und Handschuhen ohne Fingerspitzen. Das eingefallene und abgehärmte Gesicht des Mannes trug die Spuren der Entbehrung und des Leidens, ja, beinahe der Verzweiflung; er war sich seiner Armut offenbar sehr bewußt, denn er trat bei Mr. Pickwicks Kommen in den Schatten der Treppe zurück.

„Das ist sehr, sehr mißlich“, hörte ihn Mr. Pickwick seufzen.

„Ja, sehr“, erwiderte Lowten, seinen Namen an den Türpfosten kritzelnd und mit der Fahne der Feder wieder auswischend. „Soll ich ihm etwas ausrichten?“

„Wann glauben Sie wohl, daß er zurückkommen wird?“ fragte der Fremde.

„Ganz unbestimmt“, erwiderte Lowten, Mr. Pickwick zuzwinkernd, als der Fremde gerade zur Seite sah.

„Glauben Sie nicht, daß es gut wäre, wenn ich ihn hier erwarten würde?“ fragte der Fremde mit einem sehnsüchtigen Blick in die Schreibstube. „O nein, gewiß nicht“, erwiderte Mr. Lowten und stellte sich mehr in die Mitte der Tür. „In dieser Woche kommt er nicht mehr zurück, und ob in der nächsten, ist fraglich; wenn Perker einmal verreist ist, so beeilt er sich mit seiner Rückkehr nie besonders.“

„Er ist verreist?“ fragte Mr. Pickwick. „Ach Gott, wie ärgerlich!“

„Bleiben Sie nur, Mr. Pickwick“, sagte Lowten, „ich habe einen Brief an Sie.“

Der Fremde schien unschlüssig und blickte abermals zu Boden. Der Schreiber warf Mr. Pickwick einen schlauen Blick zu.

„Treten Sie doch ein, Mr. Pickwick“, drängte er. „Also, soll ich etwas ausrichten, Mr. Watty, oder wollen Sie wieder vorsprechen?“

Bitten Sie Mr. Perker, er möge so liebenswürdig sein zu hinterlassen, was in meiner Sache geschehen sei“, sagte der Mann „Aber ich bitte Sie um Gottes willen, vergessen Sie es nicht“ Mr. Lowten!“

Nein, nein, werde es nicht vergessen , erwiderte der Schreiber. „Treten Sie ein, Mr. Pickwick. – Guten Morgen, Mr. Watty. – Ein schöner Tag zum Spazierengehen, nicht wahr?“

Als er sah, daß der Fremde immer noch zögerte, winkte er Sam Weller und seinem Herrn, einzutreten, und schlug dem Klienten die Tür vor der Nase zu.

„Einen solchen lästigen Bankerottierer hat es, glaube ich, seit Erschaffung der Welt nicht gegeben“, rief er dann und warf seine Feder mit der Miene eines schwer gekränkten Mannes auf den Tisch. „Seine Sachen liegen noch nicht volle vier Jahre bei Gericht, und ich will verdammt sein, wenn er uns nicht jede Woche zweimal mit Mahnungen quält. Bitte, hier herein, Mr. Pickwick! Perker ist selbstverständlich zu Hause und wird Sie gleich empfangen. Aasig kalt“, setzte er verdrießlich hinzu. „Unter der Tür stehen und sich von solchen lumpigen Vagabunden um seine Zeit bringen lassen zu müssen!“

Nachdem er noch schnell und in großer Aufregung mit einem winzigen Schüreisen ein Riesenfeuer angefacht, ging er in das Arbeitszimmer seines Prinzipals und meldete Mr. Pickwick an.

„Ach, mein lieber Herr“, rief der kleine Mr. Perker und sprang von seinem Stuhl auf. „Was gibt es denn Neues in unsrer Angelegenheit? Wieder etwas von unsern Freunden in Freemans Court? Sie haben diese Zeit über nicht geschlafen, kann es mir denken. Oh, es sind rührige Leute – sehr rührig, ich versichere Ihnen!“ Und der kleine Mann nahm mit wichtiger Miene eine Prise Tabak, um dadurch der Rührigkeit der Herren Dodson und Fogg seine Huldigung darzubringen.

„Große Spitzbuben sind es“, sagte Mr. Pickwick.

„Nun, nun“, begütigte der kleine Mann, „wie man’s nimmt. Wir wollen nicht über Worte streiten, denn natürlich kann man von Ihnen nicht erwarten, daß Sie die Sache mit den Augen des Fachmanns ansehen. Aber wir haben auch alles getan, was zu tun war. Ich habe den Prokurator Snubbin gewonnen.“

„Ist der so gut?“ fragte Mr. Pickwick.

„Gut?! Beim Himmel, mein lieber Herr, Snubbin ist einer der renommiertesten Sachwalter! Hat dreimal mehr zu tun als irgendein Advokat; ist bei allen Gerichtssachen beteiligt. Unter uns gesagt, bei uns Leuten vom Fach heißt es immer, der Prokurator Snubbin führe den Gerichtshof an der Nase herum.“

„Dodson und Fogg haben meine drei Freunde als Zeugen vorgeladen“, erzählte Mr. Pickwick.

„Das war nicht anders zu erwarten“, meinte Perker. „“Wichtige Zeugen! Haben Sie in einer delikaten Situation gesehen.“

„Aber sie fiel doch absichtlich in Ohnmacht“, warf Mr. Pickwick ein, „sie fiel mir absichtlich in die Arme.“

„Sehr wahrscheinlich, mein lieber Herr“, versetzte Perker, „sehr wahrscheinlich und sehr natürlich. Nichts natürlicher, mein lieber Herr; aber wie das beweisen?“

„Sie haben auch meinen Diener vorgeladen“, ließ Mr. Pickwick das Thema fallen, durch Perkers Frage ein wenig aus der Fassung gebracht.

„Mr. Sam?“

Mr. Pickwick bejahte.

„War auch zu erwarten, mein lieber Herr, auch zu erwarten. Sie mußten das tun; ich hätte Ihnen das schon vor einem Monat sagen können. Das kommt davon, mein lieber Herr, wenn Sie selbst noch Schritte tun, nachdem Sie Ihre Sache bereits Ihrem Anwalt übergeben haben. Dann müssen Sie eben die Folgen tragen.“

Und Mr. Perker richtete sich im Bewußtsein seiner Würde auf und schnippte einige verirrte Schnupftabakskörner von seiner Hemdkrause.

„Und was wollen sie denn mit ihm beweisen?“ fragte Mr. Pickwick nach einer Pause von ein paar Minuten.

„Daß Sie ihn zu der Klägerin geschickt haben, um ihr einen Vergleich anzubieten, vermute ich“, erwiderte Perker.

„Es hat aber nicht viel auf sich, denn ich glaube, aus ihm werden sie wenig herausbringen.“

„Dieser Ansicht bin ich auch“, bemerkte Mr. Pickwick, trotz seiner Verstimmung bei dem Gedanken an ein Auftreten Sams vor Gericht lächelnd. „Was sollen wir aber anfangen?“

„Es steht uns nur ein Weg offen, mein lieber Herr“, erwiderte Perker, „nämlich die Zeugen mit Querfragen zu verwirren, Snubbins Beredsamkeit zu vertrauen, dem Richter Sand in die Augen zu streuen und auf die Geschworenen zu bauen.“

„Und gesetzt, der Spruch fiele gegen mich aus?“

Mr. Perker lächelte, nahm gemächlich wieder eine Prise, schürte das Feuer, zuckte die Achseln und beobachtete ein bedeutungsvolles Stillschweigen.

„Sie glauben, daß ich in diesem Falle die Entschädigung zahlen müßte?“ fragte Mr. Pickwick, der alle diese stummen telegrafischen Antworten mit steigender Erregung beobachtet hatte.

Perker gab dem Brennstoff noch einen höchst unnötigen Stoß und sagte:

„Ich fürchte, ja.“

„Dann gestatte ich mir, Ihnen meinen unabänderlichen Entschluß kundzutun, daß ich durchaus keine Entschädigung zu zahlen gedenke“, sagte Mr. Pickwick mit großem Nachdruck. „Durchaus keine, Perker! Nicht ein Pfund, nicht ein Penny von meinem Geld soll den Weg in Dodson und Foggs Taschen finden. Das ist mein wohlüberlegter und unwiderruflicher Entschluß.“ – Und zur Bestätigung der Unwiderruflichkeit seiner Absicht schlug Mr. Pickwick heftig auf den Tisch.

„Ganz recht, mein lieber Herr, ganz recht“, sagte Mr. Perker, „Sie müssen das natürlich am besten wissen.“

„Natürlich“, erwiderte Mr. Pickwick hastig. „Wo wohnt Prokurator Snubbin?“

„In Lincolns Inn, Old Square.“ „Ich möchte ihn sogleich sprechen.“

„Prokurator Snubbin sprechen, mein lieber Herr!?“ fiel Perker im Tone des höchsten Erstaunens ein. „Aber mein lieber Herr, das ist doch unmöglich. Prokurator Snubbin sprechen! Wo denken Sie hin! So was ist noch nie vorgekommen, ohne daß die Konsultationsgebühr vorher entrichtet und die Audienz anberaumt wurde. Es geht durchaus nicht, mein lieber Herr, geht durchaus nicht.“

Aber Mr. Pickwick hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, daß es nicht nur gehen könne, sondern daß es sogar gehen müsse; und die Folge davon war, daß er zehn Minuten, nachdem er die Versicherung erhalten, es könne keinesfalls sein, von seinem Sachwalter in das Vorzimmer des großen Prokurators Snubbin geführt wurde.

Es war dies ein ziemlich geräumiges Gemach, das durch Abwesenheit von Bodenteppichen glänzte. Vor dem Feuer stand ein großer Schreibtisch, dessen wollener Überzug längst seine Ansprüche auf sein ursprüngliches Grün aufgegeben hatte und mit Ausnahme der Stellen, deren natürliche Farbe durch Tintenflecken verwischt war, vom Staub und Alter allmählich grau geworden war. Hinter einer Menge kleiner Aktenbündel, die mit rotem Zwirn zusammengebunden waren, saß ein ältlicher Schreiber, dessen stattliches Äußere und schwere goldene Uhrkette den imponierenden Beweis von der ausgedehnten und einträglichen Praxis des Herrn Prokurator Snubbin ablegte.

„Ist der Prokurator auf seinem Zimmer, Mr. Mallard?“ fragte Perker und hielt mit ausgesuchtester Höflichkeit dem Schreiber seine Dose hin. „Ja“, war die Antwort, „hat aber vollauf zu tun. Sehen. Sie hier, alle diese Sachen warten noch auf ein Gutachten, trotzdem die Gebühren bereits bezahlt sind.“

„Das nenne ich mir eine Praxis“, rief Perker.

„Ja, und das beste dabei ist“, schmunzelte der Schreiber, „daß niemand des Prokurators Handschrift lesen kann als ich, und die Leute also, nachdem die Gutachten schon ausgestellt sind, warten müssen, bis ich sie abgeschrieben habe – hahaha!“

„Was außer dem Prokurator noch einem gewissen Jemand zugute kommt, der aus den Klienten noch etwas mehr herauszieht, nicht wahr?“ sagte Perker. „Hahaha!“

Wiederum lachte der Schreiber des Prokurators, aber diesmal nicht laut, sondern ganz still und innerlich, was Mr. Pickwick gar nicht gefiel. Wenn jemand innerlich blutet, so ist es gefährlich für ihn selbst; aber wenn er innerlich lacht, so bedeutet es für andere Leute nichts Gutes.

„Haben Sie mir die Gebühren noch nicht herausgeschrieben, die ich Ihnen schulde?“ fragte Mr. Perker.

„Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen“, erwiderte der Schreiber.

„Es wäre mir lieb, wenn Sie’s täten. Stellen Sie mir die Rechnung zu, und ich werde Ihnen einen Scheck schicken. Sie haben natürlich zuviel mit dem laufenden Inkasso zu tun, als daß Sie an Ihre Außenstände denken könnten – nicht wahr? Hahaha!“

Dieser Witz schien den Schreiber ordentlich zu kitzeln, denn er lachte wieder geräuschlos und innerlich.

„Aber Mr. Mallard, lieber Freund“, sagte Perker, wurde plötzlich wieder ernst und zog den großen Gehilfen des großen Anwaltes am Rockzipfel in eine Ecke, „Sie müssen den Prokurator dazu bewegen, mich und meinen Klienten vorzulassen.“

„Aber ich bitte Sie!“ ereiferte sich der Schreiber; „ich bitte Sie! – Den Prokurator sprechen! Gehen Sie, das ist doch zu absurd.“ Ungeachtet der Absurdität des Vorschlages hörte er jedoch Mr. Perker noch weiter freundlich zu und nach einem kurzen im Flüsterton geführten Gespräch ging er leise einen schmalen dunklen Gang hinab und verschwand in dem Allerheiligsten, aus dem er bald nachher auf den Zehen wieder hervorkam und Mr. Perker und Mr. Pickwick eröffnete, der Prokurator sei dazu überredet worden, sie gegen alle hergebrachte Ordnung und Norm sogleich vorzulassen.

Der Herr Prokurator Snubbin war ein Mann in den Fünfzigern mit einem eingefallenen, erdfahlen Gesicht. Sein Auge hatte den glanzlosen, erloschenen Blick, den man so oft bei Leuten sieht, die sich eine Reihe von Jahren hindurch einem langwierigen und mühevollen Studium gewidmet haben und machte auch ohne die Lorgnette, die an einem breiten schwarzen Bande herabhing, den Eindruck der Kurzsichtigkeit. Sein Haar war dünn und spärlich, was teils dem Mangel an Zeit für seine Toilette, teils einer neben ihm hängenden Juristenperücke, die er fünfundzwanzig Jahre lang getragen, zuzuschreiben war. Die Puderspuren auf seinem Rockkragen und das unsaubere und verschobene weiße Halstuch deuteten darauf hin, daß er seit seiner Rückkehr vom Gerichtssaal noch keine Zeit gefunden hatte, eine Änderung in seinem Anzug vorzunehmen, wobei die sonstige Nachlässigkeit in seinem Äußeren die Vermutung begründet erscheinen ließ, seine Person würde wenig dabei gewonnen haben, wenn es auch der Fall gewesen wäre. Bücher über Gerichtswesen, Stöße von Akten und offene Briefe waren ohne alle Rücksicht auf Ordnung oder Symmetrie auf dem Tisch zerstreut; das Meublement des Zimmers war alt und schadhaft, die Türen des Bücherschrankes rosteten in ihren Angeln, bei jedem Schritt flog der Staub in kleinen Wolken von dem Laufteppich empor, die Vorhänge waren vom Alter verblichen, und alles im Zimmer wies unzweideutig darauf hin, daß der Herr Prokurator Snubbin viel zuviel mit seinen Berufsgeschäften zu tun hatte, als daß er seiner Person große Aufmerksamkeit hätte schenken können.

Er schrieb gerade, als seine Klienten eintraten, verbeugte sich kurz, als Mr. Pickwick durch seinen Sachwalter vorgestellt wurde, ersuchte dann die Herren, Platz zu nehmen, steckte seine Feder sorgfältig in das Tintenzeug, streichelte sein linkes Bein und erwartete, daß man ihm die Sache vortrage.

„Mr. Pickwick ist der Beklagte in Sachen Bardell kontra Pickwick, Prokurator Snubbin“, begann Perker.

„Bin ich dabei engagiert?“ fragte der Prokurator.

„Gewiß, Sir.“

Der Prokurator nickte mit dem Kopf und wartete, was weiter folgen werde.

„Mr. Pickwick wünschte mit Ihnen zu sprechen, Prokurator Snubbin“, fuhr Perker fort, „um Ihnen zu versichern, daß er ausdrücklich in Abrede stellt, der gegnerischen Partei den geringsten Anlaß zur Klageführung gegeben zu haben, und daß er gar nicht vor Gericht aufträte, wenn er es nicht mit reinem Gewissen und mit der festen Überzeugung tun könne, auch nicht das mindeste verschuldet zu haben. Ich erlaube, Ihrer Ansicht richtig Ausdruck verliehen zu haben, nicht wahr, mein lieber Herr?“ wendete sich der kleine Mann an Mr. Pickwick.

„Ganz richtig.“

Der Herr Prokurator Snubbin nahm seine Lorgnette, betrachtete Mr. Pickwick einige Sekunden lang mit großer Aufmerksamkeit, wandte sich dann an Mr. Perker und fragte mit leichtem Lächeln:

„Hat Mr. Pickwick eine sichere Sache?“

Der Anwalt zuckte die Achseln.

„Stellen Sie Zeugen?“

„Nein.“

Das Lächeln auf dem Gesicht des Prokurators nahm einen bestimmteren Ausdruck an; er wiegte sein Bein stärker, lehnte sich in seinem Armstuhl zurück und hustete zweideutig.

So unmerklich diese Andeutungen die Gedanken des Prokurators über den Fall verrieten, sie entgingen der Aufmerksamkeit Mr. Pickwicks keineswegs. Er setzte daher die Brille fester auf die Nase und sagte, ohne auf Mr. Perkers Winke und Stirnrunzeln Rücksicht zu nehmen, mit großem Nachdruck:

„Mein Wunsch, Sie lediglich aus einem Grunde wie diesem um Audienz zu bitten, Sir, erscheint Ihnen, wo Sie notwendigerweise so viel mit solchen Dingen zu tun haben müssen, ohne Zweifel wohl höchst sonderbar?“

Der Prokurator machte den Versuch, mit ernster Miene ins Feuer zu sehen, konnte jedoch ein Lächeln nicht unterdrücken.

„Herren von Ihrem Fach, Sir“, fuhr Mr. Pickwick fort, „sehen immer nur die schlechteste Seite der menschlichen Natur – alle ihre Streitsucht, alle ihre Böswilligkeit und Gehässigkeit entschleiert sich vor Ihnen. Sie wissen aus Erfahrung, wieviel es bei den Geschworenengerichten auf den Effekt ankommt – ich will damit weder Ihnen, noch diesen Institutionen zu nahe treten – und sind daher geneigt, bei andern die Absicht vorauszusetzen, die Mittel, die Sie aus den reinsten, ehrenvollsten Gründen und in dem löblichen Bestreben, Ihren Klienten soviel wie möglich zu nützen, stets in Anwendung zu bringen und durch den Gebrauch nach ihrem vollen Werte zu schätzen gelernt haben – Sie sind geneigt, sage ich, bei andern die Neigung vorauszusetzen, diese Mittel zu Betrug und selbstsüchtigen Zwecken zu mißbrauchen. Ich glaube in der Tat, daß dieser Umstand die niedrige, aber sehr verbreitete Ansicht hervorgerufen hat, nach der Ihr Stand als argwöhnisch, mißtrauisch und allzu vorsichtig gilt. Ich bin mir zwar bewußt, Sir, daß mir unter den gegebenen Verhältnissen eine solche Erörterung Ihnen gegenüber nur schaden kann, aber ich bin dennoch hierhergekommen in dem Wunsche, Ihnen verständlich zu machen, was schon mein Freund Mr. Perker gesagt hat, daß ich nämlich an der Treulosigkeit, die mir zur Last gelegt wird, gänzlich unschuldig bin; und wenn ich auch von dem unschätzbaren Wert Ihres Beistandes überzeugt bin, Sir, so wollen Sie mir doch gestatten, noch hinzuzufügen, daß, im Fall Sie mir nicht unbedingt Glauben schenken sollten, ich jede Unterstützung seitens Ihrer Talente lieber missen möchte.“

Lange bevor Mr. Pickwick diese Rede, die im Verhältnis zu seiner ganzen Denkungsweise sehr prosaisch war, geschlossen hatte, war der Prokurator in tiefes Nachdenken versunken. Erst nach einigen Minuten, während deren er mit seiner Feder gespielt hatte, schien er sich der Anwesenheit seiner Klienten wieder zu erinnern. Er blickte auf und fragte ein wenig unvermittelt:

„Wer ist mein Assistent in dieser Sache?“

„Mr. Phunky, Sir“, erwiderte der Anwalt.

„Phunky – Phunky“, wiederholte der Prokurator, „hm, diesen Namen habe ich noch nie gehört. Er muß ein sehr junger Mann sein?“

„Allerdings, er ist ein sehr junger Mann“, versetzte der Anwalt. „Er ist erst – ja, ganz richtig, er ist erst seit acht Jahren zu den Schranken zugelassen.“

„Hm, habe ich mir gedacht“, sagte der Prokurator mit dem mitleidigen Tone, in dem man gewöhnlich von kleinen hilflosen Kindern spricht. „Mr. Mallard, schicken Sie nach Herrn – Herrn –“

„Phunky – Holborn Court, Grays Inn“, half Perker aus. Mr. Phunky. Und lassen Sie ihm sagen, es würde mich freuen, wenn er .sich auf einen Augenblick hierherbemühen wollte.“

Mr. Mallard entfernte sich, um seinen Auftrag auszurichten, und Prokurator Snubbin versank wieder in tiefes Nachdenken, bis Mr. Phunky erschien.

Obgleich als Sachwalter noch in den Kinderschuhen, war Mr. Phunky doch ein völlig ausgewachsener Mann. Er benahm sich außerordentlich schüchtern und sprach immer mit zitterndem Tone, was jedoch nicht von einem Gebrechen, sondern vielmehr von einer gewissen Befangenheit und dem Bewußtsein herrührte, daß er durch den Mangel an Gold oder Gönnern, Konnexionen oder Unverschämtheit „niedergehalten“ wurde. Er sah mit Ehrfurcht an dem Prokurator empor und machte dem Anwalt eine tiefe Verbeugung.

„Ich habe bisher noch nicht das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen. Mr. Phunky“, begann Prokurator Snubbin mit vornehmer Herablassung. Mr. Phunky verbeugte sich. Er hatte das Vergnügen gehabt, den Prokurator zu sehen und ihn auch mit dem ganzen Neid des armen Mannes schon achtundeinviertel Jahr lang beneidet.

„Wie ich höre, sollen Sie in dieser Sache mein Assistent sein?“

Wäre Mr. Phunky ein reicher Mann gewesen, so hätte er augenblicklich nach seinem Schreiber geschickt, um seinem Gedächtnis nachhelfen zu lassen. Wäre er ein kluger Mann gewesen, so hätte er den Zeigefinger an die Stirn gelegt und sich zu erinnern versucht, ob er bei der großen Menge seiner Geschäfte auch dieses übernommen habe; so aber war er weder reich noch klug – wenigstens nicht in diesem Sinne –, errötete demnach und verbeugte sich zustimmend.

„Haben Sie die Akten gelesen, Mr. Phunky?“ fragte der Prokurator.

Hier hätte Mr. Phunky selbstverständlich die Bemerkung hinwerfen sollen, er habe die Sache augenblicklich nicht im Kopf, aber da er die Akten, die ihm inzwischen vorgelegt worden waren, gelesen und seit den zwei Monaten, während deren er zu des Herrn Prokurator Snubbins Assistenten erhoben worden war, Tag und Nacht an nichts anderes mehr gedacht hatte, errötete er noch tiefer und machte abermals eine tiefe Verbeugung.

„Dies ist Mr. Pickwick“, stellte der Prokurator vor und deutete mit seiner Feder auf den Beklagten.

Mr. Phunky machte Mr. Pickwick mit der Ehrerbietung, die ein erster Klient stets erweckt, eine Verbeugung und verneigte sich dann wieder gegen den Prokurator.

„Sie gehen vielleicht mit Mr. Pickwick“, sagte dieser, „und – und – hören, was er Ihnen mitzuteilen hat. „Wir werden natürlich eine Konferenz darüber halten.“

Mit dieser Andeutung, daß er jetzt lange genug aufgehalten worden sei, hielt der Herr Prokurator Snubbin, der nach und nach immer gedankenvoller geworden war, für einen Augenblick seine Lorgnette ans Auge, machte nach allen Seiten eine leichte Verbeugung und vertiefte sich wieder in die vor ihm liegenden Akten eines endlosen Prozesses, bei dem es sich um die Sperrung eines unbegangenen Fußpfades handelte. Draußen auf dem Square gingen die Herren Phunky, Pickwick und Perker noch auf und ab und hielten eine lange Besprechung mit dem Ergebnis, daß es sehr schwer zu bestimmen sei, wie der Spruch ausfallen werde, und daß es ein sehr großes Glück bedeute, der Gegenpartei in bezug auf die Akquisition Mr. Snubbins zuvorgekommen zu sein, und was dergleichen Trostgründe mehr waren.

Hierauf weckte Mr. Pickwick Mr. Weller aus süßem Schlummer, der eine Stunde gedauert hatte, verabschiedete sich von Mr. Lowten und kehrte nach der City zurück.