34. Kapitel
Unter der Schraube
»Was mag das sein, möchte ich gern wissen?« sagt Mr. George. »Eine Platzpatrone oder eine scharfe? Brennt’s nur auf der Pfanne oder ist es ein Schuß?«
Ein Brief beschäftigt den Kavalleristen und scheint ihm gewaltiges Kopfzerbrechen zu machen. Er hält ihn mit ausgestrecktem Arm vor sich hin, hält ihn dicht vor die Augen, nimmt ihn in die rechte Hand, nimmt ihn in die linke Hand, liest ihn, den Kopf auf die Seite gelegt, liest ihn, den Kopf auf die andre Seite gelegt, zieht die Augenbrauen zusammen, zieht sie in die Höhe und kann doch nicht ins klare kommen. Er streicht den Brief mit seiner schweren Hand auf dem Tisch glatt, geht gedankenvoll in der Galerie auf und ab und steht dann und wann still, um das Schreiben abermals anzusehen. Selbst das nützt nichts. Ist es eine Platzpatrone oder eine scharfe? überlegt Mr. George immer noch.
Phil Squod ist mit einem Pinsel und einem Farbtopf im Hintergrund beschäftigt, die Schießscheiben weiß anzustreichen. Er pfeift sich dabei im Geschwindschrittempo eins.
»Phil!« Der Kavallerist winkt.
Phil kommt in seiner gewohnten Art näher und schiebt sich seitlich an der Wand entlang, wie wenn er vorhätte, anderswo hinzugehen, um dann wie zu einem Bajonettangriff auf seinen Kommandeur loszustürzen. Einzelne Spritzer weißer Farbe stechen grell von seinem schmutzigen Gesicht ab, und er kratzt sich seine einzige Augenbraue mit dem Stiel des Pinsels.
»Gib acht, Phil. Hör mal zu!«
»Zu Befehl, Kommandeur.«
»Sir. Ich erlaube mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, obgleich ich, wie Sie wohl wissen, gesetzlich dazu nicht verpflichtet bin, daß der Wechsel über 97 £ 4 sh. und 9 d. auf zwei Monate Ziel, von Mr. Matthew Bagnet auf Sie gezogen und von Ihnen akzeptiert, morgen fällig ist, und bitte Sie, die Tratte bei Vorkommen pünktlich zu honorieren.
Ihr
Josua Smallweed.«
»Was soll das bedeuten, Phil?«
»Unheil, Govner!«
»Wieso?«
»Ich glaube«, entgegnet Phil und folgt mit dem Pinselstiel nachdenklich einer Querfalte auf seiner Stirn, »daß allemal Unheil im Zuge ist, wenn einer Geld will.«
»Schau mal, Phil«, sagt der Kavallerist und setzt sich auf den Tisch. »Erstens und letztens habe ich, kann ich wohl sagen, die Hälfte mehr an Zinsen nach und nach, als das Kapital beträgt, bezahlt.«
Phil tritt ein paar Schritte seitlich zurück und schneidet ein saures Gesicht und gibt dadurch zu verstehen, daß ihm durch diesen Einwand die Sache nicht hoffnungsvoller zu werden scheint.
»Und zweitens, schau, Phil«, sagt der Kavallerist und weist solche voreiligen Schlüsse mit einer Handbewegung zurück. »Es war immer stillschweigend ausgemacht, daß der Wechsel prolongiert werden sollte, wie sie’s nennen, und er ist oft genug prolongiert worden. Was sagst du jetzt dazu?«
»Ich sage, ich glaube, damit ist’s jetzt aus.«
»So, meinst du? Hm! Ich bin so ziemlich derselben Meinung.«
»Josua Smallweed ist wohl der, den sie damals im Stuhl hierher getragen haben, Govner?«
»Jawohl.«
»Govner«, sagt Phil außerordentlich ernst, »er ist ein Blutegel von Natur, eine Schraube und ein Schraubstock in seinen Taten, eine Schlange, was seine Umschlingungen, und ein Hummer, was die Scheren betrifft.«
Nachdem Mr. Squod so ausdrucksvoll seine Ansichten geäußert und ein wenig gezögert hat, um zu sehen, ob man noch weiteres von ihm erwarte, begibt er sich wieder zu seiner Scheibe und deutet auf seine frühere musikalische Art kraftvoll an, daß er:
Kehret heim aus dem Feld,
Kehret heim aus dem Feld,
Heim zum Mädchen, das er verla-ha-ssen.
George hat den Brief zusammengelegt und tritt zu ihm.
»Es gibt schon einen Weg, die Sache abzumachen, Kommandeur«, sagt Phil und sieht seinen Herrn schlau an.
»Das Geld bezahlen, was? Ja, wenn ich das könnte.«
Phil schüttelt den Kopf. »Nein, Govner, nein. Etwas Besseres. Es gibt einen Weg. Sehen Sie: so«, sagt Phil mit einer hochkünstlerischen Schwenkung seines Pinsels.
»Einen Strich drüber machen?«
Phil nickt.
»Das wäre mir ein hübscher Ausweg! Weißt du, was dann aus den Bagnets werden würde? Weißt du, daß sie dann meine Schulden bezahlen müßten und zugrunde gerichtet wären. Du bist mir ein netter Kerl«, sagt der Kavallerist und sieht Phil entrüstet an. »Meiner Seel, ein netter Kerl, Phil!«
Phil, seine Scheibe auf dem Knie, will gerade ernstlich protestieren, wenn es auch nicht ohne viele allegorische Schwenkungen seines Pinsels und Glätten des weißen Randes mit dem Daumen abgeht, und beteuern, er habe die Bagnets ganz vergessen und würde keinem Mitglied dieser würdigen Familie auch nur ein Haar krümmen, als man draußen im Einlaß Schritte kommen und eine muntere Stimme fragen hört, ob George zu Hause sei. Mit einem Blick auf seinen Herrn humpelt Phil ein paar Schritte weit und sagt: »Hier ist der Govner, Mrs. Bagnet! Hier.«
Begleitet von ihrem Mann, erscheint die Alte.
Ist Mrs. Bagnet marschbereit, so ist sie immer mit einem grauen groben, und wenn auch sehr reinlichen, so doch sehr abgetragnen Tuchmantel ausgerüstet – demselben Kleidungsstück, von dem Mr. Bagnet damals sagte, es habe mit Mrs. Bagnet und einem Regenschirm zusammen die Reise aus fremden Weltteilen nach Hause gemacht.
Der Schirm ist ebenfalls ein unzertrennlicher Begleiter der guten Frau, wenn sie sich auf die Straße begibt. Er ist von keiner in diesem Leben bekannten Farbe und hat einen runzligen hölzernen Haken als Griff mit einem Stück Blech daran. Er ist bauchig und scheint sehr eines Schnürleibs zu bedürfen, eine Eigentümlichkeit, die wahrscheinlich daher kommt, daß er eine Reihe von Jahren zu Hause als Vorratskammer und auf Reisen als Handtasche gedient hat. Sie spannt ihn niemals auf, da sie das größte Zutrauen auf ihren schwergeprüften Mantel und seine geräumige Kapuze hat, und gebraucht ihn nur als Stock, um damit beim Einkaufen auf Fleischstücke oder Gemüsebündel zu deuten oder durch einen freundschaftlichen Stich die Aufmerksamkeit der Höker zu erregen. Auch ohne ihren Marktkorb, eine Art geflochtenen Brunnen mit zwei großen Deckeln, geht sie nie aus. Von diesen beiden getreuen Gefährten begleitet und das ehrliche sonnenverbrannte Gesicht unter einen großen Strohhut gebunden, erscheint jetzt Mrs. Bagnet, frisch und munter aussehend, in Georges Schießgalerie.
»Nun, George, alter Bursche«, sagt sie, »wie geht’s an diesem schönen Morgen?«
Sie schüttelt dem Galeriedirektor freundlich die Hände, holt tief Atem und setzt sich hin, um sich auszuruhen. Gewöhnt, auf Bagagewagen oder auf ähnlich bequemen Lagerstätten zu ruhen, hockt sie sich auf eine schmale Holzbank, schiebt den Hut zurück, löst seine Bänder, verschränkt die Arme und befindet sich dem Anschein nach höchst behaglich.
Unterdessen hat Mr. Bagnet seinem alten Kameraden und Mr. Squod die Hand geschüttelt. Mrs. Bagnet hat Phil bereits mit einem freundlichen Nicken und Lächeln bedacht.
»Na, George«, sagt Mrs. Bagnet heiter, »hier sind wir, Lignum und ich.« Sie gibt ihrem Mann oft diesen Namen, wahrscheinlich, weil sein Spitzname: »lignum vitae« im Regiment war, als sie ihn kennenlernte – wegen der besondern Härte und Zähigkeit seiner Physiognomie. – »Wir kommen bloß, um alles wegen der Bürgschaft in Ordnung zu bringen. Geben Sie den neuen Wechsel zum Unterschreiben her, George.«
»Ich wollte diesen Morgen zu euch kommen«, bemerkt der Kavallerist zögernd.
»Ja, wir dachten es uns, aber wir sind zeitig ausgegangen und ließen Woolwich zum Schutz seiner Schwestern zurück und zogen es vor, selber zu Ihnen zu kommen, wie Sie sehen. Lignum ist jetzt so angebunden und hat so wenig Bewegung, daß ein Spaziergang ihm nur gut tun kann. Aber was ist denn los, George?« unterbricht Mrs. Bagnet ihre fröhliche Rede. »Was machen Sie denn für ein Gesicht?«
»Ich – ich«, entgegnet der Kavallerist, »ich habe Verdruß gehabt, Mrs. Bagnet.«
Ihr rasches helles Auge errät augenblicklich die Wahrheit.
»George«, sagt sie und hält den Zeigefinger in die Höhe, »sagen Sie mir nicht, daß etwas mit der Bürgschaft Lignums nicht in Ordnung ist? Sagen Sie das nicht, George, von wegen unsrer Kinder!«
Der Kavallerist sieht sie mit verstörtem Gesicht an.
»George«, sagt Mrs. Bagnet, bewegt unruhig die Arme und schlägt sich gelegentlich mit der flachen Hand auf die Knie, »wenn Sie mit dieser Bürgschaft irgend etwas haben geschehen lassen oder Lignum im Stich gelassen haben oder uns der Gefahr aussetzen, gepfändet zu werden – und ich lese so etwas wie Pfändung auf Ihrem Gesicht, George, als ob es deutlich drauf geschrieben stünde –, so haben Sie etwas Schändliches getan und uns grausam enttäuscht. Ich sage Ihnen, grausam, George! So. Jetzt wissen Sie’s.«
Mr. Bagnet, für gewöhnlich unbeweglich wie ein Pumpenstock oder ein Laternenpfahl, legt seine breite rechte Hand auf seine Glatze, als ob er sie vor einem Regenguß schützen wolle, und sieht Mrs. Bagnet mit großer Unruhe an.
»George«, fährt die Alte fort, »ich hätte das nicht von Ihnen geglaubt. George, ich schäme mich für Sie! George, ich hätte nie geglaubt, Sie wären zu so etwas imstande. Ich wußte immer, daß Sie ein rollender Stein sind, der kein Moos ansetzt, aber ich hätte nie gedacht, daß Sie auch noch das bißchen Moos wegnehmen würden, von dem Bagnet und die Kinder leben sollen. Sie wissen, was für ein fleißiger solider Kerl er ist. Sie wissen, wie Quebec und Malta und Woolwich sind, und ich hätte nie gedacht, daß Sie das Herz haben könnten, uns das anzutun. Ach, George!« – Mrs. Bagnet nimmt ihren Mantel zusammen, um sich ihre Augen zu wischen, – »wie konnten Sie uns das antun?«
Als Mrs. Bagnet aufgehört hat, nimmt Mr. Bagnet die Hand vom Kopf, als sei jetzt der Regenguß vorüber, und sieht Mr. George an, der, kreideweiß geworden, mit schmerzlichem Gesicht den grauen Mantel und den Strohhut anstarrt.
»Mat«, sagt der Kavallerist mit gedämpfter Stimme zu seinem Kameraden, kann aber keinen Blick von dessen Frau wenden. »Es tut mir leid, daß ihr es euch so zu Herzen nehmt, denn ich hoffe, es wird nicht so schlimm ausgehen. Allerdings habe ich heute früh diesen Brief bekommen«, – er liest ihn vor – »aber ich hoffe, die Sache läßt sich noch in Ordnung bringen. Was Sie da von einem rollenden Stein sagen, so haben Sie freilich recht. Ich bin ein rollender Stein, und ich glaube wahrhaftig, ich bin nie jemandem in den Weg gerollt, um ihm den mindesten Nutzen zu bringen, aber es ist mir altem Vagabunden unmöglich, mehr von deiner Frau und deiner Familie zu halten, als ich es tue, Mat, und ich hoffe, ihr werdet mich mit Nachsicht beurteilen. Glaubt nicht, daß ich euch etwas verheimlicht habe. Ich habe den Brief erst vor einer Viertelstunde bekommen.«
»Alte«, murmelt Mr. Bagnet nach einer kurzen Pause, »willst du ihm nicht meine Meinung sagen?«
»Ach, warum hat er nicht Joe Pouchs Witwe in Nordamerika geheiratet! Dann wäre er nicht in alle diese Ungelegenheiten gekommen«, ruft Mrs. Bagnet halb lachend, halb weinend.
»Die Alte hat ganz recht«, nickt Mr. Bagnet. »Warum hast du’s nicht getan?«
»Ich hoffe, sie hat jetzt einen bessern Mann«, entgegnet der Kavallerist. »So oder so. Jedenfalls steh ich hier und bin nicht mit Joe Pouchs Witwe verheiratet. Was soll ich tun? Du siehst hier alles, was ich habe. Es gehört nicht mir, es gehört dir. Sag nur ein Wort, und ich verkaufe jedes Stück. Hätte ich hoffen können, dafür nur annähernd die Summe, die ich brauche, zu bekommen, hätte ich längst alles verklopft. Glaub nicht, daß ich dich oder die Deinigen in der Tinte lasse, Mat. Eher würde ich mich selbst verkaufen. Ich wünschte nur«, sagt der Kavallerist und schlägt sich verächtlich auf die Brust, »ich wüßte jemanden, der so einen alten abgelegten Kerl kaufte.«
»Alte«, murmelt Mr. Bagnet, »sag ihm weiter meine Meinung!«
»George«, lenkt die Alte ein. »Sie sind bei reiflicher Überlegung nicht so sehr zu tadeln. Außer, daß Sie überhaupt das Geschäft ohne Mittel angefangen haben.«
»Das hat mir übrigens ganz ähnlich gesehen«, bemerkt bußfertig der Kavallerist. »Ganz ähnlich. Das weiß ich.«
»Ruhig! Die Alte«, sagt Mr. Bagnet, »hat recht, in ihrer Art meine Meinung zu sagen. Hör weiter.«
»Und damals hätten Sie nie die Bürgschaft verlangen sollen, George, und auch nicht bekommen dürfen, wenn man sich alles jetzt ordentlich überlegt. Aber was einmal geschehen ist, läßt sich nicht mehr ändern. Sie handeln immer wie ein ehrenhafter und rechtschaffner Kerl, soweit es in Ihrer Macht liegt, wenn auch ein bißchen unüberlegt. Andererseits müssen Sie zugeben, daß es ganz natürlich ist, wenn wir mit einer solchen Sorge auf dem Hals ängstlich sind. Wollen wir also sagen, vergeben und vergessen, George! Kommen Sie, vergeben und vergessen!«
Mrs. Bagnet reicht ihm eine ihrer ehrlichen Hände und ihrem Gatten die andre. Mr. George erfaßt sie und hält sie fest und sagt:
»Ich versichere euch beiden, ich würde alles tun, um diese Verpflichtung loszuwerden. Aber was ich habe zusammenscharren können, habe ich gebraucht, um alle zwei Monate die Zinsen für den Wechsel zu zahlen. Phil und ich haben hier einfach genug gelebt. Aber die Galerie trägt nicht soviel, wie wir erwarteten, und ist –kurz, ist kein Eldorado. War es unrecht von mir, sie zu übernehmen? Ja, allerdings! Aber ich wurde gewissermaßen zu dem Schritt gedrängt und glaubte, es würde mich gesetzter machen und mir im Leben forthelfen. Wenn ihr versucht, zu vergessen, daß ich mich mit solchen Erwartungen trug, bin ich euch wirklich sehr dankbar – und recht, recht beschämt.«
Mit diesen Worten schüttelt Mr. George den beiden die Hände und macht dann in militärischer Haltung ein paar Schritte zurück, als habe er sein letztes Bekenntnis abgelegt und solle sofort mit allen militärischen Ehren erschossen werden.
»George, hör mich zu Ende an«, sagt Mr. Bagnet mit einem Blick auf seine Frau. »Alte, sprich weiter!«
Mr. Bagnet, der sich auf diese eigentümliche Weise zu Ende anhören läßt, hat nur zu bemerken, daß der Brief unverzüglich beantwortet werden müsse und es das ratsamste sei, wenn George und er selbst auf der Stelle zu Mr. Smallweed gingen, um in erster Linie allen Schaden vom Hause Bagnet, das das Geld nicht habe, fernzuhalten. Mr. George stimmt dem vollständig bei, setzt seinen Hut auf und ist bereit, mit Mr. Bagnet in das feindliche Lager zu marschieren.
»Sie dürfen das vorschnelle Wort einer Frau nicht übelnehmen«, sagt Mrs. Bagnet und klopft ihm auf die Schulter. »Ich vertraue Ihnen meinen alten Lignum an und bin überzeugt, daß Sie ihn heil durchbringen werden.«
Der Kavallerist entgegnet, das sei freundlich von ihr gesprochen und er werde Lignum auf irgendeine Weise schon durchbringen. Darauf geht Mrs. Bagnet mit ihrem Mantel, Korb und Regenschirm wieder mit fröhlichen Augen zu ihrer Familie nach Haus, und die Kameraden treten die hoffnungsreiche Sendung an, Mr. Smallweed zu erweichen.
Ob es in ganz England noch zwei Leute gibt, die mit weniger Aussicht auf Erfolg eine Verhandlung mit Mr. Smallweed zu Ende zu führen imstande wären, als Mr. George und Mr. Matthew Bagnet, ist mehr als fraglich. Auch, ob es trotz ihres kriegerischen Aussehens, ihrer breiten Schultern und ihres gewichtigen Schrittes im Reich zwei in Smallweedschen Geschäften ungeübtere und unschlauere Kinder geben könnte.
Wie sie mit großem Ernst durch die Straßen nach Mount-Pleasant schreiten, glaubt Mr. Bagnet, da er seinen Begleiter so nachdenklich dreinschauen sieht, in freundlicher Weise auf Mrs. Bagnets letzte Attacke zurückkommen zu müssen.
»George, du kennst die Alte. Sie ist so sanft und mild wie Milch. Aber rühr ihre Kinder an – oder mich –, und sie geht in die Luft – wie Schießpulver.«
»Das macht ihr nur Ehre, Mat.«
»George«, sagt Mr. Bagnet und blickt geradeaus, »die Alte kann nichts tun, was ihr nicht Ehre macht. Mehr oder weniger. Ich sage es nicht vor ihr. Disziplin muß sein.«
»Sie ist ihr Gewicht in Gold wert«, entgegnet der Kavallerist.
»In Gold? Ich will dir was sagen, George. Die Alte wiegt – hundertsechsundsiebzig Pfund. Ob ich dieses Gewicht – egal, in welchem Metall – für die Alte nähme? Nein. Warum nicht? Weil die Alte aus einem viel kostbareren Metall ist. Sie ist besser als alles Metall.«
»Du hast recht, Mat.«
»Als sie mich nahm – und den Ring annahm –, ließ sie sich bei mir und den Kindern anwerben – mit Herz und Kopf fürs Leben. Und sie hält treu zu ihrer Fahne, so daß, wenn einer gegen uns auch nur den Finger rührt, sie gleich bei der Hand ist – und unters Gewehr tritt. Wenn die Alte einmal übers Ziel schießt – so gelegentlich, aus Pflichteifer –, muß man ihr das verzeihen, George. Denn sie meint’s gut.«
»Gott behüte sie, Mat! Ich denke nur um so besser von ihr.«
»Da hast du recht«, sagt Mr. Bagnet enthusiastisch, aber ohne dabei auch nur einen Muskel seines Gesichts zu verziehen. »Denk dir die Verdienste der Alten – so hoch wie den Felsen von Gibraltar –, und du wirst immer noch zu niedrig von ihren Verdiensten denken. Aber ich erwähne es nie vor ihr. Disziplin muß sein.«
Unter solchen Lobeshymnen gelangen sie endlich nach Mount-Pleasant und an Großvater Smallweeds Haus. Die ewig unveränderliche Judy öffnet die Tür, mustert die beiden mit nicht besondrer Freundlichkeit, wohl aber mit einem boshaften Lächeln von Kopf bis Fuß, läßt sie draußen stehen und fragt das Orakel, ob sie sie einlassen soll. Das Orakel scheint seine Einwilligung gegeben zu haben, denn sie kehrt mit den Worten auf ihren Honiglippen zurück, sie könnten hereinkommen – wenn sie Lust hätten.
So huldreich empfangen, treten sie also ein und finden Mr. Smallweed, mit den Füßen im Schubkasten seines Lehnstuhls ruhend wie in einem Papierfußbad, und Mrs. Smallweeds Gesicht, von dem Kissen verdunkelt wie ein Vogel, der nicht singen soll.
»Mein lieber Mr. George«, sagt Großvater Smallweed und streckt seine beiden magern Arme sehnsüchtig aus. »Wie geht’s Ihnen? Wie geht’s Ihnen? Und wer ist unser Freund hier?«
»Das hier ist«, entgegnet George mit recht wenig versöhnlichem Ton, »ist Matthew Bagnet, der für mich, wie Sie wissen, gebürgt hat.«
»Oh, Mr. Bagnet? Ja, richtig!« Der Alte beschattet sich die Augen mit der Hand und sieht ihn an. »Hoffe, Sie befinden sich wohl, Mr. Bagnet! Ein schöner Mann, Mr. George. Militärisches Aussehen, Sir.«
Da man ihnen keine Stühle anbietet, holt Mr. George selbst einen für Bagnet und einen für sich. Sie setzen sich. Mr. Bagnet, als ob er nur in den Hüften ein Gelenk hätte.
»Judy«, sagt Mr. Smallweed, »bring die Pfeife.«
»Ich glaube, die junge Dame braucht sich die Mühe nicht zu machen«, unterbricht ihn Mr. George, »denn, um die Wahrheit zu sagen, ich bin heute zum Rauchen nicht aufgelegt.«
»So. Nicht?… Judy, bring die Pfeife!«
»Die Sache ist die, Mr. Smallweed, daß ich mich in einer nicht besonders angenehmen Gemütsverfassung befinde. Es scheint mir, Sir, als ob Ihr Freund in der City dumme Streiche machen will.«
»O Gott, nein«, sagt Großvater Smallweed. »Das tut er nie.«
»Wirklich nicht? Nun, das freut mich. Ich glaubte schon, es sei sein Werk. Das da. Dieser Brief hier.«
Großvater Smallweed lächelt scheußlich, als er den Brief erblickt.
»Was hat das zu bedeuten?« fragt Mr. George.
»Judy, hast du die Pfeife? Gib sie mir. – Sie fragen, was der Brief zu bedeuten hat, mein lieber Freund?«
»Ja. Hören Sie einmal, Mr. Smallweed«, drängt der Kavallerist und zwingt sich, dabei so ruhig und vertrauensvoll wie nur möglich auszusehen. Er hält den Brief in der Linken und läßt seine Faust auf dem Schenkel ruhen. »Es ist viel Geld zwischen uns hin- und hergegangen, und wir sitzen jetzt einander gegenüber und wissen beide recht gut, wie die Sache stillschweigend vereinbart war. Ich bin bereit, zu tun, was ich bisher immer getan habe und was regelmäßig geschehen ist, damit die Sache im Gang bleibt. Ich habe bisher noch nie einen Brief wie diesen von Ihnen bekommen, und es hat mich diesen Morgen etwas außer Fassung gebracht, weil mein Freund hier, Matthew Bagnet, der, wie Sie wissen, das Geld nicht hat…«
»Ich weiß es nicht«, sagt der Alte ruhig.
»Hol Sie der… Er hat es nicht –, ich sag es Ihnen doch.«
»O ja, Sie sagen es«, entgegnet Großvater Smallweed. »Aber ich weiß es nicht.«
»Na«, sagt der Kavallerist, seinen Ärger hinunterschluckend, »aber ich weiß es.«
»Ah, das ist ganz etwas andres«, meint Mr. Smallweed gut gelaunt. »Aber das ändert nichts an Mr. Bagnets Lage.«
Der unglückliche George machte die größten Anstrengungen, die Sache in Frieden abzutun, und geht auf Mr. Smallweeds Launen ein, bloß, um ihn freundlich zu stimmen.
»Das meine ich eben. Ganz wie Sie sagen, Mr. Smallweed. Hier ist Matthew Bagnet, und Sie können ihn beim Schopf packen, ob er das Geld nun hat oder nicht. Das nimmt sich nun seine gute Frau sehr zu Herzen, und ich leide auch drunter, denn während ich ein leichtsinniger Taugenichts bin, der mehr Schläge als Halfpence verdient, ist er ein solider Familienvater. Ich weiß nun recht gut, Mr. Smallweed«, der Kavallerist wird, wie er auf diese soldatische Weise von dem Geschäft spricht, immer zuversichtlicher, »daß ich von Ihnen nicht verlangen kann, obgleich wir in einer gewissen Art ganz gut miteinander stehen, meinen Freund Bagnet ganz aus dem Spiel zu lassen.«
»Mein Gott, Sie sind zu bescheiden. Verlangen können Sie alles, Mr. George.« Großvater Smallweed zeigt eine gewisse menschenfresserhafte Neigung zur Spaßhaftigkeit.
»Und Sie können es abschlagen, meinen Sie, nicht? Oder vielleicht nicht so sehr Sie als Ihr Freund in der City. Hahaha!«
»Hahaha!« lacht auch Großvater Smallweed in so hartem Ton und mit so ganz besonders grünen Augen, daß Mr. Bagnets natürliche Ernsthaftigkeit sich beim Anblick des verehrungswürdigen alten Herrn sehr vertieft.
»Kommen Sie«, sagt der sanguinische Mr. George. »Es freut mich, daß wir so gut aufgelegt sind. Ich möchte gern alles in Frieden abmachen. Hier sitzt mein Freund Bagnet, und hier bin ich. Wir wollen die Sache auf der Stelle in der gewohnten Weise abmachen, nicht wahr, Mr. Smallweed? Und Sie werden meinem Freund Bagnet und seiner Familie das Herz um vieles erleichtern, wenn Sie ihm sagen wollen, daß wir uns darüber verständigt haben.«
Hier ruft ein Gespenst mit schriller Stimme höhnisch aus: »Ach, du lieber Gott!« – wenn es nicht etwa gar die spaßhafte Judy ist, die zwar ganz stumm dasteht, als die Gäste sich erschrocken nach ihr umsehen, deren Lippen aber eben erst vor Hohn und Verachtung gezuckt haben.
Mr. Bagnets Ernsthaftigkeit vertieft sich noch mehr.
»Ich glaube, Sie fragten mich doch, Mr. George« – Großvater Smallweed, der die ganze Zeit über die Pfeife in der Hand gehalten hat, ist jetzt der Sprecher – »ich glaube, Sie fragten mich, was der Brief zu bedeuten habe?«
»Nun ja, das wollte ich wissen«, entgegnet der Kavallerist sorglos. »Aber es liegt mir nicht so gar viel daran, wenn nur jetzt alles in Ordnung ist.«
Mr. Smallweed tut, als ziele er nach dem Kopf des Kavalleristen, und zerschmettert die Pfeife dann plötzlich auf dem Boden in tausend Stücke.
»Das hat er zu bedeuten, mein lieber Freund. Zerschmeißen will ich Sie. Ich will Sie vernichten. Zu Staub. Scheren Sie sich zum Teufel!«
Die beiden Freunde springen auf und sehen einander an. Mr. Bagnets Ernsthaftigkeit hat jetzt ihren Höhepunkt erreicht.
»Scheren Sie sich zum Teufel!« wiederholt der Alte. »Ich mag nichts mehr von Ihrem Pfeifenrauchen und Ihrem Schwadronieren hören. Was, Sie wollen ein freier unabhängiger Dragoner sein? Sie? Gehen Sie zu meinem Advokaten – Sie wissen, wo er wohnt, Sie sind schon einmal dort gewesen – und beweisen Sie jetzt Ihre Freiheit und Unabhängigkeit. Vielleicht, mein lieber Freund, haben Sie da noch eine Aussicht. Mach die Tür auf, Judy, und geleite diese Prahlhänse schön sanft hinaus. Ruf die Polizei, wenn sie nicht freiwillig gehen… Hinaus mit euch!«
Er kreischt die letzten Worte so laut, daß Mr. Bagnet seinem Kameraden die Hände auf die Schultern legt und ihn, ehe er sich noch von seinem Staunen erholen kann, eilig hinausschiebt. Triumphierend wirft Judy die Haustür zu. Ganz verwirrt bleibt Mr. George eine Weile davor stehen und starrt den eisernen Klopfer an. Mr. Bagnet geht, das Urbild der Ernsthaftigkeit, vor dem kleinen Wohnstubenfenster auf und ab wie eine Schildwache und wirft jedes Mal einen Blick hinein, als ob er sich irgend etwas überlege.
»Komm, Mat«, sagt endlich Mr. George, als er sich erholt hat. »Wir müssen es bei dem Advokaten versuchen. Nun, was sagst du zu diesem Schurken?«
Mr. Bagnet bleibt stehen, wirft einen Abschiedsblick in die Wohnstube und brummt mit einem Kopfnicken, das denen drin gelten soll: »Wenn meine Alte hier gewesen wäre, hätte ich ihm meine Meinung gesagt.«
Auf diese Art die Ursache seiner Nachdenklichkeit losgeworden, tritt er an des Kavalleristen Seite und marschiert mit ihm in gleichem Schritt, Schulter an Schulter, fort.
Als sie sich in Lincoln’s-Inn-Fields melden, ist Mr. Tulkinghorn beschäftigt und nicht zu sprechen. Er scheint durchaus nicht geneigt, sie vorzulassen. Und als sie eine volle Stunde gewartet haben und der Schreiber, als ihn die Klingel ruft, die Gelegenheit benützt, zu erwähnen, daß sie schon sehr lange draußen warteten, bringt er keine ermutigendere Botschaft zurück, als daß Mr. Tulkinghorn ihnen nichts zu sagen habe. Sie warten jedoch mit militärischer Ausdauer, und endlich schellt die Klingel, und der Klient, der so lange drin gewesen ist, tritt aus Mr. Tulkinghorns Zimmer.
Der Klient ist eine hübsche alte Dame. Niemand anders als die Haushälterin von Chesney Wold, Mrs. Rouncewell. Sie verläßt das Sanktuarium mit einem hübschen altmodischen Knicks und macht leise die Tür zu. Sie wird hier mit einer gewissen Auszeichnung behandelt, und der Schreiber tritt hinter seinem Pult hervor, um sie durch das Vorzimmer zu geleiten. Die alte Dame dankt ihm für seine Aufmerksamkeit und bemerkt dabei die beiden wartenden Kameraden.
»Ich bitte um Entschuldigung, Sir, aber sind diese Herren nicht vom Militär?«
Da der Schreiber die beiden fragend ansieht und Mr. George, vertieft in einen Wandkalender über dem Kamin, sich nicht umsieht, antwortet Mr. Bagnet:
»Ja, Maam. Gewesen.«
»Hab mir’s gleich gedacht. Auf den ersten Blick. Das Herz geht mir auf, wie ich Sie so sehe, meine Herren. Es geht mir immer so. Gott behüte Sie, Gentlemen. Sie werden es einer alten Frau nicht übelnehmen, aber ich hatte einmal einen Sohn, der unter die Soldaten gegangen ist, einen hübschen prächtigen Jungen und gutherzig in seiner kecken Weise, wenn auch so manche Leute ihn bei seiner armen Mutter herabsetzen wollten. Ich bitte Sie um Entschuldigung, wenn ich Sie gestört habe, Sir. Gott behüte Sie, Gentlemen!«
»Gott behüte Sie ebenfalls, Maam«, erwidert ihr Mr. Bagnet in herzlichem Ton.
Es liegt etwas Rührendes in den Worten der alten Dame und in dem Zittern, das ihre ehrwürdige alte Gestalt durchläuft, aber Mr. George ist so vertieft in den Wandkalender, daß er sich erst umsieht, als sie fort und die Tür hinter ihr geschlossen ist.
»George«, flüstert ihm Mr. Bagnet mit seinem Baß zu, als er sich endlich von dem Kalender losreißt. »Nur nicht niedergeschlagen! Soldatenblut ist fröhlich Blut. Kopf hoch, mein Junge!«
Der Schreiber ist wiederum hineingegangen, um zu melden, daß sie noch immer da sind, und Mr. Tulkinghorn hat so laut, daß sie es hören können, in gereiztem Ton geantwortet: »Also sollen sie meinetwegen hereinkommen!« Darauf treten sie in das große Zimmer mit der gemalten Decke und sehen ihn vor dem Kamin stehen.
»Nun, was wollt Ihr denn eigentlich? Sergeant, ich sagte Ihnen schon neulich, daß mir Ihre Gesellschaft nicht paßt.«
Der Sergeant gibt zur Antwort – er ist in den letzten Minuten in seiner Redeweise und seiner ganzen Haltung viel schüchterner geworden als sonst –, daß er diesen Brief empfangen habe, deshalb bei Mr. Smallweed gewesen und von diesem hierher gewiesen worden sei.
»Ich habe Ihnen nichts zu sagen«, entgegnet Mr. Tulkinghorn. »Wenn Sie Schulden machen, müssen Sie sie bezahlen oder die Folgen auf sich nehmen. Müssen Sie, um sich das sagen zu lassen, eigens hierherkommen?«
Der Sergeant muß leider gestehen, daß er das Geld nicht hat.
»Sehr gut! Dann muß der andre, dieser Mann da, wenn er es ist, für Sie bezahlen.«
Der Sergeant muß leider hinzufügen, daß der andre das Geld ebenfalls nicht habe.
»Nun gut, dann müssen Sie beide es zusammen bezahlen oder Sie werden beide verklagt und müssen die Folgen auf sich nehmen. Sie haben das Geld bekommen und müssen es wieder zurückzahlen. Sie können nicht andrer Leute Pfunde, Schillinge und Pence in die Tasche stecken und dann sich mir nichts dir nichts drücken.«
Der Advokat setzt sich in seinen Lehnstuhl und schürt das Feuer.
Mr. George hofft, er werde doch die Güte haben, zu…
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, Sergeant, daß mich das nichts angeht. Mir gefällt Ihr Umgang nicht, und ich will Sie nicht hier haben. Die Sache schlägt nicht in mein Fach, und ich habe nichts damit zu tun. Mr. Smallweed beliebt es, mir die Sache zuzuschieben, aber sie geht mich nichts an. Gehen Sie zu Melchisedek in Clifford’s-Inn.«
»Ich muß Sie um Entschuldigung bitten«, sagt Mr. George, »daß ich mich Ihnen noch so aufdränge. Es ist mir so unangenehm, wie es Ihnen nur sein könnte. Aber wollen Sie mir ein Wort unter vier Augen gestatten?«
Mr. Tulkinghorn steht, die Hände in den Taschen, auf und tritt in eine Fensternische.
»Also sprechen Sie. Ich habe nicht lange Zeit.«
Trotz seiner Maske vollkommener Gleichgültigkeit beobachtet er scharf den Kavalleristen und trägt Sorge, daß er mit dem Rücken gegen das Fenster steht und das Licht auf das Gesicht des andern fällt.
»Sehen Sie, Sir«, sagt Mr. George, »der Mann dort ist der andre, der in meine Angelegenheit unglücklicherweise mit verwickelt ist, nur nominell – nur nominell –, und ich muß vor allem verhindern, daß er meinetwegen in Ungelegenheit kommt. Er ist ein höchst ehrenwerter Mann und hat Frau und Kinder. Er stand früher bei der königlichen Artillerie…«
»Lieber Freund, die ganze königliche Artillerie ist mir höchst gleichgültig – Offiziere, Mannschaften, Protzkästen, Wagen, Pferde, Kanonen und Munition!«
»Schon möglich, Sir, aber mir liegt es sehr am Herzen, daß Bagnet und seine Frau und Familie nicht meinetwegen zu Schaden kommen. Wenn ich sie damit heil aus dieser Klemme herausbringen könnte, würde ich ohne weitere Bedingung das, was Sie neulich von mir haben wollten, herausgeben.«
»Haben Sie es mitgebracht?«
»Ich habe es bei mir, Sir.«
»Sergeant«, fährt der Advokat in seiner trocknen leidenschaftslosen Weise fort, die viel mehr als die größte Heftigkeit jede Hoffnung vernichtet. »Fassen Sie Ihren Entschluß, noch während ich mit Ihnen rede, denn es ist das letzte Mal. Wenn ich aufgehört haben werde, zu sprechen, ist die Sache abgetan, und ich will nichts weiter davon hören. Merken Sie sich das wohl. Wenn Sie wollen, können Sie auf einige Tage hier lassen, was Sie bei sich haben, wie Sie sagen. Sie können es auch gleich wieder mitnehmen, wenn Sie wollen. Im Fall Sie es hier lassen, kann ich soviel für Sie tun, daß die Angelegenheit wieder wie früher geregelt wird. Ich kann außerdem noch so weit gehen, Ihnen eine schriftliche Zusicherung zu geben, daß dem Bagnet dort nichts geschehen soll, bis man gegen Sie bis auf das Äußerste verfahren ist, daß alle Ihre Zahlungsmöglichkeiten erschöpft sein sollen, ehe der Gläubiger sich an ihn hält. Das heißt fast soviel, wie ihn ganz aus dem Spiel lassen. Sind Sie jetzt entschlossen?«
Der Kavallerist steckt die Hand in die Brusttasche und antwortet mit einem tiefen Seufzer:
»Ich muß es wohl sein, Sir.«
Sodann setzt Mr. Tulkinghorn die Brille auf, setzt sich hin und schreibt das Dokument, liest es Bagnet, der die ganze Zeit über die Decke angestarrt hat, langsam vor und erklärt es ihm. Der Artillerist legt wieder die Hand bei jedem neuen Regenbad von Worten auf seine Glatze und scheint die Alte sehr nötig zu haben, um eine Meinung zu äußern. Dann nimmt Mr. George aus der Brusttasche ein zusammengefaltetes Papier und legt es widerstrebend neben den Ellbogen des Advokaten.
»Es ist nur ein Brief mit Instruktionen, Sir. Der letzte, den ich von ihm bekam.«
Ein Mühlstein könnte sich ebensowenig verändern wie die Miene Mr. Tulkinghorns, als er jetzt den Brief aufmacht und ihn liest. Mit einem Gesicht, undurchdringlich wie der Tod selbst, faltet er ihn wieder zusammen und legt ihn in sein Pult.
Weiter hat er nichts zu sagen oder zu tun, nickt nur noch ein einziges Mal in seiner früheren kalten und unhöflichen Weise und sagt kurz:
»Sie können gehen. – Heda! Führen Sie die Leute hinaus!«
Der Schreiber öffnet ihnen die Tür, und sie begeben sich nach Mr. Bagnets Wohnung zum Essen.
Gekochtes Fleisch mit grünem Gemüse tritt heute an die Stelle von Schweinefleisch mit grünem Gemüse. Mrs. Bagnet verteilt wieder wie damals das Mahl und würzt es mit der besten Laune. Sie gehört zu der seltnen Art alter Frauen, die das Gute hinnehmen, ohne sich etwas Besseres zu wünschen, und aus jeder kleinen Stelle Dunkelheit noch Licht zu ziehen verstehen. Die dunkle Stelle ist dieses Mal die finstre Stirn Mr. Georges. Er ist ungewöhnlich nachdenklich und niedergeschlagen. Zuerst überläßt Mrs. Bagnet seine Aufheiterung den vereinigten Anstrengungen Quebecs und Maltas. Aber als sie merkt, daß die jungen Damen in dem heutigen Wauwau nicht den lustigen Wauwau von damals finden, gibt sie ihrer leichten Infanterie ein stummes Zeichen, sich zurückzuziehen, und gibt George Gelegenheit, sich auf dem offnen Terrain des häuslichen Herdes in aller Muße frei zu entwickeln.
Aber er tut es nicht. Er bleibt in geschlossener Schlachtordnung und ist umwölkt und bedrückt. Während des ganzen langen Reinigungsprozesses und Hin- und Herklapperns, wo er und Mr. Bagnet ihre Pfeifen bekommen, wird es nicht besser als während des Essens. Er vergißt zu rauchen, starrt ins Feuer, läßt die Pfeife ausgehen und erfüllt die Brust Mr. Bagnets dadurch, daß er zeigt, der Tabak mache ihm keine Freude, mit Unruhe und Schrecken.
Als daher Mrs. Bagnet endlich erscheint, gerötet von dem kalten Wasser, und sich zur Arbeit niedersetzt, gibt ihr ihr Gatte einen Wink, sie möge versuchen, der Sache auf den Grund zu kommen.
»Aber George«, sagt Mrs. Bagnet und fädelt ruhevoll ihre Nadel ein, »wie Sie heute wieder verstimmt sind!«
»Bin ich das? Keine gute Gesellschaft? Ja, ja. Ich fürchte wirklich, ich bin’s nicht.«
»Er ist gar nicht der Bluffy wie sonst, Mutter«, ruft die kleine Malta.
»Weil ihm nicht wohl ist, glaub ich«, setzt Quebec hinzu.
»Gewiß ist das ein schlechtes Zeichen, nicht wie sonst zu sein«, entgegnet der Kavallerist und küßt die Mädchen. »Aber es ist leider wahr. Die Kleinen haben immer recht.«
»George«, sagt Mrs. Bagnet und wendet keinen Blick von ihrer Arbeit. »Wenn ich denken sollte, Sie könnten etwas übelgenommen haben, was einer Soldatenfrau über die Zunge gerutscht ist – ich hätte sie mir gleich darauf am liebsten abgebissen –, so wüßte ich nicht, was ich jetzt sagen sollte.«
»Liebe gute Seele«, entgegnet der Kavallerist. »Schlagen Sie sich doch das aus dem Kopf.«
»Ich habe wirklich und wahrhaftig nur sagen wollen, daß ich Ihnen Lignum anvertraue und überzeugt sei, Sie würden ihn heil durchbringen. Und Sie haben ihn durchgebracht, und fein!«
»Ich danke Ihnen«, sagt George. »Es freut mich, daß Sie so eine gute Meinung von mir haben.«
Er schüttelt Mrs. Bagnets mit der Arbeit beschäftigte Hand am Gelenk und sieht ihr aufmerksam ins Gesicht. Sie näht ruhig weiter, und sein Blick fällt auf den jungen Woolwich, der auf seinem Stuhl in der Ecke sitzt.
Er winkt ihn heran. »Schau mal, mein Junge«, sagt er und streicht der Alten sanft das Haar aus der Stirn. »Siehst du, da ist eine Stirn voll Güte und voll Liebe zu dir! Strahlend vor Liebe zu dir, mein Junge. Ein wenig gebräunt von der Sonne und dem Wetter, weil sie deinem Vater überall hin gefolgt ist und für dich hat sorgen müssen, aber so frisch und gesund wie ein reifer Apfel auf dem Baum.«
Mr. Bagnets Züge drücken, soweit es das sein hölzernes Gesicht erlaubt, die größte Billigung und Beistimmung aus.
»Die Zeit wird kommen, mein Junge«, fährt der Kavallerist fort, »wo das Haar deiner Mutter ergraut ist und die Stirn voller Runzeln und Falten. Eine schöne alte Frau wird sie dann sein. Trag Sorge, solang du noch jung bist, daß du in jenen fernen Tagen sagen kannst: Ich bin nicht schuld, daß nur ein einziges Haar auf ihrem geliebten Haupt weiß geworden ist, und ich habe nicht eine einzige Gramesfalte in ihr Gesicht gezeichnet. Denn von all den vielen Dingen, an die du als Mann denken kannst, ist das eins der besten, Woolwich!«
Mr. George steht von seinem Stuhle auf und setzt den Knaben hinein. Dann sagt er hastig etwas, das so klingt wie:
»Ich will lieber meine Pfeife auf der Straße draußen rauchen.«