Vor vierzehn Tagen haben wir ihn zur letzten Ruhestätte begleitet: Herr Franz von Meyer, Herr Joseph von Müller und ich, Johann Ritter von Schmidt.

Ja, er ist tot, der gute Mond; nun gibt es keinen Königrufer mehr, und sind wir reduziert auf einen Tapper. Einen andern Stammgast des »Blauen Raben« einzuladen, den leer gewordenen Stuhl des Freundes zu besetzen ist uns nicht eingefallen, so viele Prätendenten sich derohalber auch direkt und indirekt bei uns gemeldet und so anständige Leute es auch waren, an denen unser Städtchen überhaupt, zu seiner Ehre sei es gesagt, keinen Mangel leidet. Der Platz, den der gute Mond durch neunzehn Jahre allabendlich drei Stunden lang eingenommen hat, ist infolge des hohen Alters seines Inhabers und des Ratschlusses der ewigen Vorsehung leer geworden und soll denn leer bleiben. Was die Erinnerung an den Verblichenen betrifft, so wird sie uns niemals entschwinden, und werden wir die Geschichte, die er am liebsten erzählte, niemals vergessen. Aber derweil sie noch frisch in uns lebt und seine Ausdrucksweise uns auch noch ganz geläufig ist, habe ich, der ich mich des besten Gedächtnisses erfreue und auch ziemlich gut in der Feder bin, es unternommen, dieselbe aufzuschreiben. Bin mir dabei wohl bewußt, daß die Hauptursache des Eindrucks, den die Geschichte auf uns machte, in dem Mangel an Übereinstimmung lag zwischen dem, was der Erzähler von sich selbst, und dem, was seine Erzählung von ihm aussagte.

Kaum wird es, soweit die Erde rund ist, einen Mann geben, der sich in einer Lage wie diejenige, in welche er versetzt wurde, mit ähnlicher Selbstbeherrschung und Zartheit benommen hätte. Daß er trotzdem immer auf sein derbes und brüskes Wesen zurückkam und es ihm nie einfiel, daß er auch anders hätte handeln können, als er gehandelt hat, das eben war es, was uns jenen oben angezogenen, seltsamen und rührenden Eindruck machte.

Ob dies beim Lesen in gleichem Maße der Fall sein wird, muß ich dahingestellt sein lassen; genug, daß ich mich der größten Treue in der Wiedergabe der Worte unseres Freundes befleißige.

Das Titelblatt zu dem Manuskript anzufertigen hat Herr von Müller sich bereit erklärt, und es wird den Verewigten vorstellen, wie er beim Tarock sitzt, mit seiner rosigen, etwas ins Karmoisinene spielenden Gesichtsfarbe und seinen schneeweißen Haaren.

Die Frau von Meyer, die eine gute Hausfrau und sehr praktisch ist, hat ihn immer verglichen mit einer zur Hälfte gezuckerten Erdbeere, und die Frau von Müller, die mehr poetisch fühlt und zur Schwärmerei neigt, wurde stets durch ihn an einen beschneiten Rosenhügel gemahnt. Dies in Parenthese.

Der Herr von Meyer spitzt schon ein Bund Gänsekiele – da er sich absolut nicht zur Stahlfeder bequemen will – zu einer kalligraphischen Abschrift.

Jedermann weiß, daß die schlechtesten Witze von den Jägern und von den Kartenspielern gemacht werden, und so war es denn auch ein schlechter Witz von uns, daß wir ihn den guten Mond nannten. Mond, weil er diese Karte so oft in die Hand bekam, und den guten, weil er mit ihr statt den anderen sich selbst einen Schaden zufügte, sintemalen er sie sehr oft vom Sküs fangen ließ. Sein wirklicher Name war Franz Edler von Bauer, und er hatte ein ansehnliches Gut besessen, das er bis in sein siebzigstes Jahr ausgezeichnet verwaltete. Als er jedoch seine Kräfte schwinden und sich nicht mehr recht fähig fühlte, die Wirtschaft mit der gewohnten Energie und Genauigkeit zu führen, und vielleicht auch aus anderen Gründen, verkaufte er die Besitzung und zog ins Städtchen, wo er bald zu sterben gedachte. Dieses traf jedoch lange nicht ein, und er brachte es zu einem Alter, das ihn berechtigte, uns, die wir sämtlich zwischen dem fünften und dem sechsten Jahrzehnt herumhüpfen, per grüne Grasteufel und rote Erdzeisel zu traktieren. Verheiratet war er gewesen und nicht gewesen. Aber – das ist eben die Geschichte, und die beginnt somit.

Es ist so lange her, daß ich mich nicht zu genieren brauche, sondern aufrichtig sagen darf: wir sind ein paar schöne Leute gewesen, mein Vetter Franz und ich. Franz! Ihr wißt schon, wir führten denselben Familien- und denselben Taufnamen, und er war ein einziger Sohn wie ich, und wir haben einander auch im Äußeren ähnlich gesehen. Beide blond mit blauen Augen, stattlichen Nasen und Vollbärten, nur daß bei ihm alles in die Länge und bei mir in die Breite ging. Und er so fein! Ach, was war euch dieser Mensch so fein! Ich habe nie einen so feinen Menschen gesehen … Ich dafür immer mehr brüsk, aber sonst – ganz ähnlich.

Meine Eltern starben früh, setzten mir einen schläfrigen Vormund, der mein Interesse nicht zu wahren verstand, und weil ich als Bub schon auf mein Interesse war wie der Teufel, kümmerte ich mich selbst um meine Sache und dirigierte und kommandierte bereits als ein Unmündiger bei mir herum. Zeit hatte ich dazu; damals verdummten und verweichlichten die jungen Leute noch nicht wie jetzt auf der Schulbank. Bei meinem lieben Vetter und Nachbar ging’s anders zu; seine Eltern trieben Abgötterei mit ihm und hätschelten ihn, als ob er eine brustkranke Prinzessin gewesen wäre. Wenn er ein Gewehr in die Hand nahm, wurden sie blaß, und wenn er junge Pferde zuritt oder einführte, beteten sie für ihn. Wenn er aber ein Gedicht machte – denn er machte Gedichte; ja, Gedichte in Versen, und die Verse reimten sich sogar – und wenn er die Poesie dem Papa oder der Mama am Geburtstag oder Namenstag unter die Serviette legte, da weinten sie vor Freude. Kurz, die Aufgabe ihres Lebens war, den Sohn zu verzärteln, und als sie dieselbe fertiggebracht hatten, verließen sie ihn – just, da sie ihm am nötigsten gewesen wären, dem unerfahrenen und unschuldigen Kind von fünfundzwanzig Jahren. Die Mutter wurde plötzlich von einem Herzschlag hinweggerafft, der Vater folgte ihr bald nach – aus Sehnsucht, meiner Treu. Auf dem Totenbett empfahl er mir den Sohn und das Gut, das, wie gesagt, an das meine grenzte. Da hatte ich ihn auf dem Hals und die Ehre, alle Tage mit ihm auf den Friedhof zu laufen zu den Gräbern seiner Eltern, die er mit Kränzen schmückte und mit sentimentalen Inschriften. Und nach Dresden ist er gereist und hat bei einem berühmten Bildhauer einen Engel machen lassen, der seine Züge trug. Sie können denken, was das gekostet hat – mich nämlich; erst die Statue und dann der weite Transport von Dresden bis herunter zu uns nach Siebenbürgen. Aber dafür welch ein Aufsehen! Von weit und breit kamen die Leute aus der Nachbarschaft, den schönen Grabesengel zu sehen und die Inschriften zu lesen, und was jung war und eine Frau oder ein Fräulein, das verliebte sich in das Urbild des Engels und in den Urheber der Inschriften. Es regnete nur so Einladungen und Briefchen, und er hatte bald eine Korrespondenz wie ein Minister. Was mir recht war, denn es zerstreute ihn doch. Und Partien hätte er machen können – prächtige! und hätte nur die Wahl gehabt zwischen einem halben Dutzend Erbtöchtern. Aber diese Unentschlossenheit und Zaghaftigkeit und dieses Nichtwissen, in welche er verliebt war!… Heute schien es ihm die und morgen jene, und wenn ich es mir einfallen ließ, auch einmal der oder jener die Cour zu schneiden, dann fühlte er sich tief gekränkt, und dann wäre gerade diese die eine und einzige gewesen, die ihm gefallen und gepaßt hätte. So, daß ich richtig immer zurücktreten mußte, wenn ich eben anfing Feuer zu fangen. Wenn ich aber sagte: »Gut, so bewirb du dich«, machte er den Großartigen und rief, er brauche kein Opfer, und jetzt sei ihm die Freude schon verdorben, und deklamierte etwas von einem kalt gewordenen Bissen auf Cäsars Teller.

Um seine Besitzung kümmerte er sich gerade soviel, um zu bemerken, daß sie ihm nichts eintrug. Hat auch nicht anders sein können, die Regie fraß ihn auf. Ich war mein eigener Verwalter, Förster, Stallmeister und Barbier. Er hat für das kleinste Amt einen eigenen Menschen besoldet und wäre dabei weiß Gott wie oft zugrunde gegangen, wenn ich nicht ausgeholfen hätte. Was ist mir anderes übriggeblieben? War es aber geschehen, das beruhigte ihn mitnichten, da ging erst das Wimmern los, daß seine Verpflichtungen gegen mich ihn niederdrückten. Um nur sein Lamentieren nicht hören zu müssen, habe ich die dummen Quittungen, die er mir aufnötigte, mehr als einmal vor seinen Augen zerrissen.

Einige Jahre ging es so fort, er näherte sich schon seinem dreißigsten, da geriet euch der Mensch in die Bande einer koketten Frau. Hochgebildet, wie bereits ihr Taufname Aglaja verriet. Ich tat, was ich konnte, um ihn loszumachen, aber es wollte mir nicht gelingen, die Dame hielt ihn fest mit schmachtenden Blicken und mit geistreichen Gesprächen. Mit Absicht machte ich mich zum unwillkommenen Dritten in ihrem zarten Bunde, scherte mich nicht um die üble Laune, mit der sie mich merken ließen, daß ich überflüssig sei, und langweilte mich wie ein Toter bei ihren Konversationen. Sie warfen herum mit Namen wie Schopenhauer, Eliot, Sand, Chopin, und ich hatte keine Idee, ob von Männlein oder Fräulein die Rede war.

Nun denn! Dieser schwärmerische Umgang und seine vielen Sorgen wegen seiner Mißwirtschaft und seine innere Friedlosigkeit und – glauben Sie mir – hauptsächlich sein ewiges Dichten brachten ihn endlich so herab, daß der Arzt ihn zur Nervenstärkung ins Bad schickte.

Drei Wochen war er dort, da bekam ich einen Brief von ihm, wißt ihr, so einen, den man meint nur mit der Feuerzange anrühren zu können, so einen, bei dem man staunt, daß das Papier dem Glutstrom widerstanden hat und nicht in Flammen aufgegangen ist.

Der Franz ist verliebt wie ein Italiener aus der Gegend des Vesuvs, wo sie am hitzigsten sind. In ein blutjunges Fräulein, das er in dem Badeorte kennengelernt hat. Er ist auch schon verlobt, die Hochzeit wird im nächsten Monat gefeiert, auf dem Gut der alten Tante, der einzigen, weiblichen Verwandten der »göttlichen Kleinen«, männliche hat sie gar keine. Ich weiß nicht, warum es mir, wie ich das gelesen habe, gleich durch den Kopf gefahren ist: Du armes schutzloses Ding. Am Schluß des Briefes teilt mir der Mensch noch mit, daß er in acht Tagen nach Haus kommt, um seine Angelegenheiten zu ordnen (o weh! denk ich und schau meine eiserne Geldkasse im Winkel recht traurig an), in vierzehn Tagen aber wieder abreisen wird, zu ihr! zu ihr! seiner Sonne, seiner Wonne, seinem weißen Schäfchen, seiner Taube. Und ganz am Schlusse heißt es: »Tiefstes Schweigen! Aglaja darf um Gottes willen nichts erfahren, bevor die Hochzeit vorüber ist.«

Das gefällt mir nicht, ich tu ihm aber den Willen, halte mein Maul und erkundige mich sub rosa nach den Verhältnissen der Braut. Alles in Ordnung, alles sehr anständig, nur im Geldpunkt, da hapert’s. Das Gut der Tante (es hieß Folt, lag an der Grenze des Banats und war viel wert) kriegt die Kleine nicht, das hat die Tante einem Kloster verschrieben, in das sie eintreten will, sobald die Nichte angebracht sein wird.

Aus den acht Tagen, nach denen Franz heimkehren wollte, werden vierzehn. Er hat sich nicht losreißen können von der Geliebten, dunkle Ahnungen haben ihn bedrängt, und beim Abschied, den er für ein paar Wochen genommen, ist ihm gewesen, als sei es ein Abschied für immer. Ich lache ihn aus, ihn und seine Nerven, und meine nichts Besseres tun zu können, als ihn aufzumuntern, sein Haus herzurichten zum Empfang der jungen Frau. Aber da geht der sentimentale Teufel in ihm erst recht los. Auf Tritt und Schritt begegnen ihm Erinnerungen an seine »goldene Junggesellenzeit«. Trockene Blumen und Lorbeerkränze mit seidenen Bändern und Widmungen, gestickte Pantoffeln und Kissen und Schlafsessel … mir ein Graus, das Zeug. Um jedes Stück, das ich vernichten oder verschenken wollte, feilschte er, und als ich über die Kassette kam, in welcher Aglajas Briefe lagen, in Paketen zusammengebunden mit rosafarbenen Schleifen, da wurde er wild und erklärte, die Briefe dürften nicht vernichtet werden, die müsse er ihr, die seine Muse gewesen war, selbst zurückbringen. – »So tu’s!« rief ich, »bring ihr die Briefe und sag: Es ist aus; sei ein Mann und sag: Es ist aus und vorbei, ich heirate.« – Er versprach’s – hat auch gewiß in dem Augenblick die besten Vorsätze gehabt, das heißt, daß er geholfen hat, den Weg zur Hölle pflastern. Ist euch von der Aglaja zurückgekommen wie ein getaufter Pudel.

Bald darauf finde ich ihn ausgestreckt auf dem Ruhebett, und er hat neben sich auf dem Tisch einen offenen Brief liegen. – »Von wem denn schon wieder?« fragte ich. – »Von meiner Braut.« – »So? Hat sie geschrieben, die Wonne, die Sonne?…« Da wird euch sein Gesicht ellenlang und seine Miene essigsauer, und er gibt dem Blatt einen Schneller, daß es bis zu mir hinübergleitet, und seufzt, als ob ihn ein schweres Unglück getroffen hätte: »Unorthographisch.«

Ich konnte nicht umhin auszurufen: »Gott sei Dank dafür!« und nehme den Brief und lese ihn, und es ist ein solcher Schatz von einem unschuldigen liebreizenden kindlichen Brief, daß mir das Herz hüpft, der neuen Kusine entgegen. – »Du hast ja heute reisen sollen«, sage ich; und er: »Ich habe geschrieben, daß ich erst am Hochzeitstage komme; sie sollen nur alle Vorbereitungen treffen.«

Nun, wie ich das höre, da steigen mir die Grausbirnen auf. Weil ich ihn aber kenne und seinen Stütz nicht reizen will, tue ich nichts dergleichen, sondern bemerke einfach: »Und wenn dir unterwegs der Wagen bricht oder wenn dir ein Pferd ausspannt, was dann?« Er schweigt und schaut mit seinem hochmütigsten Blick zum Fenster hinaus, und mir läuft die Galle über, und ich schreie ihn an: »Schreib doch lieber ganz ab!« – »Du weißt recht gut, daß ich nicht mehr aus kann«, entgegnet er, »werde schon zur rechten Zeit dort sein. Sie erwarten mich gar nicht vor der letzten Stunde.«

»Aha«, versetzte ich, »die Braut muß am Altar stehen, dann wirst du erscheinen wie der Prinz im Feenmärchen – wirst du?« – Keine Antwort. Der Mensch versinkt wieder in seine träumerische Stummheit und erhaben sein sollende Ruhe.

Glaubt mir, wenn es damals wie jetzt auf eine Tagereise von meinem Gut ein Telegraphenamt gegeben hätte, aufs Pferd würde ich mich geworfen haben, hingeritten wäre ich und hätte auf eigene Gefahr nach Folt depeschiert: »Unvorhergesehene Hindernisse, Ankunft zweifelhaft, Brief folgt.« Aber damals, da war es so bei uns, daß der Postmeister von Türsdorf, wie ich zum erstenmal das Wort Telegraph vor ihm ausgesprochen habe, der Meinung gewesen ist, das sei etwas Eßbares.

Eine gräßliche Woche vergeht; der Tag, an dem der Franz durchaus hätte reisen müssen, um noch knapp zurechtzukommen, ist da, und wieder finde ich ihn auf seinem vermaledeiten Lotterbett, dieses Mal mit Eisumschlägen auf dem Kopf. Wie eine kranke Schlange wand er sich: »Ich kann nicht fort, Bruder, ich kann nicht! Sie stirbt, meine Muse stirbt, wenn ich gehe, es ist ihr Tod!« – So winselt er … »Bruder, fahre du hin, entschuldige mich, sage der guten Kleinen, es war ein Irrtum, ich habe mich übereilt. Nein, sage ihr, ich habe mich besonnen – ich verdiene sie nicht!«

Von jeher habe ich gewußt, daß ich ein heftiger Mensch bin und rauh von Natur. Die Wut aber, die in dem Augenblick bei mir losgebrochen ist, deren hätte ich mich nicht für fähig gehalten. »Weißt du«, sag ich ihm, »du bist doch ein miserabler Kerl«, sag ich ihm … »Und wenn du noch einen meiner Namen führtest, aber du führst beide, und ein schlecht Unterrichteter kann glauben, daß von mir die Rede ist, wenn jemand sagt: Franz von Bauer heißt die Kanaille!« So rase ich, der Zorn umnebelt meinen Geist, trotzdem aber steht es klar vor mir, daß mit dem elenden Waschlappen von einem Menschen nichts anzufangen ist und daß ich nur gleich meine sieben Zwetschen zusammenpacken und davonkutschieren muß.

Ein paar Stunden später bin ich auf der Reise gewesen und bin gefahren mit der Post, mit dem Bauer, mit allem, was mir den Wagen vom Fleck gebracht hat – er war zum Glück neu und gut –, bin gefahren vom äußersten Nordosten des Landes bis zum äußersten Südwesten, Tag und Nacht, in der linken Hand die Geldkatz, in der rechten die Peitsche … Herrgott im Himmel! nur einen Tag einbringen, einen einzigen, damit die armen Damen wenigstens den Hochzeitsgästen absagen und die Musikanten nach Haus schicken können. – Das hab ich erreichen wollen. Ist mir aber nicht geglückt … In der Geldkatz haben die letzten Muttergottes-Zwanziger gescheppert, von der Peitsche war das Schmißl abgehauen, und der einunddreißigste August hat mich noch auf dem Wege gefunden.

Kinder! Keinem von euch wünsche ich, daß er sich einen Begriff davon machen könne, wie mir war, als ich beim Dorfe Folt ankomme und den ersten Böllerschuß höre, der mich begrüßt … was – mich! den Bräutigam, den sein sollenden – und ich dahinfahre unter dem ersten Triumphbogen und die ganze Bevölkerung im Sonntagsstaat auf den Beinen ist. Vom Kirchturm bimmelt Glockengeläute, vor dem Herrenhause stehen Wagen an Wagen, Menschen an Menschen, und auf dem Balkon schimmert’s blau und rosenfarbig vor lauter Kranzeljungfern. Und ein so donnerndes Hurra empfängt mich, als ich in den Hof hineinfahre, daß mein Geschrei: »Ich bin’s nicht! Stillgeschwiegen! – Ich bin’s nicht!« geradesoviel Wirkung macht wie das Stöhnen eines Verwundeten im Schlachtgewühl. Eine Unzahl Hände streckt sich mir entgegen, mir aus dem Wagen zu helfen … Ich stoße alle fort und rufe einem alten Diener zu, der dasteht mit schlotternden Knien und wackelndem Kopf und dem Tränen des Entzückens und der Rührung über die Wangen laufen: »Führe mich zur gnädigen Frau. Ich muß mit ihr sprechen unter vier Augen.« – »Bitte, bitte!« stammelt er und macht noch Zeremonien wegen des Vortritts. Das war, sag ich euch, zum Teufelholen.

Nun, der alte Mensch geleitet mich in ein Zimmer, einfach, solid; an der Wand ein großer Schreibtisch wie von einem Amtmann, drüber ein Kruzifix. Da warte ich kaum eine Minute. Eine hohe Gestalt tritt ein – klösterlich gekleidet, streng, majestätisch. Stutzt nicht einmal bei meinem Anblick, zieht nur die Brauen finster zusammen, als ich mich nenne, und wird nur bleicher, während ich ihr kurz und bündig melde, wie die Sachen stehen.

»Und was gedenken Sie jetzt zu tun, Herr von Bauer?« fragt sie.

»Das weiß ich nicht, Gnädigste«, antworte ich.

Sie richtet die Augen auf das Kruzifix, ich glaube, daß sie gebetet hat.

Dann wendet sie sich wieder in ihrer steinernen Hoheit zu mir und fragt: »Sind Sie verheiratet?«

»Nein, Gnädigste.«

»Ist Ihr Herz frei?«

»Ja, Gnädigste.«

»Sie haben gegen kein weibliches Wesen Ihres oder eines anderen Standes irgendwelche bindende Verpflichtung?«

Ich mußte lächeln.

Eine bindende Verpflichtung – ich! Ich hatte nie eine Liebschaft gehabt und mit den Weibern überhaupt so wenig als möglich zu tun. Sie verdienen keinen Respekt, meinte ich damals, und fühlte höchstens Mitleid mit ihnen, wenn ich sah, wie sie dem Franz nachliefen, an dem ja gar nichts war, einzig und allein wegen seines hübschen Gesichtes und seiner verdammten Versschmiederei.

Ich mußte also lächeln und verneinte.

Die Dame sah mich mit Augen an, mit Augen, wie ich vorher keine gesehen hatte und nachher keine gesehen habe, Augen, die Herz und Nieren prüfen, und sagte: »Sie sind brav und redlich.«

Ja – Sie sind! sagte sie und nicht, wie es doch natürlich gewesen wäre: Ich halte Sie für brav und redlich.

Noch einen Blick nach dem Kruzifix, noch ein Stoßgebet, und sie sprach: »Der gute Name meiner Nichte fordert, daß meine Nichte heute mit Herrn Franz von Bauer vor den Traualtar trete.«

»Fordert? würde fordern«, versetzte ich – »es gibt leider kein Auskunftsmittel.«

»Es gibt eines, Herr von Bauer, ein gefährliches allerdings … Herr von Bauer, wollen Sie verhindern, daß ein unbescholtenes Mädchen Schmach erfahre durch ein Mitglied Ihrer Familie?«

»Gott weiß, daß ich’s verhindern wollte!« rief ich. »Wäre ich sonst hier? Hätte ich mich sonst zum Überbringer der elendesten Botschaft gemacht? Meine Schuld ist es nicht, daß ich zu spät gekommen bin!«

»Nicht zu spät«, lautete ihre Entgegnung, »wenn Sie sich entschließen könnten, Ihren wortbrüchigen Verwandten zu vertreten.«

Da wurde mir schwindelig, und ich fragte: »Am Traualtar?«

Sie erhob die rechte Hand wie aus Wellen von allerlei Spitzenzeug, das um sie herumflutete, und sah mich an. Eine Norne, sag ich euch, eine Sibylle! Ich sag euch – etwas Überirdisches.

»Nur am Traualtar«, sprach sie feierlich, ging an den Schreibtisch, schellte und gab dem herbeieilenden Diener Befehl, ihre Nichte zu rufen.

Liebe Jungens, da kam euch ein Kind herein, ein Kind im Brautschleier und Myrtenkranz, das holdeste, das die Welt je gesehen, keine Schönheit, etwas tausend- und tausendmal Lieblicheres als eine Schönheit.

Ich habe immer meinen Spaß gehabt an den plötzlichen Verliebungen, die in Romanen und in Theaterstücken vorkommen, und gesagt, mir selbst muß sowas passieren, sonst glaub ich’s nicht … Als das Kind im Myrtenkranz hereintrat, da hat mich’s gepackt … Versteht mich! Nicht à la Romeo; behüt der Himmel! in viel sanfterer Manier, aber mit einer großen Macht … Wo ist denn nur geschwind eine Gefahr, aus der ich dich retten könnte? – Das war mein Gefühl. Eine ungemeine Verlegenheit dazu, wegen meiner bestaubten Stiefel und Kleider, und die bestürzte Frage: Wie seh ich aus?

Das Kind, heiter wie das Sonnenlicht, dankt meinem tiefen Gruße und sagt zu mir: »Wo ist Herr Franz?« und zur Tante: »Das ist der gute Vetter, nicht wahr? von dem er uns so oft erzählt hat.« Die Tante nickt, führt mich einige Schritte weiter und flüstert: »Nun?« – und ich antworte: »Oh – was mich betrifft – aber sie – wird sie denn wollen?«

»Meine Nichte hat keinen Willen«, erwiderte die Gnädigste und gibt dem Diener – es ist immer derselbe Alte, der kein Ende finden kann mit Flennen – Befehl, den Herrn Bräutigam auf sein Zimmer zu geleiten und ihm behilflich zu sein beim Ankleiden.

Es war mein Glück, daß ich mir einen anständigen Anzug mitgebracht hatte, und während ich mich wasche und mir die Haare bürste, nimmt der Alte meinen Frack aus dem Koffer, drückt ihn an seine Brust und weint, daß mir bange wird, der sammetene Kragen könne Spiegel kriegen.

»So ein Engel, gnädiger Herr! und ich habe ihre Mutter – und die war auch schon so ein Engel – auf diesen meinen Armen getragen … Und seien der gnädige Herr gut mit dem Engel; wir alle, wir haben ihm unsere Hände unter die kleinen Füße gelegt … Und die Allergnädigste sind wie eine Königin in ihrem Reich, aber weiches Wachs in den Fingern der kleinen Alma.«

»So?« entgegne ich und lebe auf, denn wie die Gnädige gesprochen hatte: Meine Nichte hat keinen Willen, ist sie mir vorgekommen wie Iwan der Schreckliche und ich mir wie sein gehorsamer Henker. – »So hat die Kleine doch einen Willen?«

Der Diener geriet in Bestürzung und stotterte: »Willen, halten zu Gnaden, das nicht, wie sollte sie? – einen Willen hat sie nicht.«

Ich wandte mich von dem alten Esel ab und hörte nicht mehr auf sein Geplapper.

Eine volle Stunde verging.

Die Kleine wehrt sich, hoffte und – fürchtete ich, die Kleine macht Gebrauch vom Recht des Schwachen, vom Recht, nein zu sagen.

Das Jubilieren der Gäste, denen man vermutlich brav einschenkte, um ihnen die Wartezeit zu versüßen, drang zu mir herüber. Die Glocken begannen mit erneuerter Kraft zu läuten, an der Tür pochte es. Ein Geistlicher von kleiner Statur und klugem Aussehen näherte sich: »Unsere Allergnädigste«, sprach er mit leiser, etwas heiserer Stimme, »beliebten mir mitzuteilen, daß Euer Hochwohlgeboren in der Eile der Abreise einige Ihrer Dokumente zu Hause vergessen haben, aber hoffentlich doch nicht alle.«

Ich hatte meinen Paß, und damit Punktum. Den reichte ich dem geistlichen Herrn. Er nahm ihn in genauen Augenschein und sagte: »Das ist ja gut. Was noch fehlt, werden Euer Hochwohlgeboren die Gnade haben nach der Vermählung herbeizuschaffen.«

»Vermählung? – So ist Vermählung?«

Der Geistliche überhörte meinen unwillkürlichen Ausruf. – »Unsere Allergnädigste«, fuhr er fort, »die nicht mehr Zeit hat, das Geschäftliche noch einmal mit Euer Hochwohlgeboren durchzusprechen, läßt Euer Hochwohlgeboren durch mich in Erinnerung bringen, daß Fräulein Nichte keine Anwartschaft auf die Herrschaft Folt besitzt, diese vielmehr nach dem Ableben der Allergnädigsten laut getroffener testamentarischer Verfügung in das Eigentum der Kirche übergeht. Hingegen erhalten Fräulein Nichte als Heiratsgut von hochdero Frau Tante ein Geschenk von fünfzigtausend Gulden Konventionsmünze, das nach geschlossener Trauung Euer Hochwohlgeboren übergeben werden wird.«

»Hat gar keine Eile«, antwortete ich und verließ, von dem Pfäfflein geleitet, das Zimmer.

Notabene: Hier pflegte unser verehrter Gönner und Freund eine Pause zu machen, und ich pflegte ihm meine Dose hinzureichen, lediglich als Zeichen der Hochachtung, sintemal er eigentlich kein Schnupfer war. Und er, aus Artigkeit, nahm eine Prise, hielt sie eine Weile zwischen den Fingern, sagte plötzlich: »Aha!« und deponierte sie in das Markenkästchen des Nachbars oder in sein eigenes.

»Kinder«, rief er, »wo sind wir?« Und einer von uns antwortete: »Auf dem Weg zur Kirche.«

»Ja, ja, zur Kirche!« Und regelmäßig wurde bei der Stelle der alte Herr ganz weich und bewegt und fuhr also fort:

Zur Kirche, zwischen Bäumen, über gestreute Blumen wandere ich, neben mir zwei rosenfarbige Fräulein und vor mir die Kleine, die Weiße, im Myrtenkranz und Brautschleier.

Ringsum ein Menschengedränge, in dem es dumpf und leise und gleichsam ehrerbietig wogt. Keine Stimme ist laut als die eherne der Glocken … Und auch die verstummt – ich steh vor dem Altar, und an meiner Seite steht die Braut. Ich wünschte innig, daß sie sich ein Herz fassen und mich nur ein wenig ansehen möchte, daß ich ihr mit einem Blick hätte sagen können: Fürchten Sie sich nicht. Aber sie wandte kein Auge von dem Priester und war mehr einer bleichen jungen Nonne ähnlich als einem lebensfreudigen Mädchen, das einem Manne angetraut wird.

Die Rede des Geistlichen dauerte lang, und bei jedem Wort der Ermahnung, das der Kleinen galt, dachte ich: Zuviel! zu hart! – und bei jedem, das mir galt: Das versteht sich ja alles von selbst.

Beim Hochzeitsschmaus bin ich neben ihr gesessen, habe aber mit ihr nicht sprechen können, weil fortwährend Toaste ausgebracht wurden, auf die ich antworten mußte, und weil ich über eine kleine Rede nachsann, die ich selbst zu guter Letzt halten wollte. In dieser sagte ich denn, daß ich kein Flausenmacher sei und eher derb, daß ich jedoch gestehen müsse, ich hätte bei den Hochzeiten, denen ich bisher angewohnt, immer tüchtig geweint – mir ist leid um die Braut gewesen. Sei es, wie es sei; komme, was da wolle; für die Frau ist der Schritt in die Ehe der wichtigere Schritt. Davon aber hat noch keiner, den ich den ehelichen Trauring wechseln sah, etwas wissen wollen, vielmehr jeder sich als Hauptperson bei der heiligen Handlung betrachtet. Als ob es nicht eine kleinere Sache wäre, eine Verantwortung – oft schlecht und recht, und meist nur vor dem eigenen, in dem Punkt gewöhnlich sehr dehnbaren Gewissen – zu übernehmen, als überantwortet zu werden mit Gut (ich dachte an die fünfzigtausend Gulden) und Blut und für das ganze Leben. Daher meine innige Rührung bei jeder fremden Hochzeit, daher auch meine Standhaftigkeit bei meiner eigenen. Die Jungfrau, welche heute vertrauensvoll ihre Hand in die meine gelegt, befände sich nicht in dem eben von mir angeregten Fall – ich wisse, wer von beiden, Mann oder Frau, mehr riskiert bei der Schließung eines unlösbaren Bundes. Und so, wie sich ein Starker, der wenig wagt, einem Schwächeren gegenüber, der viel wagt, zu benehmen hat, so werde ich mich allzeit meiner Gemahlin gegenüber benehmen.

Ein großer Jubel, besonders von seiten der Damen, belohnte diese meine Erklärung. Die Gnädigste erhob sich von ihrem Platz und umarmte mich vor der ganzen Gesellschaft. Nach der Tafel gab es feierliche Aufzüge der Dorfbewohner, glückwünschende Deputationen aus den nächsten Ortschaften und endlich Ball vor dem Haus, unter Gottes freiem Himmel, bei Mondenschein und Sternenschimmer, und Ball im Haus unter den Kronleuchtern bei Kerzenglanz. Eine Polonaise eröffnete ihn, bei welcher mir die Auszeichnung zuteil wurde, mit der Gnädigsten, die ihre Fingerspitzen auf meinen Arm legte, die Runde um den Saal zu machen. Den ersten Ländler tanzte ich mit der verehrten Kleinen. Bis tief in die Nacht dauerte das Fest, und nachdem der letzte Gast sich bei uns empfohlen hatte, empfahlen die Gnädigste und ihre Nichte sich bei mir.

Und ich sage euch, liebe Freunde, ich habe gut und sanft geschlafen und angenehm geträumt, und zwar von der Kleinen. Wir gingen miteinander spazieren daheim in meinem Garten, und ich hielt sie umschlungen, und sie sprach zu mir: »Das war ein Irrtum, das mit dem andern Franz. Du bist der Rechte – du!«

Ein Mensch, der mir die Hand küßte, weckte mich – der Alte, der heute viel weniger ängstlich tat und mich in schmelzendem Tone ersuchte, ich möge geruhen, mich ankleiden zu lassen und mich dann zum Frühstück zu begeben zu der Allergnädigsten und zu meiner jungen Gemahlin. Das letztere hatte er mit einem für den Scherz um Verzeihung bittenden untertänigen Bückling hinzugesetzt. Ich gab ihm einen leichten Schlag auf den gekrümmten Rücken und sagte: »Was nicht ist, kann werden«, worauf er mit freundlichem Ernst erwiderte: »Das walte Gott!« und mir wieder die Hand küßte.

Dieser alte Mensch ist mein getreuer Anhänger geblieben während der ganzen Zeit, die ich noch in Folt zugebracht habe, hat mir auch manchen nützlichen Wink gegeben und mir manches Licht aufgesteckt, das meinen sehr nebeligen Pfad freundlich erhellte. So zum Beispiel erfuhr ich durch ihn, daß die Gnädigste, als Franz sich um Fräulein Alma bewarb, an einen Gewährsmann in unserer Nähe geschrieben und sich bei ihm nach Herrn Franz von Bauer erkundigt hatte. Infolge eines Irrtums in ihrem Briefe mußte besagter Gewährsmann meinen, die gewünschte Auskunft beträfe mich, und auf meinen Leumund hin hat Franz das Jawort erhalten. Was die Repräsentation anbelangt, die verstand er, und die Gedichte haben auch ihren Effekt gemacht. Von einer Neigung des Kindes zu ihm fand ich keine Spur, und ihr könnt euch denken, wie ich darauf aus war zu erfahren: Hat sie ihn liebgehabt, die Kleine, hat sein niederträchtiges Benehmen sie empört? und schließlich: Welches Mittel hat die Gnädigste angewendet, um sie zu bewegen, mir zum Altar zu folgen?

Die Lösung des Rätsels war einfach – die Kleine war eben ein Kind; ahnungsvoll und doch gedankenlos, verwöhnt und doch willenlos. Willenlos! der einzige dunkle Punkt in der Sache … Wenn ich fragte: »Beliebt es Ihnen spazierenzugehen?« Ja, es beliebte ihr. »Beliebt es Ihnen zu Hause zu bleiben?« Es beliebte ihr gleichfalls. »Täten wir nicht besser auszureiten?« Gewiß, wir täten besser.

Eines schönen Morgens wanderten wir zusammen im Wald herum. Und sie war euch so herzig in ihrer sanften und aufmerksamen Heiterkeit. Merkte alles, wußte genau, daß hier zwischen den weggescharrten Blättern Rehwild gerastet und daß sich dort im aufgewühlten Boden ein Hirsch niedergetan. Scharfsichtig wies sie hin auf die Spuren der Wilddiebe und entdeckte sie an den Bäumen böswillig befestigte Vogelschlingen, gleich heraus mit dem Taschenmesserchen und fort mit ihnen.

Ich, ich stand neben ihr und bewunderte sie; keine Sprache spricht es aus, wie gut sie mir gefiel. Fräulein sagte ich nicht mehr zu ihr, sondern einfach Alma, aber immer noch Sie. Damals im Walde kam mir dieses Sie so dumm vor, daß ich sie frischweg fragte: »Alma, wollen wir nicht du zueinander sagen?«

Sie war eben mit dem Wegtilgen einer Vogelschlinge fertiggeworden, steckte ihr Messerchen ein, machte mir einen kleinen Knicks und erwiderte: »Wenn Sie erlauben.«

»Ich bitte darum!« rief ich heftig.

Sie erschrak, wurde rot, sah sich um wie nach Hilfe und stammelte: »Sie haben zu befehlen.«

»Ich werde dir nie etwas befehlen, Alma, am wenigsten in dieser Hinsicht«, versetzte ich so ruhig, als mir möglich war bei meinem Naturell.

»Nie etwas befehlen?« wiederholte sie und brauchte ein paar Minuten, um sich von ihrer Verwunderung so weit zu erholen, daß sie die Erklärung abgeben konnte: »Ich werde Ihnen aber doch gehorchen.«

»Ihnen?«

»Dir … Oh, verzeihen Sie: dir.«

Mit welcher Angst sie das sagte, könnt ihr euch nicht vorstellen, und mein Entsetzen über diese Angst auch nicht.

Sie vergaß noch sehr oft, mir du zu sagen, und geriet darüber jedesmal in große Bestürzung und Reue. Ich gab mir Mühe, einen Spaß aus der Sache zu machen, aber es wollte mir nicht recht gelingen. Zu tief verdroß mich das unglückliche Sie, das ihr von selbst auf die Lippen kam; zu wenig freute mich das zögernde Du, zu dem sie immer erst einen Vorsatz fassen mußte.

Kindisch! kindisch! Wer wußte das besser als ich, wer hätte verstanden, mir so tüchtig die Leviten zu lesen, wie ich selbst es tat? Aber von Tag zu Tag wurde meine Neigung zu der Kleinen inniger und wärmer und ebenso der Wunsch, daß sie Zutrauen zu mir gewinne, wenn schon kein anderes, doch ein solches wie zu einem älteren Bruder. Deshalb verfehlte ich’s meistens und war, zu meinem eigenen Schaden, bitter und grämlich. Und an dergleichen war die Kleine nun gar nicht gewöhnt. Geführt werden auf Tritt und Schritt, nach Pflicht und Vorschrift fühlen, denken, atmen, geleitet werden wie ein Maschinchen, o ja! aber wohlgemerkt, ohne ein rauhes, womöglich ohne ein lebhaftes Wort.

Die Gnädigste hatte ein scharfes Auge auf mich, und der geistliche Herr, der mir am Hochzeitstage meine Papiere abgefordert, gleichfalls, und detto noch einige andere geistliche Herren, die im Hause ein- und ausgingen. Ich sah wohl, daß sie mich beobachteten, aber ich dachte: Nur zu! Wie ich bin, so bin ich. Müßte übrigens lügen, wenn ich behaupten sollte, daß sie mir das geringste in den Weg gelegt haben; bin vortrefflich mit ihnen ausgekommen. Glaube auch, daß die Gnädigste ihrem Rat Folge geleistet hat, als sie mir nach Verlauf von ungefähr sechs Wochen eröffnete, wenn es mir angenehm wäre heimzureisen, wolle sie mich nicht länger aufhalten.

Es würde sich nicht für mich schicken, die Komplimente, die sie mir damals gemacht hat, zu wiederholen. Als sie jedoch mit ihnen fertig war, sagte sie: »Das Walten einer gnädigen Vorsehung über meinem Hause hat sich mir stets geoffenbart; niemals jedoch so sichtbarlich wie in dieser letzten Zeit, bei der letzten weltlichen Angelegenheit, die zu bestellen mir noch auferlegt war. Gott hat meine Ziehtochter einer großen Gefahr entrückt, in welcher sie untergegangen wäre ohne seine Dazwischenkunft. Statt des Unwürdigen, an den ich im Begriffe stand sie zu vermählen, hat er einen ihrer würdigen Lebensgefährten, hat er Sie gesandt. Lieber Sohn« – zum ersten Male nannte sie mich so –, »Sie haben Alma aus der Hand der Kirche empfangen: empfangen Sie Ihre Frau jetzt aus der meinen und meinen mütterlichen Segen und Glückwunsch dazu.«

»Alles wohl und gut, Gnädigste«, entgegnete ich, »aber die Hauptsache fehlt.«

Sie sah mich steif und groß an: »Wieso?«

»Das Herz der Kleinen hat noch nicht ja gesagt.«

»Ihr Herz! Haben Sie nicht ihren Schwur vor dem Altar? Ihr Herz? Wo ihre Pflicht ist, da ist ihr Herz.«

Dieses schöne Wort rührte mich nicht, schien mir vielmehr eines von denjenigen zu sein, mit welchem die Schwärmer sich aus der Verlegenheit helfen und ihrer eigenen Empfindung ein X für ein U vormachen. Aber froh war ich, von der Gnädigsten und ihrem Anhang das Absolutorium erhalten zu haben, und traf mit Almas Einwilligung – daß Gott erbarm, die Einwilligung einer Willenlosen! – meine Reisevorbereitungen.

Der Abschied der Kleinen von ihrem Zuhause und von jedem einzelnen Hausgenossen war schwer. Nie wieder habe ich so viele Weinende auf einem Fleck beisammenstehen gesehen wie an jenem Tage. Das Bild der Gnädigsten, die uns noch vom Balkon aus mit erhobenen Händen und zum Himmel gerichteten Blicken segnete, wird mir unvergeßlich bleiben. Den alten Diener hätten wir gern mitgenommen, und er wäre gern mit uns gegangen, fühlte sich aber zu gebrechlich zur Reise und mochte uns keine Ungelegenheiten verursachen. – »Sterben muß ich«, sagte er zu seiner kleinen Herrin; »da ist’s schon besser, ich sterbe hier in der Heimat aus Sehnsucht nach Ihnen als dort bei Ihnen aus Sehnsucht nach der Heimat.« Einige Monate später haben wir denn auch die Nachricht seines Todes erhalten.

Es versteht sich von selbst, daß ich längst an meine Leute geschrieben und Befehl gegeben hatte, den Garten und das Schlößchen so gut als nur möglich zum Empfang der Gebieterin herzurichten. Da war fast mehr geschehen, als ich gewünscht hatte, aber zu meiner Verwunderung keine einzige Ungeschicklichkeit, und auch im größten Jubel der festlichen Begrüßung kam keine von den Derbheiten und plumpen Anspielungen vor, die einem neuvermählten Paar von einer getreuen Landbevölkerung sonst nicht erspart werden und die bei uns am wenigsten am Platz gewesen wären.

Als ich meinen Wirtschafter herzlich belobte, tat er zuerst geheimnisvoll und gestand sodann, der Herr Franz von drüben sei in der verwichenen Woche täglich dagewesen, habe alle Vorbereitungen geleitet, aber dringend aufgetragen, mir nichts von seiner Einmischung zu verraten. Und gestern war er abgereist, und niemand wußte wohin, und hatte sehr übel ausgesehen und so aufgeregt, daß jedem um ihn bange geworden.

Was soll das wieder heißen? fragte ich mich und ging ernstlich mit mir zu Rate, ob ich mit der Kleinen von ihm sprechen sollte oder nicht. Bevor ich aber zu einem Entschluß kam, hatte ich nicht mehr nötig, einen zu fassen. In der Gegend wurde allgemein bekannt, daß der Franz seiner treulos gewordenen Muse nachgefahren war, sie in der Nähe von Vatra-Dorna in der Bukowina eingeholt und den Begleiter, in dessen Gesellschaft sie an den Ufern der goldenen Bistriza lustwandelte, herausgefordert hatte. Dies mußte in einem jener Anfälle blinder Wut geschehen sein, denen der Sklave seiner Impulse unterworfen war, und mit großer Übereilung und ohne Beachtung der üblichen Formalitäten hat das Duell stattgefunden. Die Gegner sollen (ich glaube es heute noch nicht) zugleich geschossen haben. Einer war maustot auf dem Platz geblieben, der andere, der Franz, hatte eine Kugel in die Hüfte bekommen und wurde in jammervollem Zustand heimtransportiert.

Ich befand mich im Garten mit der Kleinen, als ein Reitender daherjagte und mir meldete, es gehe zu Ende mit dem Herrn Franz, und er wünsche mich noch einmal zu sehen. Das hört die Kleine, verfärbt sich und sagt: »Oh, der arme Herr Franz! der Arme! Komm, fahren wir gleich zu ihm.«

Wir, sagte sie, und, denkt euch, mir gefiel’s, daß sie es so frank und frei und natürlich aussprach. Erst später fanden sich Skrupel bei mir ein, und auf dem Wege zum Sterbebett meines nächsten Anverwandten dachte ich nicht an ihn, sondern fortwährend an das junge Wesen neben mir und fragte mich voll Herzensangst: Was mag sie fühlen? Was geht in ihr vor?… Und nie war es mir so sehr aufgefallen wie damals, um wieviel schöner das Gut des Vetters doch lag als das meine. Schöner, romantischer, eine grüne Zunge im Gebirgsrachen.

»Bemerkst du, Alma, wie hübsch diese Gegend ist?« sagte ich zu ihr, und sie antwortete: »Ich habe nichts bemerkt, ich bin zu sehr in Sorgen um den armen Herrn Franz.«

»So hast du ihm verziehen?«

»Was denn?«

»Nun«, rief ich, »wenn du fragen kannst!«

Sie lächelte mich an mit ihren klugen, klaren, unschuldigen Augen. »Ach freilich«, sagte sie.

Wir fanden ihn schwach zum Auslöschen und trotz seiner zahlreichen Dienerschaft schlecht versorgt und verpflegt. Es war wirklich nichts zu tun, als dazubleiben und sich seiner anzunehmen. Ist denn geschehen und er langsam genesen und nach seiner Genesung in meinem Hause oft ein- und ausgegangen wie in der früheren Zeit.

Die Kleine war mit ihm viel unbefangener als mit mir, und wenn er etwas sagte, was ihr nicht gefiel, widersprach sie ihm ohne Umstände.

»Widersprich auch mir einmal!« bat ich sie.

»Dir nie!« war ihre rasche Antwort; sie besann sich ein Weilchen und wiederholte mit heiligem Ernst: »Dir nie!«

Es kam vor, daß sie ganz plötzlich und ohne Grund meine Hand ergriff und küßte, und das war mir das Ärgste – so ein kindlicher Handkuß.

Nicht immer habe ich mich überwinden und schweigen können, ich habe sie leider nicht selten angefahren: »Wofür bedankst du dich?« Oder gar: »Bittest um Verzeihung?« Aber dann – ihr Entsetzen! und meine Verzweiflung … Um tausend Meilen zurückgeworfen von meinem Ziel – das hatte ich davon. Herrgott! was für ein plumper Bengel bin ich euch gewesen, und was war sie für ein holdseliges Mädchen – holdselig! Wie kein zweites paßte dieses Wort auf sie. Dabei war sie aber auch ganz klug und vernünftig, waltete ruhig und emsig im Hause, konnte nicht einen Augenblick müßig bleiben. Denkt euch nicht etwa eine träumerische Romanprinzessin, die nicht imstande ist, Gerste von Weizen zu unterscheiden, und immer in höheren Regionen schwebt. Davon keine Spur. So gut wie im Walde kannte die Kleine sich unter den Ähren der Felder, den Blumen der Wiesen aus und fühlte sich recht daheim auf der Erde, deren lieblichstes Kind sie war … Und wenn ich sie auch hie und da barsch anließ, mein höchstes Kleinod ist sie doch gewesen, und ich habe sie gehütet und gehegt mit mehr Liebe, als ich ihr zu zeigen wagte, denn ihre Nähe schüchterte mich sehr ein. Sie war ja die erste junge Frau, mit der ich jemals in täglichem Verkehr gestanden habe. Übrigens ging es ihr nicht schlecht bei mir; ihre früher so blassen Wangen färbten, ihre zarte Gestalt kräftigte sich, und Augenblicke gab es, in denen mir vorkam, als erwache in der aufblühenden Jungfrau – das Weib.

Der Franz hat sich – in seiner Weise natürlich – musterhaft benommen. Ein gewisses Kokettieren konnte er allerdings jungen hübschen Frauen gegenüber nicht lassen. – Es war seine Natur, es kam ihm unbewußt, im Schlaf, wie ihm seine Gedichte kamen. Diese verfluchten Gedichte, um die ich mich sonst nicht gekümmert hatte und die mir jetzt soviel zu denken gaben, weil sie der Kleinen gefielen. Sie waren hübsch, und merkwürdigerweise, dieser Mensch, der eitel war auf seine Augen, auf seinen Schnurrbart, seine Nägel – auf sein Bestes, eben die Gedichte, war er’s nicht. Hat sie nie gesammelt, nie drucken lassen; aber sie leben, viele von ihnen leben im Munde unseres Volkes. Es sind lauter Liebeslieder, Mädchen und Bursche singen sie, ich habe es oft gehört und mit Vergnügen.

Als jedoch eines wonnigen Sommerabends die Kleine anhob, eines dieser Lieder zu singen mit ihrer wunderbaren Stimme, dem tönenden Schlüssel zu allen Geheimnissen meiner Brust, da faßte mich ein heißer Zorn, und von der Stunde an war ich eifersüchtig … Verachtete mich darum und war’s, und alles, wovon mein Verstand mir riet: Das solltest du nicht tun, nicht sagen – das tat ich, das sagte ich. Und so kindisch machte mich die törichtste von allen Leidenschaften, daß mir, dem praktischen Mann, nichts wünschenswerter schien, als nur eine Stunde lang ein Dichter sein und ein Lied erfinden zu können, ein Lied, das zum Herzen geht. Einige Strophen sollte es haben und nach jeder derselben den Schlußreim bringen: Du Meine und nicht Meine!

Umsonst zerbrach ich mir den Kopf, der Schlußreim war da – die Strophen wollten mir nicht einfallen.

Aus diesen poetischen Anwandlungen wurde ich durch die nüchternste Prosa gerissen.

Eine Seuche war bei uns unter dem Geflügel ausgebrochen und lockte Zigeuner herbei, die das gefallene Vieh ausgruben und aßen. Ich wollte den Unfug nicht dulden, paßte den Leuten auf, und wo ich einen auf frischer Tat erwischte, packte ich ihn zusammen und ließ ihn aus dem Dorfe jagen.

»Unglaublich«, meinte Franz, »daß du dich darum kümmerst, ob sich das Gesindel die Pest an den Hals frißt.«

Ich war just besonders bärbeißig und rief: »Es kümmert mich, und ich duld’s einmal nicht!« und bemerkte, daß Franz und die Kleine einander so ansahen, wie zwei tun, die von einem Dritten denken: Ja, so ist er, der Mensch! Und zum Unglück muß die Kleine sagen: »Laß die Zigeuner gewähren, sie sind bös und werden uns noch etwas antun.«

Immer hatte ich sie aufgefordert: Rede, sprich deine Meinung aus; nun tat sie’s einmal – oh, hätte sie es lieber nicht getan! Alles würde anders gekommen sein, ich hätte der glücklichste Mensch werden können … Aber, daß sie ihm recht und mir unrecht gab, das reizte mich blinden Maulwurf, der ich war!… Und wie zum Trotz übte ich schärfer denn je meine polizeiliche Gewalt aus.

Einige Zeit darauf – wir hatten den siebzehnten Geburtstag der Kleinen gefeiert und saßen auf dem Balkon beim Abendessen –, da wirbelte uns gegenüber im Tal, so auf ein Halbtausend Schritte, eine Rauchsäule in die Höhe … Franz streckte den Arm aus und sagte: »Die Zigeuner lassen sich empfehlen!«

Hol mich der Teufel, die alte Scheuer brannte. Eine Baracke, um die mir nicht leid gewesen wäre, hätte sie nicht voll Heu gesteckt.

Wir laufen in den Meierhof. Dort spannen sie schon die Feuerspritze ein, und mein Wirtschafter steht dabei und ruft mir entgegen: »Brennt wie ein Span, die Scheuer! Ist nichts zu machen!«

Ja, so gescheit bin ich auch; aber um das Arbeiterhaus in der Nähe, um das ist mir’s zu tun. – Mein Wirtschafter steckt den Finger in den Mund, zieht ihn naß heraus und hält ihn an die Luft: »Nichts zu machen. Der Wind bläst alles hinüber.«

Nun, ich ruf: »Vorwärts!« spring auf die Spritze, der Franz mir nach, und der Knecht jagt, was er kann, den Berg hinunter. – »Warum hast nicht die Schwarzbraun’ genommen?« frag ich ihn noch. – »Daß wir früher drüben sind«, antwortet er. – »Was hilft’s«, geb ich zurück, »wenn uns die Rappen vorm Feuer ausreißen?« Und zu gleicher Zeit fliegt mir der Gedanke durch den Kopf: Die Kleine wird sich’s doch nicht einfallen lassen, uns nachzulaufen?

Wir sind an Ort und Stelle, die Rappen ruhiger, als ich erwartet hatte; ich kann mich dicht ans Haus aufstellen und die Pferde ausspannen lassen. Die Scheuer brennt lichterloh, jeder Windstoß treibt einen Funkenregen auf das Dach, das ich schützen möchte, so lange wenigstens, bis die Leute ihre Habseligkeiten geborgen haben … Alles ist voll Menschen; die meisten gaffen, einige erweisen sich hilfreich; rein wie besessen stürzt der Franz herum, rettet Sessel, Kissen, Pfannen mit einer Hingebung, als ob es lauter Kinder wären, die er aus den Flammen trägt … Ja, ja, leider schon Flammen … Wasser war in Fülle vorhanden, die Spritze tat ihre Schuldigkeit, reichte aber nicht aus, furchtbar qualmte der Rauch, die Sparren krachten. »Franz«, ruf ich, »laß es gut sein!« Und er: »Nichts mehr zu retten?«

»Das Kind vom Schlosser ist vergessen, o Jesus, das Kind in der Wiege!« kreischt eine Tagelöhnerin. – Ich hätte sie totschlagen mögen, und ihn auch – besonders ihn. Weil er keinen angehört, der ihm sagt: Das Kind ist da, ist längst geborgen. Er will nichts, er hat nichts im Kopf, als daß die Leute sein Lob singen sollen vor der Kleinen, daß sie ihr sagen sollen: Oh, welch ein Anblick, wie er aus den rauchenden Trümmern sprang, ein Kindlein in seinen Armen!… Das hat er gewollt, ich kenne ihn, den Schwärmer, der nichts umsonst tut, den Unberechenbaren, der immer rechnet. Ich verlier kein Wort, als er zurückrennt, zum allgemeinen Entsetzen, in das brennende Haus. Hinter ihm poltert der ganze Krempel zusammen, aus den Fenstern, aus der Tür bricht die Lohe – lebendig kommt er da nicht heraus … Die Leute in lauter Verzweiflung klagen: »Der gnädige Herr! Gott im Himmel, er ist verloren!«… Weiber werfen sich auf die Knie und beten; Kinder weinen. Ich rufe in den Lärm hinein: »Herum ums Haus mit der Spritze! Nehmt Äxte – wir schlagen die Lehmwand durch!«

Drüben hoff ich noch des Feuers Meister zu werden, bis man ein Loch gebrochen hat, durch das er schlüpfen kann, der Narr. Ein halbes Dutzend Männer springt vor, taucht an. »Mehr rechts!« befehl ich, »sonst geht’s in den Graben …« Da war’s schon geschehen, und wir stecken … Ich mein aus der Haut zu fahren: »Die Rappen her! die Rappen!«

Es ist ein Gedränge, ein Wechsel von Licht und Dunkelheit; jetzt glüht weithin der grelle Feuerschein, eine Minute später umhüllt mich ein Qualm, daß ich den Schlauch nicht sehe in meiner Hand. Ich höre nur, daß sie die Pferde bringen … Mit Müh und Not, denn jetzt scheuen sich die Luder und schlagen aus … Plötzlich ertönt ein Schrei: »Franz!…« ein unsagbar jammervoller Schrei – das war sie!… Kinder, ich steh im Feuer wie ein Salamander, und vom Wirbel bis zur Sohle wird mir eiskalt … und die Leute sind starr vor Schrecken, und ich spring zur Erde … Da liegt eine weiße Gestalt, da liegt mein Liebstes. – »Tot«, sagt jemand neben mir, »das Roß hat sie geschlagen – ich hab’s gesehen.«… Einbildung! – nicht tot, nur besinnungslos, denk ich, entdecke auch kein Zeichen von Verletzung an ihr, außer einem einzigen großen Blutstropfen, welcher aus ihrem Munde gequollen ist … Und vergesse alles andere – oder vielmehr mit allem anderen ist’s aus – und beuge mich und hebe sie sanft vom Boden auf und bitte die Leute: »Macht Platz, daß ich sie nach Hause tragen kann!« Alle weichen zurück – ein einziger wagt sich heran, ein rauchgeschwärzter, verstörter Mensch (es ist ein Wunder, daß er da ist, aber in dem Moment wundere ich mich über nichts); der Mensch, dem sie nachfliegen wollte ins Feuer wie ein kleiner Schmetterling ins Licht, und ich wettere ihn an: »Aus dem Weg! Du bleibst und machst dich weiter nützlich!«

Und der Franz spricht kein Wort und gehorcht.

Beim Nachhausegehen ist es mir manchmal vorgekommen, als ob sie atme, die Kleine … Als ich sie in ihrem Zimmer auf ihr Bett legte, blieb sie lange Zeit ganz starr, und wir verzweifelten schon, ihre Dienerinnen und ich. Bis nach Besztercze mußte gefahren werden um einen Arzt, und der konnte im besten Fall am Abend des nächsten Tages bei uns sein. Es war mir recht, als ich hörte, daß der Franz sich’s nicht hatte nehmen lassen, das Abholen des Doktors selbst zu besorgen.

Nach Mitternacht sank die Kleine allmählich aus ihrer Ohnmacht in einen tiefen Schlaf, ich fühlte unter meinen Fingern das leise Klopfen ihres Pulses, und als ich ihr Händchen betrachtete, das in meiner rauhen Hand lag, tat mir der Kontrast weh. Da saß ich an ihrem Bett, und derjenige, an dem ihr armes törichtes Herz hing, kutschierte draußen auf der Landstraße. Wenn sie erwacht und sieht nur mich, es wird ihr sehr traurig sein. Sie war so hilf- und harmlos und – daran zweifelte ich nicht – so schwer krank … Ein grenzenloses Erbarmen kam über mich; eine größere Liebe, als ich je für sie gehabt hatte, erfüllte meine Seele, und ich tat ein Gelübde: Wenn sie gesund wird, will ich jedem Anspruch auf sie entsagen. Unsere Ehe ist leicht gelöst. Mag sie mit dem leben, mit dem sie sterben wollte. Auf ihn achtgeben und dafür sorgen, daß er keine Dummheiten macht, das soll meine Sache sein, dazu bin ich der Stärkere.

Mit diesem Vorsatz steh ich auf von meinem Platz am Fußende ihres Bettes, und wie ich mich über sie beuge – was seh ich? Sie hat die Augen offen und richtet einen unsicheren, fragenden Blick auf mich: »Franz?« sagt sie, und ich antworte: »Er kommt, mein Kind, kommt bald …«

»Wer kommt?… O Lieber!« und auf einmal hebt sie die Arme und schlingt sie um meinen Hals. »Bist du’s? fehlt dir nichts? bist da?«

»Jawohl, ich bin da.«

»Dann ist alles gut«, flüsterte sie, »alles gut, du Bester!«

Was hat das zu bedeuten? Ich habe es nicht gleich begriffen und gefragt: »Träumt mein Kind?«

»Nein, ich bin wach.«

»Wach – und nennst mich Bester?«

»Weil du’s bist«, antwortet sie und lächelt mich so zutraulich an wie noch nie.

Ich ringe mit der Wonne, die, begleitet von tausend Schmerzen, einziehen möchte in meine Brust. »Jetzt weiß ich, daß du träumst, du Kind. Ich bin ja immer so barsch mit dir gewesen.«

»Du? Ach geh!«

Ewige Güte! Ach geh, sagte sie – und ich habe mich nicht mehr beherrschen können, ich bin auf meine Knie gesunken und habe ihre Augen geküßt und meinen Kopf neben den ihren auf das Kissen gelegt und mit zitternder Seligkeit gefragt: »Besinne dich, warum wolltest du in das brennende Haus?«

»Nicht ins Haus – nur zu dir, nur dir nach, nur dich abhalten … Aber« – unterbrach sie sich plötzlich – »warum weinst du?«

Ihre Augenlider waren schwer geworden, sie lehnte ihr Gesicht an das meine und schlief wieder ein.

Der Arzt kam zur Zeit, um welche ich ihn erwartet hatte. Er sprach von einer inneren Verletzung, er gab keine Hoffnung. Einige Wochen haben wir ihr teueres Leben aber doch gefristet. Sie hat wenig gelitten und bis zum letzten Augenblick die feste Zuversicht auf ihre baldige Genesung bewahrt. An ihrem Sterbebett ist keine Träne geweint worden; ich habe jeden, der seine Rührung nicht zu unterdrücken vermocht hätte, ferngehalten – und auch die letzten Tröstungen der Religion. Die Kleine brauchte keine Tröstungen, denn sie hatte keinen Gram, und den meinen verbarg ich ihr.

Daß es mir gelang, das war meines Herrn und Gottes wundersames Geschenk. Wer außer ihm hätte mir diese Kraft geben können? Und so hab ich denn alles allein mit ihm abgemacht und mich nicht erschüttern lassen in meinem Glauben, daß ich keinen Frevel beging, indem ich sie unvorbereitet scheiden ließ, die Seele, die zurückgekehrt ist zu ihrem Schöpfer, so rein, als er sie dereinst ins Leben entließ.

In meinen Armen, an meiner Brust ist sie oft eingeschlafen, einmal denn auch, um nicht wieder zu erwachen – die Meine und nicht Meine!

Unser verehrter Freund pflegte seine Erzählung mit diesen Worten zu beschließen. Es bedurfte auch für uns keiner Fortsetzung, da wir aus anderweitigen Berichten wußten, daß er auf seinem Gute noch so manches Jahr still und ruhig verblieb. Erst nach dem Tode seines Herrn Vetters Franz von Bauer hörte der Aufenthalt in dortiger Gegend auf ihm angenehm zu sein, und er vertauschte ihn mit demjenigen in unserem Städtchen.