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Wir kennen aus der vorhergehenden Novelle die reizende Viktoria de la Grange. Sie war sechzehn Jahre alt, als sie eine ebenso sonderbare, wie heftige Leidenschaft in eines jungen Mannes Herzen hervorrief. Ein ihr Unbekannter, der gar nicht zu den Besuchern des Hauses gehörte, verliebte sich in sie, ohne sie zu kennen, fast ohne sie gesehen zu haben. Er hieß de Saintepallaie und war ein junger Gelehrter, der große Kenntnisse besaß und sich schon ausgezeichnet hatte. Obwohl er erst fünfundzwanzig Jahre alt war, lebte er sehr zurückgezogen und allein für sich. Nur abends machte er einen Spaziergang, nachdem er den ganzen Tag studiert hatte. Saintepallaie hatte reine Sitten, gesunde Sinne und besaß ungewöhnliche Energie. Er liebte die Frauen, fürchtete sie aber und mied sie teils aus Gewohnheit, teils aus Vernunftgründen. Und doch gab es vielleicht keinen Menschen auf der Erde, auf den Schönheit einen größeren Eindruck machte, als ihn. Der Anblick einer schönen Frau brachte ihn in Ekstase, aber dann dachte er an die unangenehmen Seiten eines Liebesverhältnisses und hatte die Energie, zu entsagen; zweifellos, weil er noch nicht der Frau begegnet war, die gerade ihn gefangen nehmen sollte.

Saintepallaie hatte einen besonderen Geschmack. Ein schönes Gesicht gefällt jedem, und überall, außer in Spanien, macht eine schöne Büste Eindruck, eine elegante, schlanke Taille und eine hübsche Hand gefielen auch ihm, der Reiz aber, für den er am meisten empfänglich war und der in ihm jenes unwillkürliche Beben hervorrief, das alle Fibern in Bewegung versetzt, war ein schöner Fuß. Nichts ging ihm über den verführerischen Zauber eines solchen, der allerdings die Feinheit und die Vollkommenheit aller anderen Reize anzuzeigen scheint. Übrigens hatten ihn nicht Vernunftsgründe auf diesen Geschmack gebracht, sondern ein gewisser Instinkt, der ihn schon in frühester Jugend dahin geführt hatte. Niemals hatte er, ohne in Zittern zu geraten, einen hübschen Frauenschuh sehen können, und wenn er Frauen begegnete, die nicht hübsch waren, aber elegante, hübsche Fußbekleidung trugen, so waren sie ihm nur aus diesem Grunde interessant.

Eines schönen Sommerabends ging er durch die Rue Dauphine und sah vor dem Tor eines Hauses eine hübsche Händlerin sitzen, die einen niedlichen, kleinen Fuß hatte und dies wußte, denn sie saß mit übereinandergeschlagenen Beinen so da, daß man ihre Füße, die feinen Gelenke und den unteren Teil der zierlichen Waden bewundern konnte. Der Fuß stak in weißen Schuhen und war so klein, so wohlgeformt und appetitlich, daß selbst die Gleichgültigsten nicht ohne Bewunderung vorübergehen konnten. Saintepallaie blieb bei diesem Anblick voller Staunen unbeweglich stehen, doch schämte er sich nach einiger Überlegung und setzte seinen Spaziergang fort. Kaum sechs Häuser weiter kehrte er wieder um und ging vor dem Hause hin und her, solange der hübsche Fuß sich sehen ließ. Die Händlerin ging ins Haus hinein und verschwand, aber Saintepallaie war von dem Anblick so betroffen worden, daß er ihn nicht vergessen konnte. Er kam jeden Abend wieder, bis ein noch reizenderer Gegenstand ihn anzog.

Eines Vormittags spazierte er durch die Rue Saint-Denis, als er einer jungen Dame begegnete, die in die Kirche St. Sépulcre ging und ihm hübsch vorkam. Nachdem er flüchtig ihre verführerischen Gesichtszüge gemustert hatte, warf er einen Blick auf sein Lieblingsorgan, und was sah er? Die Natur hatte Madame Le** in hervorragender Weise begünstigt: in einem zierlichen, silbergestickten Schuh stak ein Füßchen, das einer Puppe zu gehören schien. Die Dame, die ihn besaß, hatte einen leichten, sinnlichen Gang. Saintepallaie war geblendet und folgte entzückt und bezaubert ihren Schritten. Er konnte sich von dem göttlichen Weibe erst losreißen, als sie wieder ihr Haus betrat. Er merkte sich dasselbe und verfehlte nicht, jeden Tag wieder vor demselben auf- und abzugehen, bis er den bestrickenden Fuß erblickte. Davon begeistert, verfaßte er, obwohl er nicht verliebt war, ein Gedicht, das ich mir leider nicht habe verschaffen können, und schickte es der Dame, ohne sich zu nennen. Sie nahm es aber, da es von einem Unbekannten kam, sehr Schlecht auf, was Saintepallaie ein wenig abkühlte.

Ein anderes Mal sah er bei einem Schuster in der Rue des Vieux Augustins einen so wohlgeformten Schuh, dass er neugierig fragte, für wen er gemacht sei. Man nannte ihm die Marquise von M…i. Nun ließ es ihm keine Ruhe, bis er diese Dame gesehen hatte. Er fand sie reizend, aber sie war verheiratet, und Saintepallaies Tugendgefühl widersprach es, sich an eine Person zu fesseln, die er nicht heiraten konnte. Aber den Schuster bat er, ihm das Vergnügen zu machen, die Schuhe der Dame zur Anprobe zu überbringen, sie aber dann unter dem Vorwande einer kleinen Änderung wieder mitzunehmen. Er begleitete den Schuster als dessen Gehilfe, um der Einweihung des hübschen Schuhes sicher zu sein, und ließ sich dann ein gleiches Paar anfertigen, daß er höchst freigebig bezahlte. Diese Reliquie hütete er dann auf das sorgsamste.

Als er eines Abends durch die Rue de l’Arbresec ging, sah er ein hübsches junges Mädchen, ungefähr in der Stellung der Händlerin der Rue Dauphine vor einer Haustür sitzen. Es hatte nur kleine Pantoffeln an, und die reizendsten kleinen Füßchen waren fast ganz sichtbar. Saintepallaie bleibt unbemerkt neben ihr stehen und geht dann nach einigen Minuten weihevoller Betrachtung an ihr vorüber. Plötzlich bemerkt er, daß die schöne Person in lässiger Stellung auf ihrem Stuhle eingeschlafen ist. Da kann er der Versuchung nicht widerstehen, sich des verführerischen Kleinods zu bemächtigen, das sich seinen Blicken darbietet. Geschickt streckt er seine Hand aus, zieht ihr einen Pantoffel aus, steckt seinen Schatz in die Tasche und geht davon. Die Schöne erwacht, sucht den Pantoffel und stößt, als sie ihn nicht findet, einen Schrei der Überraschung und des Schreckens aus, der ihre Mutter herbeiruft.

»Was hast du?«

»Man hat mir meinen Pantoffel gestohlen.«

»Wer?«

»Ich weiß es nicht.«

»Vom Fuß weg?«

»Nun ja doch, Mama.«

»Ei, Solche Unverschämtheit!«

Die Mutter zürnt der Tochter, da sie doch auf jemand böse sein mußte. Ändern Tages ging Saintepallaie wieder an dem Hause vorüber, um die Schöne bei Tageslicht zu sehen, und fand sie entzückend.

»Soll ich sie heiraten?« überlegte er bei sich, »ich meine, ich würde sie glücklich machen, indem ich zugleich mein Glück begründe. Sie scheint mir gut erzogen zu sein, obwohl von einfacher Herkunft, und ist voller Anmut. Das muß überlegt werden …« Das tat er denn auch den ganzen Tag über. Am Abend ging er zur gleichen Stunde wieder in dem Viertel spazieren und näherte sich dem Hause der jugendlichen Schönen. Einen Augenblick später erschien auch sie und nahm ungefähr dieselbe Stellung ein, wie am Abend vorher.

»Stellen sie sich dahin, Julien,« sagte sie dann zu einem der Ladenkommis, »wir wollen sehen, ob er wiederkommt.«

Diese Worte hörte Saintepallaie, der sich im Flur des Nachbarhauses versteckt hielt. Nach einigen Sekunden antwortete Julien:

»Das kann nur ein Nebenbuhler gewesen sein, Fräulein Agathe. Ich finde es begreiflich, daß man Sie liebt, Sie sind so liebenswürdig, daß man gar nicht anders kann, ich fürchte bloß, daß der Bursche, der Ihnen den Pantoffel genommen hat, dazu ermutigt worden ist …«

»Sie sehen Gespenster, Sie sind eifersüchtig. Ich sage Ihnen doch, daß ich ihn nicht kenne und ihn nie gesehen habe! Ich war halb eingeschlafen, fühlte etwas, konnte mir aber nicht denken, daß …«

»Sie hätten sofort schreien sollen!«

»Was wußte ich? Ich dachte zuerst, es wäre der Nachbar.«

»Ah! da haben wir’s!«

»Was wollen sie damit sagen? Wollen sie sich durchaus verhaßt machen, Herr Julien? Versprechen Sie mir, nur mich allein zu lieben!«

»Das habe ich schon hundertmal getan, und was hat’s geholfen? Sie sind so hübsch, daß ich stets in Unruhe bin.«

»Nun wohl, dann will ich Ihnen versichern, daß ich Sie selbst einem Prinzen vorziehen würde. Sind Sie nun zufrieden?«

»Ja, ja, schöne Agathe.«

»Aber ich möchte doch meinen Pantoffel wieder haben und wissen, ob es der Nachbar war …«

»Nein, gewiß nicht, es war ein Unbekannter.«

Als die Unterhaltung bis dahin gelangt war, trat Saintepailaie aus dem Hausflur heraus, näherte sich dem Pärchen und sagte:

»Ich will Ihr Liebesverhältnis nicht stören und Ihnen also mitteilen, daß ich getan habe, was Herrn Julien so eifersüchtig macht. Ich will ihm daher das Kleinod wieder zurückerstatten, schöne Agathe. Seien sie davon überzeugt, daß ich, hätte ich Ihr Liebesverhältnis nicht erfahren, nie auf die Gefühle Verzicht geleistet hätte, die Sie mir eingeflößt haben. Doch nun ziehe ich mich zurück. Sie brauchen nicht mehr eifersüchtig zu sein, Herr Julien; es ist heute das erstemal, daß ich mit dem Fräulein spreche. Ich wünsche Ihnen beiden alles Glück! Adieu.«

Damit ging er, ohne daß die beiden den Mut gehabt hätten, das Wort an ihn zu richten. Nach einigen Minuten ging Julien in den Hausflur. Da er dort niemand fand, schlug er die Tür zu und ging wieder zu seiner Geliebten. Saintepallaie hatte sich im Hausflur versteckt und die Tür wieder aufgemacht, so daß er das Gespräch des Liebespaares belauschen konnte.

»Ein recht liebenswürdiger junger Mann,« meinte Agathe.«

»Das wohl, aber ein wenig zu dreist.«

»Sie werden zufrieden sein, daß es nicht der Nachbar war!«

»Ich meine, mir wär’s lieber, wenn er es doch gewesen wäre … Gebe der Himmel, daß der da nicht wiederkehrt!«

»Sie brauchen keine Angst zu haben, Herr Julien, ich wiederhole es Ihnen, ich würde Sie einem Prinzen vorziehen.«

»Ich vertraue Ihrem Wort, Fräulein, Sie sind mir so teuer, daß ich es nicht überleben würde, wenn ich auf sie verzichten müßte.«

»Er war in dem Hausflur! … Also muß er unser Gespräch belauscht haben, Julien!«

»Er ist ein schlauer Fuchs!«

»Wir wollen vorsichtig sein und lieber leise sprechen.«

»Oh! Ich passe auf, ich lasse den Hausflur nicht aus dem Auge. Von dort aus muß er sie immer belauscht haben.«

In diesem Augenblick wurde er gerufen. Als Saintepallaie sah, daß Agathe allein war, näherte er sich ihr und fragte sie sanft:

»Lieben sie ihn?«

»Ja, mein Herr.«

»Dann werden sie mich nicht widersehen, denn ich achte Ihre Gefühle. Adieu, liebes Fräulein!«

Damit küßte er ihr die Hand und ging. Es spricht vieles dafür, daß er mit ein wenig Hartnäckigkeit den Sieg über Julien davongetragen haben würde, ohne Prinz zu sein: aber er hatte Grundsätze. Er entsagte lieber dem Vergnügen, das schöne Mädchen wiederzusehen, als daß er vielleicht eines Tages den Tod des armen Julien auf dem Gewissen gehabt hätte, der ein braver Junge zu sein schien, und daß er sich hätte vorwerfen müssen, die liebenswürdige Agathe zur Wortbrüchigkeit verleitet zu haben. Er beglückwünschte sich bald, sich aus ein solches Abenteuer nicht eingelassen zu haben, das nur traurige Folgen für ihn hätte haben können.

Als er eines Tages auf dem Boulevard du Temple spazierenging, bemerkte er in einem Garten eine entzückende junge Person: die Feinheit ihrer Züge, die Eleganz ihres Wuchses, die durch ein anliegendes Kostüm noch hervorgehoben wurde, und vor allem die tadellose Form seines Lieblingsreizes erfüllten Saintepallaie mit Bewunderung. Sein Herz war noch mehr getroffen als seine Sinne, er sah die junge Schöne nur verstohlen an und wagte nicht, ihr näherzutreten, aber er konnte sich nicht von ihr losreißen. Nach einigen Gängen in den Alleen des Gartens näherte sie sich der Schranke, die den Garten nach der Straße abschloß. Sie ließ sich nieder und legte ihre Füße auf einen Stuhl, so daß man sie in ihrer ganzen Schönheit bewundern konnte. Welch reizendes Naturspiel diese Füße, wie klein, graziös und elegant das Schuhwerk: ein Aschenbrödelschuh, gestickt und mit Silberschnüren auf den Nähten geschmückt, mit spitzem, ziemlich hohem Absatz, der aber so angebracht war, daß er die Schönheit des Fußes nicht beeinträchtigte, nach vorn zu verengte er sich zu der zierlichsten kleinen Form. Saintepallaie war außer sich, er ging hundertmal vorüber und kehrte hundertmal wieder zurück, um verstohlen einen Blick auf den hübschen Fuß zu werfen, einige Male hob er seine Augen auch höher, um das entzückende Gesicht seiner Besitzerin zu bewundern. Viktoria de la Grange, sie war es, und der Leser kennt sie, begann zu lesen und zwar mit einer Aufmerksamkeit, die Saintepallaie zugute kam. Wenn sie einmal durch eine unwillkürliche Lageveränderung ihren Fuß den gierigen Blicken Saintepallaeis entzog, so schien es ihm, als ob eine Wolke den sonnigen Glanz verdunkelte, der sich seinen Augen bot. So blieb er gefesselt stehen, bis Viktoria von ihrer Stiefmutter, ihrem Bruder und ihren drei Schwestern zu einem Spaziergang auf dem Boulevard aufgefordert wurde. Sie gingen um den Boulevard herum, und Saintepallaie folgte ihnen Schritt auf Schritt. Als sie wieder ins Haus zurückkehrten, da fühlte er, daß er verliebt sei, und die Erregung seines Herzens sagte ihm, daß die Schöne mit dem niedlichen Fuß ihm nicht nur eine flüchtige Neigung, sondern wahre Liebe eingeflößt habe.

Von da ab galten alle anderen Gegenstände seiner Bewunderung ihm nichts mehr, die Schöne vom Boulevard hatte alle verdunkelt … Aber wie konnte er sich Eingang in ihr Haus verschaffen? Er kannte niemand, der mit Herrn de la Grange bekannt war und ihn hätte einführen können. Inzwischen kam er aber alle Tage wieder und hatte oft die Freude, den Gegenstand seiner Begeisterung zu erblicken. Seine Leidenschaft wurde täglich stärker und stieg nach sechs Wochen auf einen Punkt, daß er keine Ruhe mehr hatte. Endlich wurde auch Viktoria auf ihn aufmerksam. Sie sprach darüber mit ihrer Stiefmutter und bemerkte ihr, daß sie ihn nicht übel fände und sich von seinen Huldigungen geschmeichelt fühle. Madame de la Grange schien den Worten ihrer Stieftochter nicht viel Beachtung zu schenken. Sobald sie aber allein war, beauftragte sie einen alten vertrauten Diener, sich nach dem jungen Mann zu erkundigen. Der Diener folgte Saintepallaie auf Schritt und Tritt, sah ihn in sein Haus treten, erkundigte sich nach seinem Namen, Vermögen, Ruf usw. und kehrte wohlunterrichtet zurück, um seiner Herrin Rechenschaft abzulegen.

Anderen Tages erschien Saintepallaie wieder zur gewohnten Stunde. Viktoria war allein im Garten. Sie kam jetzt auch immer regelmäßiger, ohne es vielleicht zu beabsichtigen. Als sie ihn erblickte, näherte sie sich unbefangen dem Gitter und prüfte sein Äußeres, soweit es angängig war. Er schien sie zu interessieren. Die Züge des jungen Mannes, besonders die Augen, erschienen belebt durch den Ausdruck von Bewunderung, mit der er sie anblickte. Viktoria hatte alle Muße, sich davon Rechenschaft zu geben, denn sie konnte ihn ungeniert in den Pausen ansehen, wo er die Augen senkte, um sie auf ihren Füßen ruhen zu lassen. Sie ging darauf zu Madame de la Grange, um sie davon zu benachrichtigen, daß der Unbekannte auf dem Boulevard spazierenginge, und fügte hinzu:

»Aber ich habe eine sonderbare Entdeckung gemacht, Mama, er sieht beständig meine Füße an!«

»Das ist ja eigentümlich! Das muß ich selbst sehen … Sie trat mit ihrer Tochter ans Gitter und hatte Gelegenheit, dieselbe Bemerkung zu machen. Dann promenierten sie im Garten, und Madame de la Grange sagte mit fröhlicher Miene zu ihrer Stieftochter:

»Der junge Mann heißt de Saintepallaie, er ist reich, unabhängig und bekleidet ein ehrenvolles Amt, das er tadellos ausfüllt, er führt einen einwandfreien Lebenswandel, wenn er dich liebt, so wollen wir ruhig abwarten, bis er seinen Besuch macht.«

»Oh, Mama! Sie kennen ihn?«

»Ich weiß von ihm nur, was ich dir eben gesagt habe. Darauf wollen wir uns vorläufig beschränken.«

»Sie haben recht! Es würde sich für mich nicht passen, wenn ich mich mit einem Unbekannten beschäftigte.«

Indessen beachtete Viktoria ihren Bewunderer nach diesem Gespräch etwas aufmerksamer, als vorher, und Madame de la Grange fuhr fort, sie über das Ergebnis ihrer Nachforschungen auf dem laufenden zu halten.

So vergingen drei Monate, als folgendes sich ereignete. Viktoria hatte seit einiger Zeit schon bemerkt, daß ihr Schuster sich in Eleganz und reicher Ausstattung ihres Schuhwerks plötzlich selbst übertraf, und war davon überrascht. Sie hatte ferner bemerkt, daß sie häufiger, als früher, neue Schuhe von ihm geliefert bekam, ohne daß die Rechnung größer wurde. Sie sprach darüber mit ihrer Stiefmutter, die dazu lächelte und bemerkte:

»Dahinter müssen wir kommen …«

Hortense ließ den uns bereits bekannten Schuster in der Rue des Vieux Augustins, der ihr Lieferant war, insgeheim kommen und verlangte von ihm die Wahrheit zu wissen,

»Es ist richtig,« antwortete er, »daß ich Ihnen seit einiger Zeit mehr liefere, als sie bezahlen. Da ist aber ein junger, sehr liebenswürdiger Herr, der mir die Form und Farbe der Schuhe vorschreibt, sie bezahlt und mir versichert, daß er Fräulein de la Grange, die Älteste, zu heiraten hofft.«

»Dann müssen sie aber mit jemand hier im Hause im Einvernehmen sein?«

»Da ich nichts Böses dabei fand, so habe ich Ihre Zofe Margarete dazu überredet, mich etwas verdienen zu lassen, ohne irgend jemanden zu schädigen, indem sie die Schuhe des Fräuleins, die dieses schon getragen hat, gegen neue umtauscht.

»Ohne Belohnung?«

»Gewiß, Madame, ohne irgendwelche Belohnung. Sie gab mir die alten, die ich dem freigebigen Herrn einhändigte. Oh! wenn sie sie bei ihm sehen würden! Er hat alle die getragenen Schuhe des Fräuleins auf Regale gestellt und mit Gaze bedeckt, wie man es mit Uhren tut, um jedes Stäubchen davon abzuhalten, und betrachtet sie mit einer Ehrfurcht, die mich rührt, Madame.«

Hortense, die nun wußte, woran sie war, entließ den Schuster und befahl ihm, weder ihrer Tochter noch der Zofe ein Wort davon zu sagen. Da sie ihm nichts über die Fortsetzung seiner Tätigkeit gesagt hatte, so arbeitete er in gewohnter Weise weiter, ohne von dem Gespräch Saintepallaie etwas zu sagen, da er von diesem Vorwürfe über seine Indiskretion hören zu müssen fürchtete.

Viktoria schloß aber in Zukunft ihre Schuhe so gut ein, daß man ihr die getragenen nicht mehr wegnehmen konnte, wenn sie es auch nicht verhindern konnte, daß ihr immer mehr neue geliefert wurden. Saintepallaie hatte ihr ein Paar anfertigen lassen, die von höchster Eleganz waren, sie waren von rosafarbenem Seidenmoiré, mit grünen Absätzen und Kappen und reicher Stickerei. Viktoria fand sie nach ihrem Geschmack und zog sie an, so daß Saintepallaie am nächsten Tage schon ihre Füßchen darin bewundern konnte. Als er sie aber zurückhaben wollte, wurde ihm mitgeteilt, daß sei nicht mehr möglich, da das Fräulein jetzt die Schuhe einschlösse. Der junge Liebhaber wurde durch solche Hindernisse nur noch mehr entflammt und versprach dem Schuster eine hohe Belohnung, wenn er die Schuhe eintauschen könnte. Aber alles war vergebens, und Margarete verlor ihre Zeit und Mühe. Saintepallaie war ärgerlich über ein solches Mißgeschick, das ihn hinderte, seine Sammlung zu vervollständigen, wußte aber nicht, wie er es anstellen sollte, um sich eines Schatzes zu bemächtigen, dem der Fuß seiner Angebeteten einen so hohen Wert verlieh. Mehrere Tage ging er auf dem Boulevard spazieren, ohne an Viktoria die reizenden Schuhe zu bemerken. Endlich nach vier oder fünf Tagen trug sie sie zum zweiten Male. Diesmal sollte sein Wunsch erfüllt werden. Viktoria nahm ihren Platz am Gitter und setzte den Fuß auf den unteren Querbalken. Es war an einem Septemberabend gegen 7 Uhr und schon etwas dunkel. Saintepallaie nutzte diese Umstände aus: er war hinter einem Baum versteckt, bückte sich, ergriff einen der Schuhe am Absatz und zog ihn ohne Mühe von dem reizenden Fuß, den er schmückte, herunter, indem er dabei ausrief: »Amor! Gestatte du mir diesen Raub!« Viktoria stieß einen leisen Schrei aus. Sie glaubte, ein Gassenjunge spielte ihr diesen Streich, um die Schnalle zu rauben, die sehr schön war. Als sie aber aufgestanden war, bemerkte sie ihren Anbeter, der mit hastigen Schritten davoneilte. Sie war ein wenig ärgerlich über sein unehrerbietiges Gebaren, ohne aber gerade in Zorn zu geraten, und hinkte davon, um gleich ihrer Stiefmutter über den Vorfall zu berichten, die darüber äußerst erstaunt zu sein schien. Inzwischen war aber der alte Diener, der von Madame de la Grange beauftragt worden war, Saintepallaie stets zu beobachten, und der den Raub mit angesehen hatte, dem jungen Manne nachgeeilt, hatte ihn an der Ecke der Rue du Temple eingeholt und ihn zur Rede gestellt:

»Mein Herr, wollen sie mir gefälligst sagen, was Sie mit dem Schuh unseres Fräuleins anfangen wollen ?«

»Oh! mein Lieber, ich werde ihn ihr wiedergeben, aber nur ihr persönlich. Er ist so schön, daß ich vorher ein Modell davon anfertigen lassen will. Sie kennen den Schuster Ihrer Herrin, gehen sie mit mir zu ihm. Der Diener machte Schwierigkeiten, aber Saintepallaie benutzte einen günstigen Augenblick, als gerade viel Wagen vorüberfuhren, um zu verschwinden, nachdem er seine Börse in den Hut des Dieners geworfen hatte.

Am nächsten Tage schrieb er folgenden Brief an Fräulein de la Grange:

»Mein Fräulein,

Meiner gestrigen Kühnheit füge ich heute eine neue hinzu. Aber sie müssen mir beide verzeihen, wenn Sie nicht einen Menschen zur Verzweiflung bringen wollen, der nur lebt, um Sie anzubeten. Der Grund für die beiden Handlungen, derenwegen ich Sie um Verzeihung bitte, ist ein zu ehrenwerter, als daß Sie darüber beleidigt sein könnten. Die Glut meiner Gefühle für Sie nimmt mir die Vernunft, aber die Hochachtung, die damit verbunden ist, und meine tiefe Ergebenheit für Sie müssen mir Ihre Verzeihung gewinnen. Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt, im Besitz eines ehrlich erworbenen Vermögens und eines ehrenvollen Amtes. Ich bitte Sie um die Erlaubnis, mich Ihnen nähern zu dürfen, damit Sie sich ein Urteil bilden können, ob mein Äußeres Ihnen zusagt. Meine Gefühle für sie, mein verehrtes Fräulein, sind Ihrer würdig. Wenn ich mich Ihnen gegenüber so eigentümlich aufgeführt habe, so müssen Sie dafür den unbeschreiblichen Zauber verantwortlich machen, der von Ihrer Person ausgeht und mich besiegt hat. Wollen sie mir zum Verbrechen anrechnen, wenn ich lebhafter als ein anderer die Wirkung Ihrer Reize empfinde? Ich habe ihnen nicht widerstehen können, und deshalb mußte ich mein Herz erleichtern, das war unbedingt notwendig.

Ich bin, verehrtes Fräulein, in tiefster Ehrerbietung Ihr sehr ergebener Diener

D. L. C. de Saintepallaie.«

Adresse: »An Madame de la Grange, in der Nähe des Boulevard du Temple.«

»P. S.«

»Madame,

»Ich wage es, diesen Brief an sie zu richten, und bitte Sie, mir einige Augenblicke Gehör zu schenken. Sie sind eine liebevolle Mutter, und ich bete Ihre Tochter an. Deshalb verdiene ich wenigstens, von Ihnen gehört zu werden.

Ich bin mit vorzüglicher Hochachtung, Madame, D. L. C. de Saintepallaie.«

Nachdem Hortense diese Zeilen gelesen hatte, händigte sie sofort, ohne erst ihrer Stieftochter davon Mitteilung zu machen, dem Lakeien des Anbeters folgenden Brief mit ihrer Antwort ein:

»Mein Herr,

Ich willige darin ein, Sie zu empfangen. Ich habe Ihnen vorläufig nichts weiter zu sagen, das werden sie begreiflich finden. Ich erwarte Sie also und bin, mein Herr, Ihre ergebenste

Hortense de la Grange
geborene de Fouchi.«

Saintepallaie fand den Ton des Briefchens etwas schroff und wußte nicht, was er davon halten sollte. Doch begab er sich sofort zu Madame de la Grange. Der alte Diener, den er bereits kannte, führte ihn bei ihr ein.

»Ich stehe zu Ihren Diensten, Madame.«

»Gut. Verständigen wir uns miteinander, mein Herr … Es scheint, Sie lieben Fräulein de la Grange?«

»Ich bete sie an, Madame.«

»Das Glück des jungen Mädchens ist, seitdem ich vor zehn Jahren ihren Vater geheiratet habe, meine ständige Aufgabe, sie ist mir so teuer, wie wenn sie mein eigen Fleisch und Blut wäre. Um ihr Glück zu begründen, bin ich auf folgenden Gedanken verfallen: ich lasse in meinem Haufe eine Gesellschaft liebenswürdiger junger Leute zusammenkommen, die sich bei mir in ehrenhafter Weise vergnügen, nur zu dem Zweck, damit Viktoria, ihre Schwestern und auch ihr Bruder eine Wahl fürs Leben treffen können, die ihr Glück auf einer festen Basis begründen soll. Ich sah für Viktoria, bereits eine andere günstige Partie voraus, als sie anfingen, sich in der Umgebung unseres Hauses bemerkbar zu machen durch ein außergewöhnliches Betragen, ich denke, Sie werden den Ausdruck nicht zu hart finden. Der junge Mann, auf den, wie ich dachte, Viktoria ihr Auge werfen würde – denn, mein Herr, sie soll selbst die Wahl treffen, nicht ich – ist reich, liebenswert, sittenrein, sein Charakter, sein Geist, sein Herz, alles ist vorzüglich, besonders seine Denkungsart würde eine Frau glücklich machen können, er ist kein Leichtfuß, den nur die Sinne mit sich fortreißen. Wenn sie nun denken, mein Herr, daß Sie für meine Tochter eine bessere Partie sind, dann erklären sie sich. Ich werde meine Handlungsweise nach dem richten, was sie mir sagen werden, aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß nicht ich es bin, die zu bestimmen hat, sondern daß Sie von Viktoria vorgezogen und wahrhaft geliebt werden müssen, um deren Hand zu erhalten.«

»Ihre Sprache, Madame, so sehr sie auch von der Vernunft eingegeben ist, überrascht mich und schüchtert mich ein! Wie kann ich es wagen, von mir zu behaupten, ich besäße glänzendere Eigenschaften, als der Mann, von dem Sie mir soeben ein so blendendes Porträt gezeichnet haben? Eines aber schwöre ich Ihnen, daß ich bei gleicher Ehrbarkeit, wie der junge Mann, Viktoria millionenmal mehr liebe, als er! Ihr Fräulein Tochter ist in meinen Augen ein himmlisches Geschöpf, das mein ganzes Wesen gefangen genommen hat: Ich bete Sie und alles, was sie umgibt, an, was sie berührt, ist ein Kleinod für mich. Ach, Madame, es gilt mein Leben, daß ich von ihr geliebt werde, ich würde sterben, wenn ich den Gegenstand meiner Liebe und Verehrung in den Armen eines anderen sähe! Wie soll ich Ihnen ausdrücken, welche Gefühle sie mir einflößt! Dazu bin ich außerstande, dazu fehlen mir die Worte! Wenn mir das Glück zuteil werden sollte, sie mir zu erobern, dann wird sie von mir vergöttert werden, wie es nie einer Frau geschah! Meine unauslöschliche Liebe zu ihr würde um meine Gottheit den Zauber verbreiten, den mein Herz empfindet, den ich fühle, ohne Worte dafür zu haben! … Wenn ich nur an sie denke, schwillt meine Seele in köstlichem Entzücken dahin, wenn ich mir vorstelle, daß ich sie gewonnen hätte, daß sie mein wäre, dann gibt mir meine Phantasie, erhitzt durch die Regungen meines Herzens, tausend reizende, köstliche Gedanken ein, die ich ihr sagen möchte. Ein Wort, ein Lächeln von ihr würde mich glücklich machen. Und sollte sie mich hassen – bisweilen denke ich es –, dann würde meine gefühlvolle Seele sie doch noch anbeten, anbeten sogar ihre Ungerechtigkeit und ihre Grausamkeit, und ich würde sie zu rühren und andere Gefühle in ihr zu erwecken wissen. Sollte sie Mißbrauch treiben mit ihrer Gewalt über mich und meine Liebe, so wäre ich darüber doch nicht unglücklich, und sie würde zufrieden mit mir sein! Was würde es mir ausmachen, wenn sie ungerecht zu mir wäre, ich würde sie dennoch vergöttern!«

»Sie sind liebestrunken,« unterbrach ihn Madame de la Grange lächelnd, »ein solcher Zustand flößt nicht viel Vertrauen ein.«

»Verzeihung, Madame, die Ohnmacht, Ihnen meine Gefühle zu schildern, läßt mich so sprechen.«

»Solche zärtlichen Männer werden manchmal die Schlimmsten Tyrannen, Herr de Saintepallaie!«

»Verehrte Frau, alles, was ich Ihnen sagen könnte, um Ihnen zu beweisen, daß ich das nie sein werde, würde Ihnen schwach erscheinen. Ich kann Ihnen nur versichern, daß ich mich hüten werde, ein solcher zu sein! Ich würde mich dadurch nur gehässig machen.«

»Was mich im Interesse Ihrer Zukünftigen, wer sie auch sein mag, beruhigt, ist die Gewißheit, daß ein so verheerendes Feuer nicht lange dauert.«

»Mein ganzes Leben, Madame, werde ich der schönen Viktoria angehören!«

»Wir werden uns wiedersehen, Herr de Saintepallaie, Sie werden jetzt meine Stieftochter begrüßen, aber ich bitte Sie, mäßigen sie Ihre Worte ihr gegenüber, es ist noch nicht an der Zeit, ihr von Liebe zu sprechen.«

»Ich werde Ihnen gehorchen, Madame, so gut ich kann …«

Madame de la Grange ließ Viktoria zu sich bitten. Als sie Saintepallaie sah, errötete sie und stand sprachlos da.

»Mein liebes Kind,« sagte ihre Stiefmutter zu ihr, »der Herr hat an uns beide diesen Brief hier geschrieben. Ich habe ihm darauf geantwortet, und sein Besuch ist die Folge meiner Antwort. Da lies.«

Während Viktoria las, sagte Madame de la Grange zu Saintepallaie:

»Meine Tochter wußte noch nichts von Ihrem Brief. Ich wollte Sie erst kennen lernen, bevor ich ihn ihr zu lesen gab. Sie sehen, wie offen ich handle, in Ihrer Gegenwart liest sie ihn nun. Ich lade Sie zu unseren kleinen Festlichkeiten ein, da können wir uns gegenseitig besser kennen lernen. Bis es so weit ist, soll von nichts anderem die Rede sein. Fräulein de la Grange liest Ihre Erklärung, Sie brauchen sie ihr daher nicht mündlich zu wiederholen. Sie weiß nun, daß Sie sie lieben, jetzt ist es an ihr, Ihr Herz zu prüfen, und an Ihnen, sich so zu zeigen, wie Sie sind. Seien sie versichert, daß ich mein teures Kind zu sehr liebe, um Sie nicht, wenn sie sich verstellen sollten, durch andere ausholen zu lassen … Doch sie ist zu Ende … Verlassen sie uns jetzt und kommen sie heute abend wieder. Ich erwarte Sie heute abend und … alle Tage.«

Saintepallaie sah, daß Madame de la Grange Viktoria die Verlegenheit ersparen wollte, mündlich eine Antwort auf den Brief zu erteilen, und zog sich zurück.

Als er gegangen war, sagte Hortense zu ihrer Tochter:

»Nun also, mein liebes Kind, was meinst du dazu?«

»Ich kenne ihn nur vom sehen, seine Gefühle lehrt mich der Brief, was soll ich tun, Mama?«

»Studiere du seinen Charakter, während ich Erkundigungen einziehen will. Gefällt er dir, dann befrage dein Herz. Bis du dich entschieden hast, will ich dir weiter nichts über seine Leidenschaft, seine besondere Art von Verliebtheit sagen. Dein Herz allein soll deine Wahl leiten … Sollte ich jedoch inzwischen durchaus Schlechtes über ihn erfahren, dann würde ich dich sofort warnen.«

»Oh! Das erwarte ich nicht anders, liebe Mama.«

»Sein Gesicht?«

»Ist sehr schön.«

»Erscheint er dir liebenswert?«

»Gewiss! Ich wünschte … du weißt, liebe Mama, daß ich mit dir stets aufrichtig bin? Ich wünschte also, daß ein Mann, der so verliebt zu sein scheint, verdienen würde, von mir vorgezogen zu werden.«

»Wir wollen sehen, ich werde darüber eines Tages mit dir sprechen. Inzwischen wollen wir ihn prüfen, besonders jetzt, wo wir noch unparteiisch sind, denn wenn wir damit zu lange warten, dann könnte ein kleiner Verräter kommen und uns eine Binde um die Augen legen, und dann sähen wir gar nichts mehr.«

Saintepallaie verfehlte natürlich nicht, am gleichen Abend der Einladung Folge zu leisten. Aber seine Leidenschaft hatte ihn zu sehr gefangen genommen, als daß er sich gut unterhalten hätte. Er machte Madame de la Grange den Hof, während seine Blicke beständig Viktoria verfolgten. Er tanzte mit ihr ein Menuett. Am folgenden Tage ließ er sich eine Rolle im Ballett: Das Urteil des Paris zuerteilen, das gerade einstudiert wurde. Der Proben wegen mußte er von nun an täglich zwei Besuche machen. Viktoria gab die Venus, Saintepallaie den Paris.

Der alte Grundsatz: liebe, wenn du wieder geliebt werden willst, sollte auch in diesem Falle bald zur Wahrheit werden. Saintepallaie liebte mit inniger Begeisterung, und bald fühlte Viktoria, daß ihr Herz auch für ihn schlug, was Madame de la Grange vielleicht noch früher als sie selber bemerkte. Als die ausgezeichnete Frau dessen ganz sicher war, nahm sie ihre Stieftochter beiseite und fragte sie:

»Nun, wie gefällt dir dein sonderbarer Liebhaber?«

»Nicht übel: was hältst du von ihm?«

»Ich finde ihn auch sehr nett.«

»Er ist es auch in der Tat.«

»Meinst du, ihn innig genug zu lieben, um dafür einstehen zu können, daß du ihn ewig lieben wirst?«

»Ich stehe jedenfalls dafür ein, liebe Mama, daß ich ihn allen andern vorziehe.«

»Das ist schon etwas, aber um sich zu verheiraten, um Freiheit und alles, was eine Frau ihrem Mann opfern kann, hinzugeben, dazu ist es nicht genug. Dazu ist eine lebhafte Neigung nötig, die dir den Geliebten als einen Gott erscheinen läßt. Bist du schon so weit?«

»Oh, mein Gott! Nein!«

»Dann wollen wir noch abwarten.«

»Gewiß, das wollen wir.«

»Aber er dringt so in mich.«

»Herr de Saintepallaie drängt dich, Mama?«

»Sehr! … Er hat mich gebeten, deine Gefühle für ihn zu prüfen.«

»Um die Wahrheit zu sagen, Mama, … ich glaube, ich liebe ihn …, aber doch nicht so, wie Sie sagen.«

»Er liebt dich jedenfalls so, wie ich sage, meine liebe, gute Freundin, du wirst glücklich sein, wie ich es stets gewünscht habe, ja, das wirst du, das schließe ich aus seiner ganzen Art zu lieben. Du bist schön, mehr als schön, denn du bist reizend! Aber, liebe Tochter, wieviel schöne Frauen sind nachher nicht vernachlässigt worden! Und warum? Weil sie Automaten geheiratet haben, die weder Schönheit noch Anmut, nicht einmal das Verdienst an ihrer Frau zu schätzen wissen. Bisweilen war es auch ihre eigene Schuld. Aber dein Freier weiß, was du wert bist, und spricht mit Begeisterung von dem geringsten deiner Vorzüge, nichts entgeht ihm, er hat dich ganz studiert, alles erfaßt und ist ganz Bewunderung und Anbetung. Die sonderbare Schwärmerei, du weißt, die ihn dahinführte, deinen Schuster zu bestechen, und ihn die Indiskretion begehen ließ, die seinen Brief verursacht hat, sie deutet auf einen Mann, der äußerst zarte Organe besitzt und eines tiefen, wenngleich heftigen Gefühles fähig ist. Diese Schwärmerei gibt dir das Mittel an die Hand, ihm immer zu gefallen. Wie anders ist dagegen eine Frau daran, die mit einem rohen Patron verheiratet ist, der gegen alles unempfindlich ist? Du glaubst nicht, wie sehr mich gerade dieser eigentümliche Geschmack deines Freiers zu seinen Gunsten eingenommen hat! So sehr, daß ich ihn vom ersten Tage an, wo du mir von ihm sprachst, habe beobachten lassen, weil ich ihn kennen lernen wollte. Verkenne niemals die Macht dieses Vorteils, den du über ihn hast, und pflege deinen Fuß, dessen Schönheit sicherlich Ursache deines Glückes werden wird, mit allen Mitteln, die du mich hast anwenden sehen und die ich euch beigebracht habe, ohne daß ihr den Grund dafür kanntet: ein gut gemachter, gut passender, aber nicht drückender Schuh, im Hause nie Schuhe getragen, nur Pantoffeln, sofortiges Einschreiten gegen den geringsten Druck, der Beobachtung dieser Grundsätze verdankt ihr alle euere vollkommen schönen Füße, als wenn ihr überhaupt stets nur jene hübschen Filzschuhe getragen hättet, die ihr im Winter gegen die Kälte anzieht, denn Kälte entstellt auch die Schönheit des Fußes. Ich würde ohne meinen Gatten, der die Schwärmerei Saintepallaies für einen schönen Fuß teilt, nie den Wert eines solchen Vorteils kennen gelernt haben, mit dem die Natur auch mich begünstigt hat und den ich gegen die Einwirkungen des Alters zu schützen gewußt habe. Also, liebes Kind, ich spreche aus Erfahrung und verbürge dir dein Glück. Ich sehe die zukünftige Haltung deines Freiers im Geiste voraus, teils weil ich Vergleiche angestellt, teils weil ich ihn genau studiert habe. Die Männer, liebes Kind, die diesen Geschmack besitzen, sind indessen äußerst empfindlich im Punkte der Reinlichkeit. Da ihnen nichts gleichgültig ist, so entgeht ihnen keiner unserer geringsten Vorzüge, sie bemerken aber dagegen auch die geringste Nachlässigkeit an unserm Körper und leiden darunter. Um ihnen die Illusion zu belassen, daß eine Frau ein Engel ist, muß diese mit peinlichster Sorgfalt darauf achten, daß ihnen jeder abschreckende Eindruck erspart bleibt: die Reinheit des Schuhwerks muß für sie das Symbol der Reinheit des ganzen Körpers sein. Wenn schon das, was die Erde berührt, so rein ist, denken diese Männer gewöhnlich, wie muß dann der Rest sein? Unser ganzes Wesen muß ein appetitliches Objekt sein, aus dem man auf die Reinheit unserer Seele schließen kann. Ich habe dir über diesen Punkt praktische Lehren erteilt, und ich denke, du verstehst, was ich meine, wir würden uns beide langweilen, wenn ich alles noch einmal wiederholen wollte, ich will mich nur dahin zusammenfassen: eine Frau müßte so viel Waschungen vornehmen, wie der frömmste der Muselmänner …! Doch ich komme auf deinen Freier zurück: ich gebe ihm meine Stimme.«

»Und ich, teure Mama, gebe sie ihm auch. Was sie mir soeben gesagt haben, hat mir meine letzten Bedenken genommen.«

»Du darfst deiner Neigung allein Gehör schenken.«

»Das ist auch der Fall, teure Stiefmutter. Wenn Sie wüßten, wie liebe Sachen er mir täglich zuflüstert! Wie er mir mit einem Wort seine Liebe schildert! Gestern ruhten wir uns nach dem Tanz aus, ich war erhitzt, zog meine Handschuhe aus und gab sie ihm in der Zerstreutheit. Einen Augenblick Später wollte ich sie ihm wieder abnehmen und fühlte dabei seine Hand zittern. – ›Was haben sie?‹ fragte ich ihn. – ›Es ist die Wirkung Ihrer Handschuhe: sie haben in mir das Fieber der Liebe entzündet, berühren sie meine Hand, Angebetete, und Sie werden mein Herz bis in die Fingerspitzen schlagen fühlen.‹«

»Je mehr diese Liebe, mein Kind, geeignet ist, dich glücklich zu machen, desto mehr mußt du alles daran setzen, sie dir zu bewahren: ahme nicht die Frauen nach, die sich damit begnügen, geliebt zu werden, und dabei versäumen, alles zu tun, um noch mehr geliebt zu werden, man muß nie meinen, es sei nun genug, sondern alle seine Kraft auswenden, um ein Herz, das einem schon gehört, noch weiter an sich zu fesseln. Alle unsere Gefühle müssen darauf gerichtet sein: Achtung, Ehrerbietung, Dankbarkeit, Bewunderung, wir müssen Sogar die Alltäglichkeit des Lebens zu unseren Gunsten ausnützen, uns unentbehrlich machen, dem Gatten den Aufenthalt in seinem Hause angenehm, ruhig, so fröhlich wie möglich gestalten, dadurch fesseln wir ihn ans Haus und an uns. Du hast gesehen, liebe Tochter, wie ich es mit deinem Vater gemacht habe. Er liebte mich, als er mich heiratete, Sobald ich aber seine Frau war, wandte ich alle Mittel an, um noch heißer von ihm geliebt zu werden. Ich kannte dich noch nicht, konnte dich daher auch nicht lieben. Das erste aber, was ich tat, um meinen ehrenwerten Mann mir noch mehr zugetan zu machen, war, dich zu lieben und deine Liebe zu gewinnen. Der Erfolg hat alle mein Erwartungen übertroffen, weil ich liebe Kinder antraf, die ihrer Eltern würdig waren, denn auch eure Mutter war ein göttliches Wesen! … Du weinst, teure Viktoria, wie liebe ich deine Empfindsamkeit! Ehre ihr Andenken und laß deine Tränen fließen …«

»Oh, Mama! sie fließen für sie und für dich, euch beiden gilt meine Rührung, und ich segne den Himmel, der mir, nachdem er mir die Mutter genommen hatte, ihr Herz in dir wiedergeschenkt hat! …«

»Ich habe nur eins im Auge gehabt: dein Glück. Doch war auch ein bißchen Egoismus dabei im Spiel, denn von deinem Glück hing auch das meinige ab.«

Nach dieser Unterredung war Madame de la Grange davon überzeugt, daß ihre Stieftochter Saintepallaie hinreichend liebte, um ohne Gefahr seine Frau zu werden. Sie beschäftigte sich von nun an mit den Vorbereitungen zur Hochzeit, wozu ihr Mann ihr alle Freiheit ließ. Er wußte, daß sie davon einen guten Gebrauch machen würde.

Als Saintepallaie am andern Morgen kam, bat ihn Madame de la Grange zu sich, bevor er ihre Stieftochter sah und fragte ihn:

»Haben sie es immer noch so eilig, Viktorias Gatte zu werden? Ja? Nun gut, in sechs Monaten denn!«

»Ach, Madame! so lange noch?«

»Also dann in drei Monaten!«

»Das sind für mich drei Jahrhunderte!«

»Mein letztes Wort: in einem Monat.«

»Ich wage mich nicht mehr zu beklagen. Wenn es aber nach mir ginge, dann morgen oder heute abend.«

»In einem Monat! Und daran knüpfe ich noch eine Bedingung: ich verlange einen Beweis, einen unzweideutigen Beweis, das zarte Eingeständnis Viktorias, daß sie Sie liebt … Sie sehen, daß ich nicht anderen Müttern gleiche, sondern ein eignes System befolge. Ich kenne nur zwei Wege, um meine Kinder zu verheiraten: der eine ist der, den ich befolge, nämlich sie müssen lieben, so lieben, daß über ihre Gefühle kein Zweifel bestehen kann, der andere Weg ist: sie überhaupt nicht zu befragen und nicht zu dulden, daß sie vor der Hochzeit mit ihrem Zukünftigen auch nur ein Wort wechseln, damit sie weder Liebe noch Haß fühlen. In diesem Falle würde ein vernünftiges Mädchen, das durch die Notwendigkeit zur Eingehung einer Ehe gezwungen wird, alles gelassen hinnehmen, wenn es sich auf Schlimmeres gefaßt gemacht hat, und sich glücklich fühlen, wenn es sieht, daß es weniger schlecht daran ist, als es sich vorgestellt hat… Ich scherze nicht, Herr de Saintepallaie, es gibt nur diese zwei Wege. Ich habe den ersteren gewählt und will, daß er bis zum Ende begangen wird. Es ist freilich keine kleine Aufgäbe für sie, mir diesen Beweis zu liefern, und ich bin darüber etwas unruhig!«

»Aber welches Glück auch für mich, wenn ich Ihre Bedingung erfülle!«

»Arbeiten sie mit aller Energie daran.«

Und sie führte ihn durch ihre Wohnung hindurch in die Räume ihrer Stieftochter. Viktoria war abwesend, wie sie wohl wußte. Auf einem Sofa lagen verschiedene Bekleidungsgegenstände, darunter auch ein Paar niedliche Schuhe, die Viktoria angeprobt hatte. Saintepallaie besah sich die hübschen Sachen, sobald er allein war. Madame de la Grange aber holte inzwischen eiligst ihre Stieftochter herbei. Sie wollte ein Experiment machen.

Saintepallaie, allein im Tempel der Schönheit, die er anbetete, ließ seine glühenden Blicke auf allen Gegenständen ruhen, die seiner Göttin dienten. Bald aber bemächtigten sich seine vor Freude zitternden Hände ihrer, und er drückte glühende Küsse auf die Stellen des Kleides, wo es einen Götterbusen oder lilienweiße Schultern und Arme berührt hatte, und auf die niedlichen Schuhe. Das Feuer, das ihn verzehrte, konnte er nicht mehr dämpfen , da rief er begeistert aus:

»Oh, anbetungswertes Mädchen! Alles, was dich berührt, nimmt an dem göttlichen Zauber teil, der dich umgibt!… Leblose Zeugen meiner innigen Liebe, ich beneide euch! Ich wollte, ich könnte eure Form annehmen und euch nur einen kurzen Augenblick vertreten! Ich würde erst zu leben anfangen, könnte ich von diesem kleinen Fuße, dem Inbegriff aller Grazie, getreten werden! …«

Tränen entströmten seinen Augen, und erblieb, die zierlichen Schuhe in den Händen, unbeweglich stehen … »Schöne Viktoria,« fuhr er dann fort, »warum kannst du nicht in mein Inneres schauen und in meiner Seele lesen, wie sehr ich dich liebe, welche Zärtlichkeit ich für dich fühle! … Ja, zarte Gefühle hege ich für dich, keine Gelüste. So heftig meine Wünsche auch sind, so werden sie doch von meiner Zärtlichkeit übertroffen!«

Niederkniend schloß er dann:

»Teures Mädchen, dich bete ich an, ja du bist, das fühle ich, meine Gottheit …! Ihr Gegenstände, die ihr sie verschönt, empfängt meine Huldigung! …« Er erhob sich in einer Art von Verzückung. In diesem Augenblick betrat Madame de la Grange, die wohl ahnen mochte, was sich ereignen würde, mit ihrer Stieftochter das Zimmer, und Saintepallaie stürzte bewegt, außer sich, Viktoria zu Füßen, indem er ausrief:

»Ich liebe Sie, wie noch kein weibliches Wesen geliebt worden ist. Ein Wort aus Ihrem schönen Munde wird mein Geschick entscheiden. Sprechen sie es hier aus, hier vor Ihrer Mutter, die Sie liebt.«

»Ich bin für Ihre zärtlichen Gefühle nicht unempfindlich,« entgegnete darauf Viktoria tief errötend … »Glaube es, liebe Mama, nicht unempfindlich … Oh! mein Gott! …«

Schon hatte er sie in seine Arme geschlossen, auf das Sofa gesetzt, war vor ihr niedergekniet und hatte heiße Küsse auf ihre Füße gedrückt. »Eine Liebe ohne Grenzen«, rief er aus, »betet alles an!«

»In einem Monat, Herr de Saintepallaie, oder in vierzehn Tagen, das verspreche ich Ihnen, können sie sich Viktorias Antwort holen …!«, sagte darauf Madame de la Grange zu ihm, um Viktorien, die von der Freiheit, die ihr Geliebter sich herausgenommen hatte, noch ganz bewegt war, Zeit zu geben, sich zu fassen.

Die Heirat fand 14 Tage später statt. Man konnte sich nichts Reicheres und Koketteres vorstellen, als die Schuhe der Braut: sie waren aus Perlmutter mit einer Blume in Diamanten verziert, die Seiten und Absätze waren in Brillanten gefaßt. Sie hatten 6000 Franken gekostet, nicht eingerechnet die Diamanten der Blumen, die drei oder viermal mehr gekostet hatten. Sie waren ein Geschenk Saintepallaies.

Als er am Abend mit seiner reizenden Frau allein war, kniete er vor ihr hin und zog die schönen Schuhe von ihren niedlichen Füßen herunter, er ersetzte sie durch Pantoffel, die nicht weniger kokett, aber nicht so kostbar waren. Die Schuhe legte er in einem kleinen, durchsichtigen Tempelbau nieder, und zwar in dessen Mitte, einer Rotunde, deren Kuppel auf jonischen Säulen aus Kristall und mit vergoldeten Kapitalen ruhte. Dort bewahrte er sie als das Pfand einer Liebe, die ewig währen sollte. Zehn Jahre sind seitdem vergangen, und zehnmal haben sie dem Gebrauche gedient, nämlich an jedem Jahrestage der Hochzeit.

Sei es, daß die Verehrung, die Saintepallaie seiner Gemahlin entgegenbringt, seine Liebe lebendig erhält, sei es, daß Viktoria, unterstützt von den weisen Ratschlagen ihrer ausgezeichneten Stiefmutter, über wirksame Mittel verfügt, die anderen Frauen unbekannt sind, oder daß endlich Männer mit Geschmacksneigungen, wie Saintepallaie sie hat, tatsächlich liebevoller und leichter in ihrem Liebesrausche zu erhalten sind, jedenfalls sind die Liebesgefühle dieses leidenschaftlichen Mannes für seine Frau stets die gleichen geblieben. Madame de la Grange ist der Ansicht, daß wohl alles zusammen dazu beiträgt. Der Gatte der schönen Viktoria läßt sich, obwohl er sehr viel zu tun hat und keine seiner Verpflichtungen vernachlässigt, die Toilette seiner Frau angelegen sein: er trifft die Wahl, und Viktoria findet, daß er sie gut trifft. Im ersten Jahre ihrer Ehe hatte der Schuster den Auftrag, jeden Tag ein Paar neue Schuhe zu liefern, deren Farbe und Stickerei Saintepallaie vorschrieb. Er nahm sie auch in Empfang, seine Gattin trug sie einen Tag, dann nahm er sie wieder an sich und schloß sie in Glasschränke ein. Im zweiten Jahre ließ er nur weiße Schuhe anfertigen. Stets waren auf diese Weise seine Gedanken mit seiner Frau und ihrer Anmut beschäftigt. Sie war sein Abgott, seine Göttin, sein Kultus. So verflossen zehn Jahre. Drei liebliche Kinder, die alle die Schönheit der Mutter geerbt haben, konnten ihr nichts von ihrer Schönheit nehmen: innere Befriedigung und das vollkommene Glück, dessen sie genießt, haben ihr die Rosen der Jugend in voller Frische bewahrt.

»Nun also, mein liebes Kind!« sagte Madame de la Grange eines Tages zu ihr, »hatte ich es dir nicht vorhergesagt, daß Ehemänner, die ihre Frauen anbeten, länger zu lieben verstehen, ja sogar auf ewig, wenn man durch Mittel, wie du sie gebrauchst, ein wenig nachhilft?«

»Ja, liebe Mama, du hattest recht. Aber kannst du fühlen, wie überaus glücklich ich bin?«

»Sprich, liebe Tochter, und nachher werde ich dir wahrheitsgetreu sagen, ob ich mir das richtige Bild davon gemacht habe, oder nicht.«

»Liebe Mama, ich glaube, es gibt keine Lage, die der meinigen gleicht: überzeugt, daß alles, was ich trage, meinem Manne gefällt, weil er selber die Wahl trifft, überzeugt, daß die Reize, die mir die Natur geschenkt hat, ihn entzücken, daß all mein Tun, all meine Handlungen ihm gefallen, habe ich seit zehn Jahren nicht ein einziges Mal ein unangenehmes Gefühl gegen ihn empfunden. Welch köstliches Leben, liebe Mama! Mir ist, wie wenn alles, was ihm an mir gefällt, mir ebenso teuer sei wie ihm. Sie würden kaum glauben, wie große Freude mir meine Toilette macht und wie lieb mir die Sorgfalt ist, die ich anwende, um mich zu verschönern! Wie freue ich mich auf den ersten Blick, den er auf mich wirft! Sein Auge mustert mich dann von oben bis unten und nimmt einen Ausdruck von Ekstase an, der mich bezaubert! Dann lobt er alle Einzelheiten und bewundert alle meine Anmut, nichts entgeht ihm, nicht die geringste kleinste Aufmerksamkeit, die ich ihm erweisen wollte. Manchmal ersucht er mich, auf und ab zu gehen, blickt mir freudestrahlend nach und schließt mich in seine Arme. Dann gibt er mir tausend zärtliche Kosenamen und ebensoviel Küsse, die ich ihm, das kann ich Ihnen versichern, Mama, alle wiedergebe. Und dann betrachtet er seine Lieblingsreize! … Du lieber Gott! wie schmeichelhaft ist es doch für eine Frau, wenn sie etwas so in den Himmel heben hört, worauf die anderen Männer fast gar nicht acht geben! Das deutet bei meinem Mann auf eine lebhafte und anbetende Leidenschaftlichkeit, wie sie es manchmal nennen! … Wenn ich wollte, würde er mir die niedrigsten Dienste leisten, aber ich werde mich hüten, so etwas zu verlangen! Ich habe nicht vergessen, was sie mir eines Tages gesagt haben. Ich verlasse mich nicht auf sein Übermaß von Liebe zu mir, sondern behandle den zuvorkommendsten und liebevollsten aller Männer, als ob er das Gegenteil davon wäre. Ich habe Ihre Ratschläge buchstäblich befolgt. Mein Mann weiß noch nicht, daß ich wirklich nur eine arme Sterbliche bin, die sich mit tausend kleinen unangenehmen Sachen abzufinden hat: alles Abstoßende verberge ich vor ihm mit einer Sorgfalt, als ob es sich um Verbrechen handelte. Nur ungern habe ich ihm erlaubt, in meinen Wehen bisweilen nach mir zu sehen, und auch dann habe ich mich noch zusammengenommen, und ein Lächeln begleitete die heftigsten Schmerzen, Dann zerfloß er in Tränen und küßte mir die Hände, worauf ich ihn fortschickte, um ihn erst im Augenblick der höchsten Freude wiederzusehen. Mama, ich habe die Erfahrung nun gemacht: ja, es ist wahr, daß man sich seinen Mann für sich selbst bewahrt, indem man alles aufbietet, um sich seine Liebe zu erhalten, und da die Liebe das höchste Gut ist, so bewahrt man sich das Glück! … Nun, liebe Mama, hast du dir meine Glückseligkeit so vorgestellt?«

»Doch, liebes Kind! … Denn dein Schicksal, das kann ich dir heute sagen, war das meinige. Vergöttert von deinem Vater, habe ich mein Glück darein gesetzt, das seinige zu begründen … .«

»Und zugleich auch unser aller Glück, Mama! .., Oh! Mama, ich fühle es wirklich, daß man bei Männern, die heftige und ganz bestimmte Neigungen haben … wie die meines guten Gatten, viel mehr Hilfsmittel hat, sie an sich zu fesseln! … Mit einiger Sorgfalt kann man sich diesen Zauber bis ins hohe Alter bewahren, er wird auch dann noch ihre Herzen höher schlagen lassen, wenn alle anderen Reize verschwunden sind.«

»Du hast recht, auch ich kann wohl sagen, daß ich darin noch so jung bin, wie vor fünfzehn Jahren.«

»Das sehe ich, Stiefmütterchen, Sie tragen Schuhe, wie ich, ich kann nicht den geringsten Unterschied daran bemerken.«

Saintepallaie unterbrach durch seinen Eintritt das Gespräch, er kam, seine Frau zu umarmen.

»Mama,« rief diese, »wir wollen uns verstecken und einen Versuch machen!« Sie hüllten sich in eine Gardine ein, die bis zum Fußboden herunterreichte und zeigten jede einen Fuß, Viktoria den rechten, ihre Mutter den linken, so daß beide einer Person anzugehören schienen.

»Lieber Freund,« sagte darauf Viktoria, »nun suche deine Frau«.

»Oh! die werde ich schon an dem verführerischen Gegenstand erkennen, den ich bemerke.«

»Nun also?«

»Ich bin in Verlegenheit! Doch ich werde mein Herz befragen, das wird mich besser führen, als die Augen. Er berührte den rechten Fuß und rief aus:

»Das ist mein Weib.«

»Er hat mich erkannt!«

»Ja, das Herz, aber die Augen ließen sich täuschen, liebe Freundin.«

Als sie sich aus der Gardine wieder herausgewickelt hatten, sagte Saintepallaie zu ihnen:

»Darf man wissen, warum ihr so kindliche Spiele treibt?«

»Nein, das ist Frauengeheimnis und bleibt unter uns!«

»Dann werde ich es achten.«

»Immerhin will ich dir eins gestehen: wir haben vorhin von den Mitteln gesprochen, die ich anwenden muß, um dir immer mehr zu gefallen und dich noch glücklicher zu machen, das ist unser Lieblingsgespräch. Ich habe Mama über meine Tätigkeit in diesem Sinne Bericht erstattet, und sie hat mich beglückwünscht weniger wegen des Wertes der Sorgfalt, die ich aber dabei entfalte, als wegen des Wertes, den dein liebenswürdiger Charakter meiner Tätigkeit beilegt. Sie sagte mir auch, daß es ihr mit ihrem Manne geradeso gegangen sei. Darüber haben wir Vergleiche angestellt, du hast uns unterbrochen, und ich wollte einen Versuch machen, der mir durchaus gelungen ist.«

»Ich danke Ihnen, Mama, für die freundlichen Dienste, die Sie uns stets erwiesen haben,« wandte sich darauf Saintepallaie an Madame de la Grange, ihr die Hand küssend, »und ich will Ihr Verdienst und Ihre Tugenden berühmt machen. Ich werde Ihre Geschichte und die unsrige an Herrn Retif de la Bretonne einwenden, die erste soll benannt werden: ›Die gute Stiefmutter‹, und die unsrige: ›Der schöne Fuß‹. Ganz Frankreich soll wissen, daß es auf der Erde eine Hortense und eine Viktoria gibt, die beide anbetungswürdig sind und beide von ihren Männern vergöttert werden!«