Der Patriach von Venedig erteilte mir die niederen Weihen. – Meine Bekanntschaften: Der Senator Malipiero; Teresa Imer, die Pfarrersnichte; Signora Drio; Nannetta and Martuccia; die Cavamacchie. – Ich werde Prediger. – Mein Erlebnis mit Lucia von Paseano. – Stelldichein im dritten Stock.

Er kommt von Padua, wo er studiert hat« – so lautete die Formel, mir der ich überall vorgestellt wurde und die mir flugs die schweigende Beobachtung meiner Standes= und Altersgenossen, die Komplimente aller Familienväter und die Liebkosungen aller alten Damen eintrug; es fanden sich auch mehrere Damen, die eigentlich noch nicht alt waren, aber sich in diesem Fall zu den alten rechneten, um mich in allen Ehren küssen zu können. Der Pfarrer von San Samuele, Tosello, teilte mich seiner Kirche zu und stellte mich dem Patriarchen von Venedig, Monsignore Correro, vor, der mir die Tonsur schnitt und vier Monade später, aus besonderer Gnade, mir die vier niederen Weihen erteilte. Die freudige Genugtuung meiner Großmutter war ungeheuer. Zunähst wurden nun gute Lehrer für mich gesucht, bei denen ich meine Studien fortsetzen konnte, und Herr Baffo wählte den Abbate Schiavo, um mich reines Italienisch schreiben zu lehren, besonders aber die Sprache der Poesie, für die ich eine ausgesprochene Vorliebe hatte. Ich hatte eine vorzügliche Wohnung mit meinem Bruder Francesco zusammen, den man Theaterarchitektur studieren ließ. Meine Schwester und mein jüngster Bruder wohnten bei der guten Großmutter in dem Hause, das ihr gehörte und in welchem sie sterben wollte, weil ihr Mann darin gestorben war. Das Haus, worin ich wohnte, war das Sterbehaus meines Vaters, für das meine Mutter noch immer die Miete bezahlte; es war groß und sehr gut eingerichtet.

Den Abbate Grimani sah ich nur sehr selten, obwohl er eigentlich mein Beschützer sein sollte; dagegen gewann ich engen Anschluß an Herrn von Malipiero, dem mich der Pfarrer Tosello vorgestellt hatte. Dies war ein Senator im Alter von siebzig Jahren, der mit den Staatsgeschäften nichts mehr zu tun haben wollte und in seinem Palazzo ein glückliches Leben führte; er aß gut und hatte allabendlich eine auserlesene Gesellschaft von Damen, die alle sich ihre schönen Jahre zunutze gemacht hatten, und von geistreichen Herren, die alles wußten, was in der Stadt geschah. Er war reich und unverheiratet, hatte aber das Unglück, jedes Jahr drei- oder viermal an heftigen Gichtanfällen zu leiden, die ihm bald dieses, bald jenes Glied lähmten, sodaß er am ganzen Leibe verkrüppelt war. Nur sein Kopf, seine Lungen und sein Magen waren von diesen bösen Anfällen verschont geblieben. Er war schön und ein Feinschmecker, der leckere Bissen zu schätzen wußte; er besaß seinen Witz, große Weltkenntnis, die Beredsamkeit des Venetianers und jene Lebensklugheit, die einem Senator unfehlbar verbleiben muß, der sich erst ins Privatleben zurückgezogen hat, nachdem er vierzig Jahre lang seinen Anteil an der Leitung der Staatsgeschäfte gehabt hat; der erst dann aufgehört hat, dem schönen Geschlecht zu huldigen, nachdem er zwanzig Geliebte gehabt hat und nachdem er sich selber eingestehen mußte, daß er keinen Anspruch mehr darauf erheben konnte, einer einzigen zu gefallen. Obwohl er fast gänzlich gelähmt war, sah man ihm doch das nicht an, wenn er saß, wenn er sprach oder wenn er tafelte. Er speiste täglich nur ein einziges Mal und stets allein; denn da er keine Zähne mehr hatte und sehr langsam aß, wollte er sich nicht aus Höflichkeit gegen seine Tischgäste übereilen, andererseits aber wäre es ihm peinlich gewesen, sie seinetwegen warten zu lassen. Dieses Zartgefühl beraubte ihn des Vergnügens, an seiner Tafel angenehme Gäste zu versammeln und mißfiel in hohem Grade seinem ausgezeichneten Koch.

Als der Pfarrer mir die Ehre erwies, mich Seiner Exzellenz vorzustellen, bekämpfte ich sehr lebhaft den Grund, der ihn veranlaßte, stets allein zu essen, indem ich ihm sagte, er brauche ja doch nur Leute einzuladen, die Appetit für zwei hätten.

»Aber wo diese finden?« fragte er.

»Die Sache ist allerdings heikel,« versetzte ich; »aber Eure Exzellenz müßten Ihre Gäste ausprobieren; nachdem Sie unter ihnen die gewünschten gefunden hätten, würde es sich nur darum handeln, sie sich für Ihre Zwecke zu erhalten, ohne daß sie etwas davon merkten; denn kein gut erzogener Mensch wäre damit einverstanden, daß man in der Gesellschaft ihm nachsagte, er habe nur darum die Ehre mit Eurer Exzellenz zu speisen, weil er doppelt soviel esse als ein anderer.«

Der Senator begriff die ganze Tragweite der von mir angeführten Gründe und fagte dem Pfarrer, er möge am nächsten Tage mit mir zum Essen kommen, und als er sah, daß ich in der Praxis noch stärker war als in der Theorie, machte er mich zu seinem täglichen Tischgenossen.

Nachdem er auf alles verzichtet hatte – nur nicht auf sein Ich – gab er sich trotz seinem Alter und seiner Gicht doch noch einer Liebesneigung hin. Er liebte ein junges Mädchen, Teresa Imer, die Tochter eines Schauspielers, die in einem Nebenhause seines Palazzos wohnte, so daß er von seinem Schlafzimmer aus ihre Fenster sehen konnte. Sie war damals siebzehn Jahre alt, hübsch, eigensinnig und kokett. Sie studierte Gesang, da sie späterhin auf der Bühne aufzutreten gedachte; indem sie sich fortwährend an ihrem Fenster zeigte, hatte sie den Greis berauscht; aber sie war grausam gegen ihn. Freilich kam Teresa jeden Tag zu ihm zum Besuch, aber stets nur in Begleitung ihrer Mutter, einer alten Schauspielerin, die sich, um ihre Seele zu retten, vom Theater zurückgezogen und den sehr begreiflichen frommen Plan gefaßt hatte, die Anforderungen des Himmels mit den Werken dieser Welt zu vereinbaren. Sie führte ihre Tochter täglich in die Messe und verlangte von ihr, daß sie jede Woche einmal zur Beichte gehe; aber jeden Nachmittag ging sie mit ihr zu dem verliebten alten Herrn, dessen Wut schrecklich anzusehen war, als sie ihm einmal einen Kuß abschlug unter dem Vorwande, sie habe am Morgen das heilige Abendmahl genommen und sie könne sich nicht entschließen, denselben Gott zu beleidigen, den sie vielleicht noch in ihrem Leibe habe.

Welch ein Anblick für mich fünfzehnjährigen Jungen, den einzigen, den der alte Herr als schweigenden Zeugen zu diesen erotischen Szenen zuließ! Die elende Mutter lobte den Widerstand des jungen Mädchens und wagte sogar den Greis abzukanzeln, der seinerseits auf ihre allzu christlichen oder vielleicht ganz unchristlichen Redensarten nichts zu antworten wagte, obgleich er gewiß nur mit Mühe der Versuchung widerstand, ihr den ersten besten Gegenstand an den Kopf zu werfen. War er bei diesem Zustand ratloser Hilflosigkeit angelangt, so gewann der Zorn die Oberhand über die Begierde, und sobald die Frauenzimmer fort waren, erleichterte er sein Herz, indem er sich mit mir in philosophischen Betrachtungen erging.

Da ich doch antworten mußte, aber nicht wußte, was ich ihm sagen sollte, verfiel ich eines Tages darauf, ihm eine Heirat vorzuschlagen. Zu meinem größten Erstaunen erwiderte er mir, sie wolle ihn nicht heiraten, weil sie den Haß seiner Verwandten fürchte.

»So bieten Sie ihr eine große Summe, eine Versorgung für Lebenszeit.«

»Sie sagt, sie würde nicht um eine Krone eine Todsünde begehen.«

»Sie müssen sie mit Sturm nehmen oder sie aus dem Hause jagen, aus ihrer Gegenwart verbannen.«

»Ich kann es nicht; zum einen fehlt mir die körperliche Kraft, zum andern der moralische Mut.«

»Töten Sie sie!«

»Dazu wird es auch noch kommen, falls ich nicht vorher sterbe.«

»Eure Exzellenz sind wirklich zu beklagen!«

»Besuchst du sie zuweilen?«

»Nein; denn ich könnte mich in sie verlieben, und das würde mich unglücklich machen.«

»Du hast recht.«

Nachdem ich solche Szenen miterlebt hatte und mit solchen Gesprächen beehrt worden war, wurde ich ein Günstling des vornehmen Herrn. Er gestattete mir Zutritt zu seinen Abendgesellschaften, die, wie ich schon erwähnte, aus älteren Damen und geistreichen Herren Bestand. Er sagte mir, in diesem Kreise würde ich viel größere Weißheit lernen, als aus Gassendis Philosophie, die ich damals auf seinen Rat studierte, statt der aristotelischen, die er lächerlich fand. Er gab mir Lehren, die ich, wie er sagte, unbedingt beobachten müßte, um in dieser Gesellschaft verkehren zu können, die sich sehr wundern würden, daß er einen Jüngling von meinem Alter zuließe. Er wies mich an, nur dann zu sprechen, wenn ich auf direkte Fragen antworten müßte, und vor allen Dingen niemals meine Meinung über irgend etwas auszusprechen; denn in meinem Alter dürfe man noch keine eigene Meinung haben.

Seinen Lehren getreu und seinen Befehlen gehorsam brauchte ich nur wenige Tage, um mir seine Achtung zu erwerben und von allen Damen, die bei ihm verkehrten, als Kind vom Hause behandelt zu werden. Als unbedeutender junger Abbate mußte ich sie begleiten, wenn sie in den Sprechzimmern der Klöster ihre dort als Pensionärinnen untergebrachten Töchter oder Nichten besuchten. Unangemeldet kam ich zu jeder Stunde des Tages; man schalt mich aus, wenn ich mich mal eine Woche lang nicht hatte sehen lassen; wenn ich in die Zimmer der jungen Mädchen trat, liefen diese davon; sobald sie aber sahen, daß nur ich es war, kamen sie wieder; dieses Zutrauen fand ich reizend.

Vor dem Essen machte Herr von Malipiero sich oft das Vergnügen, mich zu fragen, was für Angenehmes oder Interessantes ich bei den Damen unserer Bekanntschaft gefunden hätte; bevor ich jedoch antworten konnte, sagte er mir, sie seien alle die Tugend selbst, und man würde einen sehr schlechten Begriff von mir bekommen, wenn ich jemals etwas erzählte, was nicht mit dem guten Ruf übereinstimmte, in dem sie ständen. Durch solche Andeutungen gab er mir die weise Lehre der Verschwiegenheit.

Bei diesem Senator machte ich die Bekanntschaft der Signora Manzoni, Frau eines öffentlichen Notars, von der ich noch werde zu sprechen haben. Diese würdige Dame flößte mir die größte Zuneigung ein und gab mir sehr vernünftige Lehren und Ratschläge; hätte ich darauf gehört und sie befolgt, so wäre mein Leben nicht so stürmisch gewesen; aber dann würde ich andererseits es heute nicht der Mühe wert finden, es zu beschreiben.

So viele schöne Bekanntschaften mit Damen der sogenannten großen Welt erweckten in mir eine Neigung durch meine Erscheinung und ein elegantes Äußeres gefallen zu wollen. Dies paßte aber meinem Pfarrer nicht, und bei dieser Gelegenheit war meine gute Großmama mit ihm einig. Eines Tages nahm er mich beiseite und sagte mir mit honigsüßen Worten, in dem Stande, den ich mir erwählt habe, müsse ich daran denken, dem lieben Gott durch mein Herz und nicht der Welt durch mein Gesicht zu gefallen. Er tadelte meine allzu sorgfältig gepflegte Frisur und den zu feinen Duft meiner Pomade. Er sagte mir, der Teufel habe mich an den Haaren gepackt, ich werde exkommuniziert, wenn ich fortfahre, sie so zu pflegen, und schließlich führte er die Worte eines Ökumenischen Konzils an: Clericus, qui nutrit comam, anathema sit. – Der Geistliche, der sein Haar pflegt, sei verdammt. Zur Antwort zitierte ich ihm das Beispiel von hundert nach Moschus duftenden Abbaten, die man keineswegs als exkommuniziert betrachte, sondern vollkommen in Ruhe lasse, obwohl sie viermal soviel Puder brauchten als ich, der ich mich nur ganz leicht einstäubte; die eine Ambrapomade verwendeten, von der die Damen ohnmächtig würden, während meine Jasminpomade mir in allen Gesellschaften, die ich besuchte, Komplimente eintrüge. Ich schloß mit den Worten: es tue mir leid, ihm nicht gehorchen zu können; wenn ich in Schmutz und Unsauberkeit hätte leben wollen, so wäre ich Kapuziner geworden und nicht Abbate.

Meine Antwort hatte ihn ohne Zweifel sehr wütend gemacht, denn drei oder vier Tage darauf überredete er meine Großmutter, ihn am Morgen, als ich noch schlief, in mein Schlafzimmer eintreten zu lassen. Der rachsüchtige oder fanatische Priester schlich sich leise an mein Bett und schnitt mit einer scharfen Schere mir unbarmherzig alle Haare des Vorderkopfes von einem Ohr zum andern ab. Mein Bruder Francesco, der im Nebenzimmer war, sah es, sagte aber nichts, freute sich vielmehr, da er selber eine Perücke trug und auf meine schönen Haare eifersüchtig war. Er ist sein ganzes Leben lang ein Neidhammel gewesen, obwohl – für mich unbegreiflich – der Neid bei ihm die Freundschaft nicht ausschloß. Sein Laster muß, wie alle die meinen, heutigestags an Altersschwäche gestorben sein.

Nach dieser Heldentat entfernte sich der Pfarrer mit ganz unschuldiger Miene. Als ich aber kurz nachher erwachte und mit meinen Händen mich von der ganzen Gräßlichkeit der unerhörten Gewalttat überzeugte, da war ich außer mir vor Zorn und Entrüstung.

Welche Rachepläne wälzte ich in meinem Herzen, als ich in einem Handspiegel sah, in was für einen Zustand der freche Priester mich versetzt hatte! Auf den Lärm, den ich schlug, lief meine Großmutter herzu, und während mein Bruder lachte, versicherte mir die gute Alte, wenn sie von den Absichten des Pfarrers nur eine Ahnung gehabt, so hätte sie sich wohl gehütet, ihn hereinzulassen. Endlich gelang es ihr, mich ein wenig zu beruhigen, indem sie mir zugab, daß der Priester die Grenzen einer erlaubten Züchtigung überschritten habe.

Entschlossen, mich zu rächen, brütete ich beim Ankleiden über hundert schwarzen Plänen. Mir dünkte, ich hätte das Recht, mich blutig zu rächen, und kein Gesetz könnte mir dafür etwas anhaben. Da die Theater geöffnet waren, ging ich in Maske aus und begab mich zum Advokaten Carrara, den ich im Haufe des Senators kennengelernt hatte. Ich fragte ihn, ob ich den Pfarrer gerichtlich belangen könnte, und er sagte mir, vor kurzer Zeit sei eine ganze Familie zugrunde gerichtet, weil einem Slavonier der Schnurrbart abgeschnitten worden, und ein Bart sei doch viel weniger als eine ganze Kopffrisur. Wenn ich dem Pfarrer einen Prozeß anhängen wollte, bei dem ihm nicht wohl sein würde, so brauchte ich nur zu befehlen. Ich erklärte mich einverstanden und bat ihn, am Abend Herrn von Malipiero zu sagen, warum ich nicht kommen könnte; denn natürlich konnte ich mich nicht eher sehen lassen, als bis meine Haare wieder gewachsen waren.

Ich ging nach Hause, um mit meinem Bruder eine Mahlzeit einzunehmen, die im Vergleich mit der Tafel des alten Senators sehr dürftig war. Die Entbehrung der seinen Kost, an die Seine Exzellenz mich gewöhnt hatte, war auch eine von den empfindlichsten Folgen, die der Racheakt des Pfarrers – der noch dazu mein Taufpate war – für mich zu bedeuten hatte. Ich weinte vor Verdruß bittere Tränen, und ich war um so verdrießlicher, da ich wohl fühlte, daß der mir angetane Schimpf etwas Komisches an sich hatte, das mich lächerlich machte; und dies entehrte mich in meinen Augen mehr als ein Verbrechen.

Ich ging früh zu Bett und ein guter zehnstündiger Schlaf erfrischte mich; ich war nicht mehr so leidenschaftlich, aber doch nicht weniger fest entschlossen, den Pfarrer gerichtlich zu verfolgen.

Ich war gerade dabei mich anzuziehen, um zu meinem Advokaten zu gehen und mir die Klageschrift zeigen lassen, da sah ich einen geschickten Friseur eintreten, den ich bei Frau Contarini kennengelernt hatte. Er sagte mir, Herr von Malipiero schicke ihn, um mich so zu frisieren, daß ich ausgehen könne, denn er wünsche mich noch am selben Tage bei sich zu Tische zu sehen. Nachdem er sich den Schaden angesehen hatte, fing er an zu lachen und sagte zu mir, ich solle ihn nur machen lassen, er werde mich so herrichten, daß ich noch eleganter wäre als zuvor und daher ausgehen könnte. Und nachdem er mein Haar en vergette geordnet hatte, fand ich mich wirklich so gut aussehend, daß ich mich für gerächt hielt.

Da ich nun nicht mehr an die Beleidigung dachte, so ging ich beim Advokaten vor und sagte ihm, er solle keine Verfolgung einleiten; dann eilte ich zu Herrn Malipiero, wo ich zufällig den Pfarrer traf, dem ich trotz meiner Freude doch unwillkürlich einen sehr wenig freundschaftlichen Blick zuwarf. Über die Geschichte wurde kein Wort gesprochen, der Senator beobachtete schweigend, und der Pfarrer entfernte sich schließlich; ohne Zweifel tat ihm sein Vorgehen sehr leid, denn jetzt verdiente ich wirklich die Exkommunikation für meine äußerst kokette Haartracht.

Als mein böser Pate fort war, nahm ich kein Blatt vor den Mund; ich erklärte Herrn von Malipiero rund heraus, ich würde mir eine andere Kirche suchen, denn ich wollte mit einem so jähzornigen und zu solchen Exzessen neigenden Menschen nichts mehr zu tun haben. Der weise, alte Herr sagte mir, ich hätte recht; das war das Mittel, um mich zu allem zu bringen, was er wünschte. Am Abend überhäufte die Gesellschaft, die die ganze Geschichte kannte, mich mit Komplimenten; man versicherte mir, ich sähe ganz entzückend hübsch aus. Ich war wie im Taumel, und meine freudige Stimmung hielt an, als seit dem Vorfall schon etwa vierzehn Tage vergangen waren und Herr von Malipiero immer noch kein Wort davon gesagt hatte, ich solle wieder in meine Kirche gehen. Nur meine Großmutter sagte mir unaufhörlich, ich müßte wieder hingehen. Aber dies war nur eine Ruhe vor dem Sturm, denn in einem Augenblick, wo ich ganz unbesorgt war, versetzte Herr von Malipiero mich in hohes Erstaunen, indem er mir sagte, es biete sich die Gelegenheit, wieder zu meiner Kirche zurückzukehren und zugleich vom Pfarrer eine glänzende Genugtuung zu erlangen.

»Ich habe«, sagte der Senator, »in meiner Eigenschaft als Präsident der Brüderschaft vom Heiligen Sakrament den Prediger zu wählen, der am vierten Sonntag dieses Monats – der dieses Jahr grade auf den zweiten Weihnachtsfeiertag fällt – die Festpredigt hält. Nun werde ich dich vorschlagen, und ich bin sicher, daß er es nicht wagen wird, dich abzulehnen. Was sagst du zu solchem Triumph? Scheint er dir nicht schön?«

Ich war über diesen Vorschlag ungeheuer überrascht, denn es war mir noch niemals in den Sinn gekommen, zu predigen, und ich hätte mich niemals für fähig gehalten, eine Predigt zu verfassen und vorzutragen. Ich sagte, er spaße gewiß; als er mir aber antwortete, er spreche in vollem Ernst, da bedurfte es nur eines Augenblicks, um mich zu überreden und mich zum Glauben zu bringen, es sei mir bestimmt, der berühmteste Prediger des Jahrhunderts zu werden, sobald ich nur auch fett genug wäre – denn von dieser Eigenschaft war ich noch weit entfernt, da ich damals sehr mager war. Ich bezweifelte nicht, daß meine Stimme und Gestikulation allen Ansprüchen genügen würden, und hinsichtlich der Abfassung der Predigt fühlte ich mich imstande, leicht ein Meisterwerk hervorzubringen.

Ich antwortete Herrn von Malipiero, ich sei bereit und es drängte mich, sofort nach Hause zu eilen, um ans Werk zu gehen; wäre ich auch kein Theologe, so beherrschte ich doch den Stoff und ich würde Überraschendes und Neues sagen.

Als ich am nächsten Tage den edlen Herrn wiedersah, teilte er mir sofort mit, der Pfarrer sei entzückt gewesen über seine Wahl und noch mehr über meine Bereitwilligkeit, den Auftrag anzunehmen; er verlange jedoch, daß ich ihm meine Festpredigt vorlege, sobald ich sie fertig hätte; denn da es sich um die höchsten theologischen Fragen handle, so könne er mir nur dann erlauben, die Kanzel zu besteigen, wenn er sicher sei, daß ich keine Ketzereien vorbringen werde. Ich erklärte mich hiermit einverstanden, und im Laufe der Woche arbeitete ich meine Predigt aus und schrieb sie ins reine. Ich besitze sie noch jetzt und muß erklären, daß ich sie noch immer ausgezeichnet finde, obgleich sie eine Jugendarbeit war.

Unbeschreiblich war die Freude meiner guten Großmutter; sie weinte vor Glück, ihr Enkelkind als Apostel zu sehen. Sie bat mich, ihr meine Predigt vorzulesen, und hörte sie an, indem sie ihren Rosenkranz abbetete; sie fand sie sehr schön. Herr von Malipiero dagegen, der beim Zuhören keinen Rosenkranz gebetet hatte, erklärte mir, die Predigt werde dem Pfarrer nicht gefallen. Ich hatte mein Thema dem Horaz entnommen:

Ploravere suis non respondere favorem
Speratum meritis.

Daß die erhoffte Gunst nicht ihren Verdiensten entspreche,
Jammerte sie.

Ich beklagte die Bosheit und Undankbarkeit des Menschengeschlechtes, wodurch es die Absicht der göttlichen Weisheit, es zu erlösen, zuschanden gemacht habe. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn ich meinen Text nicht einem Heiden entnommen hätte; im übrigen freute es ihn sehr, daß meine Predigt nicht mit lateinischen Zitaten gespickt war.

Ich begab mich zum Pfarrer, um ihm meine Arbeit vorzulesen; da ich ihn aber nicht zu Hause traf und auf ihn warten wollte, so unterhielt ich mich mit seiner Nichte Angela und verliebte mich in sie. Sie arbeitete an einem Stickrahmen und sagte mir, als ich mich zu ihr setzte, sie möchte mich gerne kennen lernen, und es würde ihr Spaß machen, wenn ich ihr die Geschichte von dem Haarschopf erzählen wollte, den ihr ehrwürdiger Onkel mir abgeschnitten hätte.

Meine Liebe zu Angela wurde für mich verhängnisvoll; denn sie wurde der Anlaß zu zwei anderen Liebschaften, die wieder zu vielen, vielen anderen führten und schließlich mich dahin brachten, den geistlichen Stand aufzugeben. Aber wir wollen gemächlich weitererzählen und nicht dem Gang der Ereignisse vorgreifen.

Als der Pfarrer nach Hause kam, fand er mich in Gesellschaft seiner mir gleichaltrigen Nichte, und das schien ihm nicht unangenehm zu sein. Ich übergab ihm meine Predigt, er las sie und sagte, sie sei eine sehr hübsche akademische Redeübung, aber für die Kanzel ganz ungeeignet. »Ich werde Ihnen«, fuhr er fort, »eine von mir verfaßte geben, die niemand kennt; Sie werden sie auswendig lernen, und ich verspreche Ihnen, zu sagen, daß sie von Ihnen verfaßt sei.«

»Ich danke Ihnen, hochwürdigster Vater, aber ich will eigenes Geisteserzeugnis geben oder gar nichts.«

»Aber in meiner Kirche werden Sie diese Predigt nicht halten!«

»Darüber müssen Sie mit Herrn von Malipiero sprechen. Untere dessen werde ich meine Arbeit zum Zensor tragen und von da zu Seiner Gnaden dem Patriarchen; und wenn man sie da ablehnt, werde ich sie drucken lassen.«

»Kommen Sie zu mir, junger Mann! Der Patriarch wird meiner Meinung beipflichten.«

Am Abend bei Herrn von Malipiero erzählte ich vor versammelter Gesellschaft meinen Streit mit dem Pfarrer. Man bat mich, meine Festpredigt vorzulesen, und ich erntete allgemeines Lob. Man lobte meine Bescheidenheit, daß ich keine Kirchenväter zitierte, die ich in meinem jugendlichen Alter noch nicht kennen durfte; besonders aber die Frauen fanden es wundervoll, daß in meiner Predigt kein anderer lateinischer Satz vorkomme als das Textwort von Horaz, der zwar ein großer Wüstling gewesen sei, aber oft sehr gute Bemerkungen gemacht habe. Eine Nichte des Patriarchen, die an diesem Abend zufällig anwesend war, versprach mir, mit ihrem Oheim zu sprechen, an den ich zu appellieren gedachte. Herr von Malipiero sagte mir jedoch, ich möchte am nächsten Tage, ehe ich etwas unternähme, mich erst mit ihm darüber besprechen. Ich gehorchte.

Als ich am nächsten Morgen bei ihm war, ließ er den Pfarrer holen, der unverzüglich erschien. Da er wußte, worum es sich handelte, begann er sofort eine lange Rede, in der ich ihn nicht unterbrach. Sobald er aber mit seinen Einwendungen fertig war, machte ich der Sache ein Ende, indem ich sagte: »Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder genehmigt der Patriarch meine Predigt, die ich ihm von A bis Z vorlesen werde, oder er genehmigt sie nicht. Im ersteren Falle werde ich sie in der Kirche halten, ohne daß Sie irgendeine Verantwortlichkeit trifft; im anderen Falle werde ich mich fügen.«

Betroffen über meine Entschlossenheit sagte der Pfarrer: »Gehen Sie nicht hin; ich genehmige die Predigt; ich bitte Sie nur das Textwort zu ändern; denn Horaz war ein Sünder.«

»Warum zitieren Sie Seneca, Tertullian, Origenes, Boetius? Sie alle waren Ketzer und müssen Ihnen folglich viel verabscheuungswürdiger erscheinen als Horaz, der nun doch einmal kein Christ sein konnte.«

Da ich jedoch merkte, daß ich Herrn von Malipiero einen Gefallen damit tun würde, willigte ich schließlich ein, statt meines Textwortes ein anderes zu setzen, das mir der Pfarrer gab, obwohl dieses gar nicht zum Inhalt paßte. Um einen Vorwand zu haben, seine Nichte zu sehen, übergab ich ihm meine Predigt, indem ich sagte, ich würde sie am anderen Tage wieder abholen. Aus Eitelkeit sandte ich dem Doktor Gozzi eine Abschrift, aber der wackere Mann machte mich recht herzlich lachen, als er mir die Predigt zurückschickte und durch den Überbringer sagen ließ: ich müßte verrückt geworden sein; wenn man mir erlaubte, diese Rede von der Kanzel herab zu halten, so würde ich mich und meinen Lehrer entehren.

Sein Urteil focht mich nicht an, und am festgesetzten Tage hielt ich meine Festrede in der Kirche zum Heiligen Sakrament vor einer höchst erlesenen Zuhörerschaft. Ich fand allgemeinen Beifall, und jedermann glaubte mir prophezeien zu können, daß ich der erste Prediger des Jahrhunderts zu werden bestimmt sei; denn im Alter von fünfzehn Jahren hätte noch niemand seine Sache so gut gemacht wie ich.

In dem Beutel, in den man eine Gabe für den Prediger zu legen pflegt, fand der Sakristan, der ihn ausleerte, mehr als fünfzig Zechinen und eine Anzahl Liebesbriefe, woran die Frommen großes Ärgernis nahmen. Ein anonymes Briefchen, deren Verfasserin ich zu erraten glaubte, veranlagte mich zu einem Mißgriff, den ich wohl mit Stillschweigen übergehen darf. – Diese reiche Ernte in der großen Geldnot, in der ich mich befand, ließ mich allen Ernstes daran denken, Prediger zu werden, und ich teilte meinen Entschluß dem Pfarrer mit, indem ich ihn um seine Unterstützung bat. Dies verschaffte mir das Recht, ihn jeden Tag zu besuchen, und ich machte es mir zunutze, um mich mit Angela zu unterhalten, in die ich mich mit jedem Tage mehr verliebte. Aber Angela war vernünftig; es war ihr wohl recht, daß ich sie liebte, aber sie wünschte auch, daß ich aus dem geistlichen Stande austräte und sie heiratete. Hierzu konnte ich mich trotz meiner Neigung zu ihr nicht entschließen; trotzdem setzte ich meine Besuche fort in der Hoffnung, sie doch noch umzustimmen.

Eines Tages beauftragte mich der Pfarrer, der schließlich doch an meiner ersten Predigt Geschmack gefunden hatte, eine zweite für den Josefstag zu machen und sie am 19. März 1741 zu halten. Ich machte die Predigt, und der gute Pfarrer sprach nur noch mit Begeisterung davon; aber es stand geschrieben, daß ich nur ein einziges Mal in meinem Leben predigen sollte. Folgendermaßen trug sich diese grausame Geschichte zu, die leider nur zu wahr ist und die man schnöderweise auch noch komisch findet.

Jung und von mir eingenommen, wie ich war, glaubte ich, ich brauchte mir keine große Mühe zu machen, um meine Predigt auswendig zu lernen.

Ich war der Verfasser, ich hatte den Gedankengang im Kopf und es schien mir einfach unmöglich zu sein, daß ich diesen vergessen könnte. Es mochte vorkommen, daß dieser oder jener Satz mir nicht einfallen wollte, aber es stand bei mir, einen anderen gleichbedeutenden dafür einzusetzen; wie es mir niemals passierte, daß ich das rechte Wort nicht finden konnte, wenn ich in guter Gesellschaft etwas zu sagen hatte, so hielt ich es auch für unwahrscheinlich, daß ich vor einer Zuhörerschaft würde verstummen müssen, in der ich niemanden kannte, der mich hätte einschüchtern oder mir plötzlich den Faden der Gedanken hätte abschneiden können. Ich vergnügte mich also auf meine gewohnte Art und tat nichts weiter, als daß ich jeden Morgen und jeden Abend meine Predigt überlas, um sie recht fest meinem Gedächtnis einzuprägen, das mir bis dahin noch niemals Anlaß zur Klage gegeben hatte.

So kam der 19. März heran, der Tag, an dem ich nachmittags um vier Uhr die Kanzel besteigen sollte. In der Stimmung, in der ich mich befand, vermochte ich mir leider das Vergnügen nicht zu versagen, beim Grafen Monte Reale zu speisen. Er wohnte in meinem Hause und hatte den Patrizier Barozzi eingeladen, der gleich nach Ostern seine Tochter heiraten sollte.

Ich saß noch mit der ganzen schönen Gesellschaft bei Tisch, als ein Kirchendiener kam und mir sagte, man erwarte mich in der Sakristei. Mit vollem Magen und erhitztem Kopf verabschiede ich mich, laufe in die Kirche und besteige die Kanzel.

Die Einleitung sagte ich sehr gut her, dann machte ich eine Pause; kaum aber habe ich die ersten Sätze von der Ausführung meines Themas gesprochen, so weiß ich nicht mehr, was ich sage, und auch nicht mehr, was ich sagen soll. Ich will nuch mit Gewalt zum Fortfahren zwingen.

Was mich gänzlich aus der Fassung brachte, war ein verworrenes Murmeln in der ganzen unruhigen Zuhörerschaft, in der ein jeder mein Mißgeschick bemerkt hatte. Ich sah mehrere die Kirche verlassen, ich glaubte lachen zu hören, ich verlor den Kopf und die Hoffnung, mich mit Anstand aus der Klemme zu ziehen.

Es wäre mir unmöglich zu sagen, ob ich nur eine Ohnmacht heuchelte, oder ob ich wirklich ohnmächtig wurde. Ich weiß nur so viel, daß ich mich auf den Boden der Kanzel niedersinken ließ und dabei heftig mit dem Kopf gegen die Wand anschlug. Ich hätte sterben mögen.

Zwei Kirchendiener kamen herbei und trugen mich in die Sakristei; ohne einem Menschen ein Wort zu sagen, nahm ich meinen Mantel und meinen Hut, ging nach Hause und schloß mich in meinem Zimmer ein. Dort zog ich einen kurzen Rock an, wie ihn die Geistlichen auf dem Lande tragen, packte meine Sachen in ein Köfferchen und ging zu meiner Großmutter, die ich um Geld bat. Dann reiste ich nach Padua, um mein drittes Examen zu machen. Um Mitternacht kam ich dort an und nahm Nachtquartier beim guten Doktor Gozzi; von meinem unglückseligen Erlebnis ihm etwas mitzuteilen, fühlte ich mich nicht versucht.

Ich verbrachte in Padua die erforderliche Zeit, um mich auf mein Doktorat für das folgende Jahr vorzubereiten, und nach dem Osterfest kehrte ich nach Venedig zurück, wo ich mein Unglück vergessen fand; es war aber nicht mehr davon die Rede, mich predigen zu lassen, oder wenn man doch noch Versuche machte, mich dazu zu überreden, so war ich standhaft genug, an meinem Entschluß festzuhalten, diesen Beruf endgültig aufzugeben.

Am Tage vor Himmelfahrt stellte Herr Manzoni mich einer jungen Kurtisane vor, die damals in Venedig großes Aufsehen machte; man nannte sie die Cavamacchie, weil ihr Vater Fleckausmacher gewesen war. Da dieser Name sie demütigte, wollte sie nach ihrem Familiennamen Preati genannt werden – aber vergeblich: ihre Freunde begnügten sich damit, sie mit ihrem Taufnamen Giulietta zu rufen. Diese junge Person war durch einen parmesanischen Edelmann berühmt gemacht worden, den Marchese Sanvitali, der ihr als Preis ihrer Huldbezeugungen hunderttausend Dukaten bezahlt hatte. Man sprach in Venedig überall nur von der Schönheit dieses Mädchens, und es gehörte zum guten Ton, sie zu besuchen. Man schätzte sich glücklich, mit ihr sprechen zu dürfen, besonders wenn man zu ihrem engeren Verkehrskreise zugelassen wurde. Da ich im Verlauf dieser Geschichte mehrmals von ihr zu sprechen haben werde, so wird es dem Leser, denke ich, nicht unangenehm sein, etwas Näheres über sie zu hören.

Eines Tages wurde Giulietta, als sie erst vierzehn Iahre alt war, von ihrem Vater ausgeschickt, um einem venetianischen Nobile, Marco Muazzo, einen von ihm entfleckten Rock zu bringen. Der Nobile fand sie schön trotz ihrer Lumpen und ging, um sie sich näher anzusehen, zu ihrem Vater in Begleitung eines berühmten Advokaten, namens Bastiano Uccelli; dieser war noch mehr erstaunt über den romantischen und ausgelassenen Geist Giuliettas, als von ihrer Schönheit und herrlichen Gestalt eingenommen; er richtete ihr eine Wohnung ein, gab ihr einen Musiklehrer und machte sie zu seiner Geliebten. Zur Zeit der Jahresmesse führte Bastiano sie nach allen öffentlichen Orten, wo sie alle Blicke auf sich lenkte und von allen Kennern bewundert wurde. Sie machte ziemlich rasche Fortschritte im Gesang und glaubte nach sechs Monaten weit genug ausgebildet zu sein, um einen Vertrag mit einem Theaterunternehmer abschließen zu können, der sie nach Wien brachte, wo sie in einer Oper Metastasios eine Kastratenrolle spielen sollte.

Jetzt glaubte der Advokat sie aufgeben zu sollen; er trat sie einem reichen Juden ab, der sich ebenfalls bald von ihr lossagte, nachdem er ihr schöne Diamanten geschenkt hatte.

In Wien erschien Giulietta auf der Bühne, und ihre Schönheit erwarb ihr einen Beifall, den ihre recht mittelmäßigen Talente ihr niemals hätten eintragen können. Da jedoch die Menge von Anbetern, die diesem Götzenbilde opfern wollte und sich jede Woche erneuerte, ihre Heldentaten zu auffällig machte, so glaubte die erhabene Maria Theresia diesen neuen Kultus in ihrer Hauptstadt nicht dulden zu dürfen und ließ der schönen Schauspielerin bedeuten, sie habe Wien unverzüglich zu verlassen.

Graf Spada bemächtigte sich ihrer und führte sie nach Venedig zurück, von wo sie sich nach Parma begab, um in der dortigen Oper zu singen. Hier entflammte sie den Marchese Sanvitali; eines Abends jedoch fand die Marchesa sie in ihrer Loge und gab ihr infolge irgendeiner unpassenden Bemerkung eine tüchtige Ohrfeige. Infolgedessen verzichtete Giulietta auf die Bühne. Sie kam jetzt nach Venedig zurück, wo sie dank ihrer Ausweisung aus Wien nicht ermangeln konnte, ihr Glück zu machen. Diese Ausweisung war für Künstlerinnen und dergleichen Damen eine sehr beliebte Auszeichnung geworden; denn wenn man eine Sängerin oder eine Tänzerin herabsetzen wollte, sagte man von ihr, man habe sie nicht hoch genug geschätzt, um sie aus Wien auszuweisen.

Steffano Querini di Papozze wurde zunächst ihr offizieller Liebhaber; aber im Frühjahr 1740 erschien der Marchese Sanvitali von neuem auf dem Kampfplatz und schlug den anderen aus dem Felde. Wie hätte man auch diesem Marchese widerstehen können! Er begann damit, seiner Schönen hunderttausend Dukaten Kurant zum Geschenk zu machen, und damit man dies nicht als Schwachheit und tolle Verschwendung auslegte, sagte er, die Summe reiche kaum hin, Giulietta für die von seiner Frau empfangene Ohrfeige zu entschädigen. Ubrigens hat die Beleidigte niemals diese Beschimpfung eingestehen wollen, denn sie fühlte, daß solches Eingeständnis sie erniedrigt hätte; sie zog es vor, die Gabe ausschließlich der Großmut ihres Liebhabers zuzuschreiben. Sie hatte recht: eine eingestandene Ohrfeige wäre ein Makel auf ihren Reizen gewesen, und sie fand ihre Rechnung besser dabei, indem sie dieselben nach ihrem inneren Werte schätzen ließ.

Im Iahre 1741 also stellte Herr Manzoni mich dieser neuen Phryne vor, als einen jungen Abbate, der sich einen Namen zu machen begänne. Ich fand sie inmitten von sieben oder acht Kurmachern, die ihr ihren Weihrauch darbrachten. Sie saß in nachlässiger Haltung neben Querini auf einem Sofa. Ihre Erscheinung überraschte mich. Sie betrachtete mich vom Kopf bis zu den Füßen, wie wenn ich zum Verkauf dastände, und sagte mir dann im Tone einer Prinzessin, es sei ihr nicht unangenehm, meine Bekanntschaft zu machen; hierauf lud sie mich ein, Platz zu nehmen. Jetzt kam die Reihe an mich, und ich besah sie mir sorgfältig und in aller Gemächlichkeit, was ich um so besser tun konnte, da der nur kleine Salon von mindestens zwanzig Kerzen erleuchtet war.

Giulietta war achtzehn Iahre alt; ihre Haut war blendendweiß, aber der rosige Anhauch ihrer Wangen, das Purpurrot ihrer Lippen, die Schwärze und die schön gewölbte und sehr schmale Schwingung ihrer Augenbrauen schienen mir mehr das Werk der Kunst als der Natur zu sein. Ihre Zähne waren wie zwei Perlenreihen und so schön, daß man darüber vergaß, daß ihr Mund vielleicht etwas zu groß war. Sie schien immer zu lächeln; vielleicht war dies Natur, vielleicht Angewöhnung. Ihr mit einem leichten Schleier bedeckter Busen schien die Liebesgötter einzuladen; doch ich widerstand ihren Reizen. Ihre Armbänder und die Ringe, mit denen ihre Finger überladen waren, verhinderten mich nicht, ihre Hand zu groß und zu fleischig zu finden; und obgleich fie sorgfältig ihre Füße verbarg, so genügte doch ein verräterischer Pantoffel, der unter ihrem Rock hervorsah, um mir zu zeigen, daß sie im entsprechenden Verhältnis zu der Höhe ihres Wuchses standen; dieses aber ist ein unangenehmes Verhältnis, das nicht nur Chinesen und Spaniern, sondern überhaupt allen Männern von verfeinertem Geschmack mißfällt. Man verlangt von einer großen Frau, daß sie einen kleinen Fuß habe, und dieser Geschmack ist durchaus nicht neu, denn schon Herr Holofernes hatte ihn, der sonst Dame Iudith nicht so reizend gefunden haben würde: et sandalia ejus rapuerunt oculos ejus. Im großen und ganzen fand ich sie schön; aber nachdem ich alle Einzelheiten betrachtet hatte und ihre Schönheit mit den hunderttausend Dukaten verglich, die dafür bezahlt worden waren, fand ich zu meinem Erstaunen, daß ich völlig kühl blieb und nicht die geringste Versuchung fühlte, auch nur eine einzige Zechine auszugeben, um auch jene Reize sehen zu können, die ihre Kleider meinen Blicken verbargen.

Ich war kaum eine Viertelstunde da, als das Geräusch von Ruderschlägen vom Wasser her die Ankunft des verschwenderischen Marchese verkündigte. Wir standen auf, und Herr Querini verließ eilends seinen Platz, nicht ohne ein wenig dabei zu erröten. Herr von Sanvitali, schon ein älterer Herr, der größere Reisen gemacht hatte, setzte sich neben sie, aber nicht auf das Sofa; dadurch wurde die Schöne genötigt, sich umzudrehen. Nun konnte ich auch von vorne genau betrachten, was ich bis dahin nur von der Seite hatte sehen können. Nachdem ich noch vier oder fünf Besuche bei Giulietta gemacht hatte, glaubte ich mir über ihren Wert ein hinreißendes Urteil gebildet zu haben; ich sagte daher eines Abends, als man mich in der Gesellschaft des Senators Malipiero nach ihr fragte, sie könne nur Gourmands mit abgestumpften Geschmacksnerven gefallen; denn sie besitze weder die Schönheiten der einfachen Natur, noch den Geist der feinen Gesellschaft, sie habe kein besonderes Talent und keine gewandten Manieren ; es fehle ihr also alles, was Leute von gutem Ton bei einer Frau zu finden lieben. Mein Urteil gefiel der ganzen Gesellschaft, aber Herr von Malipiero sagte mir ins Ohr, Giulietta würde ganz sicherlich erfahren, was für ein Portrat ich von ihr entworfen hätte, und würde meine Feindin werden. Er hatte richtig geahnt.

Es fiel mir an Giulietta besonders auf, daß sie nur selten das Wort an mich richtete und daß sie jedesmal, wenn sie mich ansah, sich ihrer Augengläser bediente oder ihre Lider zusammenkniff, wie wenn sie mich der Ehre hätte berauben wollen, ihre unbeschreibbar schönen Augen ganz zu sehen. Diese waren wunderbar schön geschnitten, kornblumenblau und hatten eine unbegreiflich leuchtende Iris, wie die Narur sie zuweilen nur der Jugend schenkt; für gewöhnlich verschwindet dieser Glanz etwa mit dem vierzigsten Jahr, nachdem er Wunder gewirkt hat. Der große Friedrich behielt diese leuchtenden Augen bis zu seinem Tode. Die Schilderung, die ich von Giulietta bei Herrn von Malipiero entworfen hatte, wurde ihr von einem schwatzhaften Zwischenträger, dem Staatsbuchhalter Saviero Cortantini hinterbracht. Als ich eines Abends mich mit Herrn Manzoni bei ihr befand, sagte sie ihm, ein großer Kenner habe an ihr Mängel entdeckt, wonach sie trübsinnig sein sollte; sie hütete sich aber wohl, diese Mängel einzeln aufzuzählen. Ich merkte natürlich, daß sie damit einen versteckten Hieb nach mir führte, und machte mich darauf gefaßt, ihr Gericht über mich ergehen zu lassen. Hierauf ließ sie mich jedoch eine gute Stunde warten. Als schließlich das Gespräch auf ein Konzert kam, das der Schauspieler Imer gegeben und wobei seine Tochter Teresa geglänzt hatte, richtete sie das Wort an mich und fragte mich, was Herr von Malipiero mit ihr mache. Ich sagte ihr, er erziehe sie.

»Dazu ist er wohl imstande,« antwortete sie mir; »denn er hat viel Geist; ich aber möchte wohl wissen, was er aus Ihnen macht.« »Alles, was er kann.« »Man hat mir gesagt, er finde Sie ein wenig dumm.« Natürlich waren die Lacher auf ihrer Seite; ich war ein bißchen verwirrt, da ich nicht wußte, was ich antworten sollte, und nachdem ich eine Viertelstunde lang eine traurige Figur gespielt hatte, empfahl ich mich mit dem festen Entschluß, ihr Haus nicht wieder zu betreten. Als ich am nächsten Tage beim Essen meinem alten Senator diese Geschichte erzählte, lachte er recht herzlich darüber.

Den ganzen Sommer über schwärmte ich meine Angela an, die ich bei ihrer Sticklehrerin traf; aber ihre außerordentliche Zurückhaltung regte mich auf, und meine Liebe war schon eine Qual für mich geworden. Bei meinem glühenden Naturell brauchte ich eine Geliebte in der Art Bettinas, die meine Liebe zu befriedigen wußte, ohne sie auszulöschen. Da ich selber noch in gewissem Sinne rein war, brachte ich dem jungen Mädchen die größte Verehrung entgegen. Sie war in meinen Augen gewissermaßen wie das Paladium des Kekrops. Ich war noch Neuling und oft schüchtern im Verkehr mit Damen; meine Albernheit ging so weit, daß ich sogar auf deren Ehemänner eifersüchtig war.

Angela war höchst abweisend, obgleich sie keine Kokette war; meine Leidenschaft für sie verzehrte mich. Die pathetischen Reden, die ich ihr hielt, hatten mehr Wirkung auf zwei junge Schwestern, Freundinnen von ihr, als auf sie; und wären meine Blicke nicht ausschließlich von der Grausamen in Anspruch genommen gewesen, so hätte ich ohne Zweifel bemerkt, daß die beiden anderen schöner und gefühlvoller waren; aber meine geblendeten Augen sahen nur sie. Auf alle meine Zärtlichkeiten antwortete sie, sie sei bereit, meine Frau zu werden, und sie glaube, weiter dürften meine Wünsche nicht gehen; und wenn sie sich herabließ, mir zu sagen, sie leide ebensosehr wie ich, so glaubte sie mir die größte Gnade erwiesen zu haben.

In dieser Gemütsverfassung befand ich mich, als ich zu Beginn des Herbstes einen Brief von der Gräfin Monte Reale erhielt; sie bat mich, einige Zeit auf dem ihr gehörenden Landgut Paseano zu verbringen. Sie erwartete glänzende Gesellschaft und den Besuch ihrer Tochter, die in Venedig einen Nobile geheiratet hatte; diese Tochter war geistvoll und schön und hatte ein so herrliches Auge, daß dessen Schönheit sie für den Verlust des anderen Auges entschädigte.

Ich folgte ihrer Einladung und fand in Paseano Vergnügen und Fröhlichkeit; es wurde mir nicht schwer, auch meinerseits zu deren Vermehrung beizutragen, und ich vergaß für einige Zeit die Härte meiner grausamen Angela.

Man hatte mir im Erdgeschoß ein hübsches Zimmer gegeben, das nach dem Garten hinaus ging, und ich befand mich darin sehr wohl, ohne mich darum zu kümmern, wer meine Nachbarn wären. Am Morgen nach meiner Ankunft war ich noch nicht richtig wach, da entzückte meine Augen der Anblick einer reizenden Person, die mir meinen Kaffee brachte. Es war ein ganz junges Mädchen, doch hatte sie bereits die Körperformen einer Siebzehnjährigen, obwohl sie erst vierzehn Jahre zählte. Ihre Haut war weiß wie Alabaster, ihr Haar schwarz wie Ebenholz, ihr schwarzes Auge feurig und unschuldig zugleich, ihr Haar in einer reizenden Unordnung; ihre Kleidung bestand nur aus einem Hemde und einem kurzen Rock, der ein wohlgeformtes Bein und den reizendsten kleinen Fuß sehen ließ; dies alles ließ sie meinen Blicken als eine eigenartige und vollkommene Schönheit erscheinen. Ich sah sie mit der größten Teilnahme an, und ihr Auge ruhte auf mir, wie wenn wir alte Bekannte gewesen wären.

»Sind Sie mit Ihrem Bett zufrieden gewesen?« fragte sie mich.

»Sehr zufrieden. Ich bin überzeugt, es war von Ihnen zurechtgemacht worden. Wer sind Sie?«

»Ich bin die Tochter des Hausmeisters und heiße Lucia; ich habe weder Brüder noch Schwestern und bin vierzehn Jahre alt. Es freut mich, daß Sie keinen Diener haben; ich werde Ihnen aufwarten, und ich bin überzeugt, Sie werden mit mir vollkommen zufrieden sein.«

Entzückt über diesen Anfang, richte ich mich im Bette auf, und sie hilft mir meinen Schlafrock anzuziehen, wobei sie hunderterlei sagt, was ich nicht verstehe. Ebenso verlegen, wie das Mädchen unbefangen ist, fange ich an, meinen Kaffee zu trinken; ihre Schönheit, gegen die man unmöglich gleichgültig bleiben konnte, hatte mich ganz verblüfft gemacht. Sie hatte sich die Freiheit genommen, sich auf das Fußende meines Bettes zu setzen, und entschuldigte dieses Benehmen nur mit einem vielsagenden Lachen.

Ich war noch dabei, meinen Kaffee zu trinken, als Lucias Vater und Mutter eintraten. Sie rührte sich nicht von ihrem Platz und schien, indem sie ihre Eltern ansah, sich noch damit zu brüsten, daß sie auf meinem Bette saß. Die guten Leute machten ihr sanfte Vorwürfe, baten mich ihrer Tochter wegen um Entschuldigung, und Lucia ging hinaus, um ihre häuslichen Geschäfte zu erledigen.

Sobald sie draußen war, sagten ihr Vater und ihre Mutter mir tausend Höflichkeiten; dann begannen sie das Lob ihrer Tochter zu singen. »Sie ist«, sagten sie, »unser einziges Kind, ein herziges Mädchen, die Hoffnung unseres Alters. Sie liebt uns, ist gehorsam und gottesfürchtig; sie ist gesund wie ein Fisch, und wir wissen an ihr nur einen einzigen Fehler.«

»Und was für einen?«

»Sie ist zu jung.«

»Das ist ein reizender Fehler, der mit der Zeit verschwinden wird.«

Gar bald überzeugte ich mich, daß ich in diesen guten Leuten Rechtschaffenheit, Wahrheit, häusliche Tugenden und wahres Glück vor mir sah. Während ich an diesem Gedanken mein inniges Vergnügen hatte, trat Lucia wieder ein, munter wie ein Vögelchen, sauber gewaschen, völlig angezogen, das Haar auf ländliche Art geordnet und die Füße in hübschen Schuhen. Nachdem sie mir eine Verbeugung gemacht hatte, wie sie auf den Dörfern Brauch sind, gab sie ihrem Vater und ihrer Mutter zwei Küsse und setzte sich dann dem braven Mann auf den Schoß. Ich sagte ihr, sie möchte sich doch auf mein Bett setzen; aber sie antwortete mir, so große Ehre sei ihr nicht erlaubt, wenn sie angezogen sei. Die Einfachheit und Unschuld, die sich in dieser Antwort aussprach, schienen mir entzückend, und ich mußte unwillkürlich lächeln. Ich sah sie mir daraufhin an, ob sie in ihrem bescheidenen Putz hübscher aussähe als in ihrem Negligee, und mein Urteil lautete zugunsten des letzteren. Mit einem Wort, Lucia schien mir nicht nur vor Angela, sondern sogar vor Bettina bei weitem den Vorzug zu verdienen.

Als der Friseur kam, entfernten sich die einfachen braven Leute, und nachdem ich mich angekleidet hatte, begab ich mich zu der Gräfin und ihrer liebenswürdigen Tochter; der Tag verging sehr heiter, wie es ja auf dem Lande im allgemeinen der Fall ist, wenn man ausgewählte Gesellschaft hat.

Am andern Morgen klingelte ich sofort nach dem Erwachen, und Lucia erschien, einfach und natürlich wie am Tage vorher, und doch so überraschend in ihren Bemerkungen und in ihrem Benehmen.

Alles an ihr glänzte unter dem reizenden Firnis der Aufrichtigkeit und Unschuld. Ich konnte nicht begreifen, wie ein keusches, anständiges und durchaus nicht dummes Mädchen so vertraulich zu mir kommen konnte und gar nicht befürchtete, daß ich mich in sie verlieben würde. Es kann nicht anders sein, dachte ich bei mir selber, als daß sie gewissen Tändeleien keine Wichtigkeit beimißt und darum es nicht so genau nimmt. Ich beschloß, sie zu überzeugen, daß ich ihr Gerechtigkeit widerfahren lasse. Ihren Eltern gegenüber fühlte ich mich nicht schuldig, denn ich nahm an, daß sie ebensowenig Wert darauf legten wie sie selber; ebensowenig fürchtete ich, daß ich der erste wäre, der ihre schöne Unschuld beunruhigte und das gefährliche Licht der Erkenntnis in ihre Seele trüge. Ich wollte mich weder von meinem Gefühl betölpeln lassen, noch auch dagegen handeln; darum beschloß ich, mir Aufklärung zu verschaffen. Ich mache eine kühne Handbewegung; unwillkürlich weicht sie zurück und wird rot, ihre Heiterkeit verschwindet; sie dreht den Kopf zur Seite, wie wenn sie irgend etwas suchen wollte, und wartet, bis ihre Verlegenheit vorüber ist. Dieser ganze Vorgang spielte sich in weniger als einer Minute ab. Sie näherte sich nur wieder, scheinbar ein wenig beschämt, als ob ich sie hätte etwas unartig finden können, und als ob sie befürchtete, sie hätte eine Handlungsweise falsch aufgefaßt, die von meiner Seite vielleicht ganz unschuldig gemeint sein könnte oder in der guten Gesellschaft üblich wäre. Schnell hatte sie ihr natürliches Lachen wiedergefunden. Alles, was ich hier beschrieben habe, las ich in einem Augenblick in ihrer Seele, und ich beeilte mich, sie wieder sicher zu machen. Da ich sah, daß ich durch Tätlichkeiten zu viel wagte, nahm ich mir vor, am nächsten Morgen sie zum Plaudern zu bringen.

Meinem Plan gemäß ergriff ich denn auch die Gelegenheit und sagte ihr infolge einer Bemerkung, die sie machte: es sei kalt; sie werde aber die Kälte nicht spüren, wenn sie neben mir liege.

»Würde ich Ihnen nicht unbequem sein?« fragte sie.

»Nein; aber ich denke mir, wenn deine Mutter dazukäme, würde sie böse sein.«

»Sie wird sich nichts Böses dabei denken.«

»So komm! Aber, Lucia, du weißt, welcher Gefahr du dich aussetzest?«

»Gewiß; aber Sie sind vernünftig, und was mehr ist: Sie sind Abbate.«

»Komm! Aber zuvor schließe die Tür.«

»Nein, nein! denn dann würde man denken … was weiß ich …«

Schließlich legte sie sich neben mich; sie plauderte fortwährend, aber ich verstand nichts von allem, was sie sagte. Ich befand mich in einer sehr eigentümlichen Lage: da ich meinen Begierden nicht nachgeben wollte, mußte es aussehen, als sei ich über die Maßen schwerfällig.

Die Sicherheit des Mädchens – eine Sicherheit, die ganz gewiß nicht erheuchelt war – machte auf mich einen solchen Eindruck, daß ich mich geschämt haben würde, sie zu mißbrauchen. Endlich sagte sie mir, es habe fünfzehn Uhr geschlagen, und wenn der alte Graf Antonio herunterkäme und uns so fände, würde er Witze machen, worüber sie sich ärgern müßte. »Das ist ein Mensch,« sagte sie, »vor dem ich davonlaufe, sobald ich ihn sehe.« Mit diesen Worten verließ sie ihren Platz und ging.

Lange Zeit blieb ich unbeweglich liegen; ich war vor Erstaunen wie betäubt und meine Sinne befanden sich ebensosehr in Aufruhr wie meine Gedanken.

Am nächsten Morgen hieß ich sie auf meinem Bett sitzenbleiben, denn ich wollte meine Ruhe behalten; ihre Äußerungen über Verschiedenes, worauf ich die Rede brachte, überzeugten mich vollends, daß sie mit Recht von ihren ehrenwerten Eltern vergöttert wurde, und daß die Freiheit ihres Geistes und ihr zwangloses Benehmen nur von ihrer Unschuld und von der Feinheit ihrer Seele herrührten. Ihre Naivität, ihre Lebhaftigkeit, ihre Neugier und die schamhafte Röte, die ihr schönes Gesicht überzog, wenn die spaßhaften Dinge, die sie ohne jedes Arg mir sagte, mich unwillkürlich zum Lachen brachten – dies alles zeigte mir, daß sie ein Engel war, der unfehlbar dem ersten besten Wüstling, der sie verführen wollte, zum Opfer fallen müßte.

Ich fühlte mich stark genug, um so zu handeln, daß ich mir keine Vorwürfe zu machen brauchte. Der bloße Gedanke daran machte mich schaudern, und meine Selbstachtung gewährleistete Lucias Ehre ihren guten Eltern, die infolge der guten Meinung, die sie von meinem Charakter hatten, sie mir vertrauensvoll überließen. Ich wäre in meinen eigenen Augen verächtlich gewesen, hätte ich das Vertrauen täuschen können, das sie in mich setzten. Ich beschloß also, mich zu bezähmen; und da ich sicher war, stets den Sieg zu behalten, so entschloß ich mich, mich selber zu bekämpfen und in ihrer bloßen Gegenwart den Lohn meiner Anstrengungen zu finden. Ich kannte noch nicht das Wort, daß der Sieg ungewiß ist, solange der Kampf dauert.

Da ihre Unterhaltung mir gefiel, so sagte ich ihr, ohne mir etwas Besonderes dabei zu denken: sie würde mir Vergnügen machen, wenn sie morgens frühzeitiger käme; sie möchte mich sogar aufwecken, wenn ich schliefe. Und um meiner Bitte mehr Gewicht zu verleihen, fügte ich hinzu: »Je weniger ich schlafe, desto wohler befinde ich mich.« Durch dieses Mittel gelang es mir, die Dauer unserer Unterhaltung von zwei Stunden auf drei zu verlängern; trotzdem aber verging mir die Zeit mit Blitzesschnelle.

Zuweilen kam ihre Mutter, während wir plauderten; sobald die gute Frau sie auf meinem Bett sitzen sah, hatte sie mir nichts mehr zu sagen; sie bewunderte nur meine Güte, daß ich das duldete. Lucia gab ihr hundert Küsse, und die überaus gutmütige Frau bat mich, ich möchte sie doch Weisheit lehren und ihr Bildung beibringen. Wenn sie hinaus war, glaubte Lucia deshalb nicht, nunmehr freier zu sein; sie behielt unverändert immer denselben Ton bei.

Die Gesellschaft dieses Engels ließ mich die grausamsten Qualen erdulden, während sie mir gleichzeitig die süßesten Wonnen verschaffte. Oft, wenn ihre Wangen zwei Fingerbreit von meinem Mund entfernt waren, packte mich der Wunsch, sie mit Küssen zu bedecken, und mein Blut geriet in heiße Wallung, wenn ich sie sagen hörte, sie hätte wohl meine Schwester sein mögen. Aber ich besaß Zurückhaltung genug, um die geringste Berührung zu vermeiden; denn ich fühlte wohl, ein einziger Kuß wäre der Funke gewesen, der das ganze Gebäude in die Luft gesprengt hätte. Wenn sie von mir ging, war ich jedesmal ganz erstaunt, den Sieg behalten zu haben; aber stets nach neuen Lorbeeren begierig, seufzte ich schon nach dem nächsten Morgen, um den süßen und gefährlichen Kampf zu erneuern. – Kleine Begierden machen einen Jüngling kühn; große nehmen ihn ganz und gar in Anspruch und halten ihn in Schranken.

Nach zehn oder zwölf Tagen erkannte ich, daß ich entweder ein Ende machen müßte oder als Schurke an ihr handeln würde. Ich entschloß mich zu dem ersten um so leichter, da ich nicht die geringste Gewißheit hatte, daß ich im zweiten Falle Erfolg haben würde; denn wenn Lucia die Heldin spielte und sich gegen meine Angriffe verteidigte, so wäre, da die Zimmertür offen stand, vielleicht Schande und zwecklose Reue mein Lohn gewesen – und dieser Gedanke erschreckte mich. Andererseits wußte ich nicht, wie ich es anfangen sollte, um ein Ende zu machen. Ich konnte nicht mehr einer Schönheit widerstehen, die im Morgengrauen, kaum bekleidet, fröhlich in mein Zimmer hüpfte, an mein Bett kam, mich fragte, ob ich gut geschlafen hätte, zutraulich ihr Gesicht an meine Wange schmiegte und mir sozusagen die Worte auf die Lippen legte. In einem so gefährlichen Augenblick wandte ich den Kopf zur Seite; dann warf sie in ihrem unschuldigen Ton mir vor, ich hätte Furcht, während sie selber sich doch ganz sicher fühlte; ich zog die Sache ins Lächerliche und antwortete ihr, sie irrte sich, wenn sie glaubte, ich hätte vor einem Kinde Angst; darauf versetzte sie dann, der Unterschied von zwei Jahren hätte nichts zu bedeuten.

Ich fühlte mit jedem Augenblick die Glut wachsen, die mich verzehrte; schließlich konnte ich nicht mehr, und ich faßte den Entschluß, sie selber zu bitten, sie möchte nicht mehr zu mir kommen. Dieser Entschluß schien mir erhaben und von unfehlbarer Wirkung zu sein; da ich jedoch die Ausführung auf den folgenden Tag verschoben hatte, verbrachte ich eine Nacht, die ich schwer beschreiben kann. Immer sah ich Lucias Bild vor mir, und der Gedanke wollte nicht weichen, daß ich sie am nächsten Tag zum letzten Male sehen würde. Ich stellte mir vor, Lucia würde nicht nur meinem Plan beistimmen, sondern für ihr ganzes Leben einen hohen Begriff von meinem Charakter behalten.

Kaum dämmerte der Morgen, da erschien Lucia strahlend, leuchtend, das Lächeln des Glückes auf ihrem hübschen Munde, ihr schönes Haar in der entzückendsten Unordnung; mit ausgebreiteten Armen stürzt sie auf mein Bett zu; plötzlich aber bleibt sie stehen, ihr Gesicht wird traurig und unruhig, als sie mich bleich, verstört, traurig sieht.

»Was haben Sie denn?« fragte sie mich teilnahmsvoll.

»Ich habe die ganze Nacht nicht schlafen können.«

»Und warum nicht?«

»Weil ich mich entschlossen habe, Ihnen einen Plan mitzuteilen – einen Plan, der für mich sehr traurig ist, mir aber Ihre volle Achtung verschaffen wird.«

»Wenn der Plan Ihnen meine Achtung verschaffen soll, muß er im Gegenteil so sein, daß er Sie heiter macht. Aber sagen Sie mir doch, Herr Abbate, warum Sie mich gestern noch geduzt haben und heute mich wie ein Fräulein behandeln? Ich will Ihnen jetzt Ihren Kaffee holen, und wenn Sie ihn getrunken haben, sollen Sie mir alles sagen; ich bin sehr neugierig, was das für ein Plan ist.«

Sie geht hinaus, kommt wieder, ich nehme meinen Kaffee; als sie mich immer noch ernst sieht, bemüht sie sich, mich aufzuheitern; es gelingt ihr, mich zum Lachen zu bringen, und sie freut sich darüber. Nachdem sie das Geschirr abgeräumt hatte, schloß sie die Tür, weil es zog; um von dem, was ich ihr zu sagen hätte, kein Wort zu verlieren, sagte sie mir naiverweise, ich möchte ihr neben mir ein Plätzchen einräumen. Ich tat, was sie wollte, denn mir war zumute, als wäre ich halbtot.

Nachdem ich ihr getreulich berichtet hatte, in welchen Zustand ihre Reize mich versetzt hätten, und nachdem ich ihr geschildert, was für Qualen ich ausgestanden hätte, um meinem lebhaften Verlangen, ihr meine Liebe zu beweisen, widerstehen zu können, erklärte ich ihr: ich könnte meine Leiden nicht mehr ertragen und müßte sie bitten, nicht mehr vor meinen Augen zu erscheinen. Die Wichtigkeit des Gegenstandes, die Wahrheit meiner Leidenschaft, mein Wunsch, daß sie in meinem Plan die erhabene Willensanstrengung einer vollkommenen Liebe sehe – dies alles machte mich ungewöhnt beredt und besonders bemühte ich mich, ihr recht lebhaft zu schildern, welche furchtbaren Folgen ein anderes Verhalten als das von mir vorgeschlagene haben könnte und wie unglücklich wir dann vielleicht sein würden.

Als am Ende meiner langen Rede Lucia meine Augen feucht von Tränen sah, entblößte sie sich, um sie mir abzutrocknen, ohne zu bedenken, daß sie dadurch zwei Halbkugeln enthüllte, deren Schönheit imstande gewesen wäre, den erfahrensten Lotsen schiffbrüchig werden zu lassen.

Nachdem wir einige Augenblicke beide geschwiegen hatten, sagte das reizende Kind mir in traurigem Ton, meine Tränen betrübten sie; sie hätte niemals geglaubt, daß ich ihretwegen welche vergießen könnte.

»Alles, was Sie mir da gesagt haben,« fuhr sie fort, »beweist mir, daß Sie mich sehr lieb haben; aber ich weiß nicht, wie Sie deshalb so in Sorgen sein können, während mir Ihre Liebe eine unendliche Wonne bereitet. Sie wollen mich aus Ihrer Gegenwart verbannen, weil Ihre Liebe Ihnen Furcht macht; aber was würden Sie denn tun, wenn Sie mich haßten? Bin ich strafbar, weil ich Ihnen gefallen habe? Wenn die Liebe, die ich Ihnen eingeflößt habe, ein Verbrechen ist, so versichere ich Ihnen, ich habe nicht die Absicht gehabt, ein solches zu begehen; somit können Sie mit gutem Gewissen mich nicht deswegen bestrafen. Eines freilich kann ich Ihnen nicht verschweigen: es freut mich, daß Sie mich lieben. Wohl läuft man Gefahr, wenn man liebt, und ich kenne diese Gefahr sehr wohl; aber wir können ihr trotzen. Ich wundere mich, daß mir dies nicht schwierig erscheint, die ich doch nur ein unwissendes Mädchen bin, während dagegen Sie, ein so gelehrter Mann, wie alle Leute sagen, solche Angst davor zu haben scheinen. Es überrascht mich, daß die Liebe, die doch keine Krankheit ist, Sie hat krank machen können, auf mich aber eine ganz entgegengesetzte Wirkung ausübt. Wäre es möglich, daß ich mich täuschte, und daß das Gefühl, das ich für Sie empfinde, etwas anderes wäre als Liebe? Sie sahen, wie lustig ich war, als ich heute morgen zu Ihnen kam; das kam davon, daß ich die ganze Nacht geträumt habe. Trotzdem habe ich sehr gut geschlafen; nur bin ich fünf- oder sechsmal aufgewacht, um mich zu vergewissern, ob mein Traum nicht Wirklichkeit wäre; denn ich träumte, ich wäre bei Ihnen; und als ich sah, daß dies nicht der Fall war, schlief ich recht bald wieder ein, weil ich gerne weiterträumen wollte, und dies gelang mir auch. Hatte ich also heute morgen nicht recht, so lustig zu sein? Mein lieber Abbate, wenn die Liebe eine Qual für Sie ist, so tut mir das leid; aber könnten Sie wirklich geboren sein, um nicht zu lieben? Ich werde alles tun, was Sie mir befehlen; nur werde ich niemals – selbst wenn Ihre Genesung davon abhinge – niemals aufhören, Sie zu lieben; denn das ist nicht möglich. Sollte es aber, damit Sie gesund werden, nötig sein, daß Sie mich nicht mehr lieben, so tun Sie, was Sie wollen; denn ich will lieber, daß Sie ohne Liebe leben, als daß Sie sterben, weil Sie zu viel lieben. Nur bitte ich Sie, denken Sie doch darüber nach, ob Sie nicht ein anderes Hilfsmittel finden können, denn das von Ihnen vorgeschlagene betrübt mich. Denken Sie darüber nach; es wäre doch möglich, daß dieses Mittel nicht das einzige wäre, und daß Sie ein weniger schmerzvolles entdecken könnten. Schlagen Sie mir eines vor, das leichter ausführbar ist, und verlassen Sie sich auf Lucia.«

Diese aufrichtige, naive und natürliche Rede lehrte mich, wie weit die Beredsamkeit der Natur der Beredsamkeit des philosophischen Geistes überlegen ist. Zum erstenmal schloß ich das himmlische Mädchen in meine Arme und sagte: »Ja, meine teure Lucia, ja, du kannst dem Leiden, das mich verzehrt, die köstlichste Linderung bringen: überlasse meinen glühenden Küssen deinen göttlichen Mund, der mir versichert, daß du mich liebst!«

So verbrachten wir eine Stunde in einem entzückenden Schweigen, das nur von den Worten unterbrochen wurde, die Lucia von Zeit zu Zeit wiederholte: »O mein Gott, ist es wahr? Träume ich nicht?« Ich ehrte indessen ihre Unschuld, und vielleicht tat ich dies nur deshalb, weil sie sich mir ganz und gar und ohne den geringsten Widerstand überlieferte. Endlich aber entwand sie sich sanft meinen Armen und sagte unruhig: »Mein Herz beginnt zu sprechen – ich muß gehen!« Und sofort stand sie auf. Nachdem sie ihre Kleider ein wenig in Ordnung gebracht hatte, setzte sie sich; einige Augenblicke nachher kam ihre Mutter hinein und beglückwünschte mich zu meinem guten Aussehen und zu meinen frischen Farben; hierauf sagte sie zu ihrer Tochter, sie solle sich ankleiden und in die Messe gehen. Eine Stunde darauf kam Lucia zurück und sagte mir, das Wunder, das sie bewirkt habe, mache sie glücklich, und sie sei ganz stolz darauf; denn meine augenscheinliche Gesundheit sei für sie ein viel sichereres Zeichen meiner Liebe als der klägliche Zustand, in dem sie mich am Morgen gefunden habe. »Wenn die Vollkommenheit deines Glückes«, fuhr sie fort, »nur von mir ahhängt – so nimm es dir; ich habe dir nichts zu verweigern.«

Sobald sie hinausgegangen war, dachte ich über meine Lage nach. Ich schwankte noch zwischen Trunkenheit und Furcht; aber es wurde mir klar, daß ich am Rande des Abgrundes stände und daß ich einer übernatürlichen Kraft bedürfen würde, um nicht hinabzustürzen.

Ich blieb in Paseano den ganzen Monat September, und die letzten elf Nächte meines Aufenthaltes verbrachte ich in ruhigem und freiem Besitz Lucias, die des Schlafes ihrer Mutter sicher war und zu mir kam, um in meinen Armen die köstlichsten Stunden zu verleben.

Meine Glut verminderte sich nicht, sondern vermehrte sich im Gegenteil durch meine Enthaltsamkeit, von der mich Lucia mit allen möglichen Mitteln abzubringen verbuchte. Sie konnte die Süße der verbotenen Frucht nur dann kosten, wenn sie sie mich ohne Rückhalt pflücken ließ, und die Wirkung der beständigen Berührung war zu stark, als daß ein junges Mädchen ihr hätte widerstehen können. Darum bot denn auch Lucia alles auf, um mir etwas vorzutäuschen; sie sagte, ich hätte bereits ihre höchste Gunst genossen. Aber ich hatte bei Bettina einen so guten Unterricht gehabt, daß ich sehr wohl wußte, woran ich war; und so kam das Ende meines Aufenthalts heran, ohne daß ich der süßen Versuchung unterlag.

Als ich von Paseano abreiste, versprach ich ihr, im nächsten Frühjahr wieder zu kommen. Unser Abschied war ebenso traurig wie zärtlich; ich ließ sie in einer Geistesverfassung zurück, die ohne Zweifel die Ursache ihres Unglücks geworden ist – ihres Unglücks, das ich mir vorzuwerfen hatte, als ich sie zwanzig Jahre später in Holland traf, und das ich mir ewig zum Vorwurf machen werde.

Kaum war ich ein paar Tage in Venedig, so hatte ich wieder meine alte Lebensweise aufgenommen und bewarb mich wieder eifrig um Angela, bei der ich es wenigstens ebensoweit zu bringen hoffte wie bei Lucia. Eine Furcht, die ich heute nicht mehr in meiner Natur finde, eine Art von panischem Schrecken vor den Folgen, die vielleicht ungünstig auf meine Zukunft hätten einwirken können, hinderten mich am Genießen. Ich weiß nicht, ob ich jemals ein vollkommen ehrenhafter Mensch gewesen bin; so viel aber weiß ich sehr gut, daß die Gefühle, die ich in meiner Jugend hegte, viel zarter waren, als diejenigen, die ich später durch das Leben gewonnen habe. Eine skeptische Philosophie vermindert zu sehr die Zahl der sogenannten Vorurteile.

Die beiden Schwestern, die zusammen mit Angela das Sticken lernten, waren ihre vertrauten Freundinnen und in alle ihre Geheimnisse eingeweiht. Als ich später ihre Bekanntschaft gemacht hatte, erfuhr ich, daß sie ihre Härte gegen mich verurteilten. Da ich sie beständig mit Angela zusammen sah und ihre vertraute Freundschaft kannte, trug ich ihnen meine Klagen vor; ganz erfüllt von dem Bilde meiner Grausamen, war ich nicht ein solcher Geck, um zu glauben, die jungen Mädchen könnten sich in mich verlieben; oft aber geschah es, daß ich zu ihnen mit dem ganzen Feuer sprach, das mich durchlohte – was ich in Gegenwart des von mir angebeteten Mädchens niemals zu tun wagte. Wahre Liebe macht immer zurückhaltend; man fürchtet, es könnte wie Übertreibung aussehen, wenn man alle Gefühle ausspricht, die eine edle Leidenschaft eingeflößt hat; der bescheidene Liebhaber sagt oft zu wenig, aus Furcht, er könnte zu viel sagen.

Der Sticklehrerin, einer alten Betschwester, die im Anfang gegen meine Neigung für Angela anscheinend gleichgültig gewesen war, wurden meine allzu häufigen Besuche endlich lästig, und sie sprach darüber mit dem Pfarrer, dem Oheim meiner Schönen. Dieser sagte mir eines Tages freundlich, ich müsse weniger oft in das Haus der Lehrerin gehen, denn mein häufiges Kommen könne übel ausgelegt werden und dem guten Ruf seiner Nichte schaden. Diese Worte trafen mich wie ein Donnerschlag; doch besaß ich genügend Selbstbeherrschung, um mir nichts merken zu lassen, was ihn hätte mißtrauisch machen können. Ich sagte ihm nur, ich würde seinen Rat befolgen.

Drei oder vier Tage später ging ich zur Sticklehrerin, wie wenn ich ihr allein einen Besuch machen wollte, und vermied es sorgfältig, mich bei den jungen Mädchen aufzuhalten; doch gelang es mir, der ältesten Schwester ein Briefchen zuzustecken, das einen anderen Brief für meine geliebte Angela enthielt. Hierin teilte ich ihr die Gründe mit, die mich genötigt hätten, meine Besuche zu unterbrechen; natürlich bat ich sie auch, sie möchte darüber nachdenken, auf welche Weise ich mir das Glück verschaffen könnte, ihr von meinen Gefühlen zu sprechen. Nannetta bat ich nur, meinen Brief ihrer Freundin zu übergeben; ich würde am übernächsten Tage zu ihnen kommen und hoffte, sie werde es möglich machen können, mir eine Antwort zu übergeben. Sie richtete meinen Auftrag ganz vortrefflich aus; denn als ich zwei Tage darauf wieder meinen Besuch machte, steckte sie mir ein Briefchen zu, ohne daß jemand etwas davon merkte. Nannettas Brief enthielt von Angela, die nicht gerne schrieb, nur ein paar Zeilen; sie sagte mir nichts weiter, als daß ich nach Möglichkeit alles machen solle, was ihre Freundin mir schriebe. Nannettens Brief, den ich – wie alle anderen Briefe, die ich im Laufe meiner Geschichte anführe – aufbewahrt habe, lautete folgendem maßen:

»Es gibt, Herr Abbate, nichts auf der Welt, was ich nicht für meine Freundin zu tun bereit wäre. Sie kommt jeden Freitag zu uns, ißt bei uns zu Abend und schläft bei uns. Ich schlage Ihnen ein Mittel vor, um mit unserer Tante, Frau Orio, bekannt zu werden. Sollte es Ihnen aber gelingen, in unserem Hause eingeführt zu werden, so mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie sich ja nicht dürfen merken lassen, daß Sie an Angela Gefallen finden; denn unsere Tante würde es übel vermerken, wenn Sie in ihr Haus kämen, um dort ein junges Mädchen zu sehen, das nicht zu ihrer Familie gehört. Das Mittel, bei dessen Anwendung ich Ihnen nach besten Kräften behilflich sein werde, ist folgendes: Frau Orio stammt zwar aus adeliger Familie, aber sie ist nicht reich; deshalb wünscht sie in die Liste adeliger Witwen eingeschrieben zu werden, denen die Unterstützungen der Brüderschaft vom Heiligen Sakrament zuteil werden. Der Präsident dieser Brüderschaft ist Herr von Malipiero. Letzten Sonntag sagte Angela ihr, Sie ständen bei diesem Herrn in großer Gunst, und um seine Fürsprache zu erlangen, wäre das sicherste Mittel, daß Sie ihn darum bäten. Sie sagte ihr in übermütiger Laune, Sie wären verliebt in mich, Sie gingen nur darum so oft zu unserer Sticklehrerin, um mit mir sprechen zu können; ich würde Sie daher leicht dahinbringen können, sich für sie zu interessieren. Meine Tante antwortete: da Sie Priester seien, so sei ja nichts zu befürchten, und ich könnte Ihnen schreiben, Sie möchten doch einmal zu ihr kommen. Ich weigerte mich. Der Sachwalter Rosa, ein ganz intimer Freund unserer Tante, war bei dieser Unterhaltung zugegen; er gab mir vollkommen recht, indem er sagte, ich dürfe nicht an Sie schreiben, vielmehr müsse sie dies tun; sie müsse Sie bitten, ihr die Ehre zu erweisen, in einer für sie wichtigen Angelegenheit bei ihr vorzusprechen; wenn Sie mich wirklich liebten, so würden Sie ganz gewiß kommen. Infolgedessen hat meine Tante Ihnen den Brief geschrieben, den Sie in Ihrer Wohnung vorfinden werden. Wollen Sie Angela bei uns finden, so verschieben Sie Ihren Besuch bis Sonntag. Können Sie für meine Tante das Wohlwollen des Herrn von Malipiero erwerben, so werden Sie bei uns Kind im Hause werden. Sie werden mir aber verzeihen, wenn ich Sie schlecht behandle; denn ich habe gesagt, ich liebe Sie nicht. Sie werden gut tun, wenn Sie meiner Tante, die sechzig Jahre alt ist, den Hof machen. Herr Rosa wird darüber nicht eifersüchtig sein, und Sie werden sich dadurch im ganzen Hause beliebt machen. Ich werde Ihnen die Gelegenheit verschaffen, Angela zu sehen und unter vier Augen mit ihr zu sprechen; ich werde alles tun, um Sie von meiner Freundschaft zu überzeugen. Leben Sie wohl.«

Ich fand diesen Plan vorzüglich ausgedacht, und da ich noch am selben Abend das Briefchen der Frau Orio empfangen hatte, so folgte ich schon am nächsten Tage, einem Sonntag, ihrer Einladung. Ich wurde ausgezeichnet empfangen; die Dame bat mich, ich möchte mich für sie interessieren, und übergab mir alle Papiere, die zum guten Gelingen der Sache erforderlich sein konnten. Ich erbot mich, bereitwillig ihr zu Diensten sein, und sprach absichtlich sehr wenig mit Angela; dafür aber richtete ich zum Schein meine Galanterien an Nannetta, die mich sehr schlecht behandelte. Ich gewann mir die Freundschaft des alten Sachwalters Rosa, der mir späterhin nützlich war.

Der Erfolg von Frau Orios Bitte war für mich selber zu wichtig, als daß ich nicht dem Plan meine ganze Aufmerksamkeit hätte zuwenden sollen. Da ich den Einfluß der schönen Teresa Imer auf unseren verliebten Senator kannte und überzeugt war, der alte Herr würde glücklich sein über eine Gelegenheit, sich ihr angenehm zu erweisen, so beschloß ich, gleich am anderen Morgen zu ihr zu gehen, und ich trat in ihr Zimmer ein, ohne mich anmelden zu lassen. Ich fand sie allein mit dem Arzt Doro; dieser tat, als sei er nur von Berufs wegen bei ihr, schrieb ein Rezept, fühlte ihr den Puls und ging.

Man glaubte allgemein, der Doktor sei in Teresa verliebt; Herr von Malipiero war eifersüchtig auf ihn, hatte ihr verboten, ihn zu empfangen, und sie hatte es ihm versprochen. Teresa wußte, daß ich von allen diesen Dingen unterrichtet war; mein Erscheinen mußte ihr daher sehr unangenehm sein, denn ganz gewiß wäre es ihr unerwünscht gewesen, hätte der alte Herr erfahren, daß sie ihre ihm gegebenen Versprechungen in den Wind schlug. Mir schien daher der Augenblick äußerst günstig zu sein, um von ihr alles zu erreichen, was ich nur wünschen könnte.

Zunächst sagte ich ihr kurz und bündig, was mich zu ihr führte; ich verfehlte nicht, ihr zu versichern, daß sie auf meine Verschwiegenheit zählen könne, und daß ich außerstande sei, ihr zu schaden. Teresa dankte mir dafür und versicherte mir eifrig, es wäre ihr sehr angenehm, mir gefällig sein zu können. Nachdem sie sich die Papiere der Dame, für die ich mich interessierte, hatte geben lassen, zeigte sie mir die Zeugnisse einer anderen Dame, zu deren Gunsten zu sprechen sie bereits zugesagt habe; sie verspreche mir jedoch diese Dame der von mir beschützten aufzuopfern. Sie hielt Wort, denn schon am übernächsten Tage war ich im Besitz der Verfügung, die von Seiner Erzellenz als Vorsitzenden der Brüderschaft unterzeichnet war. Frau Orio wurde zunächst, bis sich etwas Besseres fände, für die Unterstützungen eingeschrieben, die zweimal jährlich durch das Los verteilt wurden.

Nannetta und ihre Schwester Martina waren Waisen, Schwestertöchter der Frau Orio. Das ganze Vermögen der guten Dame bestand nur aus dem Hause, worin sie wohnte und dessen erstes Stockwerk sie vermietete, und aus einem Jahrgeld, das ihr Bruder, Sekretär des Rates der Zehn, ihr ausgesetzt hatte. Sie hatte nur ihre beiden reizenden Nichten bei sich, von denen die ältere sechzehn, die jüngere fünfzehn Jahre alt war. Anstatt eines Dienstboten hatte sie nur eine alte Frau, die für einen Taler monatlich jeden Tag Wasser holte und das Haus in Ordnung brachte. Der Sachwalter Rosa war ihr einziger Freund; er war wie sie sechzig Jahre alt und wartete, um sie zu heiraten, nur auf den Augenblick, wo er Witwer sein würde.

Die beiden Schwestern schliefen zusammen im dritten Stock in einem breiten Bett, das Angela an allen Festtagen als dritte teilte.

Sobald ich im Besitz der von Frau Orio gewünschten Urkunde war, beeilte ich mich, der Sticklehrerin einen Besuch zu machen, um Nannetta ein Briefchen zuzustecken, worin ich ihr den glücklichen Erfolg meiner Bemühungen mitteilte und ihr sagte, ich würde am übernächsten Tage, einem Feiertage, ihrer Tante das Dekret meines Senators übergeben; ich vergaß nicht, sie aufs dringendste zu bitten, mir ein Stelldichein mit meiner Schönen zu ermöglichen.

Am bestimmten Tage hatte Nannetta schon auf mich gewartet; sie steckte mir geschickt ein Briefchen zu, wobei sie mir sagte, ich möchte es aus alle Fälle lesen, bevor ich das Haus verließe. Ich trat ein und sah in Frau Orios Gesellschaft Angela, den alten Sachwalter und Martina. Da es mich drängte, meinen Brief zu lesen, schlug ich den mir angebotenen Stuhl aus, übergab Frau Orio die Urkunde und erbat mir als einzigen Lohn die Erlaubnis, ihr die Hand küssen zu dürfen, da ich keine Zeit hätte und unverzüglich wieder gehen müßte.

»O, mein lieber Abbate,« sagte die Dame zu nur, »Sie werden mich umarmen, und darüber wird niemand etwas sagen können, denn ich bin ja dreißig Jahre älter als Sie!« Sie hätte, ohne sich zu irren, auch fünfundvierzig sagen können. – Ich gab ihr zwei Küsse, von denen sie ohne Zweifel befriedigt war, denn sie sagte mir, ich möchte auch ihre beiden Nichten umarmen; diese aber ergriffen die Flucht, und nur Angela hielt meiner Kühnheit stand. Hierauf lud die Witwe mich ein, Platz zu nehmen.

»Ich kann es nicht, gnädige Frau.«

»Warum denn nicht, bitte?«

»Ich habe …«

»Ich verstehe. Nannetta, zeige dem Herrn Abbate …«

»Liebe Tante, erlassen Sie nur das, bitte!«

»So geh du, Martina.«

»Liebe Tante, lassen Sie mich, mag doch meine ältere Schwester tun, was Sie ihr gesagt haben.«

»Gnädige Frau,« sage ich, »die jungen Damen hahen vollkommen recht. Ich gehe.«

»Nein, Herr Abbate, meine Nichten sind mir recht dumme Gänschen; Herr Rosa wird die Güte haben.«

Der gute Sachwalter nimmt mich freundlich bei der Hand und führt mich nach dem dritten Stock, wo er mich allein läßt. Sowie ich ungestört bin, lese ich folgendes Briefchen:

»Meine Tante wird Sie zum Abendessen bitten; nehmen Sie nicht an! Entfernen Sie sich, sobald wir uns zu Tische setzen; Martina wird Ihnen bis an die Straßentür leuchten, aber gehen Sie nicht hinaus. Sobald die Tür wieder geschlossen ist, werden alle glauben, daß Sie fort seien; dann steigen Sie leise bis zum dritten Stock hinauf und warten dort auf uns. Wir kommen, sobald Herr Rosa fortgegangen ist und unsere Tante sich zu Bett gelegt hat. Es kommt dann nur auf Angela an, Ihnen die ganze Nacht ein Stelldichein zu gewähren, von dem ich hoffe, daß es Sie sehr glücklich machen wird.«

Welche Freude! Wie dankbar war ich dem Zufall, der es veranstaltete, daß ich diesen Brief an demselben Ort las, wo ich den Gegenstand meiner Liebe erwarten sollte! Ich war sicher, mich ohne die geringste Schwierigkeit zurechtzufinden und begab mich, ganz voll von meinem Glück, wieder zu Frau Orio hinunter.

Als ich wieder im Salon war, dankte Frau Orio mir tausendmal und sagte mir, in Zukunft müsse ich mir alle Rechte eines Hausfreundes zunutze machen; hierauf verbrachten wir vier Stunden mit Lachen und Scherzen.

Als es Zeit zum Abendessen war, brachte ich so geschickte Entschuldigungen hervor, daß Frau Orio sie gelten lassen mußte. Martina nahm die Lampe, um mir hinunter zu leuchten; die Tante aber gab in dem Glauben, daß Nannetta die von mir bevorzugte sei, dieser so energischen Befehl mich zu begleiten, daß sie gehorchen mußte. Schnell läuft sie die Treppe hinunter, öffnet die Tür, schlägt sie geräufchvoll wieder zu, bläst die Lampe aus und geht wieder hinauf, mich im Dunkel lassend. Leise steige ich die Treppen hinauf bis zum dritten Stock, gehe in das Zimmer der jungen Damen, setze mich auf ein Sofa und erwarte die glückliche Schäferstunde.

So verweilte ich ungefähr eine Stunde in den süßesten Träumereien; endlich hörte ich die Haustür sich öffnen und wieder schließen, und einige Minuten später sah ich die beiden Schwestern und meine Angela eintreten. Ich zog sie an mich, und alles andere außer ihr vergessend, sprach ich mit ihr zwei volle Stunden lang. Es schlägt Mitternacht; die jungen Mädchen bedauern mich, daß ich nicht zu Abend gegessen hätte; aber ihr Mitleid erscheint mir als eine Beleidigung – ich antworte, im Schoß des Glückes könne ich mich von keinem Bedürfnis belästigt fühlen. Sie sagen mir, ich sei Gefangener; der Hausschlüssel liege unter dem Kopfkissen der Tante, die die Tür erst öffne, wenn sie zur Frühmesse gehe. Ich zeige mich erstaunt, daß sie glauben können, dies sei eine schlechte Nachricht für mich; ich sei im Gegenteil froh darüber, daß ich fünf Stunden vor mir habe und sicher bin, diese mit meinem angebeteten Mädchen zu verbringen. Eine Stunde später fängt Nannetta an zu lachen; Angela will den Grund wissen; Martina sagt ihr etwas ins Ohr und fängt dann ebenfalls an zu lachen. Ich werde neugierig und wünsche nun auch die Ursache ihrer Heiterkeit zu erfahren; endlich sagt mir Nannetta mit scheinbar trauriger Miene, sie hätten keine andere Kerze und in wenigen Augenblicken würden wir im Dunkeln sein. Diese Nachricht erfüllt mich mit Entzücken; aber ich verberge dieses und sage ihnen, es tue mir ihretwegen leid. Ich schlage ihnen vor, sie möchten sich ruhig zu Bett legen und schlafen; sie könnten sich darauf verlassen, daß ich sie achten würde. Uber diesen Vorschlag lachten sie nur.

»Was sollen wir denn im Dunkeln machen?«

»Wir werden plaudern.«

Wir waren selbviert; drei Stunden dauerte nun schon unser Gcspräch, und ich war der Held des Stückes. Die Liebe ist ein großer Dichter: ihr Stoff ist unerschöpfbar; aber wenn sie das Ziel, auf das sie es abgesehen hat, niemals herankommen sieht, wird sie müde und verstummt. Meine Angela hörte mir zu; aber da sie überhaupt wortkarg war, antwortete sie mir nur selten, und in ihren Antworten war mehr gesunder Menschenverstand als Geist. Um meine Beweisgründe zu widerlegen, warf sie mir oft nur ein Sprichwort hin – wie die alten Römer mit ihren Katapulten schossen. Sie beugte sich zurück oder stieß mit der unangenehmsten Sanftmut meine Arme und Hände zurück, so oft meine Liebe diese zu Hilfe rief. Trotz alledem sprach und gestikulierte ich immer weiter, ohne den Mut zu verlieren; aber ich war in Verzweiflung, als ich bemerkte, daß meine allzu scharfsinnigen Argumente sie nur betäubten, anstatt sie zu überzeugen; daß sie wohl ihr Herz ein wenig erschütterten, es aber nicht zu erweichen vermochten. Andererseits war ich ganz erstaunt, den Gesichtern der beiden Schwestern anzusehen, daß meine auf Angela abgeschossenen Pfeile sie getroffen hatten. Diese metaphysische Kurve erschien mir widernatürlich zu sein; es hätte ein Winkel sein müssen. Unglücklicherweise studierte ich damals Geometrie. Die Situation ergriff mich dermaßen, daß ich trotz der kalten Jahreszeit große Tropfen schwitzte. Endlich war die Kerze dem Verlöschen nahe, und Nannetta stand auf, um sie hinauszutragen.

Sobald es dunkel war, streckte ich natürlich die Arme aus, um den Gegenstand zu erfassen, nach dem meine Seele verlangte; als ich aber nichts fand, lachte ich darüber, daß Angela rechtzeitig den Augenblick benutzt hatte, um sich von mir nicht überraschen zu lassen. Eine Stunde lang sagte ich ihr, damit sie sich wieder zu mir setzte, alles mögliche Lustige und Zärtliche, was die Liebe mir einflößen konnte. Es schien mir unmöglich zu sein, daß ihr Benehmen nicht ein bloßer Scherz wäre. Endlich aber mischte die Ungeduld sich hinein, und ich rief aus: »Der Spaß dauert zu lang! Er ist unnatürlich, denn ich kann Ihnen nicht nachlaufen; es wundert mich, daß ich Sie nicht lachen höre; denn wenn Sie sich so sonderbar benehmen, kann ich nur annehmen, daß Sie sich über mich lustig machen. Also setzen Sie sich, und da ich mit Ihnen sprechen muß, ohne Sie zu sehen, so gestatten Sie mir, mit meinen Händen mich zu überzeugen, daß ich nicht mit der Luft spreche. Sie müssen fühlen, daß Sie mich beschimpfen, wenn Sie sich über mich lustig machen; und die Liebe, glaube ich, darf nicht durch Beschimpfungen auf die Probe gestellt werden.«

»Nun, beruhigen Sie sich nur! Ich höre alles und verliere kein Wort von dem, was Sie sagen; aber Sie müssen fühlen, daß ich anständigerweise in dieser Dunkelheit mich nicht neben Sie setzen kann«

»Sie verlangen also, daß ich bis Tagesanbruch hier so sitzen soll?«

»Legen Sie sich auf das Bett und schlafen Sie.«

»Ich bewundere Sie, daß Sie das für möglich halten und glauben, daß es sich mit meiner Glut verträgt. Wissen Sie was? Ich will lieber annehmen, daß wir Blindekuh spielen!«

Ich sprang auf und begann die Kreuz und Quer im Zimmer sie zu suchen, aber immer vergeblich. Wenn ich jemanden faßte, war es immer Nannetta oder Martina, die sich stets sofort zu erkennen gaben; und augenblicklich ließ ich dummer Don Quijote sie los. Aus Liebe und Vorurteil fühlte ich nicht, wie lächerlich dieser Respekt war. Die Anekdoten vom französischen König Ludwig dem Dreizehnten hatte ich noch nicht gelesen; aber ich hatte Boccaccio gelesen. Ich suchte Angela immer weiter, indem ich ihr Härte vorwarf und ihr vorstellte, sie müßte sich doch endlich einmal finden lassen; aber sie antwortete mir, es sei natürlich für sie ebenso schwierig, mich zu finden. Das Zimmer war nicht groß, und ich war wütend, daß ich sie nicht erwischen konnte.

Ich war nicht gerade müde, aber es langweilte mich; ich setzte mich hin und erzählte eine Stunde lang die Geschichte von Ruggiero, dem seine Angelica entschwand, als der verliebte Ritter in allzu großen Einfalt ihr den Zauberring gegeben hatte:

Cosi dicendo, intorno alla fortuna,
Brancolando n’andava come cieco.
O quante volte abbraccio l’aria vana
Sperando la donzella abbracciar seco!

Sprach’s. Und das Glück sucht‘ er die Kreuz und Quere,
Und schwankend tappte er gleich einem Blinden;
Wie oft umarmte er die Luft, die leere,
Und stand im Wahn, die schöne Maid zu finden!

Angela kannte Ariost nicht, aber Nannetta hatte ihn mehrere Male gelesen. Sie ergriff die Verteidigung Angelicas und sagte, schuld habe nur die Einfalt Ruggieros; wenn er vernünftig gewesen wäre, hätte er niemals der Koketten den Ring anvertrauen dürfen. Nannetta entzückte mich; aber ich war noch zu sehr Neuling, um die Betrachtungen anzustellen, die mich hätten zur Besinnung bringen müssen.

Ich hatte nur noch eine einzige Stunde vor mir, denn wir durften nicht warten, bis es Tag wurde; Frau Orio wäre lieber gestorben, als daß sie die Messe versäumt hätte. Ich brachte also diese letzte Stunde damit zu, ganz allein mit Angela zu sprechen, um sie zu überreden, ja zu überzeugen, daß sie sich zu mir setzen müßte. Meine Seele machte alle Grade der Höllenqual durch; der Leser wird sich von meinem Zustande keinen Begriff machen können, wenn er sich nicht selber im gleichen Fall befunden hat. Nachdem ich die überzeugendsten Gründe erschöpft hatte, ging ich zu Bitten über und endlich zu Tränen; als ich aber sah, daß alles unnütz war, da bemächtigte sich meiner jene edle Entrüstung, die den Zorn adelt. Ich hätte schließlich das stolze Ungeheuer, das mich fünf Stunden lang in der furchtbarsten Qual schmachten lassen konnte, schlagen mögen, wenn ich nicht im Dunkeln gewesen wäre. Ich sagte ihr alle Beleidigungen, die verschmähte Liebe einem zornigen Geist eingeben kann. Ich schmetterte sie mit sanatischen Verwünschungen zu Boden; ich schwor ihr, alle meine Liebe habe sich in Haß verwandelt, und zum Schluß sagte ich ihr, sie möchte sich vor mir in acht nehmen, denn ich würde sie ermorden, sobald sie mir vor die Augen käme. Mit der Dunkelheit hörten auch meine zornigen Reden auf. Als die ersten Strahlen der Morgensonne erschienen, klirrten der große Schlüssel und der Riegel der Haustür: Frau Orio öffnete die Tür, um wie jeden Tag in der Messe ihrer Seele die Ruhe zu schaffen, deren sie bedurfte. Da nahm ich Mantel und Hut, um zu gehen. Aber wie soll ich die Bestürzung schildern, die meine Seele erfaßte, als ich den Blick über die drei jungen Mädchen schweifen ließ und sie in Tränen zerfließen sah! Vor Scham und Verzweiflung außer mir, verspürte ich einen Augenblick Lust, mich selbst umzubringen; ich setzte mich wieder hin und warf mir meine Roheit vor, mit der ich die drei reizenden Mädchen zum Weinen gebracht hatte. Es war mir unmöglich ein Wort herauszubringen, das Gefühl erstickte mich; da kamen mir die Tränen zu Hilfe, und ich überließ mich ihnen mit Wonne. Nannetta sagte mir endlich, ihre Tante würde gleich zurückkommen; da trocknete ich meine Augen und eilte hinaus, ohne sie anzusehen und ohne ihnen ein Wort zu sagen. Ich legte mich zu Bett, konnte aber nicht Schlafen.

Mittags fragte mich Herr von Malpiero, als er mich außerordentlich verändert sah, nach der Ursache; und da ich das Bedürfnis hatte, mein Herz zu erleichtern, sagte ich ihm alles. Der weise alte Herr lachte nicht, sondern goß mir durch vernünftige Betrachtungen Balsam in die Seele. Er sah sich mit seiner grausamen Teresa in demselben Falle wie ich. Bei Tisch mußte er doch lachen, als er mich die Speisen hinunterschlingen sah. Ich hatte nicht zu Abend gegessen, er beglückwünschte mich wegen meiner gesunden Konstitution.

Da ich entschlossen war, nicht mehr zu Frau Orio zu gehen, beschädigte ich mich die nächsten Tage mit der Verteidigung eines metaphysischen Streitsatzes: ich behauptete, etwas, von dem man sich nur einen abstrakten Begriff machen könne, könne nur in der Theorie eristieren. Ich hatte recht; aber es war nicht schwer, meiner These eine Wendung zu geben, daß sie einen Anschein von Gottlosigkeit gewann, und ich wurde verurteilt, sie zu widerrufen. Einige Tage darauf begab ich mich nach Padua, wo ich zum Doctor utriusque juris promovierte.

Nach Venedig zurückgekehrt, erhielt ich einen Brief von Herrn Rosa; er bat mich namens der Frau Orio, sie zu besuchen. Da ich sicher war, Angela nicht bei ihnen zu finden, ging ich am selben Abend hin, und die beiden liebenswürdigen Schwestern verscheuchten durch ihre Fröhlichkeit die Scham, die ich empfand, nach zwei Monaten wieder vor ihnen zu erscheinen. Meine These und mein Doktorexamen mußten als Entschuldigungen bei Frau Orio gelten, die mir nichts anderes vorzuwerfen hatte, als daß ich sie nicht mehr besuchte.

Als ich fortging, übergab Nannetta mir einen Brief, der einen anderen von Angela enthielt; er lautete:

»Wenn Sie den Mut haben noch eine Nacht mit mir zu verbringen, werden Sie sich nicht zu beklagen haben; denn ich liebe Sie und wünsche aus Ihrem eigenen Munde zu erfahren, ob Sie mich noch weiterhin geliebt haben würden, wenn ich eingewilligt hätte, mich verächtlich zu machen.«

Der Brief Nannettas, die von den Mädchen die einzige war, die Geist hatte, lautete folgendermaßen:

»Da Herr Rosa sich erboten hat, Sie zu einem neuen Besuch bei uns zu veranlassen, so halte ich diesen Brief bereit, um Ihnen mitzuteilen, daß Angela über Ihren Verlust in Verzweiflung ist. Ich gebe zu, daß die Nacht, die Sie mit uns verbrachten, grausam war; aber mir scheint, Sie hätten deshalb doch nicht den Entschluß fassen dürfen, nicht mehr zu uns zu kommen; zum mindesten hätten Sie Frau Orio besuchen können. Wenn Sie Angela noch lieben, so rate ich Ihnen: riskieren Sie noch eine Nacht. Vielleicht wird sie sich rechtfertigen, und die Sache wird zu Ihrer Zufriedenheit enden. Also kommen Sie! Leben Sie wohl.«

Diese beiden Briefe erfreuten mich, denn sie eröffneten mir die angenehme Aussicht, mich an Angela durch die kälteste Verachtung rächen zu können. Am nächsten Festtage begab ich mich daher zu den Damen, mit zwei Flaschen Cyperwein und einer geräucherten Zunge in der Tasche; zu meiner großen Überraschung fand ich jedoch meine Grausame nicht anwesend. Nannetta brachte geschickt das Gespräch auf sie und sagte mir, Angela habe am Morgen in der Kirche zu ihr gesagt, sie könne erst zum Abendessen kommen. Hierauf rechnend, nahm ich Frau Orios Einladung zum Essen nicht an, sondern entfernte mich wie das erstemal, kurz bevor sie sich zu Tisch setzten, und begab mich nach dem verabredeten Ort. Ich konnte es kaum erwarten, die Rolle zu spielen, die ich mir genau überlegt hatte; denn ich war überzeugt, daß Angela, selbst wenn sie sich zu einem anderen Verhalten entschlossen hätte, mir doch nur leichte Gunstbezeigungen gewähren würde, und solche wollte ich nicht mehr; ich fühlte mich nur noch von einem heftigen Verlangen nach Rache beherrscht.

Dreiviertel Stunden später höre ich die Haustür verschließen, und bald sehe ich Nannetta und Martina vor mir erscheinen.

»Wo ist denn Angela?« fragte ich Nannetta.

»Sie muß verhindert worden sein zu kommen, ja sogar uns Mitteilung zu machen. Und doch muß sie überzeugt sein, daß Sie hier sind.«

»Sie glaubt mich angeführt zu haben; und ich war allerdings hierauf nicht gefaßt. Übrigens kennen Sie sie jetzt. Sie macht sich über mich lustig; sie triumphiert. Sie hat sich Ihrer bedient, um mich in die Falle zu locken. Und dazu kann sie sich gratulieren; denn wäre sie gekommen, so hätte ich mich über sie lustig gemacht.«

»Oh! Daran gestatten Sie mir doch zu zweifeln!«

»Zweifeln Sie nicht daran, schöne Nannetta! Sie werden davon überzeugt werden durch die angenehme Nacht, die wir ohne sie verbringen werden.«

»Das kann ich sagen, daß Sie als geistvoller Mann sich mit einem Mißgeschick abzufinden wissen; aber Sie werden sich hier ins Bett legen und wir beide schlafen auf dem Kanapee im Nebenzimmer.«

»Daran werde ich Sie nicht hindern; aber wenn Sie das täten, würden Sie mir einen sehr häßlichen Streich spielen. Übrigens werde ich mich nicht zu Bett legen.«

»Wie? Sie würden es über sich gewinnen, sieben Stunden mit uns allein zu verbringen? Ich bin überzeugt: wenn Sie nichts mehr zu sagen wissen, werden Sie einschlafen.«

»Das werden wir sehen. Einstweilen will ich mein Essen auspacken. Würden Sie so grausam sein, mich allein essen zu lassen? Haben Sie Brot?«

»Ja, und wir werden nicht grausam sein; wir werden zum zweitenmal mit Ihnen zu Abend essen.«

»In Sie hätte ich mich verlieben müssen! Sagen Sie mir, schöne Nannetta, wenn ich in Sie so verliebt wäre wie in Angela, würden Sie mich unglücklich machen wie diese?«

»Glauben Sie wirklich, daß eine solche Frage zulässig sei? Nur ein Geck kann sie stellen. Ich kann Ihnen weiter nichts sagen als: ich weiß nichts davon.«

Schnell legten sie drei Gedecke auf und brachten mit fröhlichem Lachen Brot, Parmesankäse und Wasser. Dann gingen sie ans Werk. Der Cyperwein, an den sie nicht gewöhnt waren, stieg ihnen zu Kopf, und ihre Lustigkeit wurde entzückend. Wie ich sie so sah, war ich erstaunt, daß ich ihre Vorzüge nicht früher zu würdigen gewußt hatte.

Nach unserem köstlichen kleinen Abendessen setzte ich mich zwischen die beiden, ergriff ihre Hände, die ich an die Lippen führte, und fragte sie, ob sie meine wahren Freundinnen seien und ob sie nicht die unwürdige Art und Weise mißbilligten, wie Angela mich behandelt hätte. Sie antworteten mir wie aus einem Munde, sie hätten meinetwegen Tränen vergossen.

»So gestatten Sie denn,« rief ich aus, »daß ich Ihnen die Zärtlichkeit eines Bruders entgegenbringe, und teilen Sie sie, wie wenn Sie meine Schwestern wären; geben wir uns in der Unschuld unserer Herzen Pfänder dafür und schwören wir uns ewige Treue!«

Der erste Kuß, den ich ihnen gab, war frei von verliebtem Gefühl und von jedem Wunsch, sie zu verführen; die beiden Mädchen versicherten mir einige Tage später, sie hätten meine Küsse nur erwidert, um mich zu überzeugen, daß sie meine ehrenwerten brüderlichen Gefühle teilten; aber diese unschuldigen Küsse entzündeten sehr bald in uns eine Feuersbrunst, über die wir sehr erstaunt sein mußten; denn einige Augenblicke später hielten wir inne und sahen uns ganz überrascht und mit sehr ernsten Gesichtern an. Beide Mädchen standen in ungezwungener Weise auf, und ich befand mich mit meinen Gedanken allein. Es war kein Wunder, daß diese Küsse in meiner Seele ein Feuer entzündet hatten und daß die Glut, die durch meine Adern rollte, mich plötzlich mit leidenschaftlicher Liebe zu den reizenden jungen Mädchen erfüllte. Sie waren beide hübscher als Angela, und Nannetta war ihr an Klugheit, Martina an sanftem und naivem Charakter weit überlegen. Ich war ganz überrascht, daß ich ihre vortrefflichen Eigenschaften nicht früher gewürdigt hatte; da aber die jungen Damen aus adeliger und sehr anständiger Familie waren, so durfte der Zufall, der sie in meine Arme geführt hatte, ihnen nicht verhängnisvoll werden. Ich war nicht so eitel, zu glauben, daß sie mich liebten; aber ich konnte annehmen, daß meine Küsse auf sie dieselbe Wirkung gehabt hatten, wie die ihrigen auf mich.

Indem ich hierüber nachdachte, sah ich klar und deutlich, daß ich mit List und Hilfe von Kunstgriffen, deren Tragweite sie nicht kennen konnten, im Laufe der langen Nacht, die ich mit ihnen verbringen sollte, sie leicht zu Gefälligkeiten bewegen könnte, deren Folgen möglicherweise sehr bedeutsam wären. Dieser Gedanke erfüllte mich mit Entsetzen, und ich machte es mir zum strengen Gesetz, ihre Unschuld zu schonen; daß ich die Kraft haben würde, meinem Vorsatz getreu zu bleiben, daran zweifelte ich nicht.

Als sie wieder erschienen, sah ich auf ihren Gesichtern den Ausdruck der Sicherheit und Zufriedenheit, und ich nahm schnell dieselbe Miene an, fest entschlossen, mich der Gefahr ihrer glühenden Küsse nicht mehr auszusetzen.

Wir verbrachten eine Stunde damit, von Angela zu sprechen, und ich sagte ihnen, ich fühlte mich entschlossen, sie nicht mehr zu sehen, denn ich sei überzeugt, daß sie mich nicht liebe. »Sie liebt Sie,« sagt mir die naive Martina, »dessen bin ich sicher. Aber wenn Sie nicht die Absicht haben, sie zu heiraten, so werden Sie gut tun, gänzlich mit ihr zu brechen; denn sie ist entschlossen, Ihnen nicht einmal einen einzigen Kuß zu bewilligen, solange Sie nur ihr Liebhaber sind; Sie müssen sich also entschließen, sie aufzugeben, oder Sie müssen darauf gefaßt sein, daß sie Ihnen nicht im geringsten entgegenkommen wird.«

»Sie sprechen wie ein Engel; aber wie können Sie so bestimmt wissen, daß sie mich liebt?«

»Dies weiß ich ganz bestimmt; und da wir uns geschwisterliche Freundschaft versprochen haben, so kann ich Ihnen auch sagen warum: Wenn Angela bei uns schläft, umarmt sie mich zärtlich und nennt mich ihren lieben Abbate.«

Bei diefen Worten lachte Nannetta laut auf und legte ihr die Hand auf den Mund. Aber dieses naive Geständnis regte mich so auf, daß ich große Mühe hatte, mich zu beherrschen.

Martina sagte zu Nannetta, da ich doch so sehr klug wäre, so könnte es mir unmöglich unbekannt sein, wie es unter jungen Mädchen zuginge, die zusammen schliefen.

»Natürlich«, beeile ich mich zu sagen, »sind diese kleinen Scherze jedermann bekannt, und ich glaube nicht, meine liebe Nannetta, daß Sie dieses freundschaftliche Eingeständnis Ihrer Schwester zu indiskret gefunden haben.«

»Es ist einmal geschehen; aber solche Sachen sagt man nicht. Wenn Angela es wüßte …!«

»Sie würde in Verzweiflung sein; aber Martina hat mir damit einen solchen Freundschaftsbeweis geliefert, daß ich ihr bis an mein Lebensende dankbar dafür sein werde. Ubrigens ist die Sache erledigt. Ich verabscheue Angela und werde kein Wort mehr mit ihr reden. Sie ist eine falsche Person; sie will mich nur zugrunde richten.«

»Aber wenn sie Sie liebt, hat sie nicht unrecht, daß sie von Ihnen geheiratet sein will.«

»Zugegeben; aber sie denkt nur an sich selber; denn da sie weiß, was ich leide – könnte sie wohl so handeln, wenn sie mich um meiner selbst willen liebte? Unterdessen liefert ihre Phantasie ihr die Mittel, ihre Begierden mit unserer reizenden Martina zu beschwichtigen, die so freundlich ist, bei ihr Gattenstelle zu vertreten!«

Über diese Worte lachte Nannetta noch herzlicher; ich blieb aber ernst und sprach noch eine Weile zu ihrer Schwester immer in demselben Ton, wobei ich ihrer Aufrichtigkeit das höchste Lob zollte. Zuletzt sagte ich ihr, ohne Zweifel müßte Angela in Erwiderung ihrer Gefälligkeit auch ihr als Gatte dienen; aber sie antwortete lachend, Angela sei nur Nannettens Mann, und Nannetta mußte dies zugeben.

»Aber wie nennt denn,« fragte ich von neuem, »Nannetta in ihren Liebesverzückungen ihren Mann?«

»Das weiß kein Mensch.«

»Sie lieben also einen, Nannetta?«

»Das ist wahr; aber niemand wird mein Geheimnis je erfahren.«

Diese Zurückhaltung brachte mich auf den Gedanken, daß das süße Geheimnis möglicherweise etwas mit meiner eigenen Person zu tun haben könnte und daß vielleicht Nannetta eine Nebenbuhlerin Angelas wäre. Durch unsere anziehende Unterhaltung bekam ich allmählich Lust, mit zwei so reizenden Mädchen, die zur Liebe geschaffen waren, die Nacht nicht müßig zu verbringen. »Ich bin recht glücklich,« sagte ich zu ihnen, »daß ich für Sie nur freundschaftliche Gefühle empfinde, denn sonst würde ich in großer Verlegenheit sein, wie ich mit Ihnen die Nacht verbringen wollte, ohne in Versuchung zu geraten, Ihnen Beweise meiner Zärtlichkeit zu liefern und von Ihnen solche zu empfangen; denn Sie sind alle beide entzückend hübsch und ganz danach angetan, jedem Manne den Kopf zu verdrehen, den Sie instand setzen, Sie genauer kennenzulernen.«

Während ich in ähnlichem Sinne noch weiter sprach, tat ich, als bekäme ich Lust zu schlafen. Nannetta bemerkte es zuerst und sagte mir: »Machen Sie nur keine Umstände; legen Sie sich zu Bett. Wir gehen ins andere Zimmer und schlafen auf dem Kanapee.«

»Ich würde mir selber als ein ganz erbärmlicher Mensch vorkommen, wenn ich das täte. Wir wollen weiter plaudern; meine Müdigkeit wird vorübergehen. Es tut mir nur um Ihretwegen leid. Legen Sie sich ins Bett, meine reizenden Freundinnen; ich werde ins Nebenzimmer gehen. Wenn Sie Angst vor mir haben, so schließen Sie sich ein; aber Sie würden mir unrecht tun, denn ich liebe Sie nur aus brüderlichem Herzen.«

»Das werden wir niemals tun!« rief Nannetta. »Aber lassen Sie sich überreden: schlafen Sie hier!«

»In meinen Kleidern kann ich nicht schlafen.«

»So ziehn Sie sich doch aus! Wir werden nicht hinsehen.«

»Davor habe ich keine Angst; aber ich könnte niemals einschlafen, wenn ich sähe, daß Sie um meinetwillen wachen müßten.«

»Wir werden uns ebenfalls ins Bett legen,« sagte Martina, »aber ohne uns auszuziehen.«

»Das ist ein Mißtrauen, das eine Beleidigung für meine Ehrenhaftigkeit enthält. Sagen Sie mir, Nannetta, ob Sie mich für einen ehrenhaften Menschen halten?«

»Ja, gewiß!«

»Schön; aber Sie müssen mich davon überzeugen. Legen Sie sich daher entkleidet neben mich und rechnen Sie auf mein Ehrwort, daß ich Sie nicht berühren werde. Übrigens sind Sie zwei gegen einen; was können Sie fürchten? Stände es Ihnen nicht frei, das Bett zu verlassen, sobald ich unartig werden sollte? Kurz und gut, wenn Sie nicht einwilligen, mir diesen Vertrauensbeweis zu geben, wenigstens sobald Sie mich eingeschlafen sehen, so werde ich mich nicht ins Bett legen.«

Hierauf schwieg ich und tat, als ob ich einschliefe.

Nachdem Sie sich einen Augenblick leise besprochen hatten, sagte Martina mir, ich möchte nur zu Bett gehen; sie würden mir folgen, sobald sie mich eingeschlafen sähen. Nachdem auch Nannetta dieses Versprechen mir bestätigt hatte, wandte ich ihnen den Rücken zu, kleidete mich aus und legte mich ins Bett, nachdem ich ihnen gute Nacht gewünscht hatte. Sobald ich im Bette lag, tat ich, als ob ich einschliefe; bald aber überfiel mich der Schlaf wirklich, und ich wachte erst auf, als sie sich zu mir legten. Ich legte mich auf die andere Seite, wie wenn ich wieder einschlafen wollte, und blieb ruhig liegen, bis ich annehmen konnte, daß sie eingeschlafen wären; und wenn sie noch nicht eingeschlafen waren, so konnten sie doch so tun. Sie hatten mir den Rücken zugedreht und das Licht war ausgeblasen; ich ging also aufs Geratewohl vor und wandte mich mit meinen ersten Huldigungen an die, die mir zur Rechten lag, ohne zu wissen, ob es Nannetta oder Martina war. Ich fand sie zusammen gekauert und in das Hemd eingewickelt, das sie allein anbehalten hatte. Ohne Gewalt anzuwenden und ihre Schamhaftigkeit schonend, brachte ich sie allmählich so weit, daß sie sich für besiegt erklären mußte und nichts Besseres tun konnte, als mich gewähren zu lassen und sich schlafend zu stellen. Bald wirkte auch die Natur in ihr und unterstützte mich; ich gelangte zum Ziel. Meine Anstrengungen waren von vollem Erfolge gekrönt, und es blieb mir kein Zweifel, daß ich die Erstlinge erhalten hatte, auf die wir vielleicht nur aus Vorurteil so hohen Wert legen. Entzückt, einen Genuß gekostet zu haben, den ich in vollem Umfange selber jetzt zum erstenmal kennengelernt hatte, verließ ich leise meine Schöne, um der anderen einen neuen Tribut meiner Liebesglut darzubringen. Ich fand sie unbeweglich auf den Rücken liegen, in der Stellung einer Person, die in einen tiefen, ruhigen Schlaf versunken ist. Vorsichtig mich ihr nähernd, wie wenn ich sie aufzuwecken fürchtete, begann ich zunächst ihren Sinnen zu schmeicheln, wobei ich mich überzeugte, daß sie ebenso unberührt war, wie ihre Schwester. Sobald ich aber an einer unwillkürlichen Bewegung gemerkt hatte, daß der Liebesgott die Gabe anzunehmen bereit war, begann ich das Opfer zu vollziehen. Da gab sie plötzlich dem lebhaften Gefühl nach, das sie erregte; wie wenn sie es müde wäre, noch weiter Komödie zu spielen, schloß sie mich im Augenblick der Krise eng in ihre Arme, bedeckte mich mit Küssen, erwiderte meine Ekstase mit gleichen Verzückungen, und die Liebe verschmolz unsere Seelen in gleicher Wollust.

An diesen Zeichen glaubte ich Nannetta zu erkennen; ich sagte es ihr.

»Ja, ich bin’s!« sagte sie; »und ich erkläre mich und meine Schwester für glücklich, wenn du ehrenhaft und treu bist.«

»Bis in den Tod, meine Engel! Und da alles, was wir getan haben, das Werk der Liebe ist, so sei unter uns von Angela nicht mehr die Rede!«

Ich bat sie dann aufzustehen und Kerzen anzuzünden; aber Martina sprang dienstwillig sofort aus dem Bett und ließ uns beisammen liegen. Als ich Nannetta, vom Feuer der Liebe beseelt, in meinen Armen hielt, während Martina, eine Kerze in der Hand, vor uns stand und mit ihren Blicken uns der Undankbarkeit zu bezichtigen schien, weil wir ihr nichts sagten, während sie doch zuerst sich meinen Liebkosungen ergeben und dadurch ihre Schwester ermutigt hatte, es ihr nachzutun – da fühlte ich mein ganzes Glück.

»Stehen wir auf, meine Freundinnen,« rief ich aus, »und schwören wir uns ewige Freundschaft!«

Sobald wir aufgestanden waren, machten wir uns gegenseitig Abwaschungen, über die sie herzlich lachten, und bei denen unsere Begierden sich erneuerten; dann aßen wir im Kostüm des goldenen Zeitalters, was wir von unserer Abendmahlzeit übriggelassen hatten. Nachdem wir uns hunderterlei gesagt hatten, was nur die Liebe in der Trunkenheit der Sinne verdolmetschen darf, legten wir uns wieder zu Bett, und die köstlichste Nacht verging in gegenseitigen Bezeugungen unserer Glut. Nannetta empfing den letzten Beweis meiner Zärtlichkeit; denn da Frau Orio bereits in die Messe gegangen war, mußte ich meinen Abschied beschleunigen; ich gab ihnen noch einmal die Versicherung, daß sie in meinem Herzen alle Gefühle für Angela ausgelöscht hätten. In meiner Wohnung angekommen, legte ich mich zu Bett und tat den süßesten Schlaf, bis es Zeit zum Mittagessen war.

Herr von Malipiero sah an mir ein fröhliches Gesicht und müde Augen; ich war aber verschwiegen, sagte ihm nichts und ließ ihn sich denken, was er wollte. Zwei Tage darauf machte ich einen Besuch bei Frau Orio; und da Angela nicht da war, blieb ich zum Abendessen und ging zusammen mit Herrn Rosa fort. Während meines Besuches fand Nannetta Gelegenheit, mir einen Brief und ein Päckchen zuzustecken. Das Päckchen enthielt ein Stück Wachs mit dem Abdruck eines Schlüssels, und in dem Briefe stand, ich solle den Schlüssel anfertigen lassen und mich desselben bedienen, um mit ihnen die Nacht zu verbringen, so oft ich Lust hätte. Außerdem teilte sie mir mit, daß Angela die vorige Nacht bei ihnen gewesen sei und alles Vorgefallene erraten habe; sie hätten es eingeräumt und ihr vorgeworfen, daß nur sie schuld daran gewesen sei; daraufhin hätte sie ihnen die stärksten Beleidigungen gesagt und erklärt, sie werde ihren Fuß nicht mehr in ihr Haus setzen; aber das wäre ihnen höchst gleichgültig.

Einige Tage darauf befreite uns das Glück von Angela; ihr Vater war auf mehrere Jahre nach Vicenza berufen worden, um dort in einigen Wohnungen Fresken zu malen, und er nahm sie mit. Dank ihrer Abweseneit fand ich mich im ruhigen Besitz dieser reizenden beiden Mädchen, mit denen ich jede Woche mindestens zwei Nächte verbrachte, da ich mit Hilfe des Schlüssels, den ich sofort hatte anfertigen lassen, jederzeit leichten Zugang hatte.

Wir befanden uns in den letzten Tagen des Karnevals, als Herr Manzoni mir sagte, die berühmte Giulietta wünsche mich zu sprechen; sie habe sehr bedauert, daß sie mich nicht mehr bei sich sehe. Ich war neugierig, was sie mir wohl zu sagen hätte, und ging mit ihm zu ihr. Nachdem sie mich recht höflich empfangen hatte, sagte sie, sie wisse, ich hätte in meinem Hause einen schönen Saal, und sie wünsche, daß ich ihr einen Ball gebe, dessen sämtliche Kosten sie bestreiten werde. Ich erklärte mich einverstanden. Sie übergab mir vierundzwanzig Zechinen und schickte ihre Leute zu mir, um meinen Saal und meine Zimmer mit Kronleuchtern zu versehen; ich für meinen Teil hatte mich nur um das Orchester und das Abendessen zu bekümmern.

Herr von Sanvitali war bereits abgereist, und die Regierung von Parma hatte ihn unter Kuratel gestellt. Ich habe den Kavalier zehn Jahre später in Versailles wiedergesehen; er war damals mit dem königlichen Orden dekoriert als Oberhofstallmeister der Herzogin von Parma, Ludwigs des Fünfzehnten ältester Tochter, die wie alle Prinzessinnen des Hauses Frankreichs sich niemals an den Aufenthalt in Italien gewöhnen konnte.

Mein Ball fand statt, und alles verlief sehr gut. Die Gäste gehörten sämtlich zu Giuliettas Kreis, mit Ausnahme der Frau Orio, ihrer Nichten und des Sachwalters Rosa, die sich im Nebenzimmer befanden, da ich Erlaubnis erhalten hatte, als Personen ohne Bedeutung sie einzuladen.

Während nach dem Abendessen Menuett getanzt wurde, nahm die Schöne mich beiseite und sagte mir: »Führen Sie mich auf Ihr Zimmer; mir ist etwas Lustiges eingefallen; wir werden lachen.«

Mein Zimmer lag im dritten Stock; ich führte sie hinauf. Sobald wir drinnen waren, sah ich sie den Riegel vorschieben; ich wußte nicht, was ich davon denken sollte.

»Ich wünsche,« sagte sie zu mir, »daß Sie mich mit einem Ihrer Anzüge vollständig als Abbate verkleiden; ich werde Ihnen dafür meine Kleider anziehen. In dieser Verkleidung gehen wir wieder hinunter und tanzen zusammen. Schnell, lieber Freund, zu allererst wollen wir uns die Haare zurechtmachen!«

Eines süßen Lohnes sicher und entzückt über das seltene Abenteuer, ordne ich ihr schnell ihr langes Haar rund um den Kopf; dann lasse ich mich von ihr frisieren. Sie legt mir rote Schminke und Schönheitspflästerchen auf; ich lasse alles mit mir geschehen und sage ihr, daß mir die Sache Spaß mache; hierfür bewilligt sie mir sehr liebenswürdig einen Kuß, unter der Bedingung, daß ich nicht mehr verlange. »Nur von Ihnen, schöne Giulietta«, sage ich, »hängt alles ab; ich sage Ihnen aber offen heraus: ich bete Sie an!«

Ich lege auf mein Bett ein Hemd, Bäffchen, Unterhosen, schwarze Strümpfe und einen vollständigen Anzug. Sie läßt ihren Rock fallen und zieht geschickt die Unterhosen an, die sie für gut erklärt; als es aber zum Anziehen der Hose kommt, geht das nicht so leicht: der Bund ist zu eng, und dabei ist nichts anderes zu machen, als sie hinten aufzutrennen oder erforderlichenfalls etwas aufzuschneiden. Ich übernehme es, alles in Ordnung zu bringen und setze mich auf mein Bett; sie stellt sich vor mich hin und dreht mir den Rücken zu. Ich arbeite; aber sie findet, ich wolle zuviel sehen, ich benehme mich ungeschickt und berühre sie, wo es nicht nötig sei; sie wird ungeduldig, läuft mir davon, reißt den Hosenbund entzwei und bringt die Sache in Ordnung, so gut es geht. Hierauf helfe ich ihr, Strümpfe und Schuhe anzulegen und ziehe ihr das Hemd über; als ich aber Spitzenkrause und Bäffchen zurecht mache, findet sie meine Hände zu neugierig; ihr Busen war nämlich nicht allzu gut ausgestattet. Sie sagte mir tausend Beleidigungen, nannte mich unehrenhaft; ich ließ sie ruhig reden. Ich hielt darauf, daß sie mich nicht als Dummkopf ansehen sollte; übrigens war ich der Meinung, ein Weib, für das einer hunderttausend Dukaten bezahlt hatte, wäre wohl der Mühe wert, etwas näher betrachtet zu werden. Endlich ist sie mit ihrem Anzuge fertig, und nun komme ich an die Reihe. Schnell ziehe ich meine Hose aus, obgleich sie sich dem widersetzen will; dann muß sie nur ein Hemd und einen Rock anziehen, kurz und gut: mich ankleiden. Plötzlich aber fängt sie an sich zu zieren und erzürnt sich darüber, daß ich keineswegs die sehr augenscheinliche Wirkung ihrer Reize verberge; sie weigert sich mir die Gunst zu bewilligen, die mich in einem Augenblick wieder ruhig gemacht haben würde. Ich will ihr einen Kuß geben; sie sträubt sich; ich werde ungeduldig und lasse sie wider ihren Willen den Schlußakt meiner Aufregung mit ansehen. Bei diesem Anblick fängt sie an zu schimpfen; ich beweise ihr, daß sie unrecht hat; aber vergebens. Trotz ihrem Ärger mußte sie aber doch mir behilflich sein, mich fertig anzuziehen.

Offenbar würde eine anständige Frau, die sich auf ein derartiges Abenteuer einließe, zärtliche Absichten dabei haben und würde diese nicht in dem Augenblick ableugnen, wo sie sähe, daß sie von der anderen Seite geteilt werden; aber Frauen von Giuliettas Art beherrscht ein Widerspruchsgeist, der sie zu Feindinnen ihrer selbst macht. Übrigens glaubte Giulietta selbst angeführt zu sein, als sie sah, daß ich nicht schüchtern war, und meine Leichtfertigkeit erschien ihr als ein Mangel an Respekt. Es wäre ihr wohl recht gewesen, hätte ich ihr heimlich einige geringe Gunstbezeugungen geraubt; diese hätte sie mir bewilligen können, ohne daß es weiter was auf sich gehabt hätte; aber damit hätte ich zu sehr ihrem Selbstgefühl geschmeichelt.

Als wir mit unserer Verkleidung fertig waren, gingen wir zusammen nach dem Saal hinunter, wo wiederholter Beifall uns bald in gute Laune versetzte. Alle Welt schrieb mir ein Liebesabenteuer zu, das ich nicht gehabt hatte; es war mir aber ganz recht, die Leute in ihrem Glauben zu lassen, und ich begann mit meinem falschen Abbate zu tanzen, den ich zu meinem großen Bedauern reizend fand. Giulietta behandelte mich die ganze Nacht hindurch so gut, daß ich ihr verändertes Benehmen als eine Art von Reue auffaßte und daß mir mein Verhalten gegen sie fast schon leid tun wollte; dies war eine Anwandlung von Schwäche, für die ich bestraft wurde.

Als nach dem Kontertanz alle Kavaliere sich berechtigt fühlten, sich Freiheiten gegen den verkleideten Abbate herauszunehmen, ließ ich mich ebenfalls den jungen Mädchen gegenüber gehen, die sich meinen Liebkosungen nicht entzogen, da sie durch Widerstand sich lächerlich zu machen fürchteten.

Herr Querini richtete an mich die dumme Frage, ob ich meine Hosen anbehalten hätte; und als ich ihm antwortete, ich hätte sie Giulietta geben müssen, setzte er sich traurig in eine Ecke des Saales und tanzte nicht mehr.

Da sehr bald die ganze Gesellschaft bemerkt hatte, daß ich ein Frauenhemd trug, zweifelte niemand mehr daran, daß das Opfer vollzogen wäre – mit Ausnahme von Martina und Nannetta, die sich nicht vorstellen konnten, daß ich imstande wäre, ihnen untreu zu werden. Giulietta bemerkte, daß sie eine große Unbesonnenheit begangen hatte; aber das Unglück war nun einmal geschehen, und nichts mehr dagegen zu machen.

Als wir einige Zeit darauf wieder auf mein Zimmer gegangen waren, glaubte ich sie umarmen und ihre Hand ergreifen zu können, um ihr zu beweisen, daß ich bereit sei, ihr Genugtuung zu geben; ich glaubte nämlich, sie habe ihr Benehmen bereut, und war außerdem wirklich ein bißchen in sie verliebt. Aber im selben Augenblick gab sie mir eine so starke Ohrfeige, daß ich in meiner Entrüstung beinahe den Schlag erwidert hätte. Ich entkleidete mich in aller Eile und ohne sie anzusehen; sie zog sich ebenfalls um, und wir begaben uns wieder zur Gesellschaft. Obwohl ich mich reichlich mit kaltem Wasser abgespült hatte, konnte doch jeder auf meinem Gesicht die Spur sehen, die ihre plumpe Hand hinterlassen hatte.

Bevor sie ging, nahm sie mich auf die Seite und sagte mir im festesten und bestimmtesten Ton: wenn ich Lust hätte, mich aus dem Fenster werfen zu lassen, so brauchte ich nur bei ihr zu erscheinen; sie würde mich ermorden lassen, wenn das Vorgefallene bekannt würde. Ich hütete mich wohl, ihr zu dem einen wie zu dem anderen Anlaß zu geben; aber ich konnte nicht verhindern, daß unser Hemdenaustausch bekannt wurde. Da man mich gar nicht mehr bei ihr verkehren sah, so glaubte man, sie habe Herrn Querini diese Genugtuung geben müssen. Der Leser wird sehen, wie sechs Jahre später dieses eigentümliche Mädchen sich stellen mußte, als habe sie die ganze Geschichte vergessen.

Ich verbrachte die Fastenzeit zum Teil mit meinen beiden Engeln, die mich immer mehr beglückten, zum Teil mit dem Studium der Experimentalphysik im Kloster della Salute; abends besuchte ich die im Hause des Herrn von Malipiero sich versammelnde Gesellschaft. Nach Ostern aber begab ich mich infolge einer Einladung der Gräfin von Monte Reale nach Paseano, ungeduldig meine liebe Lucia wieder zu sehen. Ich traf dort eine ganz andere Gesellschaft, als die vom vorigen Herbst gewesen war. Graf Daniele, der älteste Sohn der Familie, hatte eine Gräfin Gozzi geheiratet, und ein junger reicher Pächter, der eine Patin der alten Gräfin geheiratet hatte, war mit seiner Frau und Schwägerin zu Besuch. Das Abendessen kam mir sehr lang vor. Man hatte mich wieder in meinem alten Zimmer untergebracht, und ich sehnte mich Lucia zu sehen, die ich nicht mehr wie ein Kind zu behandeln gedachte. Da ich sie vor dem Zubettgehen nicht gesehen hatte, erwartete ich sie unfehlbar am anderen Morgen beim Erwachen zu sehen; aber wen sehe ich statt ihrer erscheinen? Eine häßliche dicke Magd. Ich frage sie nach der Familie; sie antwortet mir jedoch in ihrer Mundart, und ich verstehe nichts.

Unruhig frage ich mich, was aus Lucia geworden sein mag. Sollte man unseren vertrauten Verkehr entdeckt haben? Sollte sie etwa krank sein oder tot? Ich sage nichts, ziehe mich an und nehme mir vor, sie zu suchen. »Wenn man ihr verboten hat, mich zu besuchen,« sage ich bei mir selber, »so werde ich mich rächen; denn ich werde auf irgendeine Art ein Mittel finden mit ihr zu sprechen, und werde aus Rache mit ihr machen, was ich trotz meiner Liebe aus Ehrenhaftigkeit nicht getan habe.« Da tritt mit trauriger Miene der Hausmeister ein. Ich frage ihn, wie es seiner Frau, seiner Tochter gehe; aber bei diesem Namen kommen ihm die Tränen in die Augen.

»Ist sie tot?«

»Wollte Gott, sie wäre es!«

»Was hat sie getan?«

»Sie ist mit dem Läufer des Herrn Grafen Daniele durchgegangen, und wir wissen nicht, wo sie sein mag.«

Seine Frau kommt dazu; und durch unser Gespräch erneuert sich ihr Schmerz; sie wird ohnmächtig. Als der Hausmeister sieht, daß ich aufrichtig an ihrer Trauer Anteil nehme, sagt er mir, das Unglück habe sie erst vor acht Tagen getroffen.

»Ich kenne den Läufer,« sage ich, »er ist ein Schuft. Hat er Sie um die Hand Ihrer Tochter gebeten«?

»Nein! Denn er war sicher, daß wir sie ihm nicht gegeben haben würden.«

»Ich wundere mich über Lucia.«

»Er hat sie verführt, und erst nach ihrer Flucht haben wir die Wahrheit geahnt; sie war sehr dick geworden.«

»Sie hatten also schon seit langer Zeit miteinander verkehrt?«

»Sie hat ihn ungefähr einen Monat nach Ihrer Abreise kennengelernt. Er muß sie behext haben, denn Lucia war unschuldig wie eine Taube; das können Sie, glaube ich, mit gutem Gewissen bezeugen.«

»Und niemand weiß, wo sie sind?«

»Kein Mensch! Und Gott weiß, was der elende Kerl aus ihr machen wird!«

Ebenso betrübt wie diese braven Leute, ging ich aus und wanderte im Wald herum, um meine Traurigkeit zu verwinden. Ich verbrachte zwei Stunden in guten und schlechten Betrachtungen, die alle mit wenn anfingen. Wäre ich, wie ich es leicht hätte tun können, schon vor acht Tagen hingenommen, so hätte meine zärtliche Lucia alles mir anvertraut, und ich hätte diese Schandtat verhindert. Hätte ich es mit ihr gemacht, wie mit Nannetta und Martina, so wäre sie nicht bei meiner Abreise in einer Aufregung gewesen, die ohne Zweifel die Hauptursache ihres Fehlgriffs war. Hätte sie mich nicht vor dem Läufer gekannt, so würde ihre bis dahin reine Seele nicht auf ihn gehört haben. Voll Verzweiflung gestand ich mir selber ein, daß ich das Werkzeug des niederträchtigen Verführers war. Ich hatte für ihn gearbeitet.

El fior che sol potea pormi fra dei,
Qual fior he intatto io mia venia serbando
Per non turbar, ohimè! l’animo casto,
Ohimè il bel fior colui m’ga colto, e guasto.

Die Blume, die zu einem Gott mich machte,
Die Blume, die ich unberührt gelassen,
Um ihrer Seele Keuschheit nicht zu töten –
Er hat sie, ach! gepflückt, hat sie zertreten!

Hätte ich gewußt, wo ich sie finden könnte, ich wäre ganz gewiß auf der Stelle aufgebrochen, sie ihren Eltern zurückzuführen; aber es fehlte jedes Anzeichen, wo sie sich aufhalten könnte.

Bevor Lucias Unglück mir bekannt wurde, war ich eitel, ja sogar stolz darauf gewesen, daß ich soviel Selbstbeherrschung besessen hatte, sie unberührt zu lassen; jetzt aber schämte ich mich und bereute meine Zurückhaltung; ich nahm mir fest vor, in Zukunft in dieser Beziehung mich vernünftiger zu benehmen. Untröstlich machte mich der Gedanke, daß das unglückliche Mädchen dem Elend und vielleicht der Schande verfallen sei, daß sie mein Andenken verfluchen und mich als ersten Urheber ihres Unglücks hassen werde. Infolge dieses traurigen Ereignisses wandte ich mich einem neuen System zu, das ich dann in der Folge oft zu weit trieb.

Ich ging in den Garten zu der fröhlich lärmenden Gesellschaft, die mich so gut aufnahm und mich in so gute Laune versetzte, daß ich beim Essen die ganze Tafel erheiterte. Meine Betrübnis war so groß, daß ich nur durch tolle Lustigkeit mich über sie hinwegsetzen konnte; sonst hätte ich abreisen müssen. Einen mächtigen Antrieb gab mir das schöne Gesicht und noch mehr der für mich ganz neue Charakter der Neuvermählten. Ihre Schwester war hübscher; aber ich fing an, vor solchen noch unversehrten Mädchen Angst zu bekommen; sie machen einem zuviel Arbeit.

Die junge Ehefrau, die etwa neunzehn oder zwanzig Jahre alt war, fiel der ganzen Gesellschaft durch ihr geziertes Benehmen auf; sie war redselig, ihr Gedächtnis war mit Denksprüchen gespickt, die sie oft am falschen Orte anwandte, weil sie damit paradieren zu müssen glaubte; sie war fromm und in ihren Mann so verliebt, daß sie ihren Verdruß nicht verbergen konnte, wenn er bei Tisch seiner Schwägerin, der er gegenübersaß, den Hof machte und so tat, als sei er von deren Schönheit entzückt. So wirkte sie sehr komisch. Ihr Mann war ein Wirbelkopf, der vielleicht seine Frau sehr liebhatte, aber es für guten Ton hielt, sich gleichgültig gegen sie zu zeigen, und der aus Eitelkeit Spaß daran fand, ihr allerlei Gründe zur Eifersucht zu geben. Sie ihrerseits befürchtete für dumm gehalten zu werden, wenn sie nicht zu erkennen gäbe, daß sie alles merkte. Die gute Gesellschaft machte sie linkisch, gerade weil sie tat, als sei sie nur an einen Verkehr wie solcher gewöhnt. Wenn ich allerlei Unsinn vorbrachte, hörte sie mich aufmerksam an und lachte am unrechten Ort, weil sie nicht für beschränkt gelten wollte. Ihr eigentümliches, linkisches und geziertes Wesen machte mir Lust, sie besser kennenzulernen, und ich begann, ihr den Hof zu machen.

Meine großen und kleinen Aufmerksamkeiten, meine Gefälligkeiten, selbst meine Narrenspossen machten es bald jedem klar, daß ich Absichten auf sie hatte. Der Ehemann wurde offen vor mir gewarnt; er aber spielte den Helden und nahm die Sache von der scherzhaften Seite, wenn man ihm sagte, er solle sich vor mir in acht nehmen. Ich meinerseits spielte den Bescheidenen, manchmal aber auch den Unbekümmerten. Seiner Rolle getreu, stachelte er mich noch an, seiner Frau den Hof zu machen, die ihrerseits sehr ungeschickt die disinvolta – die Ungezwungene – herauskehrte.

Seit fünf oder sechs Tagen hatte ich ihr eifrig den Hof gemacht, als sie bei einem Spaziergang im Garten so unvorsichtig war, mir zu sagen, warum sie so unruhig sei, und daß ihr Mann unrecht habe, ihr Anlaß dazu zu geben. Ich sagte ihr im Ton der Freundschaft, es gäbe kein besseres Mittel ihn zu bessern, als scheinbar die Aufmerksamkeiten ihres Mannes für ihre Schwester gar nicht zu bemerken und sich zu stellen, als sei sie in mich verliebt; um sie recht geneigt zu machen, meinen Vorschlag zu befolgen, sagte ich ihr, mein Plan sei sehr schwer auszuführen, denn man müsse viel Geist haben, um eine Rolle zu spielen, die solche Verstellungskunst erfordere. Damit hatte ich den empfindlichen Punkt getroffen; denn sie versicherte mir, sie werde diese Rolle ausgezeichnet spielen. Trotz dieser Versicherung benahm sie sich höchst ungeschickt, denn alle bemerkten, daß der Plan von mir stammte.

Eines Tages befand ich mich allein mit ihr in einer Gartenallee, und da ich sicher war, daß uns niemand sehen konnte, so wollte ich aus der Komödie Ernst machen. Da ergriff sie das gefährliche Mittel fortzulaufen und allein zu der übrigen Gesellschaft zurückzukehren; natürlich verspottete man mich, als ich wieder erschien, als ungeschickten Jäger. Sobald ich Gelegenheit dazu fand, tadelte ich sie wegen ihres Davonlaufens und stellte ihr vor, daß sie dadurch ihrem Gatten einen großen Triumph verschafft habe. Ich lobte ihre Klugheit und tadelte ihre falsche Erziehung. Ich sagte ihr, der Ton, den ich ihr gegenüber anschlage, entspreche den Umgangsformen der guten Gesellschaft und sei ein Beweis, wie hoch ich ihre Klugheit schätze. Am elften oder zwölften Tage aber brachte sie mich mitten in meinen schönsten Redensarten außer Fassung, indem sie mir sagte, als Priester müsse ich wissen, daß außerehelicher Liebesverkehr eine Todsünde sei; Gott sehe alles, und sie wolle nicht zur Hölle verdammt werden, andererseits aber auch nicht einem Beichtvater sagen müssen, daß sie sich soweit vergessen habe, mit einem Priester zu sündigen. Ich brachte den Einwand vor, ich sei kein Priester; aber sie schmetterte mich zu Boden, indem sie mich fragte, ob etwa das von mir Beabsichtigte nicht zu den Sünden gehöre. Da ich nicht den Mut hatte, diese Frage zu verneinen, so fühlte ich, daß ich meinem Abenteuer ein Ende machen müßte.

Indem ich über die Sache nachdachte, gewann ich gleich meine Ruhe wieder; mein neues Verhalten wurde bei Tisch bemerkt, und der alte Graf, der gerne einen Scherz machte, sagte laut heraus, man sehe, daß die Sache abgemacht sei. Dies schien mir ein günstiger Umstand zu sein; ich sagte meiner hartherzigen, frommen Schönen, so werde unser Fall von der Welt aufgefaßt; aber das nützte mir nichts, und ich war mit meinem Latein zu Ende. Der Zufall kam mir besser zur Hilfe; die Intrige nahm plötzlich eine ganz andere Wendung:

Am Himmelfahrtstage machten wir alle einen Besuch bei Frau Bergalli, der berühmten Zierde des italienischen Parnasses. Als wir am selben Abend nach Paseano zurückfahren sollten, wollte meine schöne Pächtersfrau in einem viersitzigen Wagen Platz nehmen, worin schon ihr Mann und ihre Schwester saßen, während ich allein in einer hübschen zweiräderigen Kalesche mich befand. Ich schlug Lärm; das sei ein Zeichen von Mißtrauen; und die Gesellschaft stellte ihr vor, sie könne mir doch solchen Schimpf nicht antun. Sie stieg zu mir ein; ich sagte dem Kutscher, ich wolle den kürzesten Weg fahren, und er trennte sich von dem anderen Wagen und wählte den Weg durch den Wald von Cequini. Bei unserer Abfahrt war der Himmel heiter, aber es war noch keine halbe Stunde vergangen, da erhob sich ein Gewitter, wie sie im Süden häufig vorkommen: es sieht aus, als wollten die Elemente die ganze Welt auf den Kopf stellen, aber es kommt gar nichts dabei heraus: der Himmel ist bald wieder klar und die Luft ist gereinigt und erfrischt. Daher sind solche Unwetter im Grunde nur angenehm.

»O Himmel!« rief meine Pächtersfrau; »wir werden ein Gewitter kriegen.«

»Ja, und trotz dem Verdeck unserer Kalesche wird der Regen Ihr schönes Kleid verderben; das tut mir recht leid.«

»Auf das Kleid kommt es nicht an; aber ich habe Angst vor dem Donner.«

»Halten Sie sich die Ohren zu.«

»Und der Blitz?«

»Kutscher, wir wollen irgendwo einkehren.«

»Die nächsten Häuser, Herr Abbate, sind eine halbe Stunde entfernt; bevor wir dahin kommen können, wird das Gewitter vorüber sein.«

Er fuhr ruhig weiter. Blitze zucken, Donner rollen, meine Pächterin zittert an allen Gliedern. Der Regen fällt in Strömen; ich ziehe meinen Mantel aus, um uns von vorne damit zu bedecken; im selben Augenblick sind wir wie geblendet: hundert Schritte vor uns schlägt der Blitz ein, die Pferde bäumen sich, und meine arme Begleiterin fällt in Krämpfe. Sie wirft sich auf mich und umschlingt mich eng. Ich bücke mich, um den heruntergefallenen Mantel aufzuheben, mache mir die Gelegenheit zunutze und hebe ihren Rock hoch. Sie macht eine Bewegung, um ihr Kleid wieder herunterzustreifen, aber im selben Augenblick bricht ein neuer Donnerschlag los, und sie kann vor Angst kein Glied rühren. Ich suche sie mit meinem Mantel zu bedecken und ziehe sie an mich; die Bewegung des Wagens kommt mir dabei zu Hilfe, und sie sinkt in der glücklichsten Stellung über mich hin. Ich verliere keine Zeit, tue, als brächte ich meine Uhr in der Westentasche in Ordnung, und mache mich sturmfertig. Sie fühlt, daß sie mir nicht entwischen kann, wenn sie mich nicht schnell an meinem Vorhaben verhindert; sie sträubt sich; ich halte sie aber fest und sage ihr: wenn sie nicht tue, als sei sie ohnmächtig, so werde der Kutscher alles sehen, sobald er sich umdrehe. Ich gönne ihr das Vergnügen, mich einen ruchlosen Taugenichts und sonst noch allerlei zu schimpfen, und erringe den vollständigsten Sieg, den je ein Athlet davongetragen hat.

Der Regen fiel immer noch in Strömen, der sehr starke Wind blies uns gerade entgegen; sie mußte daher in ihrer Stellung bleiben, aber sie sagte mir, ich richte ihre Ehre zugrunde, denn der Kutscher könne alles sehen.

»Ich sehe ihn ja,« antworte ich; »er denkt nicht dran, sich umzudrehen; aber selbst wenn er dies täte, so schützt uns der Mantel vor seinen Blicken; seien Sie vernünftig und bleiben Sie so, wie wenn Sie ohnmächtig wären; denn loslassen tue ich Sie nicht.

Sie scheint sich in ihr Schicksal zu ergeben und fragt mich, wie ich es wagen könne, den Blitz herauszufordern.

»Der ist mit mir im Bunde!« antworte ich. Sie ist beinahe geneigt zu glauben, daß ich die Wahrheit spreche, ihre Angst verschwindet, und da sie fühlt, daß ich in Ekstase bin, fragt sie mich, ob ich nun endlich zufrieden sei. Lächelnd verneine ich diese Frage; ich müsse ihre Einwilligung bis zum Ende des Gewitters verlangen. »Willigen Sie ein, oder ich lasse den Mantel fallen!«

»Abscheulicher Mensch, der mich für mein ganzes Leben ungiücklich gemacht hat! Sind Sie jetzt zufrieden?«

»Nein.«

»Was wollen Sie denn noch?«

»Eine Sintflut von Küssen!«

»Wie bin ich unglücklich! aber – da!«

»Sagen Sie, daß Sie mir verzeihen, und geben Sie zu, daß Sie meinen Genuß geteilt haben!«

»Sie wissen es wohl; ja, ich verzeihe Ihnen.«

Jetzt gab ich ihr ihre Freiheit zurück, erwies ihr gewisse Dienste und bat sie, mir dieselbe Gefälligkeit zu gönnen. Dies tat sie mit einem Lächeln auf den Lippen.

»Sagen Sie mir, daß Sie mich lieben!« rief ich.

»Nein! Sie sind ein gottloser Mensch; Sie werden in die Hölle kommen.«

Inzwischen war das Wetter wieder schön geworden; ich brachte alles in Ordnung, küßte ihr die Hände und sagte, sie könne sich darauf verlassen der Kutscher habe nichts gesehen; ich sei überzeugt, ich habe sie von dem angstvollen Gewitter geheilt, und sie werde keinem Menschen das Geheimnis verraten, wodurch ihre Heilung bewirkt worden sei. Sie antwortete mir: zum mindesten wisse sie so viel, daß niemals eine Frau durch ein ähnliches Mittel kuriert worden sei.

»Das muß«, versetzte ich, »in tausend Jahren eine Million Male vorgekommen sein. Ich will Ihnen sogar eingestehen, daß ich darauf gerechnet habe, als ich in die Kalesche stieg; denn ich sah kein anderes Mittel, in Ihren Besitz zu gelangen. Trösten Sie sich und glauben Sie mir: es gibt keine furchtsame Frau, die im gleichen Falle hätte widerstehen können.«

»Ich glaube es, aber künftighin werde ich nur noch mit meinem Mann fahren.«

»Da täten Sie unrecht; denn Ihr Mann hätte nicht den Geist besessen, Sie so zu trösten, wie ich es getan habe.«

»Das ist auch wieder wahr. Man lernt von Ihnen eigentümliche Dinge; aber wir werden nicht mehr allein miteinander fahren.«

Unter solchen Gesprächen kamen wir, eine Stunde vor den anderen, in Paseano an. Wir stiegen aus, und meine Schöne lief spornstreichs in ihr Zimmer, während ich ich meiner Börse einen Taler für den Kutscher suchte. Ich sah, daß er lachte.

»Worüber lachst du?«

»Sie wissen es wohl!«

»Da hast du einen Dukaten; aber – halte den Mund!«