Meine Ankunft in London. – Die Cornelis. – Ich werde bei Hof vorgestellt. – Ich miete ein möbliertes Haus. – Ich mache viele Bekanntschaften. – Denkweise der Engländer.
Sofort nach meiner Ankunft in Calais übergab ich meinen Reisewagen dem Wirt zum goldenen Arm zur Aufbewahrung und mietete ein Paketboot, das mir zu jeder von mir gewünschten Stunde zur Verfügung stehen sollte. Es war nur ein einziges frei; ein zweites stand dem Publikum zur Verfügung gegen einen Überfahrtspreis von sechs Franken für den Kopf. Ich zahlte sechs Guineen voraus und ließ mir dafür eine Quittung in aller Form ausstellen; denn ich wußte, daß man schon in Calais bei jedem Rechtsstreit unrecht bekam, wenn man sein Recht nicht schriftlich beweisen konnte.
Bevor die Ebbe eintrat, ließ Clairmont mein ganzes Gepäck einschiffen, und ich bestellte ein Abendessen. Der Wirt machte mich darauf aufmerksam, daß die Louis in England keinen Kurs hätten, und erbot sich, mir die meinigen gegen Guineen einzuwechseln. Ich nahm dies an; aber ich war überrascht, als ich sah, daß er mir ebensoviele englische Goldstücke gab, wie ich ihm französische gegeben hatte. Ich wollte ihm den Überschuß aufdrängen, der vier vom Hundert beträgt; er wies dies jedoch zurück, indem er sagte, daß er den Unterschied auch nicht berechnete, wenn die Engländer ihre Guineen für Louis gäben. Ich weiß nicht, ob er bei dieser Rechnung gewann. Jedenfalls verlor ich nichts dabei.
Der kleine Aranda, dem ich von nun an seinen bescheidenen Namen Trenti wiedergeben muß, hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden; er war ruhig, aber stolz darauf, daß er mir seine Reitkunst bewiesen hatte. Gegenseitig miteinander zufrieden, hatten wir uns eben zu Tisch gesetzt, als ich vor meiner Tür einen englischen Wortwechsel hörte. Gleich darauf kam der Wirt herein und teilte mir den Anlaß des Streites mit: »Draußen steht der Kurier des Herzogs von Bedford, des englischen Botschafters; er meldet die Ankunft seines Herrn und streitet sich mit dem Kapitän des Paketbootes. Er behauptet, er hat dieses brieflich geheuert und der Kapitän könne daher nicht über sein Schiff verfügen. Der Schiffer dagegen behauptet, er habe keinen Brief bekommen, und kein Mensch kann ihm das Gegenteil nachweisen.«
Ich freute mich, daß ich das Paketboot gemietet und vorausbezahlt hatte, und legte mich zu Bett. Schon in der ersten Morgenfrühe kam der Wirt herein und sagte mir, der Botschafter sei um Mitternacht eingetroffen, und sein Kammerdiener wünsche mit mir zu sprechen.
Ich ließ ihn eintreten. Er setzte mir auseinander, sein Herr, der Lord, hätte es sehr eilig, nach London zurückzukommen, und ich würde ihm einen großen Dienst erweisen, wenn ich ihm das Paketboot überließe.
Ohne auch nur ein Wort zu sagen, ergriff ich die Feder und schrieb folgende Zeilen:
»Mylord Herzog kann über mein ganzes Paketboot verfügen mit Ausnahme des Platzes, den ich für mich, zwei andere Personen und mein kleines Gepäck brauche. Ich ergreife mit Freuden die Gelegenheit, dem englischen Botschafter gefällig zu sein.«
Der Bote kam wieder, um mir im Auftrage des Herzogs zu danken, sagte mir jedoch, sein Herr könne die Gefälligkeit nur gegen Bezahlung annehmen.
»Sagen Sie ihm, dies sei unmöglich, denn das Boot sei bereits bezahlt.«
»Er wird Ihnen die sechs Guineen erstatten.«
»Sagen Sie Ihrem Herrn, er könne über das Paketboot verfügen, aber nur ohne Bezahlung, sonst nicht; denn ich kaufe keine Ware, um sie wieder zu verkaufen.«
Eine halbe Stunde darauf ließ der Herzog sich melden. Er sagte mir mit edlem Anstand: »Sie haben recht; aber auch ich habe nicht unrecht, wenn ich Ihr Anerbieten unter solchen Umständen zurückweise. Es gibt nur ein Ausgleichmittel: nehmen Sie dieses an, und ich werde Ihnen nicht weniger verpflichtet sein.«
»Und welches wäre dies, Mylord?«
»Jeder von uns bezahlt die Hälfte.«
»Der Wunsch, Ihnen gefällig zu sein, verbietet mir, Ihren Vorschlag abzulehnen, Mylord; aber nun werde ich Ihr Schuldner, indem Eure Herrlichkeit mir diese Ehre erweisen. Wir werden abreisen, sobald Sie es befehlen, denn ich kann mich danach einrichten.«
Er schüttelte mir die Hand und ging hinaus. Als er fort war, fand ich auf meiner Kommode drei Guineen, die er dorthin gelegt hatte, ohne daß ich es bemerkte. Eine Stunde darauf erwiderte ich seinen Besuch, ließ dem Kapitän des Paketbootes sagen, er möchte den Botschafter und sein Gepäck an Bord nehmen; mit seinen Leuten solle er es nach seinem Belieben halten, denn das ginge mich nichts an.
Wir brauchten nur zwei und eine halbe Stunde zur Überfahrt über den Kanal; der Wind war heftig, aber wir gelangten ohne Unfall in den Hafen.
Der Fremde, der Englands Boden betritt, muß sich mit Geduld wappnen. Die Zolldurchsuchung war kleinlich, schikanös, indiskret, ja sogar unverschämt; aber da der Herzog sich ihr unterwarf, so mußte ich wohl oder übel seinem Beispiel folgen. Was hätte es mir übrigens genützt, wenn ich hätte Widerstand leisten oder mich beschweren wollen? Der Engländer beschränkt sich auf die Rechte, die die Gesetze ihm zuweisen, und erlaubt sich nur, was die Gesetze nicht verbieten; dies macht ihn schroff, schwer zu behandeln und grob. Besonders die Beamten können in keiner Beziehung mit den Franzosen verglichen werden, die die Kunst besitzen, bei der Ausübung aller ihrer Rechte Höflichkeit und Zartgefühl zu bewahren.
Nichts ist in England wie im übrigen Europa: die Erde selber hat eine andere Färbung, und das Wasser der Themse hat einen Geschmack, den man bei keinem anderen Flusse trifft. In Albion hat alles einen besonderen Charakter: Fische, Hornvieh, Pferde, Männer und Frauen – alles hat einen Typus, den man nur dort trifft. So ist es nicht zu verwundern, daß ihre Lebensweise im allgemeinen von derjenigen anderer Völker durchaus verschieden ist, besonders ihre Küche. Der Hauptcharakterzug dieser kühnen Insulaner ist ihr Nationalstolz, der sie veranlaßt, sich hoch über alle anderen Völker zu stellen. Man muß jedoch anerkennen, daß dieser Fehler allen Nationen anhaftet: eine jede stellt sich selber auf den ersten Platz, und schwierig ist in der Tat nur die Bestimmung des zweiten Ranges.
Was mir sofort auffiel, war die allgemeine Sauberkeit, die Schönheit der Landschaft, die Sorgfalt der Landbestellung, die kräftige Nahrung, die schönen Straßen und Postwagen, die Gerechtigkeit der Fahrpreise, die Leichtigkeit, wie diese mit einem Stück Papier bezahlt werden konnten, die Schnelligkeit ihrer Wagenpferde, obgleich diese stets nur trabten, und endlich die eigentümliche Anlage ihrer Städte, die auf dem Weg von Dover nach London liegen, wie zum Beispiel die sehr volkreichen Städte Canterbury und Rochester, die man mit großen Därmen vergleichen könnte, denn sie sind außerordentlich lang und haben fast gar keine Breite.
Gegen Abend kamen wir in London an und stiegen bei Madame Cornelis ab. Diesen Namen hatte Teresa angenommen; sie war zuerst mit dem Schauspieler Imer und hierauf mit dem Tänzer Pompeati verheiratet gewesen, der sich in Wien das Leben nahm, indem er sich mit einem Rasiermesser den Bauch aufschlitzte.
Diese Pompeati, die sich in Holland Trenti genannt hatte, trug in London den Namen ihres Liebhabers Cornelius Rigerboos, den sie zugrunde gerichtet hatte; ich habe früher in meinen Erinnerungen von ihr gesprochen.
Madame Cornelis wohnte am Soho-Quare, dem venetianischen Geschäftsträger gegenüber. Ich richtete mich nach der Vorschrift, die sie mir in ihrem letzten Brief gegeben hatte: ich befahl ihrem Sohn, im Wagen sitzen zu bleiben, und ließ mich selber melden. Ich glaubte, sie würde mir entgegenfliegen, aber ein Türhüter befahl mir, zu warten, und zwei Minuten später überbrachte ein Bedienter in großer Livree mir ein Briefchen, worin Madame Cornelis mir schrieb, ich möchte in dem Hause absteigen, wohin der Bediente mich führen würde. Ich verbarg meinen Verdruß, denn ich fand ihr Benehmen sonderbar, aber sie konnte ihren Grund haben. An dem bezeichneten Hause wurden wir von einer dicken Dame, Namens Rancour, und zwei Bedienten empfangen. Oder sie empfingen vielmehr meinen jüngeren Begleiter, denn die Dame umarmte den kleinen Cornelis, sprach ihm ihre Freude über seine glückliche Ankunft aus und tat, wie wenn sie mich überhaupt nicht sähe.
Unsere Koffer wurden abgeschnallt und ins Haus gebracht. Dame Rancour erkundigte sich, was von dem Gepäck dem jungen Mann gehörte, und ließ dieses in eine schöne Wohnung bringen, die aus drei Zimmern bestand. Hierauf zeigte sie ihm diese Zimmer und die beiden Bedienten und sagte: »Diese beiden Bedienten und diese Zimmer gehören Ihnen, desgleichen ich, Ihre sehr ergebene Dienerin.«
Zu mir kam Clairmont und sagte mir, er habe meine Koffer in ein Zimmer gebracht, das mit der Wohnung des jungen Cornelis in Verbindung stehe. Ich ging hin und sah auf den ersten Blick, daß man mich ohne Umstände wie einen Subalternen behandelte. Beinahe wäre mein Zorn ausgebrochen; wunderbarerweise aber beherrschte ich mich und sagte kein Wort.
Ich fragte nur Clairmont: »Wo ist Ihr Zimmer?«
»Oben unter dem Dach; ich muß es noch dazu mit einem von den beiden dicken Lümmeln teilen, die Sie gesehen haben.«
Mein braver Diener, der mich kannte, war sehr überrascht über die Ruhe, womit ich sagte: »Bringen Sie Ihre Koffer hinauf.«
»Soll ich die Ihrigen auspacken?«
»Nein, wir wollen morgen weiter sehen.«
Ich fuhr fort, meine Stimmung zu verbergen, und trat in das Zimmer des jungen Mannes, den man ohne Zweifel für meinen Herrn hielt und der vor Überraschung und Müdigkeit ein sehr dummes Gesicht machte. Er hörte der Frau Rancour zu, die ihm mit Behagen die glänzenden Verhältnisse seiner Mutter, der Madame Cornelis, schilderte: sie schwatzte von ihren großen Unternehmungen, ihrem unermeßlichen Kredit, von dem prachtvollen Hause, das sie hätte bauen lassen, von ihren dreiunddreißig Bedienten, ihren zwei Sekretären, ihren sechs Pferden, ihrem Landhause usw.
»Wie geht es meiner Schwester Sophie?« fragte der Junge.
»Heißt sie Sophie? Man nennt sie hier nur Miß Cornelis. Sie ist eine Schönheit, ein wahres Wunder: sie spielt mehrere Instrumente vom Blatt, tanzt wie Terpsichore, spricht englisch, französisch und italienisch mit gleicher Fertigkeit; mit einem Wort, sie ist ein wahres Wunder! Sie hat ihre Erzieherin und ihre Kammerfrau. Schade, daß sie ein wenig klein für ihr Alter ist; denn sie ist schon acht Jahre alt.«
Sie war zehn Jahre alt; da aber die Dame Rancour ihre Geschichten erzählte, ohne mich eines einzigen Blickes zu würdigen, so behielt ich meine Bemerkung für mich.
Junker Cornelis, der ein großes Bedürfnis nach Ruhe fühlte, tat die Frage, wann zu Abend gegessen werde.
»Um zehn Uhr, früher nicht,« sagte die Duenna; »denn vorher ist Madame Cornelis niemals frei. Sie ist stets mit ihrem Advokaten beschäftigt, wegen eines großen Prozesses, den sie gegen Sir Frederik Fermer führt.«
Ich merkte, daß ich durch das Geschwätz der Dame Rancour nicht viel Neues erfahren würde, wenn ich sie nicht besonders befragte; darum nahm ich meinen Hut und Stock und machte aufs geradewohl einen Spaziergang in der Riesenstadt. Ich achtete nur darauf, die Richtung nicht zu verlieren.
Es war sieben Uhr; eine Viertelstunde später trat ich in ein Kaffeehaus ein, worin ich viele Menschen sitzen sah. Es war das verrufenste Kaffeehaus von ganz London, der Sammelpunkt für die Hefe des italienischen Gesindels, das über den Kanal kam. Man hatte mich in Lyon darauf aufmerksam gemacht, und ich hatte mir fest vorgenommen, es niemals zu betreten. Der Zufall, der fast immer uns nach links führt, wenn wir nach rechts wollen, spielte mir ganz ohne mein eigenes Zutun diesen üblen Streich. Ich bin nicht wieder hingegangen. Nachdem ich mich abseits gesetzt und eine Limonade bestellt hatte, nahm ein Unbekannter neben mir Platz, um sich das Licht zunutze zu machen und eine Schrift zu lesen, die, wie ich bemerkte, in italienischer Sprache gedruckt war. Er strich mittels eines Bleistiftes gewisse Buchstaben aus und setzte die Verbesserung an den Rand; ich hielt ihn infolgedessen für einen Schriftsteller. Indem ich ihn in mäßiger Neugier bei seiner Beschäftigung beobachtete, sah ich, daß er das Wort ancora verbesserte, indem er ein h an den Rand schrieb, wie wenn er eine anchora drucken lassen wollte. Diese Barbarei ärgerte mich, und ich sagte zu ihm, seit vierhundert Jahren schreibe man ancora ohne h.
»Zugegeben; aber ich zitiere Boccacio, und bei Zitaten muß man genau sein.«
»Ich bitte Sie um Verzeihung, mein Herr; Sie sind, wie ich sehe, Gelehrter.«
»Von der ganz kleinen Sorte. Ich heiße Martinelli.«
»Dann sind Sie von der großen und nicht von der kleinen Sorte. Ich kenne Sie dem Rufe nach; wenn ich mich nicht irre, sind Sie ein Verwandter von Casalbigi, der mir von Ihnen gesprochen hat. Ich habe einige von Ihren Satiren gelesen.«
»Dürfte ich mir die Frage erlauben, mit wem ich die Ehre habe, zu sprechen?«
»Ich heiße Seingalt. Sind Sie mit Ihrer Ausgabe des Decamerone fertig?«
»Ich arbeite noch daran und suche die Zahl meiner Subskribenten zu vermehren.«
»Wenn Sie mich haben wollen, bitte ich Sie, mich unter diese Zahl aufzunehmen.«
»Sie erweisen mir eine Ehre.«
Er gab mir meinen Schein, und da ich sah, daß es sich nur um eine Guinee handelte, so nahm ich ihm vier Exemplare ab. Hierauf erhob ich mich, um mich zu entfernen, und sagte ihm, ich hoffe ihn in demselben Kaffeehaus wiederzusehen, indem ich zugleich nach dessen Namen fragte. Erstaunt, daß ich diesen nicht wußte, sagte er ihn mir. Er wunderte sich jedoch nicht mehr, als ich ihm sagte, ich sei zum erstenmal in London und zwar seit einer Stunde.
»Sie werden in Verlegenheit sein, Ihren Heimweg zu finden,« sagte er zu mir; »gestatten Sie mir, Sie zu begleiten.«
Draußen sagte er mir, der Zufall habe mich in das verrufenste Kaffeehaus von ganz London, das Café d’Orange, geführt.
»Aber Sie gehen ja dorthin.«
»Ich kann ruhig hingehen, denn für mich gilt Juvenals Vers:
Cantabit vacuus coram latrone viator.
Bei mir haben die Schnapphähne nichts zu suchen. Ich kenne sie, sie kennen mich; wir sprechen niemals ein Wort miteinander.«
»Sie sind gewiß schon lange in London?«
»Fünf Jahre.«
»Haben Sie hier viele Bekanntschaften?«
»Ja; ich mache jedoch nur dem Lord Spencer den Hof. Ich beschäftige mich mit Literatur, lebe für mich allein, verdiene wenig, weiß aber damit auszukommen. Ich wohne in einem möblierten Zimmer, besitze zwölf Hemden und die Kleider, die Sie auf meinem Leibe sehen. Und so fühle ich mich glücklich. Nec ultra deos lacesso. – Ich reize die Götter nicht.«
Dieser Landsmann, der das reinste Toskanisch sprach, gefiel mir besonders durch die offenbare Rechtschaffenheit, die aus dem Ton aller seiner Worte drang.
Unterwegs fragte ich ihn, wie ich es wohl anfangen müßte, um eine gute Wohnung zu bekommen. Nachdem ich ihm gesagt hatte, wie ich eingerichtet sein, wie ich leben und wie lange ich mich in London aufhalten wollte, riet er mir, ein ganzes Haus zu nehmen, das von der Küche bis zum Schlafzimmer und Speisesaal völlig eingerichtet wäre. »Man wird Ihnen ein Verzeichnis aller Einrichtungsgegenstände geben, und sobald Sie einen Bürgen stellen, sind Sie vollkommen Ihr eigener Herr, ansässig wie ein Engländer und nur den Gesetzen Untertan.«
»Was Sie mir da vorschlagen, ist sehr nach meinem Geschmack; aber weisen Sie mir bitte ein Haus dieser Art nach.«
»Das werden wir bald haben.«
Er trat in einen Laden ein, bat die Besitzerin, ihm den Advertiser zu leihen, schrieb sich einige Adressen daraus auf und sagte zu mir: »Da haben wir schon, was Sie brauchen.«
Das nächste von den angezeigten Häusern lag in Pall Mall; wir gingen dorthin. Eine alte Frau öffnete uns die Tür und zeigte uns das Erdgeschoß und die Stockwerke; jedes Stockwert hatte zwei Vorderzimmer, dazu eine Kammer, was in London selbstverständlich ist; in jedem Stockwerk waren zwei Betten. Im ganzen Hause glänzte alles vor Sauberkeit: Wäsche, Möbel, Teppiche, Spiegel, Porzellan, überhaupt alles, auch die Klingelzüge und Türschlösser nicht ausgenommen. Ein großer Schrank enthielt alle notwendige Wäsche; in einem anderen befanden sich das Silberzeug und mehrere vollständige Tischausrüstungen von Porzellan und Steinzeug. Die Küche war reichlich mit Geschirr versehen, das sich im besten Zustande befand und blitzblank geputzt war. Mit einem Wort, es fehlte in dem Hause nichts, was zum Komfort einer reichen Familie gehört. Der Preis betrug zwanzig Guineen für die Woche, und ohne zu feilschen, was in London ziemlich überflüssig ist, sagte ich Herrn Martinelli, ich wolle das Haus augenblicklich mieten, um es beziehen zu können, sobald es mir passe.
Mein Landsmann übersetzte der alten Frau meine Worte und sie ließ mir sagen, wenn ich sie als Housekeeper behalten wolle, brauche ich keine Kaution zu stellen, und es genüge, wenn ich jede Woche vorausbezahle. Ich ließ ihr antworten, ich würde sie unter der Bedingung behalten, daß sie eine von mir bezahlte Magd annähme, die vollständig unter ihren Befehlen stehen würde, aber außer englisch entweder französisch oder italienisch können müßte. Sie versprach mir, ich solle die gewünschte Magd schon am nächsten Tage haben, und ich bezahlte sofort für vier Wochen voraus. Sie gab mir eine Quittung auf den Namen des Chevalier de Seingalt; einen anderen habe ich in London nicht geführt.
So war ich also in weniger als zwei Stunden in einer Stadt, die man ein Chaos nennt, und die es auch besonders für einen Fremden ist, nach Wunsch untergebracht. Aber in London ist alles leicht für einen, der Geld hat und sich nicht vor Ausgaben scheut. Ich war entzückt, daß ich sofort imstande war, ein Haus zu meiden, wo man mich so schlecht empfangen hatte, während ich doch mit Recht hätte hoffen dürfen, daß man mich aufs beste aufnehmen würde. Ebensosehr freute ich mich des Zufalls, der mir die Bekanntschaft Martinellis verschafft hatte, von dem ich schon seit sechs Jahren die allerbeste Meinung hatte.
Als ich wieder in das Haus der Madame Cornelis kam, wartete man noch auf sie, obgleich es schon nach zehn Uhr war; ihr Herr Sohn schlief auf seinem Kanapee. In meinem Ärger auf diese Frau erwartete ich ihre Ankunft mit Ungeduld, doch war ich entschlossen, mir meinen Verdruß nicht anmerken zu lassen.
Bald verkündeten drei laute Schläge des Türklopfers die Herrin. Dame Cornelis war in einer Sänfte angekommen, und ich hörte sie geräuschvoll die Treppe hinaufsteigen. Sie trat ein und zeigte sich erfreut, mich zu sehen, kam mir aber nicht näher und umarmte mich nicht, wie ich doch hätte erwarten dürfen. Sie stürzte auf ihren Sohn zu – was gewiß sehr begreiflich war – nahm ihn auf ihren Schoß und bedeckte ihn mit Küssen; aber das schlaftrunkene Kind erwiderte ihre Liebkosungen nur kalt.
Ich sagte zu ihr: »Er ist, ebenso wie ich, sehr ermüdet; in Anbetracht unserer Ruhebedürftigkeit haben Sie uns recht lange warten lassen.«
Ob sie mir antworten wollte oder was sie mir antworten wollte, weiß ich nicht, denn in diesem Augenblick meldete der Diener, daß angerichtet sei. Sie stand auf und erwies mir die Ehre, sich an meinen Arm zu hängen und mit mir in einen Saal zu gehen, den ich bis dahin nicht bemerkt hatte. Es waren vier Gedecke aufgelegt, sie befahl jedoch, das vierte fortzunehmen. Neugierig fragte ich sie: »Für wen war dieses bestimmt?«
»Für meine Tochter; ich habe sie aber zu Hause gelassen; denn sobald sie erfuhr, daß Sie mit ihrem Bruder angekommen seien, hat sie gefragt, ob es Ihnen gut gehe.«
»Und darum haben Sie sie bestraft?«
»Selbstverständlich! Denn mir scheint, sie hätte sich zuerst nach dem Befinden ihres Bruders erkundigen müssen und dann erst nach dem Ihrigen. Finden Sie nicht, daß ich recht habe?«
»Arme Sophie, sie tut mir leid. Ihr Herz fühlt die Dankbarkeit tiefer als die Macht des Blutes.«
»Es handelt sich hier nicht um Gefühle, sondern darum, daß man junge Leute daran gewöhnen muß, so zu denken, wie es sich gehört.«
»Wie es sich gehört und wie es sich gehören sollte, ist manchmal zweierlei.«
Die Cornelis sagte ihrem Sohn, sie arbeite, damit er nach ihrem Tode ein reicher Mann sei, und sie habe mich veranlaßt, ihn zu ihr zurückzubringen, weil er schon alt genug sei, ihr zu helfen und an den Arbeiten in dem von ihr geleiteten Hause teilzunehmen.
»Und was sind das für Arbeiten, an denen ich teilnehmen soll, liebe Mama?«
»Ich gebe jährlich zwölf Soupers und zwölf Bälle für den Adel und ebensoviele für die bürgerliche Gesellschaft, zu zwei Guineen für die Person, und ich habe oft fünf- bis sechshundert Gäste. Die Ausgaben sind ungeheuer, und da ich allein bin, ist es unvermeidlich, daß ich bestohlen werde, denn ich kann nicht überall zu gleicher Zeit sein. Da du jetzt hier bist, so kannst du alles überwachen, mein lieber Sohn, kannst alles unter Verschluß halten, kannst schreiben, die Kasse führen, Zahlungen machen, die bezahlten Eintrittskarten entgegennehmen und dich in den Sälen bewegen, um zu sehen, ob jedermann gut bedient wird. Mit einem Wort, du wirst den Herrn machen.«
»Und Sie glauben, liebe Mama, daß ich imstande sein werde, das alles zu machen?«
»Ja; denn du wirst es lernen.«
»Das scheint mir recht schwierig zu sein.«
»Einer meiner Sekretäre wird hier bei dir wohnen und dich in allem unterrichten. Ein Jahr lang wirst du weiter nichts tun, als englisch lernen und an den Gesellschaftsabenden erscheinen, damit ich dich mit allen vornehmen Herrschaften Londons bekannt machen kann; so wirst du nach und nach Engländer werden.«
»Ich möchte aber lieber Franzose bleiben.«
»Vorurteil, liebes Kind! Du wirst dieses ablegen, und alle Welt wird vom Mister Cornelis sprechen.«
»Cornelis?«
»Ja; das ist dein Name.«
»Komisch.«
»Ich werde ihn dir aufschreiben, damit du ihn nicht vergißt.«
Die Cornelis schien zu glauben, daß ihr Sohn scherze; sie sah mich ein wenig überrascht an und sagte dann zu ihm, er könne zu Bett gehen. Dies tat er augenblicklich. Als wir allein waren, sagte sie zu mir: »Mein Sohn scheint mir schlecht erzogen und für sein Alter zu klein zu sein. Ich fürchte sehr, wir müssen ein wenig zu spät anfangen, ihm eine andere Erziehung zu geben. Was hat er in den sechs Jahren gelernt?«
»Er hätte viel lernen können, denn er ist im ersten Pensionat von Paris gewesen; aber er hat nur gelernt, was er wollte, und das war sehr wenig: die Flöte spielen, reiten, fechten, gut Menuett tanzen, jeden Tag die Wäsche wechseln, höflich antworten, sich gefällig benehmen, hübsch über Nichtigkeiten plaudern und sich elegant anziehen. Das ist alles, was er versteht; da er niemals Lust hatte, sich Mühe zu geben, hat er keinen Schimmer von den schönen Wissenschaften; er kann kaum schreiben, hat von Rechtschreibung keine Ahnung, weiß nichts von den vier Arten des Rechnens und macht sich sehr wenig daraus, zu wissen, daß England eine Insel ist, die zu Europa gehört.«
»Da sind ja die sechs Jahre gut angewandt!«
»Oder verloren, wie Sie wollen. Aber er wird noch viele Jahre mehr verlieren.«
»Meine Tochter wird sich über ihn lustig machen. Aber die ist ja auch von mir erzogen worden. Er wird sich schämen, wenn er sieht, welche Kenntnisse sie mit ihren acht Jahren hat.«
»Das wird er niemals sehen, wenn anders ich rechnen kann. Denn sie ist zehn Jahre alt.«
»Das muß ich besser wissen. Sie hat Geographie, Geschichte, Sprachen und Musik gelernt; sie weiß sich geistreich zu unterhalten und benimmt sich mit einer Vernunft, die weit über ihr Alter hinausgeht. Alle Damen reißen sich um sie. Ich lasse sie den ganzen Tag in eine Zeichenschule gehen; denn sie hat für das Zeichnen eine hervorragende Anlage; erst abends kommt sie nach Hause. Sonntags ißt sie bei mir, und wenn Sie mir das Vergnügen machen sollten, nächsten Sonntag bei mir zu speisen, so werden Sie sehen, daß ich nicht übertreibe.«
Wir hatten Montag. Ich erhob keine Einwendungen, aber ich fand es eigentümlich, daß sie mich anscheinend nicht für ungeduldig hielt, meine Tochter zu sehen, und daß sie mich nicht einlud, schon am nächsten Abend bei ihr zu essen, um mir dies Vergnügen zu bereiten.
»Sie sind«, fuhr sie fort, »gerade noch zur rechten Zeit gekommen, um das letzte Fest zu sehen, das ich dieses Jahr dem Adel gebe, der in zwei oder drei Wochen die Stadt verlassen wird, um den Sommer auf dem Lande zu verbringen. Ich kann Ihnen keine Eintrittskarte geben, denn diese sind nur für Adelige bestimmt: Sie können aber trotzdem kommen, indem Sie mich als mein Freund begleiten; so werden Sie alles sehen. Wenn man mich nach Ihnen fragt, werde ich sagen, Sie haben sich in Paris meines Sohnes angenommen und ihn mir nach London gebracht.«
»Sie erweisen mir zu viel Ehre.«
Wir plauderten noch bis zwei Uhr morgens, und sie erzählte mir auf das ausführlichste den Prozeß, den sie mit dem Herrn Fermer hatte. Er behauptete, das von ihr gebaute Haus, das zehntausend Guineen gekostet hatte, gehöre ihm, weil er ihr das Geld dazu gegeben habe. Tatsächlich hatte er recht; nach dem englischen Gesetz aber hatte er unrecht, weil sie Materialien, Arbeiter und Baumeister bezahlt hatte: sie hatte die Quittungen auf ihren eigenen Namen ausgestellt und empfangen. Das Haus gehörte also ihr, und dies gab Fermer auch zu; aber er behauptete, er habe ihr die Mittel gegeben, und dies war der heikle Punkt des ganzen Rechtsstreites; denn sie forderte ihn heraus, eine einzige Quittung von ihr vorzuzeigen.
»Allerdings,« sagte die rechtschaffene Frau, »haben Sie mir mehr als einmal eine Summe von tausend Guineen gegeben; aber das waren freigebige Geschenke eines Freundes, und eine solche Freigebigkeit eines reichen Engländers ist nichts überraschendes, denn wir liebten uns ja und lebten zusammen.«
Dieser Prozeß, den die Cornelis im Laufe von zwei Jahren viermal gewonnen hatte, und den Fermer auf Grund der englischen Prozeßordnung immer wieder erneuerte, kostete der Dame bereits sehr viel Geld; im gegenwärtigen Augenblick handelte es sich um die Berufung letzter Instanz, aber bis zur Entscheidung konnten noch fünfzehn Jahre vergehen.
»Dieser Prozeß«, sagte die ehrliche Cornelis zu mir, »entehrt Fermer.«
»Das leuchtet mir ein; aber Sie glauben doch nicht, daß es für Sie eine Ehre ist?«
»O doch! Davon bin ich sogar fest überzeugt.«
»Das kann ich allerdings kaum begreifen.«
»Ich werde es Ihnen auseinandersetzen.«
»Wir wollen ein anderes Mal davon sprechen.«
In diesem dreistündigen Gespräch fragte die Frau mich nicht ein einzigesmal, ob es mir gut gehe, ob ich nach meinem Wunsch untergebracht sei, ob ich mich einige Zeit in London aufzuhalten gedenke, ob ich mit meinen Vermögensverhältnissen zufrieden sei. Mit einem Wort, von mir sprach sie überhaupt nicht, sondern sagte mir nur lachend und ganz unangebrachterweise, aber nicht ohne Absicht: sie habe niemals einen Heller! Sie hatte eine Einnahme von mehr als achtzigtausend Pfund Sterling im Jahre; aber ihre Ausgaben waren ungeheuer, und sie hatte Schulden.
Ich rächte mich für ihre Gleichgültigkeit, indem ich ihr nichts von meinen Verhältnissen sagte; übrigens war ich sauber, aber einfach gekleidet und trug an diesem Tage keine Diamanten oder sonstige Wertsachen an mir.
Etwas verletzt, aber nicht ärgerlich, ging ich zu Bett; denn im Grunde war es mir recht lieb, ihr schlechtes Herz entdeckt zu haben. Daher beschloß ich, trotz der Ungeduld, womit ich mich danach sehnte, meine Tochter zu sehen, doch nichts zu tun, um mir diese Freude vor dem nächsten Sonntag zu verschaffen.
Früh am andern Morgen befahl ich Clairmont, mein ganzes Gepäck auf einen Wagen zu laden. Als alles fertig war, ging ich zum jungen Cornelis, der noch im Bett lag, sagte ihm, daß ich in Pall Mall wohnte, und gab ihm meine Adresse.
»Wie? Sie bleiben nicht mehr bei mir?«
»Nein; denn deine Mutter hat vergessen, mich anständig zu empfangen und unterzubringen.«
»Sie haben vollkommen recht. Ich will nach Paris zurück!«
»Hüte dich ja, eine solche Dummheit zu machen! Bedenke, daß du hier zu Hause bist und daß du in Paris vielleicht keine Unterkunft mehr finden würdest. Leb wohl; Sonntag werde ich dich wiedersehen.«
Bald war ich in meinem neuen Hause eingerichtet. Ich ging aus, um dem venetianischen Geschäftsträger, Herrn Zuccata, meine Aufwartung zu machen. Ich gab ihm den Brief des Herrn von Morosini; er las ihn und sagte mir kalt, es freue ihn, meine Bekanntschaft zu machen. Als ich ihn bat, mich bei Hof vorzustellen, antwortete der unverschämte Dummkopf nur mit einem Lächeln, worin ich einen Ausdruck von Verachtung hätte finden können, wenn ich mir nur ein kleines bißchen Mühe gegeben hätte. Es war von seiner Seite aristokratischer Hochmut; ich vergalt Stolz mit Stolz, machte ihm eine kalte Verbeugung und entfernte mich, um seine Schwelle niemals wieder zu überschreiten.
Von Zuccata begab ich mich zu Lord Egremont; da ich ihn krank fand, gab ich den Brief ab, den ich für ihn hatte. Einige Tage darauf starb der Lord, und so nützten die beiden Briefe des Herrn von Morosini mir gar nichts; daran war allerdings dieser Herr nicht schuld. Wir werden sehen, welchen Erfolg sein kleines Briefchen hatte.
Ich begab mich hierauf mit einem Brief des Marquis de Chauvelin zum französischen Botschafter, dem Grafen Guerchy, der mich sehr freundlich empfing. Der Herr lud mich für den nächsten Tag zum Mittag ein und sagte mir, er würde mich auf meinen Wunsch am nächsten Sonntag nach dem Gottesdienst bei Hofe vorstellen. An der Tafel des Botschafters lernte ich den Gesandtschaftssekretär Chevalier d’Eon kennen, der später ganz Europa von sich reden machte. Dieser Chevalier d’Eon war eine schöne Frau, die vor ihrem Eintritt in den diplomatischen Dienst Advokat und Dragonerrittmeister gewesen war; sie diente Ludwig dem Fünfzehnten als tapferer Soldat und als geschickter Unterhändler. Trotz ihrem diplomatischen Geist und ihren männlichen Manieren brauchte ich keine Viertelstunde, um in ihr eine Frau zu erkennen; denn ihre Stimme klang für eine Kastratenstimme zu hell, und ihre Formen waren zu rund für einen Mann. Von dem vollständigen Mangel des Bartes will ich nichts sagen, denn dieser Umstand kann zufällig auch bei einem Mann vorkommen, der im übrigen vollkommen männlich gebildet ist.
Gleich in den ersten Tagen stellte ich mich allen Bankiers vor, bei denen ich im ganzen mindestens dreihunderttausend Franken gut hatte. Alle erkannten die Wechsel an, die ich ihnen vorlegte, und alle fanden sich durch die Briefe der Herrn Tourton & Baur veranlaßt, mir ihre ganz besonderen Dienste anzubieten. Ich habe keinen Gebrauch davon gemacht.
Da ich keinen Menschen kannte, besuchte ich die Theater von Covent-Garden und Drury-Lane; ich fand dort aber wenig Unterhaltung, weil ich kein Wort englisch verstand. Ich aß in allen Speisehäusern von gutem und schlechtem Ton, um mich an die Gebräuche dieser so großen und so kleinen Insulaner zu gewöhnen. Vormittags ging ich auf die Börse, wo ich einige Bekanntschaften machte. Ein Kaufmann, an den ich mich gewandt hatte, verschaffte mir einen Neger, der englisch, französisch und italienisch sprach und für dessen Treue er mir bürgte. Derselbe Kaufmann verschaffte mir auch einen französisch sprechenden, sehr guten englischen Koch, der mit seiner ganzen Familie in meine Dienste trat. Gleich in der ersten Woche lernte ich auch die feinen Badehäuser kennen, wo ein reicher Mann mit einer Vettel von gutem Ton, deren es in London nicht wenige gibt, baden, soupieren und schlafen kann. Man verschafft sich eine herrliche Orgie, die nur sechs Guineen kostet. Mit Sparsamkeit kann man die Ausgabe um ein Drittel ermäßigen; aber Sparsamkeit, die das Vergnügen verdirbt, war nicht meine Sache.
Am Sonntag legte ich eine elegante und reiche Kleidung an und ging gegen elf Uhr zu Hofe, wo ich unserer Verabredung gemäß den Grafen Guerchy traf. Er stellte mich Georg dem Dritten vor; dieser sagte etwas zu mir, aber er sprach so leise, daß ich ihn nicht verstand und nur durch eine Verbeugung antworten konnte. Die Königin machte dies wieder gut, und ich sah zu meinem Entzücken unter den Kavalieren, die sich um sie bemühten, auch den dummen Vertreter meiner teueren Heimatsrepublik. Als Herr von Guerchy mich als Chevalier de Seingalt vorstellte, machte Zuccata ein sehr erstauntes Gesicht; denn der Procuratore Morosini hatte mich in seinem Brief nur mit dem Namen Casanova bezeichnet. Die Königin fragte mich, aus welcher Gegend von Frankreich ich sei: als ich ihr antwortete, ich sei Venetianer, sah sie den Geschäftsträger von Venedig an, der durch eine Verbeugung bestätigte, daß er es nicht bestreiten könne. Ihre Majestät fragte mich hierauf, ob ich die Gesandten kenne, die dem König die Glückwünsche der Republik überbracht hätten. Ich antwortete ihr, ich wäre sehr genau mit ihnen bekannt und hätte in Lyon drei Tage lang sehr intim mit ihnen verkehrt; Herr von Morosini hätte mir Empfehlungsschreiben an Lord Egremont und an Herrn Zuccata übergeben.
»Ich habe sehr gelacht«, sagte die Königin, »als Herr von Querini mir sagte, ich sei ein kleiner Teufel.«
»Er hat sagen wollen, Madame, daß Euer Majestät geistreich sind wie ein Engel.«
Ich wünschte nichts sehnlicher, als daß die Königin mich fragen sollte, warum der venetianische Geschäftsträger mich nicht vorgestellt hätte; denn mir lag eine Antwort auf der Zunge, die dem Signor Zuccata auf acht Tage den Schlaf geraubt haben würde. Um so besser würde ich geschlafen haben, denn die Rache, besonders an einem hochmütigen Dummkopf, ist ein Vergnügen der Götter. Die Unterhaltung bestand jedoch wie immer bei Hof aus lauter nichtssagenden Redensarten.
Nach der Vorstellung bei Hofe setzte ich mich wieder in meinen Traqstuhl, und meine beiden Zweifüßler trugen mich nach Soho- Square, zur Dame Cornelis, bei der ich zum Mittagessen eingeladen war. Ein Herr in Hoftracht kann es nicht wagen, zu Fuß sich in den Straßen von London sehen zu lassen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, von gemeinem Pack mit Kot beworfen zu werden, und die Gentlemen würden ihm ins Gesicht lachen, wenn er sich darüber beklagen wollte. Man muß Gebräuche achten, wie sie sind, denn es gibt keinen Brauch, der nicht zu gleicher Zeit ehrwürdig und lächerlich wäre.
Man ließ mich und meinen Neger Jarbe in das Haus der Cornelis eintreten. Nachdem ich ein Dutzend große und schöne Zimmer durchschritten hatte, wurde ich in den Salon geführt, wo die Hausherrin nebst zwei englischen Damen und zwei englischen Herren sich aufhielt. Sie empfing mich mit der Höflichkeit vertrautester Freundschaft, wies mir einen Lehnstuhl an ihrer Seite an und setzte das Gespräch auf englisch fort, ohne meinen Namen zu nennen und ohne mir zu sagen, wer die Herrschaften waren. Als ihr Haushofmeister meldete, daß angerichtet sei, befahl sie, ihre Kinder herunterzurufen. Mein Herz wartete auf diesen Augenblick mit lebhafter Ungeduld. Sobald ich die kleine Sophie eintreten sah, eilte ich voll Rührung auf sie zu; aber ihre Mutter hatte sie abgerichtet: sie trat zurück, machte eine tiefe Verbeugung und sagte ein auswendig gelerntes Kompliment her. Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, war ich so bescheiden, nicht darauf zu antworten; aber mein Herz zog sich schmerzlich zusammen.
Hierauf stellte die Cornelis ihren Sohn vor und sagte der Gesellschaft, ich hätte ihn zu ihr nach London gebracht, nachdem ich sechs Jahre lang seine Erziehung überwacht hätte. Da sie diese Mitteilung auf französisch machte, bemerkte ich mit Vergnügen, daß alle Anwesenden diese Sprache verstanden.
Wir setzten uns zu Tisch; die Cornelis saß zwischen ihren beiden Kindern und ich ihr gegenüber zwischen den beiden Engländerinnen, von denen die eine, obgleich sie bereits, wie man zu sagen pflegt, in vernünftigen Jahren war, mir sofort wegen ihrer Liebenswürdigkeit und ihrer heiteren Laune gefiel. Ich vertiefte mich in ein Gespräch mit ihr, sobald ich bemerkte, daß die Dame des Hauses nur wie zufällig einmal das Wort an mich richtete und daß Sophie mich niemals ansah, obgleich sie ihre schönen Augen fortwährend wandern ließ. Sie sah mir so ähnlich, daß jeder Irrtum ausgeschlossen war. Offenbar benahm sie sich nur darum so sonderbar gegen mich, weil ihre Mutter ihr das befohlen hatte. Ich fand diese Komödie ebenso lächerlich wie unverschämt. Ich ärgerte mich, daß ich mich hierüber verdrießlich fühlte, und da ich mir dies nicht merken lassen wollte, so führte ich ein scherzhaftes Gespräch über meine Beobachtungen englischer Gebräuche herbei, doch vermied ich sorgfältig jede Kritik, da eine solche stets den Nationalstolz verletzt, wenn ein Ausländer sie übt. Ich wollte die Gesellschaft nur zum Lachen bringen und mich ihr angenehm machen. Dies gelang mir. Ich vergaß aber dabei meine Rache nicht und redete die Cornelis nicht ein einzigesmal an. Ich sah sie überhaupt nicht.
Meine Nachbarin bewunderte die Schönheit meiner Spitzen und fragte mich dann, was es bei Hofe Neues gäbe.
»Mir war alles neu, meine Gnädige, denn ich habe heute den Hof zum ersten Mal gesehen.«
»Haben Sie den König gesehen?« fragte Sir Joseph Cornelis mich.
»Mein Sohn,« sagte seine Mutter zu ihm, »man stellt niemals solche Fragen.«
»Warum nicht, liebe Mutter?«
»Weil die Frage möglicherweise dem Herrn nicht gefällt.«
»Sie ist im Gegenteil sehr nach meinem Geschmack, Madame. Vor sechs Jahren habe ich Ihrem Sohn die Lehre gegeben, daß er stets fragen solle; denn das sei das beste Mittel, etwas zu lernen. Wer nicht fragt, bleibt immer unwissend.«
Ich hatte ins Schwarze getroffen; die Cornelis schmollte und sagte kein Wort mehr.
»Mit alledem«, fing der Kleine wieder an, »haben Sie mir noch nicht gesagt, ob Sie den König gesehen haben.«
»Ja, mein Freund, ich habe den König und die Königin gesehen, und Ihre Majestäten haben mir die Ehre erwiesen, mit mir zu sprechen.«
»Wer hat Sie vorgestellt?«
»Der französische Botschafter.«
»Das ist ja recht schön und gut,« rief die Mutter, »aber Sie werden mir zugeben, daß diese letzte Frage zu weit geht.«
»Wenn sie an einen Fremden gerichtet wäre, würde sie allerdings zu weit gehen; aber nicht mir gegenüber, da ich sein Freund bin. Wie Sie sehen, macht das, was ich ihm antworten mußte, mir Ehre. Wenn ich nicht die Absicht gehabt hätte, Sie ausdrücklich wissen zu lassen, daß ich bei Hofe gewesen bin, wäre ich nicht in solchem Kostüm zu Ihnen gekommen.«
»Das mag ja sein; da Sie aber nun einmal solche Fragen lieben, so will ich Sie jetzt fragen, warum Sie sich durch den französischen Botschafter und nicht durch den Vertreter der Republik Venedig haben vorstellen lassen?«
»Weil der venetianische Gesandte das nicht wollte. Und er hatte recht, denn er weiß, daß ich mit seiner Regierung auf gespanntem Fuße stehe.«
Wir waren schon beim Nachtisch, und die arme Sophie hatte noch kein Wort gesagt.
»Mein Kind,« sagte ihre Mutter zu ihr, »sage doch Herrn von Seingalt etwas.«
»Ich weiß nicht was, liebe Mama. Fordern Sie doch, bitte, Herrn von Seingalt auf, mit mir zu sprechen; ich werde ihm dann antworten, so gut ich kann.«
»Nun, meine liebe Sophie, so sage mir doch, mit welchen Studien du dich gegenwärtig beschäftigst.«
»Mit Zeichnen; wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen Arbeiten von mir.«
»Ich werde alles mit großem Vergnügen sehen; aber sage mir doch bitte, inwiefern du mich beleidigt zu haben glaubst; du machst ja ein ganz schuldbewußtes Gesicht.«
»Ich, mein Herr? Ich glaube wirklich. Ihnen nichts getan zu haben.«
»Das glaube ich auch, mein schönes Kind; aber du sprichst ja immer, ohne mich anzusehen, und da dachte ich, du schämtest dich vor mir. Schämst du dich etwa, daß du so schöne Augen hast? Du wirst rot! Was könntest du denn sonst begangen haben?«
»Sie bringen sie in Verlegenheit!« sagte ihre Mutter zu mir. – »Antworte ihm, meine Liebe, du habest dir durchaus nichts vorzuwerfen, aber du sehest aus lauter Achtung und Bescheidenheit die Personen nicht an, mit denen du sprichst.«
Hierauf entgegnete ich: »Aber wenn ein junges Mädchen aus Bescheidenheit die Augen niederschlägt, so gebietet es die Höflichkeit, daß es sie auch aufschlägt, wenn sie mit jemandem spricht.«
Niemand antwortete auf meinen Einwand, der eine Abfertigung der pedantischen Cornelis war. Nach einem kurzen Schweigen standen alle von Tisch auf, und die Kleine holte ihre Zeichnungen, um sie mir vorzulegen.
»Ich will nichts sehen, Sophie, wenn du mich nicht anblicken willst.«
»Nun, so sieh doch den Herrn an!« rief die Mutter.
Blitzschnell gehorchte das Kind ihr, und ich sah die allerschönsten Augen.
»Ei, jetzt erkenne ich dich, meine liebe Sophie! Und erinnerst auch du dich, daß du mich schon einmal gesehen hast?«
»Ja, mein Herr! Obgleich es schon sechs Jahre her sind, habe ich Sie auf den ersten Blick erkannt!«
»Wie ist das möglich, du hast mich ja gar nicht angesehen! Wenn du wüßtest, mein kleiner Engel, wie unhöflich es ist, eine Person, mit der man spricht, nicht anzusehen! Wer kann dir nur einen so falschen Grundsatz eingeflößt haben?«
Die Kleine blickte auf ihre Mutter, die inzwischen an ein Fenster getreten war, und ihr Blick sagte mir, von wem sie die Lehre hatte.
Ich sah, daß die Engländer vollkommen Bescheid wußten, und diese Rache genügte mir. Ich begann nun, mir ihre Zeichnungen anzusehen, sie wegen jeder einzelnen Schönheit zu loben und ihr Talent zu preisen. Ich wünschte ihr Glück, daß sie eine Mutter habe, die ihr eine so schöne Erziehung geben lasse. Dieses mittelbare Lob machte die Mutter ganz stolz. Meine kleine Sophie war überglücklich, daß sie sich keinen Zwang mehr anzutun brauchte, und sah mich unaufhörlich mit einem Ausdruck kindlicher Zärtlichkeit an, der mich entzückte. Sie trug auf ihrem Antlitz alle Kennzeichen einer schönen Seele, und ich beklagte innerlich dieses Engelchen, daß es unter der Herrschaft einer so unvernünftigen Mutter leben mußte. Sophie setzte sich ans Klavier und spielte voll Gefühl. Hierauf nahm sie eine Gitarre zur Hand und sang mehrere italienische Lieder mit einem Geschmack, der zu reif für ihr Alter war: sie bekundete damit eine Frühreife des Gefühls, das eine bessere Leitung erforderte, als die einer Cornelis.
Nachdem sie gesungen und den Beifall der ganzen Gesellschaft erhalten hatte, verlangte ihre Mutter von ihr, daß sie mit ihrem Bruder ein Menuett tanzen sollte. Er hatte es in Paris gelernt, aber er tanzte sehr schlecht, weil er keine Haltung hatte. Nachdem seine Schwester ihm das letzte Kompliment gemacht hatte, gab sie ihm einen Kuß, gleichsam als Balsam für eine Verletzung, die sie ihm zufügte: sie bat mich nämlich, mit ihr zu tanzen. Ich tat dies, ohne mich bitten zu lassen. Ihre Mutter fand mit Recht, sie habe entzückend getanzt, und sagte zu ihr, sie müsse mir erlauben, sie zu umarmen. Sie sprang auf mich zu; ich setzte sie auf meinen Schoß und bedeckte sie mit Küssen, die dadurch unbeschreiblich süß wurden, daß sie sie mir mit der innigsten Zärtlichkeit zurückgab. Ihre Mutter war guter Laune geworden und lachte aus aufrichtigem Herzen. Trotzdem verließ Sophie mich, wie wenn sie plötzlich sich einer Schuld bewußt worden wäre, lief zu ihrer Mutter und fragte diese, ob sie böse sei. Ein Kuß versicherte sie des Gegenteils. Nach dem Essen und dem Kaffee, der nach französischer Art gereicht wurde, zeigte die Cornelis mir einen prachtvollen Saal, den sie hatte bauen lassen. Es konnten darin gleichzeitig vierhundert Personen an einer einzigen, ungeheueren Tafel in Hufeisenform speisen. Sie sagte mir – und ich glaubte es ihr gerne – es gäbe in der ganzen riesigen Stadt London nicht einen zweiten Saal in solcher Ausdehnung.
Das letzte Fest vor dem Schluß des Parlaments sollte in vier oder fünf Tagen stattfinden. Sie hatte in ihrem Dienste etwa zwanzig Mädchen, die alle ziemlich hübsch waren, und ein Dutzend Lakaien in großer Livree.
»Dies ganze Pack bestiehlt mich,« sagte sie zu mir, »aber ich muß die Leute haben. Ich brauche einen klugen und tatkräftigen Mann, der mit mir zusammen die Aufsicht führt und mir ergeben wäre; hätte ich einen solchen, so wäre ich gewiß, in wenigen Jahren ein glänzendes Vermögen zu erwerben; denn die Engländer können nicht rechnen, wenn es sich um Vergnügungen handelt.«
Ich wünschte ihr diesen Mann und dieses Glück und verabschiedete mich sodann von ihr, indem ich ihr meine Bewunderung ihres Mutes aussprach.
Ich ließ mich darauf von ihrem Hause nach dem St. James-Park tragen, um Lady Harrington zu besuchen, für die ich einen Brief hatte, wie ich bereits erwähnte. Die Dame wohnte im Hofbezirke, und es war deshalb jeden Sonntag bei ihr Gesellschaft. Es war erlaubt, in ihrem Hause zu spielen; denn der Park steht unter der königlichen Gerichtsbarkeit. Sonst darf in ganz England am Sonntag niemand zu spielen oder Musik zu machen wagen. Die zahlreichen Spione, die sich in den Straßen der Hauptstadt herumtreiben, horchen auf jedes Geräusch, das aus den Gesellschaftszimmern der Häuser dringt. Wenn sie annehmen können, daß in einem Hause gespielt oder gesungen wird, verstecken sie sich, so gut sie können. Sobald sie die Türe sich öffnen sehen, schlüpfen sie hinein und verhaften alle schlechten Christen, die es wagen, durch eine Unterhaltung, die in der ganzen übrigen Welt für unschuldig gilt, den Sabbath zu verletzen. Dafür kann aber der Engländer ungestraft den Tag Gottes in den Schenken feiern oder in den Freudenhäusern, von denen die Stadt wimmelt. 2H7 Lady Harrington ließ mich eintreten, sobald sie meinen Brief erhalten hatte. Ich fand sie von etwa dreißig Personen beiderlei Geschlechts umgeben, doch erkannte ich sie leicht, da sie mir zur Begrüßung entgegenging, sobald sie mich eintreten sah.
Nachdem ich ihr meine Verbeugung gemacht hatte, sagte sie mir, sie habe mich bei der Königin gesehen und sofort, ohne mich zu kennen, den Wunsch gehabt, mich auch in ihrem Hause zu sehen. Unsere Unterhaltung dauerte eine Viertelstunde und bestand nur aus nichtigen Redensarten und jenen müßigen Fragen, die man ohne besonderen Zweck an einen Reisenden richtet.
Die Dame war bereits vierzig Jahre alt, aber noch schön. Sie war in London berühmt wegen ihres Einflusses und wegen ihrer galanten Abenteuer. Sie stellte mich auch ihrem Gemahl und ihren reizenden, schon erwachsenen vier Töchtern vor. Sie fragte mich, warum ich zu einer Zeit nach London gekommen sei, wo alle Welt aufs Land gehe. Ich antwortete ihr, ich tue für gewöhnlich nur das, was gerade in dem Augenblick mir angebracht erscheine, und sei daher in Verlegenheit, wie ich ihre Frage beantworten solle; übrigens gedenke ich, in London ein Jahr zu verbringen, und aufgeschoben sei daher nicht aufgehoben.
Meine Antwort schien ihr zu gefallen, weil sie dem englischen Charakterzuge der Unabhängigkeit entsprach; sie erbot sich mit der größten Liebenswürdigkeit zu allen Diensten, die in ihrer Macht ständen, und fuhr dann fort: »Vor allen Dingen werden Sie damit beginnen, am Donnerstag den ganzen Adel bei Madame Cornelis am Soho-Square zu sehen. Ich kann Ihnen meine Eintrittskarte geben. Hier! Sie gilt für Ball und Abendessen; kostet zwei Guineen.«
Ich gab ihr das Geld, und sie nahm mir die Karte wieder ab, um darauf zu schreiben: Bezahlt, Harrington.
»Ist diese Formalität durchaus notwendig, Mylady?«
«Ja; sonst würde man Ihnen den Betrag an der Tür abverlangen.«
Ich hütete mich natürlich, ihr zu sagen, daß ich eben von Soho- Square kam.
Während Lady Harrington eine Whistpartie zusammenbrachte, fragte sie mich, ob ich Empfehlungsbriefe an Damen habe. Ich antwortete ihr: »Ich habe einen von eigentümlicher Art und gedenke ihn morgen zu überbringen. Dieser Brief besteht nur aus dem Porträt der betreffenden Person.«
»Haben Sie es bei sich?«
»Ja, Mylady.«
»Kann ich es sehen?«
»Sehr gerne. Hier!«
»Es ist die Herzogin von Northumberland. Kommen Sie, wir wollen es ihr geben.«
»Gern.«
»Aber warten Sie, bis die Dame den ›Robber‹ markiert hat.«
Lord Percy hatte mir dieses Porträt gegeben und mir gesagt, es würde mir als Empfehlungsbrief dienen, wenn ich es seiner Mutter überreichte.
»Liebe Herzogin,« sagte Lady Harrington zu ihr, »hier ist ein Empfehlungsbrief, den der Herr beauftragt ist, Ihnen zu überreichen.«
»Ach ja! Es ist der Herr von Seingalt. Mein Sohn hat es mir geschrieben. Ich bin entzückt, Sie zu sehen, Herr Chevalier, und ich hoffe, Sie werden zu mir kommen. Ich empfange dreimal wöchentlich.«
»Wollen Sie mir wohl gestatten, Mylady, Ihnen den kostbaren Brief in Ihrem Hause zu überreichen?«
»Gern; Sie haben recht.«
Ich nahm an einer Whistpartie teil, die um kleine Einsätze gespielt wurde, und verlor fünfzehn Guineen, die ich sofort in bar bezahlte. Lady Harrington nahm mich auf die Seite und benützte die Gelegenheit, mir eine Lehre zu geben, die es nach meiner Meinung verdient, hier mitgeteilt zu werden.
»Sie haben verloren«, sagte sie zu mir, »und haben in Gold bezahlt. Ich vermute, Sie haben keine Banknoten bei sich.«
»Verzeihung, Mylady, ich habe Banknoten zu fünfzig und zu hundert Pfund.«
»Sie hätten sie wechseln lassen oder mit dem Bezahlen bis zu einem anderen Tage warten müssen; denn in Gold oder in klingender Münze zu bezahlen, gilt bei uns als ein Verstoß, den man allerdings einem Fremden verzeiht, der unsere Bräuche nicht kennen kann. Aber lassen Sie das nicht wieder vorkommen. Sie haben wohl gesehen, daß die Dame lächelte.«
»Ja; wer ist sie?«
»Lady Coventry, Schwester der Herzogin von Hamilton.«
»Muß ich mich bei ihr entschuldigen?«
»O nein, durchaus nicht. Die Beleidigung ist nicht derart, daß sie einer Entschuldigung bedürfte. Übrigens konnte sie wohl überrascht sein, aber sich nicht beleidigt fühlen, denn sie gewinnt dabei fünfzehn Schillinge.«
Dieser kleine Schnitzer, der nur einem Provinzialen hätte passieren dürfen, ärgerte mich ein bißchen, weil diese Lady Coventry eine entzückend schöne pikante Brünette war. Ich tröstete mich jedoch nicht allzu schwer.
Ich lernte an diesem Tage auch Lord Hervey kennen, den Eroberer von Havana, einen liebenswürdigen und geistreichen Herrn. Er hatte Miß Chudleigh geheiratet, später aber die Heirat für ungültig erklären lassen. Diese berühmte Chudleigh war Hofdame der verwitweten Prinzessin von Wales und wurde später Herzogin von Kingston; da ihre seltsamen Abenteuer sehr bekannt sind, werde ich bei Gelegenheit noch von ihr sprechen.
Ziemlich befriedigt von meinem Tagewerk kam ich nach Hause. Am nächsten Tage aß ich zum ersten Male bei mir zu Hause; ich war mit meinem englischen Koch sehr zufrieden, denn außer den Lieblingsgerichten der Engländer, die er mir jeden Tag vorsetzte, wußte er auch die französischen Gerichte sehr gut zuzubereiten: Huhn, Kalbsfilet, Rippchen, allerlei Ragouts und vor allen Dingen die gute französische Suppe, die schon für sich allein zum Ruhme der Nation hinreichen würde, wenn das französische Volk sich nicht auf allen Gebieten rühmlich ausgezeichnet hätte. Leider werden diese rühmlichen Eigenschaften durch Fehler beeinträchtigt, die ihnen viel von ihrem Glanz nehmen.
Mein Haus und mein Tisch allein genügten nicht zu meinem Glück. Ich war allein, und die Natur hatte mich, wie meine Leser wissen, nicht zum Eremiten geschaffen. Ich hatte keine hübsche Geliebte und keinen fröhlichen Freund! Man kann in London wohl einen Herrn der guten Gesellschaft ins Speisehaus einladen; er bezahlt dann, so will es der Brauch, seinen eigenen Anteil. Aber man kann niemanden in sein Haus einladen. Eines Tages lud mich ein junger Bruder des Herzogs von Beaufort im St.-James-Park ein, mit ihm Austern zu essen und eine Flasche Champagner zu trinken. Ich nahm die Einladung an. Im Wirtshause bestellte er Austern und eine Flasche Champagner; wir tranken aber zwei, und er ließ mich von der zweiten die Hälfte bezahlen. So sind nun einmal die Sitten jenseits des Kanals! Man lachte mir ins Gesicht, wenn ich sagte, ich äße zu Hause, weil man in den Wirtshäusern keine Suppe bekäme. »Sind Sie denn krank?« fragte man mich. Suppe gibt es nämlich nur für Kranke. Der Engländer ißt hauptsächlich Fleisch; Brot ißt er fast gar nicht, und er behauptet, sparsam zu sein, weil er keine Ausgaben für Suppe und Nachtisch hat, – was mich zu dem Ausspruch veranlaßte, das englische Diner habe keinen Anfang und kein Ende. Suppe zu essen wird für eine große Verschwendung angesehen, weil nicht einmal die Dienstboten das Suppenfleisch würden essen wollen. Sie behaupten, mit dem Kochfleisch könne man nur die Hunde füttern. Allerdings ist das gesalzene Rindfleisch, das sie anstatt der Suppe essen, ganz ausgezeichnet. Anders ist es mit ihrem Bier; es war mir unmöglich, mich an dieses zu gewöhnen, denn es erschien mir unerträglich bitter. Übrigens fand ich es vielleicht nur deshalb so schlecht, weil mein Weinhändler mir ganz ausgezeichnete französische Weine lieferte. Sie waren sehr rein, aber auch sehr teuer.
Ich wohnte nun schon seit einer Woche in meinem hübschen Hause, und noch war Martinelli nicht bei mir gewesen. Erst am zweiten Montag besuchte er mich vormittags, und ich lud ihn zum Mittagessen ein. Er sagte mir, er gehe ins Museum, wo er bis zwei Uhr bleiben werde. Hierdurch bekam ich Lust, mir die berühmten Sammlungen anzusehen, die der englischen Nation so hohe Ehre machen. Ich lernte dort den Doktor Matti kennen, der mir später sehr nützlich wurde. Ich werde Näheres darüber sagen, sobald ich soweit bin.
Bei Tisch leistete Martinelli mir ausgezeichnete Gesellschaft, denn er war sehr gebildet und ein genauer Kenner der englischen Sitten, die ich durchaus kennen lernen mußte, wenn ich mich in dem Lande wohl fühlen sollte. Da mich noch die Unhöflichkeit wurmte, die ich begangen hatte, indem ich statt mit Papiergeld mit schönen Goldstücken bezahlt hatte, so belehrte er mich in sehr verständiger Weise über den Kredit der Nation, indem er mir nachwies, daß eine solche Auffassung ein sicheres Zeichen des allgemeinen Wohlstandes sei; denn indem die Engländer ihr Papier ihrem Golde vorziehen, bekunden sie damit, daß sie zu ihrer Bank volles Vertrauen haben. Dieses Vertrauen mag blind sein, aber es ist eine Quelle des Reichtums. Dieses Vertrauen kann allerdings zerstört werden, weil die Regierung die Möglichkeit, diesen nur in der Einbildung vorhandenen Reichtum auf leichte Weise zu vermehren, mißbrauchen kann. Sollte dieser Fall, was ja nicht unmöglich ist, jemals eintreten, entweder durch einen unglücklichen Krieg oder durch ein Ereignis anderer Art, so würde ein Staatsbankerott die unvermeidliche Folge sein, und wie es dann kommen würde, das vermag niemand zu sagen.
Nachdem wir lange über Politik, Literatur, Sitten und Gebräuche gesprochen hatten, lauter Gebiete, auf denen Martinelli heimisch war, gingen wir ins Drury-Lane-Theater, und dort erlebte ich ein Beispiel von den etwas rauhen Sitten dieser Inselbewohner. Da die Truppe wegen irgend eines Zwischenfalls, dessen ich mich nicht mehr erinnere, das angekündigte Stück nicht geben konnte, so machte das Publikum Lärm. Der berühmte Schauspieler Garrick, der zwanzig Jahre später ein Grab in Westminster erhielt, betrat vergeblich die Bühne, um die Leute zu beruhigen. Er mußte die Bühne verlassen. In diesem Augenblick schrieen einige Wütende: Rette sich wer kann! Der König, die Königin und die ganze Gesellschaft nebst dem übrigen besseren Publikum verließen so schnell wie möglich das Haus und in weniger als einer Stunde wurde das Theater vollständig zerstört. Nur die Mauern blieben stehen, denn sie widerstanden der Wut des Pöbels, der diese ganze Verwüstung nur aus Übermut anrichtete, weil es ihm Vergnügen bereitete, seine Macht zu zeigen.
Nachdem der Pöbel, unbelästigt von der Obrigkeit, diese Heldentat vollbracht hatte, liefen die Rasenden in die Schenken und betranken sich in Bier und Schnaps. Vierzehn Tage darauf war der Theatersaal wieder hergestellt, und es wurde eine neue Vorstellung angekündigt. Als der Vorhang aufging, trat Garrick vor, um das Publikum um Verzeihung zu bitten. Eine Stimme aus dem Parkett rief: »Auf die Knie!« und der Roscius Englands, der hundertmal mehr wert war als alle die Schreihälse, mußte das Knie beugen und in dieser demütigen Haltung um Verzeihung bitten. Ein Beifallsdonner erscholl, und alles war erledigt. So ist das englische Volk, besonders das Londoner: König, Königin, Prinzen werden ausgepfiffen, wenn sie sich öffentlich sehen lassen; darum tun sie dies auch niemals, außer bei großen Festlichkeiten, wenn Hunderte von Konstablern für die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung sorgen.
Als ich eines Tages allein im St. James-Park spazieren ging, bemerkte ich Lord Augustus Hervey, den ich kurz vorher kennen gelernt hatte. Er sprach mit einem Herrn, den er aber stehen ließ, um mich zu begrüßen. Neugierig fragte ich ihn, wer der andere Herr sei.
»Es ist der Bruder von Lord Ferrer, dem vor ein paar Monaten der Kopf abgeschlagen wurde, weil er einen von seinen Leuten getötet hatte.«
»Und Sie sprechen mit ihm?«
»Warum nicht?«
»Ist er denn nicht durch den Tod seines Verwandten entehrt?«
»Entehrt? Das wäre scherzhaft! Nicht einmal sein Bruder selbst ist entehrt. Er hat das Gesetz gebrochen, aber er hat dies mit seinem Leben bezahlt, und da er die Gesellschaft befriedigt hat, so ist er nicht mehr ihr Schuldner. Er ist ein Ehrenmann, der hoch gespielt und verloren hat – weiter nichts! Ich kenne in unserer Verfassung überhaupt keine einzige entehrende Strafe: eine solche wäre tyrannisch, und wir würden sie nicht dulden. Es ist mir erlaubt, jedes mir unbequeme Gesetz zu verletzen, sobald ich bereit bin, die Strafe zu erdulden, die auf der Verletzung steht. Ich gebe zu, dies klingt ein wenig verrückt; aber gerade auf dieses Recht sind wir eifersüchtig; denn es steht bei uns, unsere Wahl zu treffen. Für entehrt erachten wir nur den Verbrecher, der, um sich der Strafe zu entziehen, gemeine oder niedrige Handlungen begeht, die eines Gentlemans unwürdig sind.
»Zum Beispiel?«
»Den König um Begnadigung bitten, das Volk um Verzeihung anrufen und andere dergleichen Handlungen.«
»Und fliehen?«
»Nein; denn um zu fliehen, dazu gehört Mut. Es ist nur eine fortgesetzte Übertretung des Gesetzes; um so schlimmer für das Gesetz, wenn es sich keinen Gehorsam zu verschaffen weiß. Bemerken Sie wohl, daß der Mensch, um zu fliehen, nur seine körperliche oder geistige Kraft nötig hat. Sie haben sich Ehre erworben, indem Sie der Tyrannei Ihrer Behörden entflohen sind: Ihre Flucht aus den Bleikammern ist eine tapfere Handlung. In solchem Falle kämpft man mit dem Tode, indem man sein Leben daran setzt. Indem man vor dem Tode flieht, fordert man ihn heraus. Vir fugiens denuo pugnabit – Wer flieht, wird von neuem streiten.«
»Wie denken Sie dann über die Straßenräuber?«
»Dies sind Elende, die ich verabscheue, weil sie der Gesellschaft lästig sind; aber sie tun mir leid, wenn ich daran denke, daß ihr Gewerbe sie fortwährend mit dem Galgen bedroht. Sie fahren in einer Mietskutsche aus, um einen Freund zu besuchen, der drei oder vier Meilen vor London wohnt. Ein flinker, entschlossener Mensch springt auf das Trittbrett des Wagens, setzt Ihnen eine Pistole auf die Brust und verlangt Ihre Börse – was würden Sie dann tun?«
»Wenn ich eine Pistole zur Hand hätte, würde ich ihm eine Kugel vor den Kopf schießen; sonst aber würde ich ihm meine Börse geben und ihn einen niederträchtigen Mörder nennen.«
»Sie würden in beiden Fällen unrecht haben. Wenn Sie ihn töteten, würde man Sie hängen; denn Sie haben kein Recht, einem Engländer nach dem Leben zu stellen. Und wenn Sie ihn einen niederträchtigen Mörder nennen, so wird er Ihnen antworten, das sei er nicht; denn er greife Sie von vorn an und lasse Ihnen daher die Wahl. Man würde Ihnen sogar nachweisen, daß er eine großmütige Handlung begangen hat; denn er hätte Sie töten können. Sie können ihm, indem Sie ihm Ihre Börse reichen, sein schändliches Gewerbe vorhalten, und er wird Ihnen sagen, Sie haben recht, und er werde dem Galgen, den er allerdings für unabwendbar halte, so lange wie möglich fern bleiben. Sodann wird er Ihnen danken und Ihnen den Rat geben, niemals die Stadt London zu verlassen, ohne sich von einem berittenen Diener begleiten zu lassen; denn wenn Sie das tun, wird kein Räuber Sie anzufallen wagen. Da wir wissen, daß dies Ungeziefer in unserem Lande vorhanden ist, so führen wir Engländer auf Reisen zwei Börsen mit uns, eine kleine für die Räuber, die uns etwa begegnen werden, eine andere für unsere Bedürfnisse.«
Was konnte ich auf eine solche Auseinandersetzung antworten? Was er sagte, war auf die nationalen Gebräuche begründet, und ich habe ihn daher vernünftig gefunden. England ist ein reiches Meer, aber es enthält viele verborgene Klippen. Wer sich aus Eigennutz oder Neugier auf die Fahrt begibt, muß vorher seine Maßregeln treffen. Die Belehrung, die Lord Augustus Hervey mir hatte zuteil werden lassen, machte mir viel Vergnügen.
Wir kamen in unserem Gespräch von einem auf das andere, wie es stets zu geschehen pflegt, wenn die Unterhaltung keinen bestimmten Anlaß hat, der erledigt werden muß. Lord Augustus beklagte das Geschick eines unglücklichen Engländers, der durch Schwindel siebzigtausend Pfund Sterling an der Börse gewonnen, sich damit nach Frankreich geflüchtet hatte, wo er in Sicherheit zu sein glaubte, und den man kürzlich in London gehängt hatte.
»Wie ist denn das möglich?« fragte ich ihn.
»Der König hat beim Herzog von Rivernois die Auslieferung beantragt, und Ludwig der Fünfzehnte hat diese bewilligt, um dadurch England günstig zu stimmen und in bezug auf bestimmte Artikel des Friedensvertrages bessere Bedingungen zu erlangen. Dies ist eine niedrige Handlung, die eines Königs unwürdig ist; denn er hat dadurch das Völkerrecht verletzt, allerdings in der Person eines Elenden; aber das ändert an der Handlung selber nichts.«
»Ohne Zweifel hat England auf diese Weise die siebzigtaussnd Pfund Sterling wiedererlangt?«
»Keinen Schilling.«
»Wie ist das möglich.«
»Weil man keine Guineen bei ihm gefunden hat. Offenbar hat er auch den kleinen Schatz seiner Frau überlassen; diese lebt nun in sehr angenehmem Wohlstand und wird sich wieder verheiraten können; denn sie ist noch jung und hübsch.«
»Ich wundere mich, daß man sie nicht wegen des Geldes beunruhigt hat.«
»Daran hat man nicht einmal gedacht. Was könnte man ihr denn tun? Daß sie gestehen sollte, ihr Mann habe ihr das gestohlene Geld gegeben, ist nicht wahrscheinlich. Das Gesetz gegen die Straßenräuber befiehlt die Schuldigen zu hängen, aber von dem Gestohlenen sagt es gar nichts; denn es nimmt an, daß dieses verschwunden sei. Wollte man übrigens einen Unterschied machen zwischen Räubern, die das Gestohlene zurückerstatten, und solchen, die es ausgegeben hätten, so müßte man zwei Gesetze machen und zwei Strafen bestimmen, und dann käme es außerdem noch auf die näheren Umstände der Wiedererstattungen an. Dies wäre ein Labyrinth, in welchem man sich verirren würde. Uns Engländern scheint es richtig, für ein Verbrechen nicht zwei Strafen zu verhängen: die Strafe des Galgens erscheint uns genügend, ohne daß sie durch die Rückerstattung des Gestohlenen verschärft wird. Der Räuber ist Eigentümer geworden; allerdings durch eine Gewalttat; aber diese Gewalttat schließt nicht aus, daß er in Wirklichkeit Eigentümer und tatsächlicher Besitzer ist, denn er kann darüber verfügen. Da dies nun einmal so ist, so muß ein jeder sorgfältig bewachen, was er besitzt; denn wenn er sich bestehlen läßt, so hat er unrecht, weil er weiß, daß eine Rückerstattung beinahe unmöglich ist. Ich habe Spanien die Stadt Havanna weggenommen. Dies ist ein großer Diebstahl, der mit bewaffneter Hand ausgeführt wurde, und man wird das Gestohlene wieder zurückgeben, weil ich nicht die Insel Kuba in die Tasche stecken konnte, wie ich für Rechnung meiner Regierung vierzig Millionen Piaster eingesteckt habe, ohne daß man überhaupt ein Wort darüber gesprochen hätte.«
Was er sagte, gefiel mir, denn er sprach als Philosoph und als getreuer Untertan seines Landes.
Während wir uns über sehr interessante Sachen unterhielten, gingen wir zur Herzogin von Northumberland; ich lernte bei ihr Lady Rochefort kennen, deren Gemahl kurz vorher zum Botschafter in Spanien ernannt worden war. Die Dame war eine von den drei Erlauchten, die durch ihre Galanterien den müßigen Schwätzern der ungeheuren Stadt jeden Tag neuen Gesprächsstoff lieferten.
Am Tage vor der Gesellschaft, die in Soho-Square stattfinden sollte, speiste Martinelli bei mir. Er erzählte mir viel von der Dame Cornelis und von ihren Schulden, die sie beinahe erdrückten und sie zwangen, nur am Sonntag ihr Haus zu verlassen, da dies der einzige Tag ist, an welchem die Gläubiger keine Rechte gegen ihre Schuldner geltend machen können. »Ihre ungeheuren Ausgaben, die gar nicht nötig sind,« sagte er zu mir, »haben sie in eine solche Not gebracht, daß sie schon sehr bald am Ende angelangt sein muß. Ihre Schulden betragen viermal so viel als alles, was sie besitzt, selbst das Haus mit eingerechnet, das doch immerhin nur ein zweifelhafter Besitz ist, da noch ein Prozeß darüber schwebt.«
Ich bedauerte ihre Lage nur ihrer Kinder wegen; denn sie selber schien mir ein besseres Los gar nicht verdient zu haben.