Pippa: Gestattet, daß ich Euch meinen Traum erzähle; nachher werde ich Euch anhören.

Nanna: Erzähl ihn nur.

Pippa: Werdet Ihr ihn mir auslegen?

Nanna: Das will ich.

Pippa: Heute nacht gegen Morgengrauen kam es mir vor, als sei ich in einem hohen, weiten und schönen Zimmer, dessen Wände mit grüner und gelber Seide bespannt waren; und an diesen seidenen Wänden hingen vergoldete Degen, Hüte aus besticktem Samt, Barette mit Agraffen, Wappenschilde, Gemälde und andere hübsche Sachen. In der einen Ecke des Zimmers stand ein Bett mit einer schweren Brokatdecke, und ich selber saß großmächtig und majestätisch auf einem karmesinroten Sessel, der überall mit goldenen Nägeln beschlagen war wie der Stuhl des Papstes. Um mich herum drängten sich Ochsen, Esel, Schafe, schwerfällige Büffel, Füchse, Pfauen, Nachteulen und Gimpel. Ich knuffte, puffte, stieß sie, schor sie, riß ihnen die Haare aus, rupfte ihnen die Schwung- und Schwanzfedern aus und trieb allen möglichen Mutwillen mit ihnen – und trotzdem wichen sie nicht von der Stelle, sondern beleckten mich vom Kopf bis zum Fuß. Nun möchte ich gern, daß Ihr mir den wahren Sinn dieses Gaukelspieles klarlegtet.

Nanna: Diesen Traum verstehe ich so gut wie Daniel, und darüber kannst du froh sein: Die von dir geknufften Ochsen und Esel sind die erbärmlichen Geizhälse, die uns trotz alledem ihr Geld lassen müssen, und wenn sie verrecken sollten; die Schafe und Büffel bedeuten die Unglücklichen, die sich von deinen Foppereien scheren und schinden lassen; in den Füchsen erblicke ich die Schlaumeier, die du bis aufs Blut peitschen wirst, sobald sie dir ins Garn gegangen sind; die Pfauen, denen du die Schwanzfedern ausgerupft hast, deute ich als die reichen und schönen jungen Leute; die Nachteulen und Gimpel sind die Schwärme von Dummköpfen, die schon verloren sein werden, wenn sie dich nur sehen oder dich sprechen hören.

Pippa: Wo laßt Ihr aber die anderen Einzelheiten?

Nanna: Nur gemach! Das reichgeschmückte Zimmer kündet deine hohe Stellung; die an den Wänden befestigten hübschen Sachen sind die Beute, die du invisibilium et visibilium diesem und jenem aus den Händen stibitzen wirst; der päpstliche Stuhl bedeutet die Ehren, die dir von der ganzen Welt erwiesen werden. Kurz und gut, du wirst den Siegespreis davontragen.

Pippa: Wartet, wartet! Die Pfauen, von denen ich träumte, besahen sich die Pfoten, aber sie kreischten nicht, wie sie’s sonst tun. Was hat das zu bedeuten?

Nanna: Sie sind ein Zeichen, daß meine Prophezeiungen richtig sind! Ich ersehe daraus, daß du dich so verständig benehmen wirst, daß selbst die durch ihre Liebe zu dir auf den Wüstensand der Berberei gesetzten keine Klage erheben werden … Nun höre mich an und setze beim Anhören dein Siegel unter meine Erörterungen, und wolle Gott, daß die Ermahnungen deiner Mutter genügen, um dich vor den Listen und Ränken des Mannsvolks zu schützen. Ach! Ich sage ›ach!‹ um jener armen Weiblein willen, die zugrundegingen durch Kupplerinnen, Kuppler, Briefe, Versprechungen, durch Liebe, Zudringlichkeit, günstige Gelegenheit, durch Geld, Schmeichelworte oder eine schöne Gestalt und durch das Unglück, das sie am Schöpf packte. Glaube nur nicht, daß da ein Unterschied herrscht zwischen Huren und Nichthuren: Alle Frauen werden bedrängt, alle werden angegriffen … Aber da ich beabsichtige, in meiner Darstellung dir eine mit den verschiedensten Gerichten aufs reichhaltigste besetzte Tafel zu bieten, so weiß ich nicht, welche Speise ich zuerst auftragen soll, da ich niemals als Aufwärterin bei Tische bedient habe. Zwar sind die Vorspeisen dazu da, um den Appetit zu reizen, aber mir selber ist es beim Essen am liebsten, mit dem Besten zu beginnen. Darum will ich eine von den abgefeimtesten Schnödigkeiten, die mir bekannt sind, dir als ersten Gang auftragen; denn das schöne Gesicht einer Frau ist ja auch das erste, was einem in die Augen sticht; und was in aller Welt würde man sich aus einer machen, wenn man, ehe man noch ihr Gesicht gesehen, schon bemerkt hätte, daß unter den Röcken ein schlechter Kauf steckt? Hat man dagegen zuerst ihr schönes Gesicht gesehen, so nimmt man den Rest unbesehen als gute Ware an.

Pippa: Eure Gleichnisse sind sauber wie neugeprägte Zechinen. Bitte, erzählt jetzt!

Nanna: Ein römischer Baron, jedoch nur ein Römling, kein Römer, war bei der Plünderung von Rom durch ein Loch entwischt, wie’s die Mäuse machen, segelte auf irgendeinem Schiff davon und wurde mit vielen Gefährten durch die rücksichtslose Tollwut der Winde an den Strand einer großen Stadt geworfen, wo eine Dame herrschte, deren Namen ich dir nicht sagen kann. Auf einem Spaziergang bemerkte sie den armen Menschen auf der Erde ausgestreckt, naß, zerschlagen, bleich, mit wirren Haaren. Mit einem Wort, er sah der leibhaftigen Furcht ähnlicher als der römische Hof von heutzutage einer Spitzbubenbande. Und das schlimmste war, daß die Bauern glaubten, er sei irgendein spanischer Grande; darum umdrängten sie ihn, um ihn und seine Gefährten zu behandeln wie die Räuber einen, der im Walde ohne Waffen von der Straße abgekommen ist. Die Dame aber jagte sie mit einem Wink ihrer Brauen allesamt zum Kuckuck, dann trat sie auf ihn zu, flößte ihm durch ihre anmutige Erscheinung und durch huldvolle Gebärden frische Zuversicht ein und führte ihn in ihren Palast. Dann ließ sie mit mehr als fürstlicher Freigebigkeit das Schiff ausbessern und die Schiffbrüchigen laben. Als der Baron sich wieder völlig erholt hatte, machte die Dame ihm einen Besuch und hörte Einleitung, Text, Betrachtung und Nutzanwendung der Predigt an, die er ihr hielt und worin er sagte, er würde ihre Freundlichkeit nicht eher vergessen, als bis die Ströme bergauf flössen. Verräterische Männer! Lügenhafte Männer! Falsche Männer! Und während er nach Römerart große Worte machte, verschlang das unglückliche arme Frauchen, das Dummchen, ihn mit ihren Blicken; voll Staunen betrachtete sie immer wieder seine Brust und seine Schultern; auf den Höhepunkt der Bewunderung aber geriet sie, als sie den stolzen Ausdruck seines Gesichtes sah; seine Augen, aus denen Ehre sprach, entlockten ihr Seufzer, und seine goldenen Ringellocken brachten sie ganz und gar um den Verstand. Sie konnte ihre Blicke nicht abwenden von seiner schönen Gestalt und von der Anmut, womit die Natur – die alte Sau! – ihn begabt hatte, und starrte ganz versunken auf seine göttlich schöne Larve. Hol der Kuckuck die Larve und was dazugehört. 73

Pippa: Warum wünscht Ihr sie zum Kuckuck?

Nanna: Gar oft ist sie verräterisch und fast immer trügerisch; das beweist auch die schöne Erscheinung des Barons, die die Dame, von der ich spreche, um ihren Verstand brachte. Schneller, als eine Frau ihren Sinn ändert, ließ sie die Tafeln decken, und als das königlichste Mahl bereitet war, setzte sie sich, ihr zur Seite der bewußte Herr, dann kamen seine Gefährten, und dann nach Rang und Stand die Einheimischen, in der Ordnung des Melchisedek. Inzwischen waren den Hungrigen prachtvolle silberne Schüsseln mit Speise von den zahlreichen Dienern vorgesetzt worden, und als sie ihren Hunger gestillt hatten, brachte der Baron der Signora seine Geschenke dar.

Pippa: Was gab er ihr?

Nanna: Eine Mitra aus leichtem Brokat, die Seine Heiligkeit am Aschermittwoch auf dem Kopf gehabt hatte; ein paar mit Goldfäden gestickte Pantoffeln, die er an den Füßen trug, als Gian Matteo 74 sie ihm küßte; den Hirtenstab des Papstes Stoppa alias Lino, 75 die Kugel des Obelisken; einen Schlüssel, der dem heiligen Petrus, dem Wächter seiner Treppen, aus der Hand gerissen war; eine Altardecke aus der Privatkapelle des Palastes und ich weiß nicht wie viele Reliquien der Sancta sanctorum, die der Herr Bombast, wie er renommierte, den Händen der Feinde entrissen hatte. Hierauf erschien ein wackerer Künstler mit seiner Ribeba, der stimmte sein Instrument und sang seltsame Possen.

Pippa: Was sang er denn? – daß Gott Euch behüte!

Nanna: Von der Feindseligkeit der Wärme gegen die Kälte und der Kälte gegen die Wärme; er besang, warum der Sommer lange Tage und der Winter kurze hat; er besang die Verwandtschaft des Blitzstrahls mit dem Donner, des Donners mit dem Blitz, des Blitzes mit der Wolke, der Wolke mit dem heiteren Himmel. Er besang, wo der Regen weilt, wenn gutes Wetter ist, und das gute Wetter, wenn’s regnet; er sang vom Hagel, vom Reif, vom Schnee, vom Nebel; er sang, wenn ich mich recht erinnere, von der Zimmervermieterin, die sich das Lachen verhält, wenn man weint, und von jener anderen, die sich das Weinen verhält, wenn man lacht; und zuletzt sang er, was für ein Feuer das ist, das dem Glühwurm unterm Arsch brennt, und ob die Grille mit dem Leibe oder dem Munde zirpt.

Pippa: Schöne Geheimnisse!

Nanna: Schon hatte Ihre Hoheit die hohe Dame, die auf das Singen hörte wie die Toten auf das Kyrieeleison, sich an dem Geplauder und dem galanten Wesen ihres Gastes berauscht; und da ihr dünkte, als lebe sie nur, solange er spräche, so brachte sie das Gespräch auf Päpste und Kardinäle; hierauf bat sie ihn, er möchte ihr doch gütigst erzählen, wie es gekommen sei, daß die priesterliche Schlauheit sich von den Krallen böser Tatzen habe fangen lassen. Der Baron wollte den Befehlen ihrer Bitte gehorchen und stieß einen tiefen Seufzer aus, einen jener spitzbübischen Seufzer, die sich der Leber einer Hure entringen, wenn sie eine volle Börse sieht, und er sprach: »Da denn Deine Hoheit, o hohe Frau, es wünscht, daß ich mich dessen erinnere, was mir mein Gedächtnis verhaßt macht, weil es es aufbewahrt – so will ich dir erzählen, wie die Kaiserin der Welt die Sklavin der Spanier wurde, und werde dir auch das ganze Elend schildern, das ich mit angesehen habe. Aber welcher Maure, welcher Deutsche, welcher Jude wäre so grausam, daß er so etwas einem anderen erzählen könnte, ohne in Weinen auszubrechen?« Dann fuhr er fort: »Hohe Frau, es ist Schlafenszeit, und schon verschwinden die Sterne; doch wenn es dein Wille ist, von den Leiden zu hören, die wir erduldet, so werde ich beginnen, obgleich mein Schmerz sich erneut, wenn ich davon spreche.« Und dann begann er von dem Volk zu sprechen, das vernichtet wurde, weil es zehn Dukaten sparen wollte; er erzählte, wie plötzlich Rom die Kunde vernahm, daß die deutschen Landsknechte und die spanischen Schwadroneure mit fliegenden Fahnen heranrückten, um die Ewige Stadt zum Schwanz der Welt zu machen. Da sagte einer zum andern: »Nimm deine Bettstatt und wandle.« Und gewiß hätte ein jeder sich über alle Berge gemacht, wäre nicht jene verwünschte Verfügung ›Bei Strafe des Galgens!‹ erschienen. Er erzählte, wie nach der Bekanntmachung dieses Verbots die geängstigten Leute anfingen, Geld, Silbergeschirr, Juwelen, Halsketten, Kleider und alle ihre wertvollen Sachen zu vergraben; wie in den Gruppen und Häufchen der Menschen, die erst auseinandergelaufen waren und sich dann hier und da wieder zusammengefunden hatten, allerlei Reden über die Feinde, die ihnen solche Angst einjagten, zutage gebracht wurden. Unterdessen marschierte die Bürgermannschaft unter ihren Viertelsmeistern – hol sie die Pest! –, untermischt mit Rotten von Soldaten, heran. Und gewiß, wenn die Tapferkeit in schönen Wämsern und schönen Hosen und vergoldeten Degengriffen stäke, dann hätten die Spanier und die deutschen Lümmel einen schlimmen Empfang gefunden. Der Baron erzählte, wie ein Eremit durch alle Straßen geschrien habe: »Tut Buße, ihr Priester! tut Buße, ihr Halunken! Und bittet Gott um Barmherzigkeit, denn die Stunde eurer Züchtigung ist nahe, sie ist schon da, sie ertönt!« Aber ihr Hochmut hatte keine Ohren. So erschienen denn die Schriftgelehrten und Pharisäer beim Kreuz von Monte Mari, und als im Sonnenlicht ihre Waffen funkelten, da erfüllte der furchtbare Glanz, der von ihnen ausstrahlte, die Herzen der Gimpel, die zur Besetzung der Mauern herbeigeeilt waren, mit einer schlotternden Angst, wie wenn Blitze und Donnerschläge wüteten. Da dachte gar mancher nicht mehr daran, die anrückenden Feinde zu zerschmettern, sondern suchte nur noch mit den Augen nach einem Schlupfwinkel, um sich darin zu verstecken. Unterdessen begann der Lärm bei Monte di San Spirito, und unsere Exerzierplatzhelden vollbrachten gleich beim ersten Anlauf eine Heldentat, wie wohl einem zufällig etwas gelingt, was er nachher niemals wieder so gut macht. Ich will sagen, sie schössen Bourbon tot und eroberten, ich weiß nicht, wie viele Banner, die sie mit einem Hoch! hoch!, das Himmel und Erde betäubte, zum Palast trugen. Aber während sie schon glauben, der Sieg gehöre ihnen, da werden auf einmal die Barrikaden beim Monte durchbrochen – die Feinde zerhacken eine Menge Leute, die in der Schlacht weder Schuld noch Fehl begangen hatten, zu Pastetenfleisch und stürzen sich in die Vorstadt. Von da aus drangen einige von den Feinden über die Brücke und rückten bis zu den Banchi vor, zogen sich dann aber wieder zurück; und man sagt, die Engelsburg – guten Angedenkens! –, in die unser Freundchen sich geflüchtet hatte, habe aus zwei Gründen die Feinde nicht bombardiert: erstens aus Knickerei, um nicht die teuren Pillen und Pulver 76 wegzuwerfen, zweitens, um den Feind nicht noch wütender zu machen, als er schon war; man beschäftigte sich nur damit, Stricke herunterzulassen, und die großen Kirchenlieder, die schon den brennenden Scheiterhaufen unter ihrem Hintern zu spüren vermeinten, ins Allerheiligste hinaufzuziehen. Aber nun bricht die Nacht herein, die feisten Wächter am Ponte Sisto kriegen’s mit der Angst und laufen auseinander, das Heer ergießt sich von Trastevere nach Rom hinein. Schon hört man Geschrei, die Tore werden eingeschlagen, ein jeder flieht, ein jeder versteckt sich, ein jeder weint und jammert. Das Blutbad überschwemmt Straßen und Plätze, Menschen werden totgeschlagen, Gefolterte schreien, Gefangene bitten, Frauen raufen sich die Haare, Greise zittern, und in der ganzen Stadt geht alles drunter und drüber. Glücklich, wer sofort tot ist, oder wenn er nicht gleich stirbt, bald jemanden findet, der ihm den Gnadenstoß gibt! Aber wer könnte die Greuel, das Elend einer solchen Nacht schildern! Die Klosterbrüder, die Mönche, die Kapläne und das ganze andere Pack, bewaffnet oder unbewaffnet, versteckten sich mehr tot als lebendig in den Grabgewölben; und da war keine Grotte, kein Loch, kein Brunnen, kein Glockenturm, kein Keller oder sonst ein versteckter Ort, der nicht plötzlich von allen möglichen Leuten angefüllt gewesen wäre. Ehrwürdige Männer wurden durchgewalkt, man zerriß ihnen die Kleider auf dem Leibe, verhöhnte sie und spie sie an. In jedes Gebäude drangen die Horden ein, gleichviel, ob’s Kirche, Hospital, Wohnhaus oder sonstwas war, ja sogar in jene Orte, die von Männern nicht betreten werden dürfen; und mit wildem Hohn trieben sie ihre Bewohnerinnen in jene Häuser, 77 die bei Strafe der Exkommunikation von keiner Frau betreten werden dürfen. Aber ein Jammer war’s, mit anzusehen, wie das Feuer die goldverzierten Loggien, die buntbemalten Paläste zerstörte; das Herz brach einem, wenn man hörte, wie die Ehemänner, vom roten Blut ihrer Wunden überströmt, nach ihren verlorenen Frauen riefen – mit einer Stimme, daß jener Marmorblock im Coliseo, der ohne Kalk und Mörtel aufrecht steht, hätte weinen mögen. Alles, was ich dir erzähle, das erzählte der Baron der Dame, und als er auf das Wehklagen zu sprechen kam, das der Papst in der Burg erhob, und auf die Flüche, die er gegen, ich weiß nicht mehr wen, schleuderte, weil er ihm das Wort gebrochen hätte, da entströmten seinen Augen so viele Tränen, daß sie ihn fast erstickten, und da er kein Wort mehr hervorbringen konnte, so schwieg er, wie wenn er stumm gewesen wäre.

Pippa: Wie ist es denn möglich, daß er über das Unglück des Papstes weinte, da er doch ein Feind der Priester war?

Nanna: Weil wir doch immer Christen sind; und sie sind nun einmal geweihte Priester, und die Seele muß auch an ihre eigenen Angelegenheiten denken; darum befiel den Baron dieser so heftige Weinkrampf, daß die Dame aufstand, ihm zweimal sanft die Hand drückte und ihn zu seinem Zimmer führte; dort wünschte sie ihm gute Nacht und ging dann selber zur Ruhe.

Pippa: Ihr habt wohl daran getan, die Geschichte abzukürzen; denn ich vermochte nicht mehr, Euch ohne tiefes Weh zuzuhören.

Nanna: Ich hab dir’s nur fetzenweise erzählt und manches übersprungen, habe von diesem ein Wörtchen gesagt und von jenem eins; denn um dir die Wahrheit zu gestehen, mein Gedächtnis ist beim Schuster zum Versohlen; übrigens würde man auch niemals fertig werden, wenn man alles erzählen wollte, so viele Grausamkeiten fielen bei der Plünderung vor, und wenn ich dir sagen wollte, wieviel Raub, Mord und Notzucht auch von denen verübt wurden, in deren Häuser sich Menschen im Glauben, dort sicher zu sein, geflüchtet hatten, da liefe ich Gefahr, mir die Feindschaft gar mancher Leute zuzuziehen, die glauben, man wisse nichts davon, wie sie ihre Freunde umgebracht haben.

Pippa: Laßt nur die Wahrheit in Ruh und gebt Euch lieber mit Lügen ab; dabei werdet Ihr besser Eure Rechnung finden.

Nanna: Das werde ich jedenfalls auch eines Tages so machen.

Pippa: Macht es so und sagt nichts.

Nanna: Du wirst es sehen. Doch nun wieder zu unserer Geschichte : Die Dame, verzaubert von dem lockenden Liebreiz, womit Amor die Gestalt und das Wesen des Barons umkleidet hatte, stand lichterloh in Flammen, und das Herz hüpfte ihr in der Brust, wie wenn’s von Quecksilber gewesen wäre. Und indem sie an den erlauchten Ruhm seines Geschlechtes dachte und an die Heldentaten, die er ihrer Meinung nach in jener Nacht vollbracht haben mußte, warf sie sich auf ihrem Bette hin und her wie jemand, der von einer eiskalten und dann wieder glühendheißen Angst gequält wird; das Antlitz und die Worte des Prahlhanses waren ihr tief ins Gedächtnis gegraben, und sie vermochte fast keinen Schlummer zu finden. Schon hatte der neue Tag mit den Farben des Meisters Helios Frau Auroras Wangen geschminkt, da stand sie auf, ging zu ihrer Schwester, der sie einen Traum erzählte, und fragte sie geradezu: »Was hältst du von dem Fremdling, der zu uns gekommen ist? Sahst du jemals einen Mann von schönerer Gestalt? Was für Wunderdinge muß er verrichtet haben mit den Waffen in der Hand, als der Kampf in Rom wütete! Ohne Frage muß er einem großen Geschlecht entsprossen sein. Wahrhaftig, hätte ich nicht damals, als mir der Tod meinen ersten Gemahl raubte, das Gelübde getan, Witwe zu bleiben – vielleicht, vielleicht würde ich noch einmal diesen Fehltritt begangen haben – aber nur um seinetwillen! Liebe Schwester, ich will dir nichts verhehlen, sondern ich schwöre dir bei der jungen Zuneigung, die ich dem edlen Fremdling entgegenbringe: Seitdem jener starb, ist mein Herz sehr karg mit Liebe gewesen, nun aber erkenne ich die Anzeichen der alten Flammen, die mich damals ganz und gar, auf einmal, und nicht nach und nach verzehrte. Aber ehe ich etwas Zuchtloses tue, soll sich die Erde auftun und mich lebend verschlingen, soll der Blitzstrahl vom Himmel zucken und mich in den Abgrund schmettern. Ich bin nicht die Frau, die Gesetze der Ehre zu zerfetzen; er, dem meine Liebe gehörte, er nahm sie mit sich in die andere Welt, und dort wird er sie genießen in seculorum secula.« Plötzlich hörte sie auf zu sprechen und begann zu weinen wie ein geschlagenes Kind.

Pippa: Die arme Frau!

Nanna: Die Schwester, die keine Heuchlerin war und alles von der richtigen Seite auffaßte, machte sich über ihr Gelübde und ihre Tränen lustig und antwortete ihr: »Ist es möglich, daß du nicht erfahren willst, wie wonnig es ist, Kinderchen zu haben, und wie honigsüß die Gaben der Frau Venus sind? Wie töricht bist du zu glauben, die Seelen der Toten denken an nichts anderes als daran, ob ihre Frauen sich wohl wieder verheiraten werden oder nicht. Meiner Meinung nach genügt der Sieg, daß du dich nicht hast rumkriegen lassen, einen von den vielen Fürsten zu nehmen, die dich zum Weibe begehrten – willst du dich in einen Kampf mit dem Gaukler, dem Cupido, einlassen? Närrin! tu das nicht, denn du würdest mit zerschlagenem Kopf von dannen gehen! Zudem sind alle Nachbarn deine Feinde: So nimm doch die Gelegenheit wahr, die dir ihren Schöpf selber in die Hand gedrückt hat; wenn unser Blut sich mit Römerblut mischt, welche Stadt wird es dann mit uns aufnehmen können? Wir wollen sofort in allen Klöstern beten lassen, der Himmel möge uns zum Guten lenken. Unterdessen werden wir schon ein Mittel finden, ihn hier zurückzuhalten, vielleicht wird es ihm selber eine Gunst des Schicksals dünken, schiffbrüchig und verlassen, wie er ist, und auch wegen des rauhen Frostes, der vom Herzen des Winters ausgeht.« Du siehst mich fragend an, Pippa; nun, ich mach es kurz und sage nur: Die Schwester wußte so gut die Vesper zu singen, daß die Dame ihrem Gelübde und ihrer Ehrbarkeit ein Schnippchen schlug und ihre Ehre auf die leichte Schulter nahm; wo sie ging und stand, sah und hörte sie nur den Baron. So kam die Nacht heran, und als auch die Grillen schon schliefen, da wachte sie noch und warf sich im Bett bald auf die eine, bald auf die andere Seite, sprach mit sich selber und wurde von einer Herzensangst verzehrt, wie sie nur jemand kennt, der bald aus dem Bett springt, bald sich wieder hinlegt, je nachdem, wie ihn die Pein treibt, von der er besessen ist. Und um’s dir kurz und bündig zu sagen: Ihr war der Kopf verdreht, und sie verfiel schließlich in Sünde mit dem Freund; ja, das tat sie, Tochter!

Pippa: Das war ganz vernünftig von ihr.

Nanna: Im Gegenteil, höchst töricht.

Pippa: Warum?

Nanna: Den Grund nennt dir jenes Lied:

Wer ’ne Schlange an seinen Busen nahm,
Dem geht es wie jenem Bauernsohn:
Kaum war sie gesund und nicht mehr von Kälte lahm,
Da zahlte ihr Gift ihm seinen Lohn.

Du wirst gleich von mir hören, wie’s der Verräter machte. Sobald die Dame ihrem Seligen, der einige Zeit vorher a porta inferi gegangen war, Hörner aufgesetzt hatte, da ging die geschwätzige Fama, die müßige Fama, die bösmäulige Fama überall umher und posaunte es aus; und die vornehmen Herren, die um ihre Hand angehalten hatten, verschworen sich mit den gräßlichsten Flüchen beim Satan und sagten vom Himmel und ihrem Glück tausend Schand. Unterdessen rief der Kain, als er sich gut herausgefüttert, in schönen Kleidern und vollkommen wiederhergestellt sah, seine Leute zusammen und sagte ihnen: »Brüder, heute nacht ist mir Roma im Traum erschienen und hat mir im Namen aller Heiligen befohlen, von hier abzufahren, denn ich bin ausersehen, ein anderes, viel schöneres Rom zu erbauen. Darum macht euch leise, leise an die Arbeit; und während ihr meine Befehle ausführt, werde ich schon irgendein geschicktes Mittel finden, mich von der Dame zu beurlauben.« – Aber wer vermöchte Verliebten Sand in die Augen zu streuen? Die sehen ja, was sonst niemand sieht, und hören, was niemand hört. Sobald sie sah, daß auf dem Schiff des Barons alles drüber und drunter ging, erkannte sie, daß die gute Seele mit ihrem Schiff das Leva ejus spielen wollte. Da geriet sie in Wut und rannte ohne Licht und ohne Besinnung wie eine Besessene an den Strand. Mit bleichem Gesicht, mit nassen Augen; mit trockenen Lippen trat sie vor den Baron, löste die Fesseln ihrer Zunge, die in den Schlingen der Leidenschaft verstrickt war, und ließ ihrem Munde die folgenden Worte entfallen: »Ha! Glaubst du, Treuloser, du könntest von hier ohne mein Wissen entweichen? Hat dich der kurze Blick schon satt gemacht, und kann nicht unsere Liebe, dein Treuschwur, mein Todesentschluß dich von der beschlossenen Abreise zurückhalten? Aber du bist auch gegen dich selber grausam, daß du jetzt im Winter, in der gefährlichsten Jahreszeit, absegeln willst. Mitleidloser Mann, du dürftest in so stürmischer Jahreszeit nicht nur nicht nach fremden Ländern schiffen, sondern nicht einmal nach Rom zurückkehren, und wenn es mehr denn je in Blüte stände! Du fliehst mich, Grausamer! Mich fliehst du, Ruchloser! Ach! Bei diesen Tränen, die mir aus den Augen rinnen, bei dieser Rechten, die meiner Marter ein Ende setzen soll, bei meiner eben erst begonnenen Vermählung mit dir: Wenn die Wonnen, die du an meinem Leibe genossen, dir nichts sind, so habe doch Mitleid mit meinem Land, mit meinem Hause, die zusammenbrechen werden, wenn du scheidest! Und wenn die Bitten, die doch sogar unseren Herrgott rühren, auch in deine Brust dringen, so entsage deiner Absicht, mich zu verlassen. Meine Liebesraserei für dich hat mich nicht nur den Herzögen, Grafen und Edelleuten verhaßt gemacht, deren Anträge ich ausgeschlagen hatte, sie hat mir auch die Zuneigung meiner Bürger und Vasallen geraubt, und ich habe das Gefühl, daß ich von diesen wie von jenen anderen gefangengehalten werde. Aber dies alles ließe sich noch ertragen, hätte ich wenigstens ein Söhnchen von dir, das um mich herum spielte und vor der Welt ein Abbild deiner Gestalt, deines Antlitzes wäre.« So sprach sie schluchzend und weinend zu ihm. Und er, der Heuchler, der Meister aller Schlauheit, blieb hartnäckig bei seinem erdichteten Traum und schlug nicht einmal die Augen nieder. Ungerührt ließen ihn ihre Bitten, ihre Tränen; er machte dazu ein Gesicht wie ein Geizhals, wie ein filziger Knauser, wie die teure Zeit, die die Armen am Straßenrand sterben sieht und nicht einmal einen Bissen dem Hunger reichen will, der ihr die Hand hinstreckt. Schließlich sagte er ihr in wenigen Worten, er leugne nicht, daß er Verpflichtungen gegen sie habe, er werde sie stets in der Erinnerung behalten und er denke gar nicht daran, abzusegeln, ohne ihr ein Wort davon zu sagen. Mit eiserner Stirn leugnete er, ihr jemals versprochen zu haben, daß er sie zum Weibe nehmen wolle, und alle Schuld seines Verhaltens schob er auf die Celi celorum. Und er schwor ihr, der Engel sei ihm erschienen und habe ihm befohlen, große Taten zu verrichten; aber er predigte in den Wind, denn sie sah ihn bereits mit ganz anderen Augen, und aus ihrem Munde sprühte die Wut, die ihr Flammenherz mit gerechter Verachtung und mit Schmerz erfüllte. Und so trat sie ganz nahe an ihn heran und rief: »Du bist niemals ein Römer gewesen, und du lügst, wenn du behauptest, du stammest aus so edlem Blute! Monte Testaccio, du treuloser Mensch, hat dich gezeugt aus den Scherben, aus denen der Berg besteht, und die Hündinnen, die dort herumstreichen, haben dich mit ihrer Milch gesäugt; darum hat sich kein Zug des Mitleids bei meinem Bitten und Weinen in deinem Antlitz gezeigt. Aber wem soll ich denn mein Unglück klagen, da, wie es scheint, im Himmel droben niemand waltet, der mit gerechtem Urteil die Ungerechtigkeiten mißt? Wahrlich, heutzutage gibt’s nicht Treu noch Glauben mehr: Da nehme ich diesen Menschen auf, der vom Meer gerüttelt und an meinen Strand geworfen ist, ich teile mit ihm alle meine Habe, gebe und schenke mich ihm, und trotz alledem verläßt er mich, nachdem er mich verraten und beschimpft hat! Und obendrein will er mich glauben machen, ein Bote sei ihm vom Himmel gekommen, um ihm die geheimen Befehle unseres lieben Herrgotts zu überbringen, wie wenn dieser nichts anderes zu tun hätte, als sich mit deinen Läppereien zu befassen! Aber ich halte dich nicht! Geh nur und folge den Pfaden, die deine Träume und Gesichte dir weisen! Ganz gewiß wirst du die Herrlichkeit der Kinder Israels erneuen. Aber ich hege die Hoffnung, wenn du gehst, so wirst du zwischen den Klippen deine Strafe erleiden. Dann wirst du meinen Namen rufen, wirst dir mehr als siebenmal meine liebevolle Pflege und meine Güte herbeiwünschen. Ich aber werde dich als Feind verfolgen, mit Feuer und Schwert werde ich meine Rache nehmen; und noch wenn ich tot bin, wird dich mein Schatten, meine Seele, mein Geist verfolgen!«

Sie konnte nicht weitersprechen, denn die Leidenschaft schnitt ihr die Worte ab, und sie mußte mitten in ihrer Rede schweigen. Ihre Blicke verdunkelten sich, sie konnte sich nicht mehr auf den Füßen halten und sank wie eine Todkranke in die Arme ihrer Dienerinnen, die sie forttrugen. Der Baron blieb allein zurück, das Antlitz verzerrt und von Schamröte bedeckt über den schnöden Verrat, den er an der Unglücklichen begangen. Du weinst, Pippa?

Pippa: Möchte der feige Schurke hingerichtet werden!

Nanna: Ja, gevierteilt, wenn’s möglich wäre. Denn nach dieser Wehklage seiner Dame rüstete er sich sofort zur Abfahrt, und seine Leute, die das Schiff an den Strand zogen, glichen Ameisen, die ihr Korn für den Winter herbeischleppen: Einige von ihnen brachten süßes Wasser, andere trugen die laubumkränzten Ruder, und noch wieder andere … die Kränke, die ich ihnen an den Hals wünsche!

Pippa: Was machte denn mittlerweile die unglückliche Dame?

Nanna: Sie stöhnte, sie seufzte, sie raufte sich die Haare aus; und als sie die Rufe der von ihr bewirteten Matrosen hörte, das Durcheinanderlaufen der Rudermannschaft und der übrigen Besatzung sah, da stockte ihr der Atem, sie fiel in Ohnmacht und lag wie eine Tote da. Ah! grausame Liebe, warum kreuzigst du uns so schrecklich und auf so manche Art? Aber trotz alledem hatte die Dame noch ein bißchen Hoffnung, und sie ging zu ihrer Schwester und sprach: »Liebe Schwester, siehst du nicht, daß er fortgeht, daß schon das Schiff sich zur Abfahrt rüstet? Aber warum, o ihr undankbaren Himmel! warum, wenn ich auf solches Leid gefaßt sein mußte, gabt ihr mir nicht die Kraft, es zu ertragen? Du allein, Schwester, kannst mir jetzt helfen, denn dich machte der Verräter ja immer zum Vertrauten aller seiner Gedanken. So geh denn und sprich mit ihm und suche ihn durch deine Worte zu erweichen, sag ihm in meinem Namen, ich habe mit jenen nichts zu schaffen, die unter dem Vorwand, Frieden und Ruhe herzustellen, seine Vaterstadt zerstörten, ich habe nicht die Gebeine seines Vaters aus ihrem Grab gerissen – darum möge es ihm gefallen, vier Worte von mir anzuhören, bevor ich sterbe. Sag ihm, er möge mir, die ich ihn zu meinem Unglück anbete, die einzige Gnade erweisen, nicht jetzt abzusegeln, sondern zu warten, bis die Fahrt für den Schiffer weniger gefährlich sei. Ich will gar nicht sein Weib sein, da er mich ja verschmäht; ich will ihn erst recht nicht für immer hierbehalten: nur einen kleinen Aufschub wünsche ich, damit mein Schmerz Zeit gewinnt, damit ich lerne, ihn zu ertragen!« Und in Tränen ausbrechend, schwieg sie.

Pippa: Ihr Schicksal schneidet mir ins Herz.

Nanna: Ihre unglückliche Schwester, liebe Pippa, überbrachte ihm die Worte und schilderte ihm lang und breit all ihre Tränen, all ihre Verzweiflung. Aber der Grausame ließ sich dadurch nicht erweichen; er glich einer Mauer, von der die leichten Bälle abprallen. Endlich beschloß die Dame, als sie die Gewißheit hatte, daß er absegeln würde, zu Zaubermitteln ihre Zuflucht zu nehmen, wovor sie sich bis dahin immer gescheut hatte.

Pippa: Half ihr das etwas?

Nanna: Gar nichts! Sie rief Hexen, Gespenster, Dämonen, Werwölfe, Feen, Geister, Sibyllen, den Mond, die Sonne, die Sterne, Harpyien, Himmel, Erden, Meere, Höllen und andere Teufelswerke, sie goß schwarzes Wasser aus, streute Asche von Verstorbenen und Kräuter, die im Schatten der Nacht getrocknet waren; sprach Zauberworte, machte Zeichen, zeichnete Buchstaben und seltsame Figuren und sprach zu sich selber. Aber kein Heiliger war da, der sich um den falschen verräterischen Liebhaber kümmerte. Es war Mitternacht, als sie ihre nutzlosen Beschwörungen machte, und die Schuhus, die Nachteulen und die Fledermäuse schliefen schon wieder in festem Schlaf, als sie allein noch immer nicht den Schlummer mit ihren Augen fangen konnte, sondern die Liebe peinigte sie immer mehr. Und nachdem sie eine Weile still gewesen war, begann sie zu sprechen und sagte zu sich selber: »Was mache ich jetzt, ich Unglückliche? Soll ich jetzt irgendeinen von denen, die ich verschmäht habe, bitten, mich als Weib heimzuführen? Soll ich den abenteuernden Römern folgen? Ja, das wird mir von Nutzen sein, denn ich habe ihnen Hilfe gewährt, und sie sind ja Leute, die sich dankbar genossener Wohltaten erinnern. Aber wer wird mich aufnehmen, wenn ich auch wirklich auf das stolze Schiff gehen wollte? Und dann – kenne ich nicht zur Genüge diese eidbrüchigen Römer? Sie würden mich auslachen, wenn ich zu ihnen käme. Aber darf ich’s dulden, daß sie alle Segel setzen und in diesem Augenblick in See stechen? Ach! stirb, stirb Unglückliche! und befreie dich mit dem Stahl von deinem Schmerz! Aber du, Schwester, du hast mich in all dies Unglück hineingestoßen, du hast mich meinem Feinde ausgeliefert, du bist schuld, daß ich zur Verräterin wurde an der Asche meines Gemahls und an meinem Gelübde der Keuschheit – treuloses, sündiges Weib, das ich bin!«

Pippa: Welch eine schöne Wehklage!

Nanna: Wenn du schon gerührt bist, indem du sie von mir hörst, die ich doch kein Stückchen so wiedergebe, wie sich’s eigentlich gehört, die ich auf klägliche Weise beim Erzählen alles durcheinanderwerfe – was hättest du erst gemacht, wenn du sie aus ihrem eigenen Munde gehört hättest!

Pippa: Ich wäre bei ihrem Schmerz in Ohnmacht gefallen.

Nanna: So wäre es gewesen … In diesem Augenblick ließ der Baron die Ruder in die Flut tauchen und entfloh, wobei er sich oft umsah, denn es kam ihm immer vor, als wäre ihm das Volk seiner Dame auf den Fersen. Und als die Morgendämmerung graute, da eilte die Untröstliche, der die Nacht dreimal so lang wie sonst vorgekommen war – wie die Weihnachtsmessen, die dreimal wiederholt werden –, da eilte, sag ich, die Untröstliche ans Fenster, und als sie das Schiff schon fern vom Hafen sah, schlug sie sich vor die Brust, zerfleischte mit den Nägeln ihr Gesicht, raufte sich die Haare und rief: »O Gott! Soll denn wirklich dieser Mensch mir zum Trotz davongehen? Soll ein Fremdling eine hochgeborene Dame wie mich verschmähen dürfen? Ist meine Macht ohnmächtig gegen ihn, kann sie ihn nicht durch die ganze Welt verfolgen? Auf! zu den Waffen! und macht schnell! Aber was sage ich? Wo bin ich? Was verrückt mir den Sinn? Ah, Unglückliche! dein grausames Los ist nicht mehr fern; das alles hätte ich machen sollen, als ich’s konnte, und nicht jetzt, wo ich’s nicht mehr kann! Das also war die Treue des Mannes, der Roms Reliquien gerettet hat! Das war der Mann, der aus Mitleid mit seiner Vaterstadt Tränen vergoß! Der Mensch, der mir den Rücken dreht und mir damit all mein Wohlwollen und den gastlichen Empfang vergilt! Aber warum habe ich ihn nicht vergiftet, sobald ich seine Niedertracht erkannte? Oder noch besser, warum habe ich ihn nicht in Stücke hauen lassen, um sein zuckendes, warmes Fleisch zu essen? Vielleicht wäre das ein gefährliches Wagnis von zweifelhaftem Erfolg gewesen; aber was auch immer gekommen wäre, konnte es schlimmer kommen, als es mir widerfahren ist? Da ich doch sterben muß, so war’s wohl besser gewesen, ihn zuerst zu erwürgen oder ihn und seine Leute mitsamt dem Schiff zu verbrennen!« Nachdem sie dies gesagt, verfluchte sie Roms Ursprung, Lage, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Und sie flehte Himmel und Hölle an, sie möchten aus den Gebeinen ihres Volkes Rächer und unversöhnliche Feinde erstehen lassen. Und nachdem sie alle diese Worte gesprochen hatte, die aus ihrem Munde kamen, schickte sie ihre Amme fort, um irgendwas zu besorgen, und schickte sich an, sich den Tod zu geben.

Pippa: Wie? Sich zu töten?

Nanna: Sich zu töten.

Pippa: Auf welche Art denn?

Nanna: Mit ganz verzerrtem Antlitz, die Wangen schon mit den fahlen Flecken des Todes übersät, die Augen blutunterlaufen, betrat sie ihr Schlafgemach. Zur Raserei gebracht, nachdem alle Hoffnungen, an die sie sich in ihrer Verzweiflung geklammert, sich als trügerisch erwiesen hatten, riß sie ein Schwert aus der Scheide, das ihr vom Kain geschenkt war; aber gerade als sie, ohne noch ein Wort zu sagen, sich damit die Brust durchbohren wollte, da fielen ihre umflorten Blicke auf einige Kleider des Römers und auf das Bett, worauf sie mit dem Judas gelegen hatte. Da hielt sie noch einmal inne und sprach ihre letzten Worte, die mir – ein Magister hat sie mich einst gelehrt – immer im Gedächtnis geblieben sind wie das Pane nostrum quotidiano: »Ihr Kleider, die ihr mir einst teuer wäret, als Gott und das Schicksal mir dieses Glück gönnten, empfanget, ich bitte euch, diese Seele, deren Feuer erloschen ist! Ich habe die Zeit gelebt, die mir beschieden war, ich gehe jetzt in die Unterwelt, sein Bild im Herzen. Ich gründete eine Stadt von hochberühmtem Namen, ich sah meine Burg sich erheben, und ich habe mich an dem Bruder meines früheren Gemahls gerächt; ich wäre also eine Glückliche unter den Glücklichen gewesen, wenn nicht das römische Schiff an meinem Gestade gelandet wäre.« Mit diesen Worten rannte sie mit dem Kopf gegen das Bett, stürzte es in voller Wut um und schrie zähneknirschend:

»Und doch scheiden wir nicht ohne Rache aus dem Leben! Denn wenn du mir den Busen durchbohrst, o Schwert, wirst du auch diesen grausamen Ritter töten, der in meinem Herzen lebt; so wollen wir denn sterben! denn so geziemt es sich, zu sterben!« Kaum hatte sie das letzte Wort hervorgebracht, da sahen ihre Frauen das mörderischste Schwert in ihrem Busen stecken!

Pippa: Was sagte denn der Baron, als er’s erfuhr?

Nanna: Sie sei ein verrücktes Frauenzimmer gewesen … So machte sie denn also einen Spaziergang in die andere Welt, wie du’s soeben gehört hast, und das kam davon, daß sie einem Mann soviel Liebe erwiesen hatte.

Die Männer? Die Männer? Bei Gott, es ist Zucker, wenn wir sie verraten und zugrunde richten in Anbetracht alles dessen, was sie uns antun! Und damit du mir das glaubst, erzähle ich den Streich, den ein mir wohlbekannter Student und ein mir wohlbekannter Kavalier einer abgefeimten Hure spielten.

Pippa: Ihr habt mich noch nicht unterwiesen, wie ich mich mit Studenten und mit Kavalieren zu verhalten habe.

Nanna: Diese beiden Spitzbubenstreiche werden dich aufklären, so gut ich’s nur selber könnte; gib dir Mühe, aus der Geschichte dieses einen Studenten und dieses einen Kavaliers alles zu lernen, was mit dieser Sorte von Leuten zusammenhängt.

Pippa: Sehr schön. Aber wartet noch mal ’nen Augenblick, wartet!

Nanna: Wozu?

Pippa: Ich hatte heute nacht zwei Träume und habe Euch nur den einen erzählt.

Nanna: Ich habe niemals ein so kindisches Mädel gesehen wie dich! Du bist ja ganz außer Rand und Band mit dem Erzählen von Träumen, die du gehabt hast.

Pippa: Hört nur, was ich nach dem Traum von dem geschmückten Zimmer noch weiter träumte.

Nanna: Erzähle also; was wird’s denn sein?

Pippa: Mir war’s, als schreie ganz Rom aus vollem Halse: »Pippa, Pippa! Deine Mutter, die Spitzbübin, hat den vierten Teil vom Vergil 78 gestohlen und treibt ihren Ulk damit.«

Nanna: Hahaha! Hör mal, Schelmin: ein ganz kleines Tröpfchen mehr, und du wärst über den Respekt hinausgegangen! Was, zum Kuckuck, weiß ich, von wem da die Rede ist! Aber mag er sonst sein, was er will – von solchen gelehrten Sachen versteh ich nichts –, auf jeden Fall muß er ein Tölpel sein, wenn er den vierten Teil von sich selber wegnehmen läßt; und wenn das so ist, so kann er den Rest getrost den Hunden vorwerfen.

Pippa: Nun zum Studenten und zum Kavalier!

Nanna: Ein Student, der besser über Gaunerstreiche als über seine Bücher Bescheid wußte, listig, schlau, lebhaft, mundfertig und ein Taugenichts im höchsten Grade, kam nach Venedig und lebte dort einige Zeit still und verborgen, bis er genügend Erkundigungen eingezogen hatte, welche von den dortigen Huren die spitzbübischsten und reichsten seien. Als er Bescheid wußte, bat er den Schafskopf, bei dem er zur Miete wohnte, um eine geheime Unterredung. Er hatte ihm zu verstehen gegeben, er sei der Neffe eines Kardinals und verkleidet nach Venedig gekommen, um sich dort einen Monat lang zu amüsieren und um Juwelen und Stoffe zu kaufen, wenn er welche fände, die ihm gefielen. Er ruft ihn also zu sich und sagt: »Lieber Bruder, ich wünsche mit der Signora Soundso zu schlafen; geh zu ihr und sag ihr, wer ich bin; sie muß aber schwören, daß sie mich nicht verraten wird, und wenn sie verschwiegen ist, so wird sie sehen, was für eine schöne Seele ich habe.« Der Liebesbote trottet davon, kommt vor ihre Tür, klopft tick, tack, tack, und die Haushälterin erscheint am Fenster oder, wie die Venezianer sagen, am Balkon; da sie den Makler für die Ware ihrer Herrin erkennt, so macht sie weiter keine Schwierigkeiten und zieht die Schnur; er unterrichtet die Freundin von allem und erscheint gleich darauf auf dem Turnierplatz mit dem falschen Neffen des Allerehrwürdigsten Monsignore, und der junge Mann steigt voll priesterlicher Majestät die Treppen hinauf. Die Signora tritt ihm entgegen und sieht auf den ersten Blick seinen Mantel von feinem Tuch, sein Wams von schwarzem Atlas, Barett und Schuhe aus Tercio pelo, wie die Spanier sagen. Dann reichte sie ihm Hand und Mund auf die anständigste Hurenmanier, die man sich nur denken kann, und als die Plauderei begann, sprach er bei jeder Gelegenheit von ›meinem Onkel, Monsignor …‹ Den Kopf wiegte er auf eine mehr als königliche Art hin und her, machte ein Gesicht, wie wenn alles und jedes stänke, und sprach langsam, leise und anständig; mit einem Wort, er benahm sich scheißfein und schien seine eigenen Worte mit Andacht anzuhören.

Pippa: Ich seh ihn im Geiste vor mir.

Nanna: Wie solltest du auch nicht? Die Venezianerin war die Ehrfurcht und Dienstbeflissenheit selber und antwortete auf jedes Kompliment, das der Spitzbube ihr machte: »Ich sterbe! genug! was sind das für Sachen!«, und ich weiß nicht, was sonst noch für Quatsch. Genug, sie wurden handelseins, daß sie miteinander schlafen wollten. Dann winkt der Student den Mittelsmann heran, gibt ihm zwei Zechinen und sagt: »Gib mir dies Geld aus; suche selber die Sachen aus.« Meister Rindvieh geht auf den Einkauf, stibitzt Heller und Batzen und schickt die Eßwaren der Diva durch einen Facchino ins Haus.

Pippa: Wie Ihr von Facchino usw. zu sprechen wißt! Man möchte meinen, Ihr seiet selber in Venedig gewesen.

Nanna: Weißt du denn, ob ich nicht mal da gewesen bin?

Pippa: Ja, ja.

Nanna: Schließlich war es so weit, daß sie miteinander zu Bett gehen wollten und daß der Doktor in spe sich ausziehen mußte. Nach vielen ›Oh, das kann ich nicht zugeben!‹ und ›Bitte, bemüht Euch nicht!‹ und ›Euer Gnaden sind zu gütig!‹ ließ er sich zuletzt doch von ihr helfen, und sie zog ihm eine leinene Jacke vom Leibe. Diese Jacke starrte und stank vor Schmutz und war sehr schwer, weil nämlich zweitausend Dukaten – von denen du noch Näheres hören wirst – in das Futter eingenäht waren.

Pippa: Da bin ich neugierig.

Nanna: Als die Hure das Gewicht des Geldes spürte – sie konnte die Jacke kaum heben –, da machte sie ein Gesicht wie ein Gauner, der einen jener Einfaltspinsel, die sich ihre Börse neben dem Pint zwischen den Beinen durchziehen lassen, aufs Korn nimmt; sie legte aber die Jacke auf den Tisch und tat, als hätte sie gar nichts bemerkt; doch nahm sie sich vor, ihn mit Liebkosungen und Küssen blind zu machen und ihm, wenn sie zusammen im Bett lägen, die Süßigkeiten ihrer Äpfel und ihres Fenchels mit Scheffeln zuzumessen. Es kommt der Morgen, und der Bursche des Schwindlers erscheint im Schlafzimmer und macht Verbeugungen bis zur Erde. Der verhenkerte Student wirft ihm die Börse zu, die nicht eben großen Lärm machte, als sie zur Erde fiel, und sagt: »Hol Malvasier und Marzipan.« Es dauert nicht lange, so erscheinen Malvasier und Marzipan nebst frischen Eiern. Das Mittagessen besorgte wieder der Lieferant der vorigen Abendmahlzeit; dann legten sie sich wieder zu Bette, standen wieder auf, und so ging es fünf Nächte und fünf Tage hintereinander. Du mußt bedenken, daß der Spitzbube mit etwa fünfzehn Talern die ganze Ausgabe bestritt und dafür ein Liebesfutter und freundschaftliche Behandlung von prima Qualität hatte. Und fortwährend prahlte der erzverruchte Student: »Wenn ich doch Euer Gnaden mit einem Knaben schwängerte! Ich würde ihm ein Priorat, eine Pfarre, eine Abtei zum Wiegenangebinde bescheren.« – »Das gebe Gott!« antwortete sie. »Nun, da dürfen wir keine Zeit verlieren!« sagte dann der Betrüger, der die Betrügerin begaunerte … Nun, was tat er? Er zog sich die Leinenjacke aus, hielt sie in der Hand und bemerkte eine mit höllisch vielen Eisenbeschlägen und Schlössern versehene Kiste. Sofort bat er sie, sie möchte ihm gestatten, sein Geld dorthinein zu legen, er habe es aus guten Gründen eingenäht und versteckt. Sie schloß das Geld ein und gab ihm den Schlüssel, indem sie bei sich dachte, unter allen und jeden Umständen würde sie mindestens ein- oder zweihundert von den Dukaten zu kriegen wissen. Gleich darauf sagt das schlechte Tuch von einem Studenten zu ihr: »Ich möchte wohl eine goldene Damenkette zum Wert von etwa hundertundfünfzig Goldstücken kaufen. Da ich aber von solchen Sachen nicht viel verstehe, so laßt mir bitte heute oder morgen eine hierherbringen. Ich werde sie sofort kaufen.« Sofort schnappte sie nach diesem Köder, denn sie dachte, das Geschenk wäre für sie bestimmt; so schickte sie denn zu diesem und jenem und ließ Ketten und Kettchen von geringerem Wert schicken; da aber keine für passend befunden wurde, so nahm sie ihre eigene ab, die zweihundert unbeschnittene Golddukaten wog, und ließ sie Seiner Hoheit durch einen angeblichen Goldschmied zuschicken. Kaum zeigte man sie ihm, so rief er: »Was für feines Gold! was für eine wundervolle Arbeit!« Und richtig, der Handel wurde abgeschlossen und der Preis auf zweihundertfünfundzwanzig vereinbart. Die Signora war froh und sagte bei sich selber: »Die Kette werde ich bekommen, und außerdem werde ich noch den Profit der fünfundzwanzig Dukaten an der Rechnung des Goldschmiedes haben.«

Pippa: Ich glaube zu sehen, worauf der Streich hinausläuft, aber ich weiß doch noch nicht recht.

Nanna: Der Spitzbube hielt die Halskette in der Hand und lobte sie so überschwenglich, wie wenn er sie jemandem hätte verkaufen wollen. Und während er mit ihr liebäugelte und sie hin und her drehte, sagte er: »Signora, wenn Ihr mir Bürgschaft dafür leisten wollt, so verpfände ich dem Meister das Bewußte, das ich Euch zur Aufbewahrung gegeben habe, denn ich möchte die Kette erst einem meiner Freunde zeigen; nachher werde ich die Summe erheben, die ich für das Geschmeide zu bezahlen habe; ich brauche dieserhalb nur zu dem Geschäftsmann zu gehen, bei dem dieser Wechsel fällig ist.« Damit zeigte er ihr einen Wisch, bei dessen Anblick die doch nicht ganz schlaue Schlaue es sehr eilig bekam.

Pippa: Warum bekam sie’s denn so eilig?

Nanna: Um nicht die mit Messingdukaten vollgestopfte Jacke aus ihrem Koffer herauszulassen, sagte sie: »Nehmt nur die Kette mit. Gott sei Dank habe ich auch für größere Beträge Kredit.« Damit wandte sie sich zu dem falschen Goldschmied und schickte ihn mit einem Kopfnicken fort. Der Student nahm seine Sachen und verschwand. Es wird Abend, und er kommt nicht wieder; es wird Morgen – nichts von ihm zu sehen; es vergeht ein ganzer Tag, und man hört nichts von ihm. Sie schickt zu dem Mann, bei dem er gewohnt hatte; der zuckt die Achseln und zeigt auf einen Ranzen, ein schmutziges Hemd und einen Hut, die in der Kammer des Studenten zurückgeblieben waren. Als die Kurtisane dies vernimmt, wird sie so weiß im Gesicht wie einer, der hört, daß ihm sein Diener mit allem, was nicht niet- und nagelfest war, durchgegangen ist. Sie läßt die Truhe aufbrechen, stürzt sich auf die Jacke, reißt mit ihren Zähnen das Futter entzwei und findet das Dings vollgestopft mit Rechenpfennigen. Sie hätte sich aufgehängt, wenn man sie nicht festgehalten hätte.

Pippa: Was – beim Kuckuck! – tun denn die Bargelli heutzutage auf dieser Welt?

Nanna: Nichts, gar nichts! Gerechtigkeit gibt’s nicht mehr für die Huren; von ’ner Polizei, wie sie früher war, sieht man nichts mehr. Unsere Welt war halt ’ne schöne Welt in der guten alten Zeit, und mein wackerer Gevatter Motta führte mir mal ein schönes Beispiel dafür an. »Nanna«, sagte er, »mit den Huren von heutzutage ist’s wie mit den Kavalieren von heutzutage: Wenn sie reich werden wollen, müssen sie stehlen, sonst können sie Hungers sterben; und auf einen, der Brot im Kasten hat, kommen ganze Scharen, die betteln gehen müssen. Aber dies Elend kommt davon, daß die großen Herren ihren Geschmack geändert haben; hol drum der Geier die jungen Böcklein und die alten Böcke, die daran schuld sind!«

Pippa: Wozu ist denn das Feuer da? Warum ist es so saumselig?

Nanna: Das Feuer ist dazu da, die Bratöfen zu heizen, damit der Braten ’ne Tunke bekommt; weißt du, warum?

Pippa: Ich? nein!

Nanna: Weil auch der gemeine Taugenichts Geschmack findet, und darum duftet ihm ein gebratenes Hinterteil leckerer als ein gesottenes Vorderteil.

Pippa: Verbrennen sollte man die Halunken!

Nanna: Es wäre immerhin schon etwas, wenn wir auch ’nen Stengel hätten, um sie zu stöpseln wie ihre Lustknaben, Lakaienlümmel und das andere Gesindel … Aber nun zu unserem Kavalier! O heiliges, süßes, liebes Venedig! Ja, du bist göttlich, du bist wundervoll, du bist entzückend! Und deinetwillen wollte ich gern zwei ganze Fastenzeiten hindurch hungern, war’s auch bloß, weil du die Schlemmer, die Wüstlinge, die jungen Spitzbuben, Hochstapler und andere Beutelschneider Cortigiani nennst. Und warum? Wegen der schlimmen Folgen, die ihr Lebenswandel mit sich bringt.

Pippa: Sind denn die Kurtisanen ebenso sündhaft wie jene?

Nanna: Da sie von ihnen den Namen haben, so folgt daraus notgedrungen, daß sie auch ihr Aussehen, ihr Verbo et opere – wie’s im Confiteor heißt – von ihnen gekriegt haben … Aber ich wende mich wieder unserem Kavalier zu. Es war einmal hier in Rom ein Gewisser, einer von den Herren, die am Palastbeamtentisch speisen und auf dem Stroh sterben, ein richtiger In-die-Ecken-Spucker, Steißwackler und aufgeblasener Stutzer, das Barett immer auf dem linken Ohr, ’ne Schleife am Griff seines Dolchs, die Kleider stets sauber gebürstet und gebügelt, kokett in jeder Bewegung, schwatzhaft und ein Windbeutel durch und durch. Der plauschte einer armen unglücklichen Kurtisane so viel ins Ohr, daß sie sich von dem blauen Dunst seines Geschwätzes völlig einräuchern ließ. Etwa vier Monate lang gab er ihr nichts weiter als allerhand Sächelchen, wie zum Beispiel ein Ringelchen, ein Paar Pantoffeln von Atlas oder altem Samt, Handschuhe mit Nelkenparfüm, Schleier oder Häubchen, dazu einmal auf zehn ein paar magere Kapaunen, ein Bund Drosseln, ein Fäßchen Korserwein und andere derartige Geschenke, wie ein Windbeutel ohne Geld sie zu geben pflegt; in der ganzen Zeit gab er, sagen wir, etwa zwanzig Taler aus, und dafür hatte er sie, wann, wo und wie’s ihm beliebte. Sie hatte bisher eine Kundschaft gehabt, wie nur irgendeine, aber da sie sich nur noch aus diesem hübschen Lausbuben was machte, so verkäckerte sie nach und nach alle ihre Freunde; sie hatte nur noch Augen und Ohren für ihren Kavalier und blähte sich vor Stolz, wenn sie ihn den großen Herrn spielen sah.

Pippa: Inwiefern spielte er denn den großen Herrn?

Nanna: Wegen seines Kardinals, dessen hochwürdigste Gnaden ihn täglich zweimal umhalsten und herzten, nichts aßen, ohne jeden Bissen mit ihm zu teilen, und ihm alle Geheimnisse ausplauderten; und wenn der geistliche Herr von Renten, Schatzhäusern und Pfründen gefaselt und ihm die neu angekommenen Briefe aus Spanien, Frankreich und Deutschland gezeigt hatte, fing er an mit ’ner Stimme wie ’ne zerbrochene Glocke zu grölen: ›Im Winde flatterte das Goldgelock‹ und ›So schwach ist der Faden, oh!‹ Die Taschen seines Wamses hatte er immer voll von Madrigalen in der eigenen Handschrift der Poeten, deren Namen er hersagte, wie die Landpfarrer die Namen der Festtage herunterschnurren. Der Kalender selbst kennt die Namen kaum so gut, wie auch ich sie einst wußte; ich hatte sie auswendig gelernt aus Anlaß einer gewissen Komödie – na, schweigen wir drüber! Und sie waren mir sehr nützlich – na, schweigen wir drüber! Ich brachte sogar einen Gewissen zum Glauben, ich sei ’ne Dichterin – na, schweigen wir drüber!

Pippa: Bitte, lehrt sie auch mich, damit ich damit Bescheid weiß, falls ich in dieselbe Lage kommen sollte wie Ihr und davon Gebrauch machen müßte.

Nanna: Mit den Namen der Dichter kannst du dich gerne abgeben, aber mit den Leuten selber nicht.

Pippa: Warum denn nur mit den Namen und nicht mit den Leuten selber?

Nanna: Weil ihre Münzen ein hölzernes Kreuz haben; sie bezahlen mit gloria patri und sind – mit Verlaub zu sagen – eine Narrenbande. Wie ich dir bereits gestern sagte: Öffne ihnen deine Tür, empfange sie mit Liebkosungen, setze sie bei Tische obenan, aber bewillige ihnen nichts, wenn’s dich nicht gereuen soll. Doch um wieder auf unseren salbenduftenden Kavalier, den Habenichts, den Windbeutel zu kommen: Eines Abends klopft er bei seiner Signora an die Tür; sobald er drinnen ist, stimmt er ein über die Maßen schönes Te deum laudamus an, springt die Treppen hinauf wie einer, der ’ne gute Nachricht bringt, küßt seine Geliebte, die ihm entgegengelaufen war, und ruft: »Endlich hat’s der Teufel gewollt, daß ich aus der Armut rauskomme; hol der Kuckuck jetzt das Hofleben und das Gefasel, womit die hochwürdigen Kleeriecher oder Kleriker ihre Diener an der Nase herumführen!« Die Närrin kriegte ’nen richtigen Knax, als sie seine Worte hörte; sie dachte bei sich selbst, jetzt würde sie für all das Liebesfutter, das er bei ihr genossen, mit Wucherzinsen bezahlt werden, und rief mit sonst nicht gewagter Kühnheit, indem sie ihn duzte: »Was für Gutes ist dir denn passiert?« – »Der Dingsda, mein Oheim, der Millionär, ist tot, und er hatte keine Söhne, keine Töchter und überhaupt keine Verwandten außer mir!« – »Aha!« sagte sie, »Euer Gnaden sprechen von dem alten Geizhals, von dem Ihr mir öfters erzählt habt?« – »Ganz recht«, antwortete er. Als schlaue Katze begann sie sofort, ihn mit gnädiger Herr‹ hinten und ›gnädiger Herr« vorne zu traktieren, sobald sie von der Erbschaft hörte; er hingegen erkühnte sich, sie zu duzen, indem er dachte, dieser Kunstgriff würde schon genügen, um ihr seine neue Größe glaubhaft zu machen.

Pippa: Sieh mir doch einer das Spitzbubenvolk!

Nanna: Die Sache nahm ihren Verlauf ganz nach Wunsch und Absicht des Kavaliers; er umnebelte sie derart, daß sie ihm zuliebe auf den Baumwipfeln marschiert wäre. So schwatzte er ihr zum Beispiel vor: »Meine geliebte Herrin, bis jetzt habe ich Euch niemals recht wirksam die Liebe beweisen können, die ich für Euch hege, denn ich verausgabte meinen ganzen Seelenschatz in Monsignors Diensten, indem ich hoffte, seine Freigebigkeit würde mich dafür belohnen. Jetzt hat der liebe Gott den Bruder meines Vaters zu sich genommen, auf daß ich erkennen solle, wer er ist: nämlich ebenso barmherzig, wie jene Halunken undankbar sind. Ich will dir nur soviel sagen, daß ich fünfzigtausend Dukaten erbe, teils in Häusern, teils in Landbesitz, teils in barem Gelde. Ich habe weder Vater noch Mutter, weder Brüder noch Schwestern; darum erkiese ich dich als mein rechtmäßiges Gemahl; dies ist der schuldige Lohn für alles, was du mir erwiesen, und außerdem folge ich dabei dem Zuge meines Herzens.« Mit diesen Worten küßte sie der Schurke, der ein würdiger Diener eines Pfaffen war, zog sich einen Ring vom Finger und steckte ihn ihr an. Du kannst dir denken, wie sie ob seinem Gefasel vergnügt und rot wurde, sie fiel ihm um den Hals, und die Tränen schossen ihr aus den Augen. Sie wollte ihm danken und konnte es nicht. Unterdessen hatte der Gauner den mit seiner eigenen Tinte geschriebenen Brief mit der Todesanzeige hervorgeholt, setzte sich auf einen Stuhl und sagte zu ihr: »Da ist der Brief mit der Freudenbotschaft.« Hierauf las er ihn ihr von A bis Z vor.

Pippa: Er sagte ihr das Alphabet her bis zum Halleluja!

Nanna: Nachdem die Signora ihn ein Stößchen hatte machen lassen, gab sie ihm Urlaub, damit er alle seine Sachen in Ordnung bringen könnte, um mit ihr abzureisen – denn das hatte sie sich in den Kopf gesetzt. Kaum war er zur Tür hinaus, so öffnete sie eine Truhe, worin sich Juwelen, bares Geld, Halsketten und Silbergeschirr im Wert von mehr als dreißighundert Talern befanden; ihre Kleider und die sonstige Einrichtung waren über zwölfhundert wert. Während sie dabei war, alle diese Sachen auszupacken, kam er wieder ins Haus, und sie rief ihm entgegen: »Mein Gatte, seht! Das ist all mein bißchen Armut; ich gebe Euch das alles nicht als Mitgift, sondern als ein Zeichen von Liebe und Zärtlichkeit.« Der gemeine Schurke nahm alle Wertsachen, packte sie wieder in die Truhe hinein und verschloß diese mit eigener Hand. Und die unheilbare Tollhäuslerin, die nicht wußte, was sie alles anstellen sollte, um sich ihm recht lieb und wert zu machen, bestand darauf, daß er den Schlüssel an sich nehme, ließ darauf Juden holen und machte ihren ganzen Hausrat zu Gelde. Von dem Erlös kleidete der Gauner sich wie ein Paladin, kaufte auf dem Campo di Fiore zwei Reiseklepper, ließ seine Freundin Männerkleider anziehen und reiste mit ihr ab. Als Gesellschaft wollte er nur sie allein, notabene mit ihren Juwelen und den anderen Wertsachen, die in der Truhe waren. Sie schlugen den Weg nach Neapel ein.

Pippa: Nach dem Gaunerparadies!

Nanna: In den ersten zwei oder drei Nachtquartieren behandelte er sie wie eine Marchesa: die ganze Nacht hielt er sie in den Armen und liebkoste sie mit den süßesten Schmeichelnamen von der Welt. Endlich beschloß er, der Geschichte ein Ende zu machen, und schüttete ihr irgendein Opium, das er von Rom mitgebracht hatte, in den Wein. Und wie sie beim besten Schnarchen war, ließ er sie – höchst kavaliermäßig! – im Bett des Wirts liegen. Sogar ihr Pferd nahm er mit und ließ darauf einen Jungen reiten, dem er gleich nach seinem Fortreiten vom Wirtshaus auf der Straße begegnet war. Und er ritt so schnell davon, daß man niemals erfahren hat, was aus ihm geworden ist.

Pippa: Was machte denn die Unglückliche, als sie erwachte?

Nanna: Sie brachte das ganze Dorf in Aufruhr, lief dann in den Stall, nahm die Halfter ihres Kleppers und hängte sich an der Raufe auf. Und man sagt, der Wirt habe das ruhig mit angesehen, weil er auf diese Weise ihre Kleider bekam und sich damit für die Zeche bezahlt machen konnte.

Pippa: Wenn eine dumm ist, hat sie selber schuld.

Nanna: Gewisse Leute betrachten es als ein frommes Werk, wenn sie eine Hure anführen. Wie wenn man von den Huren verlangen könnte, daß sie alle lebten wie die heilige Nafissa – wie wenn nicht die Huren alles bar bezahlen müßten: Hausmiete, Brot, Wein, Holz, Öl, Kerzen, Fleisch, Hühner, Eier, Käse, Wasser und sogar das Sonnenlicht – wie wenn sie nackt gingen oder wie wenn die Kaufleute ihnen für ihre Kleidung Tuch, Seide, Samt und Brokat umsonst lieferten! Wovon sollen sie denn leben? Etwa vom Heiligen Geist? Und warum sollen sie sich jedem, der mit seiner Brunft zu ihnen kommt, gratis hingeben? Die Soldaten verlangen ihren Sold von dem, der sie ins Feld schickt; die Doktoren halten ihre Prozeßreden nur, wenn sie Geld kriegen; die Hofleute vergiften ihre Herren, wenn diese ihnen keine Geschenke machen; die Reitknechte haben ihren Lohn und freie Kost – sonst würden sie nicht neben dem Steigbügel des Herrn herlaufen. Und wenn jede Arbeit, die Mühe macht, ihren Lohn erhält, sollten wir dann für nichts und wieder nichts jeden rüberlassen, der Lust nach uns hat? Das wären schöne Geschichten! Die könnten uns so passen! Bei meinem Eid – so etwas ist nicht in der Ordnung, und der Gouverneur sollte eine Verfügung erlassen und jeden, der uns bestiehlt oder anführt, mit der Strafe des Scheiterhaufens bedrohen!

Pippa: Vielleicht erscheint diese Verordnung noch mal.

Nanna: Das steht in ihrem Belieben … Es war also mal einer von diesen sauberen Herren; der hatte ’ne Wohnung wie ein großer Herr, aß wie ein Franzos, trank wie ein Deutscher und hatte auf einem Kredenztisch eine silberne Platte, darauf einen sehr schönen und großen silbernen Pokal und rundherum vier große Becher, ebenfalls aus Silber, zwei Kompottschüsseln und drei Salznäpfe. Dieser bewußte Herr wäre gestorben, wenn er nicht jede Woche ’ne andere Hure gehabt hätte. Um nun ohne Kosten stöpseln zu können, hatte er sich den allerneusten und allerschönsten Schwindel ausgesonnen, woran jemals der größte Galgenvogel unserer Zeit gedacht hat. Der Spitzbube – der übrigens in allem anderen ein ehrenwerter Mann war – hatte eine Jacke aus karmesinrotem Atlas, aber ohne das Leibchen. Wenn er nun wieder eine Signora zum Schlafen in sein Haus geführt hatte, sagte er gegen Ende des Abendessens zu ihr: »Euer Gnaden haben vielleicht vernommen, was für einen Streich mir die Soundso gespielt hat? Beim Leib! beim Blut! so was ist unerhört; sie verdiente eigentlich anders als bloß mit Worten gestraft zu werden.« An allem, was er da sagte, war kein wahres Wort. Das gute Weiblein aber stimmte dem Prahlhans in allem zu und gab sich alle Mühe, ihn zu überreden, sie wäre nicht eine solche; sie schwor ihm, sie hätte niemals was versprochen, was sie nicht gehalten hätte. Da schüttelte der Ehrenmann ihr die Hand und sagte: »Schwört nicht! Ich glaube Euch auch so, denn ich weiß, Ihr seid ’ne Frau, wie man sie heutzutage nicht mehr findet.« Kurz und gut – er rief seinen Diener, der, wie ich dir, liebes Kind, wohl nicht zu sagen brauche, in den ganzen Schwindel eingeweiht war, und ließ ihn die besagte Jacke aus dem Schrank holen. Sobald man von Tische aufgestanden war, probierte er sie der Signora an, indem er ihr zu verstehen gab, er wolle ihr auf alle Fälle ein Geschenk damit machen. – Da die Jacke ohne Leibchen war, so saß sie einer jeden wie angegossen und paßte daher auch der Hure, von der ich dir erzähle, ganz ausgezeichnet. Sofort ruft der Schwindelfritze ganz stolz seinen Diener und sagt ihm: »Lauf zu meinem Schneider und sag ihm, er solle alles mitbringen, um der Signora Maß zu nehmen, und er möchte gefälligst hopp! hopp! kommen, denn sein ›gleich! gleich!‹ hält ich satt.« Der Bengel fliegt mehr, als er läuft, und im Handumdrehen ist der Meister da, der in den faulen Zauber mit der Jacke ebenfalls eingeweiht war. Er kommt die Treppen herauf und schnauft dabei wie einer, der sich ganz außer Atem gelaufen hat, nimmt sein Barett ab und sagt: »Was befehlen Euer Gnaden?«

Pippa: Hör einer den Spaß!

Nanna: »Ich wünsche«, erwidert jener, »daß du soviel karmesinroten Atlas auf treibst, um das Leibchen dazu zu machen.« Und damit zeigt er auf die Jacke, die die gute Trine noch auf dem Leibe hatte. Der Schneider fängt an zu brummen und sagt nach vielen Hum! und Hem!: »Es wird Mühe kosten, gerade von diesem Atlas noch was aufzutreiben; aber ich wünsche Euch zu Gefallen zu sein, und ich glaube, ich kann’s fertigbringen, daß wir etwas von demselben Stoff bekommen, woraus Monsignor Dingsda sich, um seine Sünden abzubüßen, ein neues Meßgewand hat machen lassen; sollte indessen von diesem Stück doch nichts mehr zu haben sein, so werde ich mir Abfälle von den Hüten verschaffen, die die Kardinäle sich zur nächsten Quatember bestellt haben.« – »Meister, ich bin Eure Dienerin, wenn Ihr das tut!« ruft mit vielem Augenverdrehen das Frauchen im hoffnungsgrünen Gewände. Der Meister geht mit einem ›Verlaßt Euch drauf!‹ und trägt zum Schein die Jacke in seine Werkstatt. Die Schöne bleibt und atzt den großen Schelm mit ihrem Liebesgemüse; er behält sie so lange bei sich, wie sie ihm gefällt, und beschwatzt sie immer wieder mit der Vertröstung: »Heute abend bekommt Ihr die Jacke; und wenn nicht heute abend, so doch ganz gewiß morgen früh.« Ist er ihrer überdrüssig, so spielt er ihr das Prävenire, bricht ohne jeden Anlaß einen Streit vom Zaune, heuchelt großen Zorn und ruft seinem Lümmel zu: »Schnell! bring das Frauenzimmer nach Hause! So was nimmt so eine sich hier heraus? Ah!« Damit schließt er sich in seine Kammer ein, und die andere kann Entschuldigungen krächzen, soviel sie Lust hat – er hört nicht auf sie.

Pippa: Von der Sorte Wasser hat mein Eimer noch nicht geschöpft.

Nanna: Laß ihn nur hinunter in den Brunnen und du wirst ihn voller Weisheit wieder heraufziehen … Auf diese Weise ließ der Gauner von allen Huren, die er in sein Haus zu locken wußte, die Jacke anprobieren, lockte sie mit Hilfe des zum Maßnehmen kommenden Schneiders auf den Leim, genoß an ihnen Kochfleisch und Braten, geriet mit ihnen in einen absichtlich herbeigeführten Streit und schickte sie fort, ohne ihnen das Geringste zu geben; er glaubte sie mit der Hoffnung auf das Kleid, das er einer jeden versprach und keiner gab, genügend bezahlt zu haben.

Pippa: Was für ein Otterngezüchte!

Nanna: Ja, ein Gezücht, von dem man sich keine Jungen wünscht! Ich erzähle dir nach Gutdünken ein Geschichtchen bald von diesem, bald von jenem Streich, denn die Verruchtheiten dieser Höllenspeier und Paradiesfresser sind so zahlreich, daß selbst die Nekromantie, die doch Geister zu beschwören weiß, sie nicht alle ans Tageslicht zu bringen vermöchte. O was für gefährliche Bestien! Honig im Munde und das Rasiermesser im Ärmel! Wir Frauen sind wohl auch schlau, niederträchtig, geizig, spitzbübisch und treulos, aber so sind eben die Weiber, und wer uns gut auf die Finger schaut, dem können wir nichts vormachen, sowenig wie einer, der die Tricks kennt, sich von den Gauklern was vormachen läßt, die mit Bechern und Korkbällen spielen. Ferner muß man uns die Entschuldigung zugestehen, daß wir habsüchtig sind, weil wir von Natur ängstlich und feige sind und immer befürchten, wir müßten mal Hungers sterben; darum stibitzen, bitten und betteln wir, und jede noch so geringe Kleinigkeit scheint uns des Nehmens wert; die betriebsamen Ameisen sind nicht so betriebsam wie wir, und trotz alledem und alledem werden von hundert Huren neunundneunzig auf ihre alten Tage Bettlerinnen. Aber die Männer, die mit ihren Talenten alles mögliche machen können, die es, selbst wenn sie von geringer Herkunft sind, dahin bringen, daß sie Erlauchte und Hocherlauchte, Ehrwürdige und Hochehrwürdige werden, die sind so unehrenhaft, daß sie ohne jede Scham aus unserer Kammer irgendwelche Kleinigkeiten mitgehen heißen: Bücher, Spiegel, Kämme, Handtücher, ein Stück Seife, eine Schere, zwei Fingerbreit Band und was ihnen sonst zwischen die Finger kommt.

Pippa: Ist das wahr, was Ihr da sagt?

Nanna: Die reine Wahrheit! Gibt’s eine größere Gemeinheit, als daß man eine unglückliche Hure betrügt, die nicht reicher ist als eine Schildkröte, die ja ihr ganzes Vermögen auf dem Rücken trägt? Daß man ihr erst den Saum des Schlitzes und der Tasche fusselig macht und sie dann mit einem falschen Diamanten bezahlt, mit vier vergoldeten Juliussen, mit einer Halskette aus Messing – Und daß sich einer noch dazu damit brüstet, wie wenn er wegen dieser Heldentat erwartete, Bannerherr von Jerusalem zu werden. Wie weh tut’s, wenn man so einen mit Predigermiene über uns losziehen und Sachen behaupten hört, die erfunden und erlogen sind! Da sagt so einer: »Vor zwei Tagen war ich bei der Dingsda, um die auch mal zu probieren. Oh! was für ’ne Schlumpe! was für ein ungeheuerlicher Dreck! Ihre Lenden sind rauh wie ein Gänsesterz, ihr Atem stinkt wie Leichengeruch, ihr Fußschweiß kann einem übel und schlimm machen, ’nen Bauch hat sie wie ’n Koffer, vorn hat sie ’nen Sumpf und hinten ’nen Abgrund – da muß wahrhaftig jeder keusch werden!« Dann kommt ’ne andre an die Reihe, und da heißt’s: »Das gemeine Luder! die alte Kuh! die ekelhafte Sau! erst muß man ihr das ganze Ding, mit allem, was dranhängt, reinschieben, und da stößt sie gegen und wackelt mit dem Hintern, daß man denkt, so was gibt’s ja eigentlich gar nicht; dann nimmt sie ihn raus und leckt ihn, reibt ihn, putzt ihn auf ’ne Art, wie man sich’s nicht hat träumen lassen.« Und je mehr Zuhörer sie um sich sehen, desto lauter schreien sie: »Die Bettfurzerin! Die Mönchsvettel! Die Wallrutscherin!« Wir schneiden ihnen ja wohl mal ’ne Grimasse, wenn sie unsere Treppe heruntergehen, aber sie denken nicht an die Gesichter, die sie uns schneiden, wenn wir bei ihnen die Treppe runtergehen. Haben sie wohl nötig, uns erst anzuführen und zu ruinieren, und uns dann noch übers Bohnenlied zu verleumden? Entschlüpft uns aber mal ein ›Er ist ein Knauser, ein Undankbarer!‹ oder, wenn wir mit gutem Grunde besonders aufgebracht sind, ein ›Er ist ein Schurke!‹, so geraten sie außer sich. Und wenn wir ihnen was wegnehmen, so machen wir uns damit nur ein bißchen besser bezahlt, denn der Schatz der Schätze vermöchte nicht die Ehre zu bezahlen, die sie uns nehmen.

Pippa: Wenn ich Euch so höre, kriege ich Angst vor ihren Niederträchtigkeiten!

Nanna: Ich mache dir Angst davor, damit du hinwieder den Männern mit den klugen Streichen, die ich dich gelehrt habe, Angst machen kannst. Und wenn einer die Vorstellungen, Lügen, Klagen, Schwüre, Versprechungen, Flüche, mit denen sie sich wie mit einem Brustpanzer wappnen, um uns zu besiegen – wenn einer, sage ich, dies alles vergleichen wollte mit den Doppelzüngigkeiten, Schmeicheleien, Tränen, Meineiden, Schwüren und Verwünschungen, mit denen wir den Kampf führen, so würde er bald erkennen, welche von den beiden Parteien sich besser aufs Betrügen versteht.

Ein Edelmann – möcht es den Schanker kriegen, das ganze Edelmannsvolk! –, ich glaube ein Piemontese, vielleicht auch ein Savoyer – genau weiß ich’s nicht –, ein richtiges Laternengesicht, der hatte im Spiel ein sehr schönes Bettgestell aus goldverziertem Nußbaumholz gewonnen. Sowie der nun mit irgendeiner Signora in Verhandlungen trat, wußte er geschickt das Gespräch auf seine hochbelobte Bettstelle zu bringen. Nachdem er deren Schönheit gelobt und beiläufig bemerkt hatte, daß sie fünfzig Dukaten wert sei, bot er der Schönen das Bett zum Geschenk an und brachte es auf diese Weise dahin, daß sie sich einverstanden erklärte, mit ihm zu schlafen. Er gab ihr die Bettstelle, amüsierte sich mit ihr so etwa zehn Nächte lang, und wenn er von ihr genug und übergenug hatte, nahm er Manieren an wie einer von jenen Klopffechtern, die im Bevilacqua ihr hohes Vorbild sehen, und schnitt Gesichter, wie wenn er mit allen Fliegen Händel anfangen wollte. Wenn sie auch nur ein Stück Brot abschnitt, hatte er was dran auszusetzen, um eine Gelegenheit zum Bruch zu suchen, und bot sich endlich diese Gelegenheit, so sprang er auf und schrie: »Luder, Lauseaas! Gib mir meine Bettstelle wieder! Wo nicht, so mache ich aus dir den allerelendigsten Puffbesen! Gib sie her! Gib sie wieder raus!« Damit riß er ein Messer heraus, womit er tausend Schafen nicht ein einziges Spritzerchen Blut hätte abzapfen können; die Hure bekam aber solch einen Schreck, daß sie dreißig Soldi für ’ne Lira zu kriegen vermeinte, wenn sie bloß das Bett herauszugeben brauchte, das der Halunke sofort an sicheren Ort bringen ließ.

Pippa: Das ist ja recht niedlich: Einer erst was schenken und es ihr nachher wieder wegnehmen, wie’s die Kinder machen!

Nanna: Er schenkte und nahm seine Bettstelle auf die eben beschriebene Art nicht einer, sondern etwa sechzig Huren, und behielt davon für ewige Zeiten den Spitznamen des ›Kavaliers mit der Bettstelle‹ Alle Huren zeigen noch jetzt mit Fingern auf ihn wie übrigens auch auf den Ehrenmann mit der Jacke ohne Leibchen. Die vom Ponte Sisto sogar würden ihm nicht einen einzigen Kuß geben, und wenn sie damit ihrem verruchten Tummelplatz einen anständigen Namen verschaffen könnten.

Pippa: Ich möchte den Kerl wohl mal kennenlernen.

Nanna: Daraus würde ich mir im Gegenteil ganz und gar nichts machen. Du mußt bedenken, diese Herren mit ihrem Adelstitel und mit ihrem hochnäsigen Gesicht wissen derartig aufzutreten, daß sie zwar mir, deiner Lehrmeisterin, kein X für ein U vormachen können – aber mit dir, die du noch Anfängerin und Schülerin bist, wäre das was anderes.

Pippa: Das mag wohl sein.

Nanna: Ich will dir jetzt ’ne nette Geschichte erzählen – das heißt, für die, der sie passierte, war sie weniger nett! Es war mal ein Freudenmädchen, eine gewisse Soundso – der Name tut nichts zur Sache –, ein prachtvolles Weibsstück, groß und stramm, schön und pummelig, und wenn ’ne Hure überhaupt gutmütig sein kann, so war diese es; dazu liebenswürdig, unterhaltsam, lustig mit jedermann und gegen alle von jenem graziös-anmutigen Benehmen, das einer von Kindesbeinen an zu eigen gewesen sein muß, wenn’s das Rechte sein soll. Diese wurde von einigen Herren eingeladen, in einem Landhaus mit ihnen zu Abend zu speisen und römischen Streuselkuchen zu essen. Die Gastgeber brauchten sie übrigens nicht lange zu bitten, denn sie war gern allen gefällig, wenn’s ihr anständige Leute zu sein schienen, und von diesen meineidigen Halunken dachte sie, es wären feine Herren. Gegen zweiundzwanzig Uhr setzen sie also das Dämchen auf die Kruppe eines Maultiers und reiten mit ihr nach dem vermaledeiten Landhaus. Na, an dem Essen läßt sich wirklich nichts aussetzen: Es gab Lammbraten, Kalbsschweser, Rindfleisch, Rebhühner, Ragouts, Torten und alle möglichen auserlesenen Früchte – aber für die gar zu gefällige Schöne war’s keine gesegnete Mahlzeit.

Pippa: Wieso denn? Sie hackten sie doch nicht etwa in Stücke?

Nanna: In Stücke hackten sie sie nicht, aber sie vierteilten sie, wie du gleich hören wirst. Kaum hörte sie den ersten Schlag des Ave-Läutens, so erbat sie sich von den Herren, mit denen sie speiste, als Gunst, sie möchten sie gehen lassen, denn sie wollte mit dem Freund, der sie aushielte, die Nacht zusammen schlafen. Im Namen der verrückten Trunkenbolde, der schlechten Kerle, antwortete ihr einer von ihnen, ein Spaßvogel, der für seine Spaße Prügel verdient hätte: »Signora«, sagte er, »diese Nacht gehört mit Fug und Recht uns und unseren Stallknechten. Wollet Euch also gefälligst darein ergeben, daß wir statt des gewöhnlichen Einunddreißigers 79 uns mal ’nen doppelten Einunddreißiger leisten, den wir Euch zu Ehren fortan ›Erzeinunddreißiger‹ nennen werden; zwischen diesen beiden Sorten von Einunddreißigern wird also derselbe Unterschied sein wie zwischen Bischöfen und Erzbischöfen; und wenn Ihr nicht nach Verdienst und Würdigkeit behandelt werdet, so müßt Ihr das dem Ort zugute halten.« Weiter sagte der Pharisäer nichts, sondern nahm seine Klöterbüchse in die Hand, ging auf sie los und sang:

Liegt Frauchen allein im Bett voll Ungeduld,
Hat sie selber schuld – mir gebe sie keine Schuld!

Was für ’nen Schreck das Opferlamm eigener Gutmütigkeit und fremder Niederträchtigkeit kriegte, als sie dies hörte, das kann ich mir lebhaft vorstellen, denn mir ist’s mal im Wald von Montefiascone passiert, daß ich in der Morgendämmerung mit der Schulter gegen die Beine eines Gehängten stieß. Herrje, die Angst! So fühlte auch sie plötzlich von einem solchen Schmerz ihre Kehle zusammengepreßt, daß sie kein Wort hervorbringen konnte. Der Schweinekerl schleppt sie an den Stumpf eines umgehauenen Mandelbaums, läßt sie sich mit dem Kopf dagegen stützen, wirft ihr die Röcke über den Kopf und jagt ihr seinen Nagel in die ihm am geeignetsten erscheinende Stelle. Zum Dank für ihre Gefälligkeit gibt er ihr mit aller Macht zwei Klatsche auf den Popo; dies war das Zeichen für den zweiten, der sie quer über den Baumstumpf legte und ihr’s nach alter Väter Sitte machte, wobei er seine Lust daran hatte, daß die Splitter des rohbehauenen Baumstumpfes ihr das Gesäßfleisch zerpikten und sie wider Willen zwangen, sich unter ihm hin und her zu winden. Als er fertig war, gab er ihr einen Stoß, daß sie Kobolz schoß, und auf ihr Geschrei rannte der dritte Lanzenstecher herbei; der behandelte sie indessen ganz nett, denn er machte sich bloß den Spaß, mit seinem Ding in jedem Loch herumzufummeln, das er an ihrem Leibe fand. Aber den Tod spürte sie im Herzen, als sie jetzt eine ganze Bande von Lakaien, Küchenjungen und Stallknechten aus dem Landhaus herausstürzen sah; die machten dabei einen Lärm wie losgelassene Kettenhunde und stürzten sich auf den Fraß wie Mönche auf die Suppenschüssel. Lieb Töchterchen mein – ich würde dich zum Weinen bringen, wenn ich dir alles, was sie mit ihr anfingen, im einzelnen erzählte: wie sie sie von oben bis unten bepißten, wie bald der eine sie so, bald der andere sie anders vornahm und wie dabei die Unglückliche sich drehte und wand, stöhnte und ächzte. Aber du kannst mir glauben: Die ganze gesegnete Nacht hindurch hatten sie sie vor; und als sie müde waren, sie auf jede erdenkliche Art zu schänden, da setzten sie ihr ’ne Armesündermütze auf, die sie aus Feigenblättern gemacht hatten, dann prügelten sie sie, daß es nur so rauchte, mit Weidenruten, und einer von ihnen, ein Witzbold, hielt mit lauter Stimme eine hochnotpeinliche Anklagerede gegen sie: Er beschrieb alle Diebstähle, Gaunereien, Sodomitereien, Hurereien, Falschheiten, Grausamkeiten und Halunkereien, die man sich nur ausdenken kann, und alle diese Sünden schrieb er ihr zur Last.

Pippa: Mir steht der Atem still!

Nanna: Als es Morgen geworden war, brachten sie ihr noch ein scherzhaftes Ständchen mit Gepfeife, Geheul, Gefurze und Geschnatter und machten damit mehr Spektakel als Bauern, wenn sie ’nen Fuchs oder ’nen Wolf sehen. Sie war mehr tot als lebendig und flehte mit den allersüßesten und rührendsten Worten, die man sich nur denken kann, man möchte sie doch jetzt in Ruhe lassen. Ihre Augen waren rot und entzündet, ihre Wangen von Tränen naß, ihre Haare in wirrer Unordnung, ihre Lippen trocken, ihre Kleider zerrissen: und so sah sie aus wie eine jener Nonnen, die von Vater und Mutter verflucht und pretorum pretarum nach Rom geschickt, unterwegs aber den Deutschen zwischen die Beine geraten sind.

Pippa: Sie tut mir leid, die Arme!

Nanna: Zuletzt ging’s ihr gar noch schlimmer als zu Anfang; denn sie schickten sie nach Hause zu einer Stunde, als schon die Wechselstuben geöffnet waren. Sie hatten sie auf ’ne alte Stute gepackt und auf ’nen Saumsattel gebunden, wie die Gemüsehöker sie benutzen, wenn sie nach dem Kornmarkt ziehen. Und ich kann dir sagen: Keine Spitzbübin, die am Pranger ausgepeitscht wurde, war jemals so mit Schande bedeckt wie sie; sie kam in einen solchen schlechten Ruf, daß sie selber nicht mehr wußte, was sie war, und starb vor Schmerz und Kummer. Und nun sage selbst: Machen die Männer jemals solche Scherze mit einer, die ihnen alles an den Augen abzusehen sucht, wie mit einer, die ihnen nicht zu Willen sein will?

Pippa: Oh, diese Männer!

Nanna: Ein gewisser Herr Hauptmann, ein tapferer, angesehener, stattlicher Soldat, zugleich aber – das muß ich sagen! – ein ganz durchtriebener Bursche, kam in Soldangelegenheiten nach Rom. Zu dem mußte morgens und abends ’ne bekannte Kurtisane kommen; sie war nicht gerade über alle Maßen schön, aber doch so, daß sie sich überall sehen lassen konnte, schmuck im Anzug, gut eingerichtet im Hause und durch und durch Kraft und Saft. Es blieben ihr zwar etliche Freunde weg, weil sie Tag und Nacht gar nicht mehr von ihrem Hauptmann fortging; aber daraus machte sie sich nichts, denn sie dachte bei sich selber: ›Ich verdiene bei ihm mehr, als ich durch das Fortbleiben der anderen einbüße.‹ Schließlich kam es zum Scheiden, der Kapitän sollte den nächsten Tag in aller Frühe abreisen: Seine Gnaden hielt die Hand der guten dummen Trine in der seinigen und sagte dabei seinem vertrauten Diener was ins Ohr; sie glaubte zu verstehen ›Gib ihr hundert Taler!‹, in Wirklichkeit aber hatte er befohlen, ihr die Röcke über dem Kopf zusammenzubinden und sie mit zwei Winterstiefeln zu prügeln, indem man sie, eine brennende Fackel rechts und links, mit Stiefelhieben durch die alte und neue Vorstadt, über den Ponte Sisto und bis zu Chiavica jagte. Man packte sie also und band ihr den Saum ihrer Kleider über ihrem Kopf mit einem Taftgürtel zusammen: Da leuchtete ihr Gesäß hervor, rund und weiß wie der Mond am fünfzehnten Tage. Oh! wie war der Popo fest und stramm! oh, wie war er wohlgeformt! Nicht zu fett und nicht zu mager, nicht zu breit und nicht zu schmal, getragen von zwei Schenkeln, rund wie Säulen und anmutiger geformt als jene Säulen aus zartem Alabaster, die man in Florenz zu drechseln versteht; und genau von solchen Adern wie dieser Alabasterstein waren auch ihre hübschen Schenkel und Waden durchzogen. Sie schrie in ihren Röcken mit erstickter Stimme wie einer, der in eine Kiste eingesperrt ist; aber vergeblich! Sobald die Fackeln angezündet und die Stiefel bereit waren, wurden die Lakaien gerufen, um sie zu martern. Betäubt und schwindlig von der Schönheit ihres Coliseo, standen sie da und ließen wie verzaubert die Stiefel fallen. Etliche Stockhiebe, ganz frisch aus der Münze, brachten sie wieder zu sich: Sie packten sie von neuem, führten sie auf die Straße und begannen sie zu bearbeiten und schlugen und schlugen, daß besagter Popo zuerst rot, dann blau, dann schwarz wurde, bis endlich das Blut kam. Klitsch! klatsch! machten die Stiefel, und dazu grölte niederer und höherer Pöbel genauso, wie die Straßenjungen grölen, wenn der Schinder seines Amtes waltet und die Schandbuben auspeitscht. So wurde die in schlimme Hände gefallene nach ihrem Hause gebracht, das sie, mit Schimpf und Schande bedeckt, eine geraume Zeit hindurch nicht zu verlassen wagte, denn ein jeder, der von dieser Geschichte hörte, verhöhnte und schmähte das arme Mädchen.

Pippa: O ihr Dolche, worauf wartet ihr denn noch? Warum verliert ihr eure Zeit, ihr Schwerter?

Nanna: Ich weiß gar nicht, woher wir in dem schlechten Ruf stehen, den Männern alle Schand anzutun und nachzusagen, und es ist mir unbegreiflich, daß niemand davon spricht, wie sie sich gegen die Huren benehmen – denn Hure nenne ich jede, die sich in ’nen Mann verschießt. Aber wenn wir auf die eine Seite alle die Männer stellen, die von den Huren ruiniert sind, und auf die andere alle Huren, die von den Männern geschunden sind, dann möchte ich mal sehen, wer mehr schuld hat, sie oder wir! Zu Dutzenden, schockweise könnte ich dir die Kurtisanen aufzählen, die unter die Räder gekommen sind, die in Hospitälern oder in den gemeinsten Garküchen, auf der Straße oder hinter der Hecke endigten, und ebenso viele, die Wäscherinnen, Zimmervermieterinnen, Kupplerinnen, Bettlerinnen, Kerzenverkäuferinnen geworden sind – und warum? weil sie in ihrem Hurenkram bald diesen, bald jenen gern gehabt haben! Dagegen wird mir wohl niemand ’nen Herren zeigen, der durch die Huren so weit gebracht ist, daß er Garkoch, Lakai, Reitknecht, Scharlatan, Sbirre, Kuppler oder Hanswurst werden mußte. Wenn einer so weit herunterkommt, ist er ganz alleine schuld daran. Eine Hure weiß doch wenigstens ’ne Zeitlang das Geld zusammenzuhalten, das sie für ihre Mühe von den Männern kriegt; aber jene Esel schmeißen ja in einem einzigen Tag zum Fenster hinaus, was sie uns abgaunern und was gewisse Närrinnen, die man an den Schandpfahl stellen sollte, ihnen freiwillig an den Hals werfen!

Pippa: Es tut mir leid, daß ich mir wahrhaftig mehr als einmal gewünscht habe, selber ein Mann zu sein.

Nanna: Noch eine andere Schändlichkeit sagt man uns mit himmelschreiender Ungerechtigkeit nach.

Pippa: Was denn für eine?

Nanna: Man schiebt alle Schuld auf uns, sobald irgendeiner, der hinter uns her ist, verwundet oder getötet wird. Was, beim Teufel! können denn wir für ihre Eifersucht und für ihre Rauf sucht? Und selbst wenn wir die Ursache von all diesen Händeln wären, so soll man mir doch gefälligst mal sagen, in was für Gesichtern man mehr Schmisse sieht, ob an den Huren, die zur Verfügung der Männerwelt stehen, oder an den Männern, die hinter den Huren herjagen. Oje, oje! Die Welt ist nicht so, wie sie sein sollte!

Pippa: Nein, gewiß nicht!

Nanna: Dann: die Franzosenkrankheit!! Ich möchte aus der Haut fahren, wenn ich so einen Bengel sagen höre: »Derundder ist jetzt an allen Gliedern gelähmt; das hat er der Soundso zu verdanken!« Andere gibt es, die unseren ganzen Hurenstand ans Kreuz schlagen und verfluchen mit ihrem fortwährenden Gerede: »Sie hat den armen Kerl alle gemacht!« Ich hoffe recht sehr, wenn man erst mal festgestellt hat, ob das Huhn zuerst da war oder ’s Ei, dann wird man auch ausfindig machen, ob die Huren das Franzosenübel den Männern angehängt haben oder die Männer den Huren; da werden wir wohl eines Tages den Meister Sankt Hiob danach fragen müssen. Ganz gewiß hat der Mann zuerst die Hure gestupft, die dabei nur stillhielt, und keineswegs hat die Hure zuerst den Mann gestupft; das kann man ja noch alle Tage sehen an den Briefen, den Botschaften und Gesandtschaften, die sie uns schicken. Dagegen schämen sich ja sogar die vom Ponte Sisto, irgend jemandem nachzulaufen. Na, und wenn sie die ersten sind, die uns um unsere Gefälligkeiten angehen, so sind sie auch die ersten gewesen, die uns jene Bescherung angehängt haben.

Pippa: Von diesem Flecken habt Ihr unsern Stand ganz und gar befreit!

Nanna: Kommen wir nur wieder zu den Geschichten, die sich von den bösen Streichen der Männer erzählen lassen. Eine sehr, sehr hohe Dame hatte in ihrem Dienst ein Ehrenfräulein, das anmutigste und süßeste Dingelchen, das man je gesehen hat. Und Madame kannte kein größeres Vergnügen, als wenn die Kleine um sie herum war, so angenehm war ihr ganzes Wesen, so pünktlich war sie in allen ihren Verrichtungen: Wenn sie ihr zu trinken reichte, sie an- oder auskleidete, so zeigte sie dabei einen so vollendeten Anstand, daß jeder, der sie sah, sich in sie verliebte und daß die Faulenzerinnen, ihre Mithofdamen, vor Neid platzten. Auf dieses Mädchen warf ein gewisser Graf von Habenichts seine Augen, der seine ganzen Einkünfte auf die Stickereien seines Wamses, auf Agraffen und Federn seines Baretts, auf die Tressen seines Mantels und auf die Scheide seines Degens verwandte. Besagter Graf also verliebte sich in sie, und da er bei Hofe frei aus und ein ging, so sprach und tanzte er oft mit ihr. Er sprach und tanzte so lange, bis schließlich die Lunte Feuer fing. Als dies der Zweihellergraf merkte, ließ er sich ein Sonett zu ihrem Preise dichten und schickte es ihr nebst einem Brieflein voll von Seufzern, Ach und Weh, und von der Liebe Feuern und Höllenflammen. Es beschrieb die Schönheiten des Mädchens in allen Einzelheiten mit dem ganzen Bombast eines Strohkopfs und erhob ihre Haare, ihr Gesicht, ihren Mund, ihre Hände und ihre ganze Gestalt, wie wenn es lauter überirdische Schönheiten gewesen wären; sie selber hatte auch nicht mehr Verstand als die Krebse bei Neumond und blähte sich bei diesen Ruhmeshymnen auf und tat, als ob sie dadurch die Angelika vom Roland von Momalban würde.

Pippa: Reinold, wollt Ihr sagen!

Nanna: Ich sage Roland.

Pippa: Ihr irrt Euch, Roland war aus ’ner ganz anderen Gegend.

Nanna: Sein eigenes Pech, wenn er das war! Ich habe mein Leben lang nur studiert, wie man Geld zusammenbringt, und nicht, wie man Rittersagen und feine Redensarten lernt. Und Roland kann mich von hinten begrüßen! Angelika und ihn habe ich bloß deshalb erwähnt, weil ich ihre Namen oft von einem jungen Burschen hörte, der jede Nacht um vier singend an unserem Haus vorbeikam. Wie dem auch sei – das Mädchen, das lesen konnte, kam ganz außer Rand und Band, als sie all die Redensarten las, die ebenso falsch waren wie ihr Schreiber; und als ihr mal das Gehirn verdreht war, da war sie um so glücklicher, je öfter sie ihn sah und je mehr Liebesbriefchen sie von ihm bekam. Manchmal kam er zu Hofe, lehnte sich in einer Ecke gegen die Wand und zerriß sein Taschentuch mit den Zähnen, warf es ein Stückchen in die Höhe und fing es mit einer Miene der Verachtung wieder auf. Wie wenn das Schicksal ihm die Leber seziert hätte, so hob er drohend die Faust empor und machte dem Himmel die Feige. Manchmal tanzte er mit ’ner andern und seufzte dabei fortwährend; sein Page, den er ganz in ihre Farben gekleidet hatte, war immerzu auf den Beinen. Aber die schurkische Glücksgöttin war nicht eher zufrieden, als bis sie sie auf eine ganz sonderbare Weise zusammengebracht hatte: seine Versprechungen, seine Liebe, die ihr die ganze Welt verhieß, verdrehten ihr vollends den Kopf, und sie ließ sich an einem Strick, den er ihr gegeben hatte, aus dem Fenster heraus, das sich unmittelbar unter einem kleinen Balkon an der Rückseite des Palastes befand. Und da der Strick nicht ganz bis zur Erde reichte, so hätte sie sich beinahe die Beine gebrochen, als sie sich herabließ. Sowie sie unten war, ließ das Gräflein, der Bettelgraf, der Lumpengraf seinen Diener, der bei ihm war, sie auf die Kruppe seines Gauls nehmen und ritt mit seiner Beute in gestrecktem Galopp davon.

Pippa: Ich wäre runtergefallen, wenn ich auf der Kruppe eines so schnell laufenden Pferdes hätte sitzen sollen.

Nanna: Sie verstand das Reiten wie ein Araberjunge und saß besser zu Pferde als ’ne Marketenderin; deshalb hielt sie gleichen Schritt mit dem Halunken, der so in die Kreuz und Quer ritt, daß er bald vor etwaigen Verfolgern in Sicherheit war. Na, das Ende vom Liede ist, daß er sie nach drei Wochen satt hatte, und als sie eines Abends einem Bürschchen, das eigentlich den Herrn des Grafen spielte, ein paar Wörtchen zur Antwort gab, da bekam sie alle ihre schönen Hoffnungen ausbezahlt, nämlich in Gestalt einer tüchtigen Tracht Prügel; acht Tage darauf ließ er sie völlig auf dem trockenen sitzen, denn er ließ ihr nichts zurück als das abgetragene Fähnchen aus gelbem Atlas, mit grünem Seidenbesatz, das sie am Leibe trug, und die Nachtmütze, die sie auf dem Kopfe hatte. Und so fiel sie, die von ihrer hohen Herrin an irgendeine würdige und reiche Persönlichkeit verheiratet worden wäre, einer Bande von jungen Wüstlingen in die Hände, von denen der eine sie dem anderen lieh; aber als man in ihrem Gesicht wie einen Blütensegen die Beulen aufkeimen sah, die der Graf ihr eingeimpft hatte, da schnupperten nicht Hund noch Katz sie mehr an, und das Bordell allein hatte Mitleid mit ihr.

Pippa: Gebenedeiet sei es dafür!

Nanna: Einer, der sie da gesehen hatte, erzählte, ihre Hausgenossinnen seien ganz erstaunt über ihre gewählte Sprache, und der feine Anstand, den sie von Hofe mitgebracht hätte, ließe einen das Bordell vergessen, so daß man in einem Kloster zu sein glaubte. Es ist kein Zweifel: Wenn eine Hure sich mit feinem Anstand zu umgeben weiß, so erscheint sie mitten in einem Puff so ehrenvoll wie ein Priester im vollen Ornat, der in hoher Feierlichkeit seine erste Messe liest.

Pippa: Wenn der feine Anstand schon bei den Huren etwas so Schönes ist, was muß er dann erst an Jungfrauen sein!

Nanna: Ein Göttliches unter den Göttern, ein Glorienschein der Sonne, ein Mirakel aller Mirakel!

Pippa: Herrlicher Anstand! heiliger Anstand!

Nanna: Höre jetzt den grausamen Streich eines Mannes, der um seiner Tugenden willen noch tausend Meilen hinter Kalkutta berühmt war; ich hab die Geschichte grad frisch aus dem Topf genommen, sie ist also noch ganz heiß. Der berühmte Herr, von dem ich dir erzählen will, sah zu ihrem Unglück ein junges Ding von siebzehn Jahren; das Mädchen lehnte sich mit der ganzen linken Seite zum Fensterlein des Häuschens heraus, worin ihre Mutter zur Miete wohnte; an Anmut übertraf sie alle Schönheiten der sechs Schönsten von ganz Italien. Ihre Augen funkelten, ihre Zöpfe waren so golden, daß sie selbst einem, der nicht von Fleisch und Blut war, mit ihren Augen hätte das Herz verbrennen und mit ihren Haaren den Willen in Fesseln schlagen können; ihre Bewegungen waren so unbeschreiblich süß, daß man vom bloßen Ansehen den Tod ins Herz kriegte, und unschätzbar war die Sanftmut, von der sie ganz und gar durchdrungen war. Ihre Armut kleidete sie in ein Gewand aus einfacher Sersche – von löwenbrauner Farbe, wenn ich mich nicht irre –, das auch nur mit Sersche, indes von gelber Farbe, besetzt war; aber dies Kleid stand dem armen Mädel schöner als die kantillenbesetzten Samtkleider und die perlengestickten Seiden- und Goldbrokatröcke, die eine Königin auf dem Leibe trägt. Ihre Glieder freilich wiesen noch nicht die Vollendung der Formen auf, aber das kam nur von den Entbehrungen, die sie erlitt, da sie nicht genug Essen, Trinken und Schlaf bekam. Was aber als schönster Schmuck an ihr leuchtete, das war der ehrbare feine Anstand, womit sie sich an ihrem Fenster zeigte oder auf der Türschwelle stand. In alle diese Vorzüge vergaffte sich vorgenannter Biedermann, ja er verlor sogar den Verstand darüber – mögen Seine Gnaden mir das Wort verzeihen –, und da er durchaus nicht zum Ziel kommen konnte, wandte er sich schließlich an Kuppler; diese fand er mit leichter Hand, dank seinem hochberühmten Namen und dank seinen prachtvollen Kleidern, die er jeden Tag wechselte – denn dieses Kleiderwechseln ist der Köder, womit man die dummen Weiblein fängt. Du siehst mich fragend an? Er sprach eine gewisse Lucia an, eine Freundin der Angela – so hieß das gute Mädchen –, und wenn er der nicht ebenfalls den Kopf verdrehte, so will ich nicht Nanna heißen! Er küßte sie, schüttelte ihr die Hand, überhäufte sie mit Versprechungen und gab ihr, um ihrer Hilfe ganz sicher zu sein, sein Wort, er wolle bei ihrem einzigen Söhnchen Pate sein. Na, du hättest sie sehen sollen! Vor Stolz rutschte ihr das Hemd über den Arsch empor, und von den Versprechungen des Gevatters ganz bezaubert, hatte sie in zwei Augenblicken die kleine Schwester des Mädchens auf ihre Seite gebracht – und um Angelas Hals war’s geschehen, sobald sie sich mit dem neuen Gedanken vertraut gemacht hatte: Im Nu war das Heiratsgeschäft abgemacht.

Pippa: Soviel weiß ich: Mich hätte einer nicht so geschwind erwischt!

Nanna: Dich nicht erwischt, ah? Die heilige Petronella selber wäre nicht fest geblieben, wenn ein Schwesterlein sie bearbeitet hätte; was da alles aufmarschieren muß: bequemes Leben, behagliche Einrichtung, bares Geld! Und welches Mädchen würde nicht schnell die Röcke hochheben, wenn sie sagen hört: »Er ist der liebste Mensch von der Welt und noch dazu der freundlichste, der schönste, der freigebigste. Er liebt dich und betet dich an, und er hat mir gesagt, einer deiner Zöpfe, eines deiner Augen sei mehr wert als alle Schätze der Welt! Er schwört, sobald er gewahr werde, daß du nichts von ihm wissen wollest, dann würde er Eremit.«

Pippa: Und sie glaubte das?

Nanna: Verhüte Gott, daß dir jemals die Kuppelmenschen derartige Sporen in die Flanken drücken! Du würdest dann selber sehen, ob man so was glaubt oder nicht. Schwestern? ui je! Nachbarinnen? ui je! Die Hoffnung, reich zu werden – das großartige Auftreten der Männer! Schwestern? Nachbarinnen? Hundepack!

Pippa: Sagt mir doch, bitte, ehe Ihr fortfahret: Ist wirklich jemals aus Liebe zu uns jemand Mönch geworden?

Nanna: Möchten sie die Kränke kriegen! In Worten hängen sie sich auf; in Schwüren vergiften sie sich und lachen dabei Tränen über jede, die ihnen glaubt! Sie tun, als ob sie sich mit ihrem Dolch erstechen wollten, gebärden sich, wie wenn sie sich vom Dach herunterstürzen oder ins Wasser springen wollten, stellen sich, als gingen sie dorthin, von dannen keine Kunde dringt und keine Wiederkehr ist; ich möchte, du sähest sie, wie sie mit dem Strick um den Hals sich den dummen Weibern zu Füßen werfen, wie sie sie mit tränenerstickten Seufzern anflehen. Oh! oh! oh! Halunken ihr! Wie versteht ihr’s, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, so daß wir alles glauben, was ihr uns weismachen wollt!

Pippa: Wenn’s so ist, da muß man fein die Augen offenhalten!

Nanna: Nun wieder zum abgemachten Heiratsgeschäft! Die Taube wurde, wie gesagt, aus dem Nest herausgeholt und in das Haus einer freundlichen und gefälligen Hebamme gebracht, die der wackere Edelmann kannte. Ihre leibliche Schwester legte sie ihm mit eigenen Händen an die Brust, nachdem er sein verhenkertes Ehrenwort gegeben hatte, daß die Sache unentdeckt bleiben werde.

Pippa: Blieb sie denn nicht geheim?

Nanna: Wenn sie geheim geblieben wäre, woher wüßte ich sie dann? Die Trompetenbläser, die Glöckner, die Bänkelsänger, die Krammärkte, der Gerichtshof der Ruota, die Vespern, die Straßenhändler und die Viehmärkte sind verschwiegener als er! Jedem dummen Kerl, den er traf, schrie er entgegen: »Sprecht nicht mit mir! Ich bin im Paradiese: ein Mädelchen wie Milch und Blut ist ganz krank vor Liebe zu mir, und morgen vor Tagesanbruch vollziehen wir die Vermählung, weil um diese Stunde ihre Mutter infolge eines Gelübdes San Lorenzo vor der Mauer besucht.« Aber das alles ist nichts, wie das spanische Sprichwort sagt, im Vergleich mit dem Te deum laudamus, das er anstimmte, als er sie an seinem Halse hängen sah; er wurde sogar ganz ärgerlich, als ihn ein Zittern überfiel wie den Stier, sobald er die Sterke erblickt hat.

Pippa: Warum war ihm denn dieses Zittern so unangenehm?

Nanna: Es unterbrach ihn im Plappern, und er konnte nicht alle seine großen Redensarten und geschwollenen Versprechungen hervorbringen. Die einfältige Gans aber betastete ihm sein Brokatkamisol, das mit schwerem Golde gestickte Wams, die Hosen aus Silberstoff, spielte mit seiner großen Halskette und machte dazu ein Gesicht wie ein Dorflümmel, der kaum mal einen Kotzen aus Sackleinwand oder eine Jacke aus Romagnatuch gesehen hat und sich durch alle Püffe und Knüffe der Menge hindurch zum Domine herangedrängt hat, der die Kerzen austeilt; und da befühlt und streichelt er nun mit seiner erdschmutzigen Hand den Chorrock aus schlechtem Samt, den der Pfarrer trägt. Genug – nachdem sie nach Herzenslust mit seinen Stickereien gespielt hatte, tat sie alles, was er wollte, und unterlag aus freiem Willen mehr als einmal der Versuchung; allen beiden begann das Feuer die Herzen zu verzehren, und sie, die bis dahin von keinem Laster auf der Welt was gewußt hatte, dünkte sich als Freundin einer so großartigen Persönlichkeit mehr als der Settecento zu sein – der Seicento genügte noch nicht mal! Und was hatte sie von ihrer Gutmütigkeit? Der Teufel packte ihren Liebhaber beim Schopf seiner Gelüste; es genügte ihm nicht, dreiviertel von ihr zu haben, sondern er wollte durchaus das Ganze und bewahrheitete damit wieder mal das Sprichwort, daß, wer alles will, alles verliert.

Pippa: Geschah ihm ganz recht!

Nanna: Er hat selber gesagt, ihm sei ganz recht geschehen, und darum kannst du’s auch sagen. Um dir die Geschichte mit allen Umständen klarzumachen: Das junge Mädel hatte ’ne Art Bräutigam; das war ein liederlicher Bursche, der zuerst ein Verhältnis mit einer ihrer Schwestern gehabt hatte. Nachdem er aber diese satt gekriegt, hatte er sich mit ihr verlobt und vermählt, das heißt: Er hatte ihr seine Hand gegeben, aber mit dem Hintergedanken, so spät wie nur irgend möglich ihr den Ring zu geben und mit ihr ’nen Haushalt zu beginnen. Und man meinte eigentlich allgemein, er würde sie überhaupt nicht heiraten, sondern habe es nur auf eine Befriedigung seines Gelüstes abgesehen – wie’s ja heute allgemein der Brauch ist. Geschichten könnt ich dir erzählen – Geschichten! Wie oft fängt einer auf diese Art ’ne Liebschaft an; sobald er satt ist, läßt er seine Schöne sitzen, ohne ihr auch nur ein Stückchen Brot zu geben … Unsere Geschichte aber nahm einen ganz unerwarteten Ausgang: Der feine Herr, dem die Liebe den Verstand verdreht hatte, wollte sich in den uneingeschränkten Besitz des Mädchens setzen und dachte sich zu dem Zweck eine List aus, die so läppisch war, daß ein Mailänder oder ein Mantuaner sich ihrer geschämt hätte.

Pippa: Schön!

Nanna: Die Dummheit bestand darin, daß er beschloß, das klare Wasser ihres Brautstandes zu trüben; er dachte, wenn der Bräutigam erführe, daß sie zur Hälfte ’ne Hure und bloß zur anderen Hälfte ein anständiges Mädchen wäre, so würde er sie fortjagen. Sein Plan wäre ihm auch geglückt, wenn nicht die Liebe eines Gatten und Bräutigams stärker wäre als die eines bloßen Liebhabers; damit will ich nicht sagen, daß das Mädchen ihren Bräutigam lieber gehabt hätte als den andern – denn wäre das der Fall gewesen, so hätte sie ihm keine Hörner aufgesetzt –, sondern nur der gefürchtete Stock der Mutter flößte ihr den gehörigen Respekt ein … Nachdem der reiche Herr eine ganze schlaflose Nacht von seinem Plan phantasiert hatte, ließ er den unglückseligen jungen Bräutigam holen und setzte ihm die ganze Geschichte auseinander, und um ihn ganz handgreiflich von der Wahrheit seiner Worte zu überzeugen, beschrieb er ihm das winzigste Härchen, irgendein kleines Pickelchen oder ein Mälchen, das sie unter den Röcken hatte. Ferner erzählte er ihm haarklein jedes Wort, das sie miteinander gesprochen, jeden kleinen Zank, den sie gehabt, jede Versöhnung, die sie darauf gefeiert hätten. Dann kam er auf die Geschenke zu sprechen, die er ihr gegeben, und zählte sie alle einzeln auf. Dem armen Bräutigam war zumute, wie wenn er tot hinsinken sollte; er hielt sich aber auf den Füßen und streckte nur den Hals vor, wie unser Affe, wenn er seine Grimassen schneidet. Wie versteinert stand er da, in seine Gedanken versunken, antwortete ohne Sinn und Verstand »ha?« und »ha?«, sagte ja statt nein und nein statt ja, verdrehte die Augen, stieß tiefe Seufzer aus und ließ das Kinn auf die Brust sinken, und seine Lippen schienen aneinandergeklebt zu sein. Er zitterte vor den Frostschauern der Eifersucht, schließlich aber gelang es ihm, ein paar Worte hervorzustoßen, und er sagte mit jenem höhnischen Lächeln, das ein zum Galgen Geführter zur Schau trägt, um den Mutigen zu spielen: »Gnädiger Herr, ich bin zwar noch ein junger Mann, aber auch ich habe meinen festen Entschluß gefaßt: Wahrhaftig, ich schwöre Euch bei der Taufe, die ich auf mein Haupt empfangen habe« – damit legte der die Hand auf seinen Kopf und strich sich damit über den Scheitel –, »ich schwöre Euch: Ich will nichts mehr von ihr wissen; sie ist nicht meine Braut, und wer was anderes behauptet, der lügt in seine Kehle hinein!« Der Verliebte blähte sich auf wie ein Pfauhahn und sagte ihm: »Du bist ein Mann, wie man sie heutzutage nicht mehr findet! Die Ehre, die du so hochhältst, ist mehr wert als eine ganze Stadt; an ’ner Frau soll’s dir nicht fehlen – dafür laß mich nur sorgen!«

Pippa: Dünkt dich nicht auch, daß er den armen Tropf auf einen Leim gelockt hatte?

Nanna: Um den Zorn zu verbergen, den die schlechte Aufführung seiner Braut in ihm erregt hatte, trug er eine erheuchelte Heiterkeit zur Schau. »Ich will mich benehmen wie ein Alter!« sagte er, und plötzlich hatten ihn, ohne daß er selber wußte, wie es zuging, seine Füße zum Hause der Schönen getragen, die ihm die Hörner gedrechselt hatte. Du kannst dir denken, daß er ihr sagte, was jeder in seiner Lage gesagt haben würde. Aber sie schrie, wie wenn sie ermordet würde, und ihre Tränen, ihre Klagen, ihre Schwüre hatten ihn im Handumdrehen wieder umgestimmt; er rannte mit frischen Eiern herbei, um sie zu erquicken, die auf ihrem Bettchen lag und aussah, als ob sie im nächsten Augenblick verscheiden sollte. Und als der Tölpel davon sprach, der Edelmann habe ihm gesagt, er habe sie vor ihm besessen und das habe er ihm eben geglaubt, da stürzte die Mutter sich mit Geschrei auf ihn und rief: »Oh! weißt du denn selber nicht, ob du sie als Jungfrau befandest oder nicht?« Das stopfte ihm gänzlich den Mund – wie wenn’s ’ne große Kunst wäre, die kleine wieder enge zu machen und es so einzurichten, daß Blut kommt!

Pippa: Ihr habt mir schon davon gesprochen.

Nanna: Ich will dir auch nicht mehr darüber sagen. Kurz und gut – der Brotfresser, der Traubenschlucker war ganz stolz darauf, große Herren zu Nebenbuhlern zu haben, und er brach nicht nur nicht die Verlobung mit der Schönen, sondern heiratete sie sogar allen Ernstes, feierte die Hochzeit und wäre beinahe gestorben, so oft machte er ihr’s. Er verkaufte einige Lumpen, die ihm gehörten, und ließ sich für das Geld einen neuen Anzug machen, in der Hoffnung, sie sollte ihn dann ebenso liebhaben wie er sie.

Pippa: Also schlug es gerade zu ihrem Besten aus, daß der Kavalier ihrem Bräutigam die Geschichte gesagt hatte; denn ebendarum nahm er sie zur Frau!

Nanna: Die Seligkeit wird nur nicht lange dauern, denn meistens, ja sogar fast immer nimmt es mit ’ner Frau, die einer aus Liebe und ohne Mitgift geheiratet hat, ein böses Ende; denn die Liebe eines Mannes, dem’s in seinem verliebten Wahn gar nicht schnell genug gehen will, seine Schöne zur Frau zu kriegen – diese Liebe gleicht einem Schornsteinbrand, der einen Spektakel macht, daß dem Tiber angst und bange werden könnte, und sich nachher mit zwei Eimern Spülwasser löschen läßt. Das Ende vom Liede ist, daß die Frau niemals ’ne ruhige Stunde hat und daß sie noch von Glück sagen kann, wenn sie mit Schimpfworten, Faustschlägen, Fußtritten und Stockprügelgeprassel davonkommt; sie sitzt eingeschlossen in ihrer Kammer, ist eine Gefangene in ihrem Hause, er traut ihr nicht mal soviel, um sie in die Messe oder zur Beichte gehen zu lassen; und wehe ihrem Buckel, wenn sie sich mal am Fenster sehen läßt! Und wenn sogar eine, die sich nichts zuschulden kommen läßt, ein solches Leben hat, wie, glaubst du dann, ergeht’s erst einer, deren Mann von ihren früheren Hurereien Bescheid weiß?

Pippa: Mehr als traurig – hundeschlecht!

Nanna: Ich komme in meinen Gedanken jetzt zu den schlauen Listen, die den Männern als Hilfsmittel dienen, wenn sie einer abgefeimten Hure einen Streich spielen wollen. Es ist ein törichtes Geschwätz, wenn jemand behauptet, wir Weiber seien göttliche Meisterinnen in der Verstellungskunst. Sieh mal, da kniet so ein Frauenpreller am Altar einer Kirche; jetzt neigt er sich mit seinem ganzen Leibe zu einer herüber, auf die er seinen Blick geworfen hat; ich höre die Seufzer, die er dem Vorratsschrank seiner Heuchelkunst entnimmt. Er ist allein in die Kirche gekommen, um sich den Anschein zu geben, als sei er recht verschwiegen, und sein ganzes Trachten geht dahin, des Vögleins Auge auf sich zu ziehen; indem er ihr seine Blicke zuwirft, neigt er den Kopf hintenüber und schaut zum Himmel empor, wie wenn er sagen wollte: ›Ich sterbe um dieser Frau willen, o himmlischer Vater, die aus deinen wunderwirkenden Händen hervorgegangen ist!‹ Dann neigt er den Kopf nach vorne, blickt sie wiederum an – und da könntest du was studieren an süßlichem Gesichtsausdruck, an jenen sich anheftenden Blicken, an denen ihre Schurkenkunst einen Vorrat hat, daß sie ihnen jederzeit handvollweise zur Verfügung stehen. Inzwischen erscheint ein Armer und bettelt ihn an, und der Stutzer sagt zu seinem Diener: »Gib ihm einen Julius!« Und der Diener gibt ihm einen.

Pippa: Warum nicht einen Pfennig?

Nanna: Um als ein außerordentlich freigebiger Mann dazustehen, dem seine Mittel es erlauben, viel Geld auszugeben.

Pippa: Was es nicht alles gibt!

Nanna: Und wenn diese Leute von einer, die sie mit ihren Faxen zu betören suchen, gehört werden können, da geben sie ihren Dienern keine Befehle mit barscher Stimme und hochmütigem Gesicht, wie sie’s sonst zu Hause tun, sondern so freundlich und nett, wie wenn sie mit ihresgleichen sprächen; das tun sie, damit sie in den Ruf kommen, sie seien liebenswürdige Leute und keine greulichen Grobiane.

Pippa: Hundepack!

Nanna: Und wie sie tun, wie wenn ein Hutabnehmen von einem Vorübergehenden den Wert von blankem Golde für sie hätte!

Pippa: Was haben sie denn davon, wenn jemand vor ihnen den Hut zieht?

Nanna: Das gibt der Göttin, die sieht, wie hoch man sie schätzt, ’ne gute Meinung von ihnen, und indem sie den Leuten mit einem Kopfnicken ihren Gruß erwidern, geben sie mit dem Meißel der Heuchelei ihrem Gesicht einen Ausdruck, wie wenn sie sagten: ›Ich ziehe deinen Gruß allem anderen auf der Welt vor.‹

Pippa: Sie verstehen’s besser noch als wir!

Nanna: Wenn sie in Gegenwart der von ihnen zur Befriedigung ihrer Gelüste Ausersehenen eine Unterhaltung mit einer anderen beginnen, dann schwätzen sie mit Grazie und Galanterie so recht wie einer, der sich in unsere Freundschaft einschmeicheln möchte; und wenn sie mitten im allerschönsten Sprechen sind, stehen sie plötzlich auf und gehen im Saal auf und ab; natürlich nur, damit die anwesenden Frauenzimmer von ihren Vorzügen und Verdiensten sprechen sollen.

Pippa: Ach! Und da soll man Lust behalten, Frau zu sein – wahrhaftig!

Nanna: Kaum haben sie den Ort verlassen, wo sie sich wie im Paradies zu fühlen schienen, so sagen sie zu jedem, der es hören will: »Was das für Puffbesen da drinnen sind! Vor denen möchte ja der Teufel weglaufen! Was meinst du? Die sind ja zu haben, wenn du bloß pfeifst!« Kommen sie dann mit anderen zusammen, gleich bringen sie das Gespräch wieder auf die Damen, und aus ihrem Munde strömt’s heraus: »Heute morgen bei der Messe hab ich ’nen überaus spaßhaften Spaß gehabt; Frau Soundso kniete da betend vorm Altar, und ich tat so, als wäre ich in sie verliebt. Die alte Kuh! Die Hurentrine! Ich will ihr die hübschen Batzen, die sie hat, aus der Tasche locken und will sie nachher ins Gerede bringen, daß man auf Straßen und Plätzen über sie lacht!«

Pippa: Schöner Kerl!

Nanna: Wenn eine Hure sich über diesen oder jenen mal ein bißchen lustig macht, so kann sie wenigstens die Entschuldigung für sich in Anspruch nehmen, daß sie sich damit einem anderen, diesem oder jenem, angenehm macht; aber wer hat etwas von dem übermütigen Triumphieren eines Mannes, der vor seinen Kameraden über ein armes Weiblein schimpft?

Pippa: Möchten sie das davon haben, daß sie ein Bein brächen!

Nanna: Darum lerne und werde gescheit, wenn du die Männer prellen willst, ohne daß sie dich prellen! … Jetzt gebe ich dir noch ’ne andere hübsche Geschichte zu knabbern. Knabbere sie! Ich möchte dir von einem erzählen, der ließ sozusagen ausposaunen, er suche eine Junge von höchstens achtzehn bis zwanzig Jahren; die wolle er mitnehmen, und sie solle mit ihm das Glück genießen, das er durch seine Stellung beim König von Sterlick habe; und wenn sie nicht bloß ihre Schönheit hätte, sondern sich auch zu benehmen wüßte, so würde er was für sie tun – na, und so weiter. Er gab gewissermaßen zu verstehen, nach einiger Zeit würde er sie sogar heiraten. Kaum wurde die Geschichte bekannt, so fingen die Kupplerinnen an, in der Stadt rumzurennen, klopften bald bei dieser, bald bei jener an und konnten kaum die Worte finden, ihnen ihr gutes Glück mitzuteilen, weil sie so schnell gerannt waren, daß ihnen der Atem ausgegangen war. Da warf nun eine jede sich in die Brust, denn jede dachte, sie sei die von dem Herrn begehrte. Flugs lieh sie sich ein Kleid oder mietete sich eins für soundso viel den Tag, eine Halskette oder sonst ’nen Tand, womit die Weiber sich putzen, und trottete mit ganz ehrpusseligem Gesicht vor ihrer Vermittlerin her. Nachdem sie Erlaubnis erhalten hatten, vor Seiner Gnaden zu erscheinen, machten sie ihm ihre Reverenz und nahmen Platz, wobei sie aus den Augenwinkeln nach ihm schielten. Er stand renommistisch mit gespreizten Beinen da, strählte sich mit einem Elfenbeinkamm den Bart und scherzte mit seinem Diener, der ihm sein Wams, seine Hosen und seine Samtstrümpfe abbürstete. Nachdem dies Reinigungswerk beendigt war, gab er dem Diener einen ganz leisen, leisen Klaps, damit die Arme, die zu ihm gekommen war, um seine Frau zu werden, denken sollte, ein Mann, der so leutselig mit seinem Bedienten scherze, müsse von ganz besonders liebenswürdigem und freundlichem Charakter sein.

Pippa: Da haben wir den Rechten!

Nanna: Endlich kommt er zum Schluß mit all diesen Läppereien und schickt alle Anwesenden fort mit Ausnahme der Alten und der Jungen, die den guten Bissen schon im Munde zu spüren vermeint. Er setzt sich zwischen sie und beginnt freiweg zu reden, wie wenn er ihnen so recht sein Herz ausschüttete. Das Aussehen des Mädchens, sagt er, gefalle ihm sehr, aber er wolle keine Bockbeinige, keine Übelnehmerische, keine, die nach zwei Tagen zu ihm sagte: »Ich will wieder fort; hier ist keiner, der mich nach meinem Wert bezahlen könnte!« Da springt die Alte auf und ruft: »Oh! mein gnädiger Herr! Diese hier ist ein zartes Gemüse, ein Fisch ohne Gräten, und ihre Vorzüge zergehen dem, der sie kostet, auf der Zunge; wenn Ihr sie nehmt, können die anderen, die eine gute und schöne Frau suchen, sich den Mund wischen. Wenn Ihr mir nicht glauben wollt, könnt Ihr nur die ganze Nachbarschaft fragen – da fingen alle an zu weinen, als sie hörten, daß sie abreisen müßte! Sie ist die Rockenhülle der Kunkel und die Kunkel der Rockenhülle – der Wirtel der Spindel und die Spindel des Wirtels; ich sage Euch: Sie ist der Wischlappen und das Handtuch, die neben dem Gußstein liegen und auf welche man die Messer, die Brotstücke und den Abraum von der Tafel legt und an denen man sich außerdem noch die Hände abtrocknet.«

Pippa: Köstliche Alte! du wußtest sie herauszustreichen!

Nanna: So sprach das Mütterchen. Unterdessen spielte er mit zwei Fingern dem Mädchen am Busen; dann sagte er mit einem etwas boshaften Lächeln: »Seid Ihr auch gesund am Leibe? Habt Ihr auch nicht die Krätze oder sonst ’ne Unannehmlichkeit?« Und die Alte antwortet ihm im Namen der anderen: »Faßt sie doch nur an, zieht sie doch aus, bitte! Krätze – hoho! Sonst ’ne Unannehmlichkeit – haha! Sie ist gesund wie ’ne Plötze, und ihr Fleisch hat größeren Abscheu vor Unsauberkeiten als sie selber vor Radaubrüdern. Ich will’s Euch nur sagen: Alles, was an ihr ist, kann mit Zirkel und Winkelmaß gemessen werden, und sie paßt für Euch wie der Dreifuß für die Kuchenpfanne. Und wisset: Ich stopfe Euch nicht glatte Redensarten in den Mund, damit Ihr sie nehmen sollt; ich will Euch nichts abgaunern, denn fürwahr! meine Gläser sind nicht im Kühleimer, und ich kann über die Ziegel und Fliesen eines Daches gehen, ohne Sandalen nötig zu haben!«

Pippa: Was für’ne Sprache!

Nanna: ’s ist die Sprache, die man bei ihr zu Hause spricht. Und wenn du die Wahrheit sagen willst, so mußt du gestehen, daß man eine von jenen Alten aus der guten alten Zeit zu hören vermeint; die wußten noch ein tüchtiges Wort zu sprechen und so, wie sich’s gehört!

Pippa: Da habt Ihr ganz recht.

Nanna: Und du sollst sehen, man kommt wieder auf die gute alte Sprache zurück, wie man ja auch in der Kleidung die guten alten Trachten wieder angenommen hat. Mögen diese oder jene vor Ärger darob aus der Haut fahren: Die engen Ärmel haben doch wieder die Narrenärmel zum Land hinausgejagt, die Schuhabsätze sind nicht mehr hoch wie Stelzen, und der Webstuhl der Schwätzerinnen will nicht mehr ihren Wortkram flechten und weben, denn es ist nichts als durchgesiebter Kaff, dürre Blüten von grünen Pflaumen, und verdiente, in einen Trog zum Schweinetrank geschüttet zu werden: Mit was für ’nem Klatsch, Tratsch, Quatsch bellen sie uns an in ihrer neumodischen Sprache! Aber laß sie laufen! …Der gnädige Herr hat – kille, kille! – an der Jungen herumgegrabbelt und wendet sich nun zur Alten und sagt zu ihr: »Mütterchen, wenn’s Euch recht ist, bleibt die Kleine hier bei meiner Schwester.« Das sagte er recht laut, so daß seine Schwester, die ganz im hintersten Winkel verborgen gesessen hatte, es hören mußte; sie lief herzu, nahm die alte Kupplerin bei der Hand und bat sie aufs dringlichste, sie sollte das Mädchen doch dalassen. Sie ließ sich was vorreden und ging ab; und auch die dumme Kuh ging wieder hin, woher sie gekommen war, nachdem der Bulle seinen Appetit an ihr gestillt hatte. Und als ganzen Dank und Lohn bekam sie ein ›Wir werden’s schon machen‹ in ihre Schürze.

Pippa: Was für ’ne Gemeinheit, sie nicht einmal zu bezahlen!

Nanna: Weißt du, Pippa, wie das Haus dieses Weiberfoppers aussah, sobald sich das Gerede von den großen Vorteilen, die er der von ihm gesuchten Reisebegleiterin anbot, verbreitet hatte?

Pippa: Wie sah’s denn aus?

Nanna: Wie der Navonaplatz, wenn Pferdemarkt ist und er voll von Kleppern steht. Wie die Gäule dastehen mit geflochtenen Schwänzen, glattgekämmten Mähnen, blitzblank gestriegelt, den Sattel auf dem Rücken, die Steigbügel vorschriftsmäßig hochgeschnallt, mit frischen Eisen beschlagen, den Zügel auf dem Hals – mit einem Wort, fix und fertig, um sich in Schritt, Trott und Galopp zu zeigen, so gut sie’s nur vermögen –, so kamen zu ihm die armen Geschöpfe, ungewöhnlich sorgfältig herausgeputzt und geschmückt in Kleidern, die ihnen nicht gehörten, machten im Bett und außer’m Bett alles, was sie nur konnten, um den hohen Herrn zu befriedigen, bei dem sie gerne geblieben wären. Aber, was soll ich noch lange davon erzählen? Er saß voll von den allerschlimmsten Franzosengeschwüren, an denen je ein vornehmer Herr litt, und trotzdem fummelte er mit seinem Stock in jedem Loch herum und fegte mit seinem Besen aus Fleisch und Bein alle Ofenlöcher aus; aber nach ein, zwei, drei oder vier Tagen warf er der Schönen den Strick um den Hals – ich hoffe, er wird selber eines Tages daran baumeln! –, jagte sie zum Haus hinaus und sagte von der einen, sie sei zu frech, von der andern, sie habe schlechte Manieren, von der dritten, sie mäkele an allem herum, von der vierten, sie sei ’ne dürre Bohnenstange; die fünfte stank aus dem Munde, die sechste hatte keinen Schick. Aber die Liebeswarenballen der Schönen hatten grausige Signaturen erhalten; ich meine damit, daß er ihnen allen seine Beulen und Schwären und seine Schmerzen zum Lohn mitteilte. Und die Franzosen, die sie von ihm kriegten, waren von so auserlesener Art, daß ihnen die Wimpern und die Haare am Bauch, unter den Armen und auf dem Kopf ausfielen; die Krankheit besorgte ihnen das besser, als siedendes Wasser der Köchin beim Kapaunenrupfen hilft; und die ganze ratlose Schar behielt nicht einen einzigen Zahn im Munde. Na, was meinst du jetzt: Sind die Männer Menschen oder was sonst?

Pippa: Mich dünkt, sie sind ein Hals, den man durchschlagen sollte; und wenn man sie in eine Schleuder legte und ins heiße Haus schmisse, so könnte man aus ihrer Haut Nachtigallen, aus ihren Beinen Bohrer, aus ihren Armen Reitpeitschen machen! Ich spreche von denen, die solche Gemeinheiten verüben, und nicht von denen, die keine verüben.

Nanna: Du sprichst gut – aber ich habe dir die Kehle mit dem Weißen vom Ei gekitzelt, indem ich dir die Schurkereien der Schurken schilderte; warte nur, jetzt werde ich dir auch das Dotter vorsetzen und will meine Worte an die Zacken deines Gehirns hängen. Ich werde die Türklinke meines Gedächtnisses festbinden, damit diese Tür offenbleibt, und werde dir alles erzählen, so daß du jede Masche, jedes Schnürband an meinem Unterrock erkennen kannst, den ich ausgezogen habe, um dir die Wahrheit nackt, wie sie geboren ist, zu zeigen.

Pippa: Ich warte.

Nanna: Ich werde mit Hilfe meiner Phantasie versuchen, wieder einiges von der Sprache aufzufischen, die ich zugleich mit meinem Wohnort ebenfalls gewechselt habe. Es ist für mich ein großer Schmerz, daß ich die schönsten und kraftvollsten Ausdrücke, die man in unserm Toskana braucht, fast ganz vergessen habe. Und die Alte, die mit dem Herrn Windbeutel sprach, dem Günstling des Herzogs von Sterlick – oder des Königs, was er nun gewesen sein mag –, diese Alte, die hat mir Lust gemacht, mal wieder zu räuspern und zu spucken und zu sprechen, wie uns in Toskana der Schnabel gewachsen ist. Und halte mich nicht für langweilig, weil ich fortwährend auf das Kapitel der Sprache komme und immer wieder darauf zurückkomme: Man kann hier ja nicht mehr leben, zu jeder Stunde hacken die Schnattergänse mit ihren Schnäbeln auf unsereine ein. Und obwohl ich dir gesagt habe, daß ich mehr Freude am schönen Geldverdienen als am schönen Sprechen hatte, so würdest du doch – du kannst mir’s glauben! – vor Erstaunen herumtanzen, wenn ich im erhabenen Stil mit dir sprechen wollte. Ich weiß wohl, daß ich mich an manchen Stellen schon schöner Wörtlein bedient habe, besonders bei den Wehklagen der von dem Baron verlassenen Dame; diese Ausdrucksweise kenne ich zum Teil schon von mir selber, zum Teil habe ich sie gelernt – aber nicht von einem, der nicht den Unterschied zwischen ’nem X und ’nem U kennt. Und man würde erstaunen, wenn man hörte, wie wir ganz einfach das Wort ›Knüppel‹ statt des fein sein sollenden ›Knittel‹ gebrauchen und noch viele andere alte und neue Ausdrücke, deren sich bei uns zulande die Bauern bedienen wie anderswo gelehrte Doktoren; hinter denen laufen ja die dummen Weiber her und klauben Worte und denken, mit solchem Gequatsche kämen sie geradenwegs in den Himmel.

Pippa: Kommt nur lieber wieder auf die Männer zu sprechen! Es kommt mir bereits vor, als hörte ich eine im Marktweibston Euch über den Schnabel fahren und Spektakel machen, weil Ihr Feigen in den Zweigen des Feigenbaums sucht, auf den Ihr erst gestern oder doch vor ein paar Tagen hinaufgestiegen wart … Und nun scheltet mich noch, ich sei mehr ein kleines Kindchen als ein großes Mädel!

Nanna: Das können sie halten, wie sie wollen – ich huste was drauf! Ich weiß mit ihnen Bescheid, wie’s ist, wenn der Wind durch die Nüsse streicht, und mein Arsch spielt die Flöte besser als ihre Hände … Kommen wir also wieder zu unseren Feinden, das heißt: zu den Feinden der, die sie nicht zu rupfen weiß und als gute Hausfrau sogar die Schnipsel von dem Tuch, das sie zuschneiden läßt, auf die Seite legt. Ich meine: Jene guten Frauen und anderen Huren, die sich lieber mit Haushofmeistern, Lakaien, Stallburschen, Gärtnern, Packträgern und Köchen abgeben als mit Edelleuten, großen Herren und Monsignori, das sind tüchtige Weiber, sie tun ein frommes Werk und sind nicht nur verständige und weltgewandte Frauen, sondern geradezu Heilige.

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Pippa: Warum sagt Ihr das?

Nanna: Weil Haushofmeister, Lakaien, Stallburschen, Gärtner, Packträger und Köche zum mindesten deine ergebenen Diener bleiben werden; sie würden ihren Kopf ins Feuer stecken lassen oder zwischen Block und Richtbeil legen, um dir zu Gefallen zu sein; und wenn man sie zu Fetzen zerhackte, man würde ihrem Mund nicht das Geheimnis entreißen; außerdem würde kein Mensch es glauben, selbst, wenn man’s ihm sagte, der Verwalter des Herrn Soundso besorgt zugleich dessen Frau. Außerdem haben solche Leutchen keine unnatürlichen Gelüste; sie walken das Tuch auf der rechten Seite und machen’s, wie man’s von ihnen verlangt; sie nehmen auch nie die Lampe zur Hand, um nachzusehen, wie viele Falten deine Mimi habe, deren Ränder sie zur Seite biegen. Sie lassen dich nicht den Popo hochheben, klatschen nicht mit der flachen Hand drauf oder zwicken dir gar die Hinterbacken mit ihren Nägeln; sie lassen dich auch nicht am hellichten Tag splitternackt ausziehen, um dich bald auf diese Seite zu drehen, bald auf jene, sie verlangen nicht, während sie dir ihren Bolzen hineinschieben, daß du dabei drehende Bewegungen machst oder daß du unanständige Worte sagst, um ihre geile Lust zu erhöhen; sie bleiben dir nicht vier Stunden lang auf dem Bauch liegen, daß dir alle Knochen im Leibe weh tun und alle Glieder aus dem Gelenk gehen; sie lassen dich nicht gewisse Stellungen einnehmen, zum Beispiel die Beine hoch in die Luft und dabei dich stemmen lassen – Stellungen, die diese Menschen stets erfunden haben, erfinden und erfinden werden; dagegen sind ›das weidende Schaf‹ und jene andere Firlefanzereien, von denen ich dir, glaube ich, gestern schon erzählt habe, der reine Zucker.

Pippa: Bei der Madonna, ja! davon spracht Ihr gestern.

Nanna: Die Schweinekerle stecken ihn uns in den Mund.

Pippa: Ich werde mich übergeben!

Nanna: Sie lutschen uns unsere aus.

Pippa: Ich übergebe mich, sage ich Euch!

Nanna: Und wenn sie ihren Mund vollgekriegt haben, laufen sie herum und posaunen es aus, wie wenn es ’ne Heldentat wäre.

Pippa: Wenn sie doch gehenkt würden!

Nanna: Und sie ahnen gar nichts von ihren Schändlichkeiten:

daß sie uns zu Huren gemacht und uns all ihre Schweinereien beigebracht haben. Unsere Kenntnisse in der Hurerei haben wir von den Phantasien dieses oder jenes Hurenbocks; und ein Lügner ein Erzlügner ist der, welcher behaupten will, der erste, der darauf kam, uns wie Knaben zu mißbrauchen und uns von hinten mit seinem Stöpsel zu stöpseln, habe uns nicht mit Gewalt dazu gezwungen; es ist klar, daß nur das verfluchte Geld die behext hat, die sich zum ersten Mal herumdrehte. Und ich, die ich mein gut Teil in dieser Hinsicht geleistet habe und eine von den allerverruchtesten gewesen bin, ich habe mich trotzdem niemals dazu hergegeben, als wenn ich dem Predigen und den Tränen des Lüstlings nicht länger widerstehen konnte; da hab ich denn allerdings meinen Hinteren seinem Bauch zugedreht und gesagt: »Na, was ist denn schließlich auch weiter dabei?«

Pippa: Ganz recht: Was ist denn auch weiter dabei?

Nanna: Und wie sie aus vollem Hals lachen, wenn sie ihn hineinschlupfen und wieder rauskommen sehen oder wenn sie schief- oder vorbeistoßen, wie sie vor Wonne beinahe umkommen, wenn sie uns damit weh tun! Manchmal nehmen sie einen ganz großen Spiegel, ziehen uns ganz nackt aus und lassen uns die allerverrücktesten Stellungen einnehmen, die ihre Phantasie nur zu ersinnen vermag; ihre lüsternen Augen schweifen über unser Gesicht, den Busen, die Schultern, den Bauch, die Möse und die Arschbacken, und ich kann dir gar nicht sagen, wie sie sich an dem Anblick weiden, welche Lust sie daran haben. Und wie oft, glaubst du, lassen sie ihren Mann, der’s ihnen macht, oder ihren Lustknaben, dem sie’s machen, kommen und sich durch eine Ritze in der Tür das Ganze ansehen.

Pippa: Wirklich? Ist das wahr?

Nanna: Ich wollte, es wäre nicht wahr. Und wie oft, glaubst du, machen sie nach Pfaffenmode die Gruppe ›die drei Glücklichen‹ ? O Abgrund der Hölle, öffne dich jetzt oder nie, öffne deine Pforten ganz weit! Ich habe welche gekannt, die auf alle mögliche Art ihre Freundinnen schließlich so weit gebracht hatten, daß sie sich von ihnen in einem Wagen in Gegenwart des Kutschers vornehmen ließen, auf offener Straße, wo die Leute hin und her gingen; daran hatten sie ein ganz besonderes Vergnügen – denn wenn die Pferde, von Peitschenhieben angetrieben, sich in Galopp setzten, machte der Wagen hopp, hopp, und da kamen Stöße heraus, die sie bis dahin noch nicht gekannt hatten.

Pippa: Was für Gelüste!

Nanna: Ein anderer traf mit seiner Signora ein Abkommen – es war so um den August herum –, sie sollte ihm die Regentage bewilligen; sowie ein Regentag kam, mußte sie mit ihm zu Bette gehen und mußte drinbleiben, solange die Güsse dauerten; stelle dir bloß vor, wie langweilig es für einen gesunden Menschen ist, einen oder zwei Tage zwischen den Bettlaken zu liegen und sogar im Bette zu essen oder zu trinken wie ’n Kranker.

Pippa: Ich könnte das einfach nicht aushaken.

Nanna: Ist es nicht zum Verrecken, wenn ’ne Frau nichts anderes zu tun hat, als einem das Vergnügen zu machen, ihn zu kitzeln und ihn an den Oliven zu krabbeln? Und was fürn Kreuz, ihm fortwährend den Piepmatz wachhalten zu müssen und immer an den Rändern seiner Mistgrube rumzufingern! Da soll mir doch einer von diesen Hurenjägern mal sagen, wieviel Geld hinreicht, um eine so schmutzige und übelriechende Arbeit zu bezahlen? Ich sage dir dies alles, mein liebes Kind, nicht um dir Ekel davor zu machen; im Gegenteil, ich wünsche, daß du diese Sachen besser machst als irgend ’ne andere; sondern ich habe diesen Gegenstand nur berührt, um darzutun, daß wir den Lohn, den wir von unserm Geschäft haben, nicht gestohlen haben; wir bezahlen ihn mit dem Preis unserer Ehre und tauschen dafür Mühe und Elend ein. Ich möchte meine Seele dem Satan verschreiben, wenn ich höre, daß man uns treubrüchig nennt; wir brechen allerdings oft unser Wort – aber warum auch nicht? sind wir denn nicht Frauen, wenn wir auch huren? Und da wir Frauen und Huren sind, ist es so etwas Großes, wenn wir einen Schwur brechen, den wir mit unseren beiden Händen bekräftigt hatten, die ja gar nichts davon wußten? Die ganze Geschichte läuft darauf hinaus, daß die Männer soviel Spektakel darüber machen wie zeternde Schneidergesellen; wir Frauen aber sind ganz still davon und so schweigsam wie Schachspieler; für eine Lappalie geben wir und geben immerzu, und für eine Lappalie nehmen wir und nehmen immerzu. Und das kommt davon, daß wir bisher niemals soviel Grütze hatten, ihnen die Speise am teuersten zu verkaufen, die ihrem Geschmack am meisten zusagt. Man sagt uns hingegen nach, die Speisen, worauf wir am meisten Appetit haben, seien mit Gold und Silber gewürzt; das ist ja recht niedlich, daß die Männer tun, als seien wir habsüchtiger als sie! Du kannst an deiner Nasenspitze die Frauen abzählen, welche Burgen und Städte ausgeliefert, ihre Könige, ihre Herren und Dominus teco verraten haben, aber an den Fingern herzählen, ja sogar mit der Feder zusammenrechnen kannst du die Menge der Männer, die diese Verbrechen sogar gegen die Heiligen Väter, die Hirten der Welt, begangen haben, begehen und begehen werden.

Pippa: Da habt Ihr vollkommen recht, und deshalb bringt Ihr auch die besten Beispiele aus Eurem Sack zum Vorschein.

Nanna: Laß sie also nur machen, was sie wollen, und sagen, was sie wollen; schweige fein still und lache im stillen über den Dummkopf, der einen großen Spektakel anhebt und überall herumkrächzt: »Das halunkische Frauenzimmer, die gemeine Hure hat mir ihr Versprechen nicht gehalten!« Und wenn du überhaupt was darauf antworten willst, so sage ganz laut: »Das hat sie von euch gelernt, ihr Spitzbuben!«

Pippa: Das werd ich ihnen mit Grazie ins Gesicht sagen.

Nanna: Es ist ein Genuß, ihnen mit ’nem Lederriemen ’nen tüchtigen Denkzettel auf den Hintern zu geben, so daß er rot wird, wenn sie uns vorwerfen, wir seien nicht mal mit fünfundzwanzig Liebhabern zufrieden, und uns zurufen: »Läufige Wölfinnen, Hündinnen!« Wie wenn sie, die läufigen Wölfe und Hunde, mit ’ner einzigen zufrieden wären! Es ist ihnen nicht mal genug, eine jede zu beschnuppern, die ihnen in den Weg kommt, die sämtlichen Weiber der Welt genügen ihnen nicht einmal, sondern sie jagen auch noch ruhelos umher und befriedigen ihre Wollust mit den Küchenjungen der dreckigsten Kneipen von ganz Rom. Wenn ich nicht befürchtete, man sagte mir nach, ich hätte nur darum ’ne Pike auf die Sodomiter, weil sie uns drei Viertel von unserm Verdienst wegnehmen, so würde ich dir Sachen von diesen Schweinehunden erzählen … Sachen, daß du dir die Ohren zuhalten würdest, um sie nicht länger mehr mit anzuhören!

Pippa: Möchte die Erde sie verschlingen, die Halunken!

Nanna: Ich komme jetzt zu den Weibern, die sich von den Halunkereien gewissenloser Männer betölpeln und zugrunde richten lassen.

Pippa: Bitte!

Nanna: Es war mal eine – ihr wäre besser gewesen, wäre sie nie geboren! –, die kriegte es endlich satt, noch länger die Wutanfälle, Niederträchtigkeiten, Beschimpfungen und Grobheiten zu ertragen, womit ihr Lümmel von Liebhaber sie zwei Jahre lang gequält hatte; sie machte sich davon, indem sie nichts mitnahm, als was sie auf dem Leibe hatte, und ihre ganze Einrichtung zurückließ, sowohl das von ihm Erhaltene, wie auch das, was sie selber schon gehabt hatte. Und als sie ging, tat sie ein Gelübde, sie würde nicht eher wiederkommen, als bis sie zu Staub und Asche zerfallen wäre. Dabei blieb sie auch, mit dem ganzen Eigensinn einer eigensinnigen Frau, und sie fuhr jedem, der ihr davon sprach, sie sollte doch wieder mit dem Verlassenen anbändeln, mit den Nägeln ins Gesicht. Er schickte Freunde, Freundinnen, Kuppler, Kupplerinnen zu ihr, ja sogar seinen Beichtvater, aber niemand konnte sie von ihrem Entschluß abbringen. Natürlich schickte er ihr ihre Sachen nicht wieder. Denn einer, der seine Geliebte verloren hat, denkt stets, er könnte sie dadurch wiederbekommen, daß ihre Sachen noch in seinen Händen verblieben sind. Nun paß auf, wie’s weiter kam! Der Halunke dachte fortwährend über das Mittel nach, sie wiederzubekommen, und nach einigen Wochen fand er eins, und nachdem er’s gefunden hatte, geriet er vor Zorn in Feuer und Flammen, denn er meinte, er müsse sich schon dafür rächen, daß sie noch immer nicht hatte in sein Haus zurückkehren wollen. Was machte er also? Er tat, als bekäme er einen plötzlichen Fieberanfall und fürchterliche Brustschmerzen, und fiel um, so lang er war. Die ganze Nachbarschaft sprach davon, Diener und Dienerinnen liefen herzu und erinnerten ihn daran, daß er für das Heil seiner Seele Sorge tragen möchte; seinen Leib – dem nicht das geringste fehlte – hielten sie schon für futsch.

Pippa: Wer nicht auf seine Füße achtgibt, der fällt auf die Nase.

Nanna: Der Mönch kam und setzte sich mit einem ›Gott schenke Euch die Gesundheit wieder!‹ an seine Seite, redete ihm zu, er möchte nur guten Mut bewahren, und begann dann von den schweren Sünden, den Todsünden. Er fragte ihn, ob er je einen Menschen ermordet hätte oder hätte ermorden lassen. Der Spitzbube bricht in Tränen aus und ruft: »Ich habe Schlimmeres begangen! Was mir zugestoßen ist, das ist nur der Lohn für meine Schlechtigkeit gegen Signora …« Und kaum hatte er ihren Namen so leise genannt, daß der Mönch ihn gerade eben noch hören konnte, so fiel er in eine Ohnmacht – das heißt, er tat so. »Essig! Essig!« schrie man im ganzen Hause. Man wusch ihm die Schläfen damit, und er kam sofort wieder zu sich, fuhr in seiner Beichte fort und sagte mit halberstickter Stimme: »Vater, ich sterbe, ich fühle wohl, wie’s mit mir steht; und da wir eine Seele haben und da es auch eine Hölle gibt, so vermache ich mein Landgut in Dingsda der Signora, deren Namen ich Euch genannt habe. Teilt es ihr mit, jedoch nicht so, wie wenn ich Euch mit der Botschaft beauftragt habe, sondern wie wenn Ihr aus freiem Antrieb zu ihr kämet; und sollte es mit mir noch ein bißchen besser werden, so will ich die Bestimmung vom Notar in mein Testament aufnehmen lassen.« – Hiermit brach er seine Beichte ab; Seine Ehrwürden erteilte ihm die Absolution und ging flugs zur Signora; er nahm sie beiseite und berichtete ihr getreulich alles, was er von dem Vermächtnis wußte.

Pippa: Da war sie verloren!

Nanna: Als sie das Wörtchen ›Landgut‹ hörte, da begann ihr sofort das Herz vor Freuden zu hüpfen; aber sie nahm sich ein bißchen zusammen, schüttelte den Kopf und kniff die Lippen zusammen, wie wenn sie das Geschenk verachtete; dann sagte sie, indem sie kaum das Mündchen auftat: »Ich mache mir weder aus Landgütern noch aus Vermächtnissen das allergeringste.« Darüber ärgerte sich nun der Pater; er wandte sich zu ihr und rief: »Aus was für ’nem Stoff seid Ihr denn gemacht? Dürft Ihr einer Sache spotten, die Euch auf solche Weise per dominum nostrum als Geschenk zufällt? Was für ’ne jüdische Ketzerin würde schuld sein wollen, daß eine Seele der Verdammnis anheimfällt? Denkt an Euer Herz, das Ihr in der Brust habt, meine Beichttochter, zieht Euch hopp, hopp an und lauft wie der Blitz zu ihm. Es ist mir, wie wenn mir’s in den Ohren summte: ›Er wird genesen, wenn sie zu ihm geht!‹« Pippa, es ist der Deubel, wenn man was von ’ner Erbschaft hört. Um so etwas kreuzigen Brüder und Vettern einander; darum machte denn auch die vom frommen Vater Betölpelte sich sofort auf den Weg; und als sie zur Tür ihres früheren Liebsten kam, da klopfte, sie so laut und dreist, wie nur die Herrin des Hauses es tut. Sobald man das Ticktack vernahm, ließ der Herr, der wie ein Toter im Bette lag – obwohl ihm gar nichts fehlte –, ihr sofort öffnen; in zwei Sätzen sprang sie die Treppe hinauf, eilte auf ihn zu und umarmte ihn, ohne ein Wort zu sagen, denn die Tränen, die nicht geheuchelt, aber auch nicht ganz aufrichtig waren, verhinderten sie am Sprechen.

Pippa: Wo will denn das hinaus?

Nanna: Der Ischariot, der Ischariot wußte im Schlafen besser, wo’s hinauswollte, als sie mit wachenden Augen. Wie wenn ihre Ankunft ihn von den Toten auferweckt hätte, stand er auf, nannte ihren Besuch ein Mirakel und war in vier Tagen wieder vollkommen gesund und munter. Dann sagte er ihr: »Wir wollen auf das Landgut gehen, das ich dir vermacht habe, als ich auf dem Sterbebett zu liegen glaubte; ich mache es dir zum Geschenk, da ich dank deiner Güte wiederhergestellt bin.« Sie reiste mit ihm hin, und als sie glaubte, den Besitz der Ländereien anzutreten, wurde sie der Begier von mehr als vierzig Bauern ausgeliefert, die an diesem Festtag – man feierte San Galgano – in einer fensterlosen, halb schon in Trümmer zerfallenen Scheuer versammelt waren und schon vorher davon schnatterten, was für ’ne Lust es sein müßte, es mal ’ner Städterin und großen Hure zu machen, wenn solche Manna ihnen zwischen die Zähne käme.

Pippa: So wurde also wirklich die Erdbeere dem Bären in den Rachen geworfen.

Nanna: So war es. Und wenn ich dir einen Begriff geben sollte von den verrosteten Dingern, die sie aus ihren Hosenlätzen herausholten, da müßte ich sie schon mit Schneckenhörnern vergleichen. Aber das ist kein anständiges Wort. Auch darf ich dir nicht die Gebärden beschreiben, die sie machten, wenn sie den vollen Strahl auf die Mühle losließen. Genug: Sie schüttelten den Pfirsichbaum nach Dörfersitte, und wie die von den Ermahnungen des Mönches auf den Leim Gelockte nachher erzählte, der Schmutzgestank, den sie verbreiteten, ihre nach Rüben stinkenden Rülpse und ihre Fürze waren eine unerträglichere Marter als der Gedanke, daß ihre Ehre in Fetzen gerissen wurde.

Pippa: Das will ich glauben.

Nanna: Nachdem die Bauern genug hatten – sie hatten sie mit ihrem Öl angefüllt wie ein Faß –, stand sie zerzaust da und kratzte sich überall; da packte man sie und warf sie auf eine Decke, deren vier Zipfel von derben Fäusten gehalten wurden. Und dieselben Einunddreißiger warfen sie so hoch, daß sie eine Drittelstunde brauchte, bis sie wieder herunterkam; ihr Hemd und ihre Röcke wurden vom Winde aufgebläht, und sie zeigte der Sonne ihren Mond; und wenn ihr nicht die Angst in den Unterleib gefahren wäre, so daß sie die Decke und die Hände, die sie hielten, mit Firnis überzog, so würde sie noch heut in der Luft schweben.

Pippa: Möchte auch der Kopf des Kerls, der solche Schmach duldete, in der Luft schweben!

Nanna: Als ihm dünkte, die Einunddreißiger hätten sie genug gekitzelt und die Decke hätte ihr genug Kurzweil verschafft, ließ er Weidenruten bringen, und sie mußte sich spreizbeinig auf die Schultern eines großen Lümmels setzen; dieser hielt sie ganz fest, sie aber sah aus, als haspelte sie eine Garndocke ab, so schlug sie mit Armen und Beinen um sich; aber sie hatte ein gar zu verfolztes Garnknäuel auf der Haspel, und nachdem sie sich eine gute Weile gewehrt hatte, bekam sie so viele Rutenstreiche auf den Popo, als die Zahl der Tage betrug, die sie sich hatte bitten lassen, ehe sie wieder zu ihm kam. Und damit nichts an der neronischen Grausamkeit des erbärmlichen Halunken fehlte, schnitt er ihr die Röcke dicht unterm Gürtel ab und ließ sie mit seinem Segen laufen, wohin sie wollte.

Pippa: Möchte ihm das Richtbeil auf den Hals fallen, das der Henker so oft erhebt, um Leute zu bestrafen, die es weniger verdient haben als dieser Schuft!

Nanna: Man erzählte sich – und es war auch wahr –, daß, als sie davonging und sich die Scham mit der Hand bedecken wollte, ein Bienenschwarm ihr zwischen die Schenkel gefahren wäre, weil er geglaubt hätte, dort wäre sein Stock.

Pippa: Das fehlte ihr noch gerade!

Nanna: Ich halte große Stücke auf eine Junge, die zu den allergewitztesten Huren von ganz Rom gehört; diese ließ sich von dreihundert Dukaten ködern, die einer, der vor Liebe zu ihr tat, als wollte er sterben, ihr in seinem Testament aussetzte. Sie bemerkte, daß er nur so tat, als ob er in den letzten Zügen läge, und daß das Testament, worin das Liedlein von den Dreihundert stand, nur dazu da war, damit sie zu ihm eilen sollte und um ihr die Hoffnung vorzugaukeln, die sie sich machen könnte, wenn sie ihm zu Willen wäre. Weißt du, was sie tat?

Pippa: Ich weiß es nicht, aber ich möchte es wohl wissen.

Nanna: Sie gab ihm ein Häppchen Gift und spedierte ihn in den Sarg; und so brachte das Testament ihr die baren blanken Dukaten ein.

Pippa: Ich will für sie den Rosenkranz beten; und ich hoffe, daß um meiner Paternoster willen der liebe Herrgott von Imola die Kürbisse von alleine blühen läßt und ihr eine so wackere Sünde vergibt.

Nanna: Aber ein Dorn macht noch keine Hecke, und eine Ähre ist keine Ernte. Wenn diese auf ihren Vorteil zu sehen wußte, so kannte ich dafür ’ne andere, die sich damit abgab, geknickte Mohnstengel wieder aufzurichten; sie hatte ganz ohne ihr Verschulden von ihrem Liebsten einen Riesenschmiß bekommen, ein ganz brenzliges Ding, eine Schmarre von sieben Nadeln. Er vergoß darob ein paar Tränchen, stieß ’ne Anzahl Seufzerchen aus und schwor ihr die allerfalschesten Eide; daraufhin ließ sie, obwohl sie noch die Binde überm Gesicht hatte, nicht nur sich wieder begütigen, sondern sie willigte sogar ein, fast jede Nacht bei ihm zu schlafen. Und als sie glaubte, sie würde als Schmerzensgeld irgendein großes Geschenk von ihm bekommen, da fand sie sich eines Morgens schlimmer dran als Don Falcuccio, seligen Angedenkens. Er plünderte sie rein aus, bis auf ’nen silbernen Fingerhut, und sie konnte sich mit ihren Fäusten den Busen bearbeiten und konnte sich mehr Haare ausraufen, als eine Tochter es tut, wenn ihre Mutter die Augen zum ewigen Schlaf geschlossen hat.

Pippa: Den Deixel auch, ob ich mich nicht im Dunkeln zurechtfände, wenn Ihr so mit dem angezündeten Armleuchter vor mir hergeht!

Nanna: Pippa, erinnerst du dich noch, was dir früher immer passierte, wenn du aufstandest, um zu pinkeln, während ich schlief?

Pippa: Gewiß, bei der Madonna, ja!

Nanna: Weißt du noch? Wenn du dich wieder hinlegen wolltest, konntest du meistens das Bett nicht finden, und je länger du leise auf den Fußspitzen herumtastetest, desto mehr gerietst du in die Irre; und du hättest dich niemals zurechtgefunden, wenn du mich nicht aufgeweckt hättest.

Pippa: Das stimmt.

Nanna: Nun, wenn du selbst in den kleinsten Dingen nichts ohne mich tun kannst, so sieh zu, daß ich auch in den großen dir als Kandelaber diene; bei allem, was du tust, denk an mich, höre auf mich, gehorche mir und halte dich an meinen Rat. Und wenn du das tust, so brauchst du weder vor Riesen noch vor Zwergen dich zu fürchten. Soviel ist gewiß, wir müssen stets helle, sehr helle sein, denn mit uns ist’s wie mit den Spielern: Wenn sie mit ihren Karten und Würfeln sich die Kleider beschaffen, so langt’s doch nicht zu den Strümpfen. Nimm jede x-beliebige Hure, mag sie noch so reich, so beliebt, so schön sein – am Ende gleicht sie doch ’nem alten gichtbrüchigen Kardinal, der niemals Papst wird, weil nur der Tod ihm seine Stimme gibt.

Pippa: Ihr sprecht in hohem Stil!

Nanna: Ich komme aus dem Geleise, weil ich zu scharf geradeaus fahren wollte; das passiert manchmal auch solchen, die die Wörtchen aneinanderreihen, wie wenn’s Rosinen wären. Ich möchte dir die Überzeugung beibringen, daß die allerglücklichste und allerzufriedenste Hure im Grunde doch unglücklich und unzufrieden ist. Mögen sie schnattern und schwätzen – es ist nun doch mal so! Der Haushofmeister von Malfetta pflegte zu sagen, das Glück und die Zufriedenheit einer Hure seien leibliche Schwestern von den Hoffnungen eines Kavaliers, der in der Hand die Anzeige hält, daß der Soundso gestorben sei; und gerade, wie er die Erbschaft in Besitz nehmen will, da wird der angeblich Verstorbene wieder gesund. Aber sie, die so dicktun, sollen mir doch mal sagen: Ist eine Frau glücklich, die – wie ich dir erzählt habe –, mag sie stehen, gehen, schlafen, essen, mag sie Lust haben oder nicht, stets, wenn sie sich niedersetzt, sich nicht auf ihre eigenen Hinterbacken setzt, die nicht auf ihren eigenen zwei Beinen geht, nicht mit ihren eigenen Augen schläft und nicht mit ihrem eigenen Munde ißt? Ist eine glücklich, auf die man überall mit den Fingern zeigt, der man nachruft, sie sei gemeines Pack, sei aller Welt Weib. Pippa! Oh! Ist denn jede Hure aller Welt Weib?

Nanna: Ja.

Pippa: Wieso denn?

Nanna: Sie muß jeden raufklettern lassen, wenn er Geld ausgibt, um sich seine Gelüste zu vertreiben, er sei ein reicher Herr oder ein lausiger Lohgerberknote oder sonst was, denn die Dukaten sind ebensoblank in der Hand des Dieners wie in der des Herrn; wenn die Taler eines Wasserträgers bei den Talern eines Stutzers liegen, der lauter Wohlgeruch scheißt, haben sie alle denselben Wert, und wer sie kriegt, der wertet die einen nicht höher als die anderen; so muß man auch, wenn’s Geld zu verdienen gibt, dem Knecht so gut aufmachen wie dem König. Darum ist jede Hure, die Batzen und nicht Degen und Knüppel will, Futter für alle.

Pippa: Besser kann man’s nicht ausdrücken.

Nanna: Frage nur die Kanzeln – nicht bloß die Prediger selber –, ob wir glücklich und zufrieden sind! Wie sie sich hoch aufrichten und über uns herfallen!: »Pfui! verruchte Beischläferinnen des Gottseibeiuns! Irrwischbräute! Luziferschwestern! Scham der Welt! Schandfleck eures Geschlechtes in mulieribus! die Drachen der Hölle werden eure Seelen fressen, werden sie verbrennen; Pfannen voll siedenden Schwefels erwarten euch, rotglühende Bratspieße winken euch, die Tatzen der Dämonen werden euch zerreißen; in euer zuckendes Fleisch werden sie ihre Klauen schlagen, mit Schlangengeißeln werdet ihr gezüchtigt werden in aeternum, in aeternum!« Dann kommen die Beichtiger: »Ite in igne, in igne, sag ich euch, Halunkengesindel, Sündenschläuche, Männermörderinnen, Hexen, Zauberinnen, Teufelinnen, Spioninnen des Teufels, geile Wölfinnen!« Sie wollen uns nicht mal anhören, geschweige denn uns Absolution erteilen. Kommt dann die heilige Woche, so sehen sie die Juden, die doch unsern Herrgott ans Kreuz schlugen, mit milderen Blicken an als uns, und dazu beißt uns auch unser eigenes Gewissen und ruft uns zu: »Geht hin und laßt euch unter einen Misthaufen begraben; laßt euch nicht vor den Augen von Christenmenschen sehen!« Und wodurch befinden wir uns in so kläglicher Lage? Bloß um der Männer willen, weil wir ihnen zu Gefallen waren. Aber warum haben sie uns zu dem gemacht, was wir sind?

Pippa: Warum schilt man nicht auf die Männer genauso wie auf uns?

Nanna: Das wollte ich ja eben sagen! Seine väterliche Hochwürdigkeit der Herr Prediger müßte sich zu den hohen Herrschaften wenden und ihnen sagen: »O ihr, ihr Versucher, warum notzüchtigt, besudelt, schändet ihr die Hurenweiblein, die vertrauensseligen dummen Trinen, die Leichtfertigen? Und wenn ihr durchaus nach euren Lüsten mit ihnen umspringen müßt, warum bestehlt ihr sie noch obendrein, warum mißhandelt ihr sie, warum stellt ihr sie an den Pranger?« So müßte der Dickwanst sprechen, damit diese Schlangen, Schmorpfannen, Bratspieße, Natterngeißeln, diese Klauen und Tatzen und alle die Satanasse sich mal gegen die Schändlichkeiten der Männer wendeten.

Pippa: Vielleicht tun sie das noch mal.

Nanna: Denke nur nicht daran, glaube das nur nicht, setze darauf keine Hoffnung, denn wehe dem Schwachen! Darum werden die Männer von den Pfaffen gestreichelt, nicht gegeißelt. Doch nun komme ich auf die Mittel, wie wir uns bei denen, die uns von oben und von unten quälen, dennoch schadlos halten können.

Pippa: Mich dünkt, Ihr habt mir davon schon gesprochen.

Nanna: Nein, da irrst du dich. Übrigens soll man eine wichtige Mitteilung zwei- oder dreimal wiederholen. Pippa, ich möchte wohl mal jene parfümierten Laufen fragen, jene Schafsköpfe, die uns was anhängen wollen, bloß weil wir auf unseren Vorteil bedacht sind und weil wir uns von jedem die Dienste, die er von uns verlangt, bezahlen lassen – ich möchte sie wohl mal fragen, warum und aus welchem Grunde wir anderen Leuten um ihrer schönen Augen willen zur Verfügung stehen sollen? Da ist der Barbier, der wäscht dir den Kopf und rasiert dich; und warum? Um deines Geldes willen. Die Winzer würden im Weinberg keine Hacke rühren, die Schneider keinen Nadelstich an ’ner Hose machen, wenn ihnen nicht die Batzen in den Beutel tanzten; liege krank und bezahle nicht, da wird der Arzt dir ins Haus kommen – jawohl, morgen abend! Nimm dir ’ne Magd und zahl ihr ihren Lohn nicht, und du mußt selber machen, was eigentlich sie tun sollte; geh aus, um einen Salat, ein Bündchen Wurzelwerk, um Öl, um Salz, um irgendwas Beliebiges – wenn du kein Geld hast, wirst du ohne Waren zurückkommen; man bezahlt ja sogar die Beichte, die Vergebung der Sünden.

Pippa: Halt! die wird jetzt nicht mehr bezahlt!

Nanna: Was weißt denn du davon?

Pippa: Das hat mir der Beichtiger gesagt, als er mir mit dem Stäbchen auf den Kopf tippte.

Nanna: Das kann ja sein, aber denke nur an den Priester oder wer dir sonst die Beichte abnimmt; wenn du ihm nichts gibst, wirst du schon sehen, was für ’n schönes Gesicht er dir macht. Aber damit mag es sein, wie’s will – die Menschen werden jedenfalls bezahlt, und wer nicht auf dem Armenfriedhof oder an der Kirchhofsmauer begraben sein will, der bezahlt auch das Kyrieeleison, das Porta inferi und das Requiem aeternam. Mehr will ich dir nicht sagen. Die Gefängnisse von Corte Savella, von Torre di Nona und im Kapitol halten dich in gar enger Haft, und trotzdem wollen sie bezahlt und sogar teuer bezahlt sein. Sogar der Henker kriegt sein Geld: drei oder vier Dukaten für jeden Kopf, den er abhackt, und für jeden Hals, den er an den Galgen henkt; er würde keinem Spitzbuben die Stirn brandmarken, keinem Schandbuben die Nase abschneiden, keinem Betrüger ein Ohr abschlagen, wenn nicht der Senator oder der Gouverneur, der Podesta oder Bürgermeister ihm seinen gebührenden Lohn gäben. Geh in die Metzgerei und bekomme vier Ünzchen Hammelfleisch übers geforderte Gewicht – wenn man sie dir läßt, ohne daß du den entsprechenden Geldbetrag drauflegst, so kannst du sagen, ich sei nicht mehr ich. Sogar die Schmerpfaffen, die den Eiersegen sprechen, kriegen ihren Lohn dafür. Wenn es dir also recht und billig scheint, deinen ganzen Leib und alle deine Glieder, alle deine Gefühle hinzugeben für ein ›Schönen Dank, liebe Signora!‹ – so kannst du’s meinetwegen tun. Und wenn du den Kaufleuten, die keinem ins Gesicht sehen, ohne Gewinn daraus zu machen – wenn du dich denen umsonst hingeben willst, dann gib dich nur!

Pippa: Ich nicht! Ich denke ja gar nicht dran!

Nanna: Darum versteh mich recht, und wenn du mich recht verstanden hast, so wende meine Ratschläge auch an! Wenn du sie befolgst, werden die Männer sich nicht gegen dich schützen können, während du dich vor ihnen in acht zu nehmen wissen wirst. Laß sie nur an den Fenstern der Zimmer, von denen man in die deinigen sehen kann, stehen und die Augen verdrehen, in den Händen Halsbänder, Zobelpelze, Perlen oder volle Börsen, die sie schütteln, so daß die Dublonen erklingen – das sind lauter Dummheiten, Possen, Kinkerlitzchen, Kinderspielzeug. Auf solche Lockvögel darfst du nicht hereinfallen, das sind lauter Kunstsrückchen, um denen, die danach gucken, die Augen zu verblenden. Sobald sie bemerken, daß du mit ihnen liebäugelst, in der Meinung, sie wollten dir die hübschen Sachen schenken, da machen sie dir die Feige und rufen: »Da! das ist für dich, Luder, Sau, Vettel!«

Pippa: Wenn sie mir solche Zicken machen, werde ich die Rache nicht meinen Kindern vererben.

Nanna: Mach dich auch für die Näpfe bezahlt und für die Pechtöpfe, die sie dir unter die Fenster stellen und anzünden oder zerschmeißen, ja auch für die mit Wachs bestrichenen Tuchfetzen, mittels deren sie dir die Tür aus den Angeln heben und umdrehen, daß das Oberste zuunterst kommt. Und damit dieser Bohnensuppe nichts von ihrem Gewürze mangelt, dürfen nicht fehlen: Brüllen, Schreien, Pfeifen, Spektakeln, Fluchen, Furzen, Rülpsen und Drohen – die üblichen Morgengrüße, womit sie dich aus dem Schlaf wecken; in Prozession ziehen sie dir um dein Haus herum und posaunen dein kleinstes Mäkelchen aus, anstatt, wie sie’s eigentlich sollten, ihre eigenen Fehler auszuposaunen.

Pippa: Möchten sie das Brustweh kriegen!

Nanna: Einer von diesen Spaßvögeln und Tagedieben hatte mal einen großartig verrückten Einfall, ja wahrhaftig, den allerverrücktesten, den jemals ein verlogener, falscher und alberner Liebhaber gehabt hat!

Pippa: Was war denn das für ein Einfall?

Nanna: Um darzutun, daß er in der Hoffnung lebte, die Dame seiner Liebe einst sein eigen zu nennen, von ihr verstanden und, wenn sie ihn verstanden hätte, belohnt zu werden, kleidete er sich ganz und gar in Grün: Sein Barett war grün, und grün waren Mantel, Wams, Hosen, Degenscheide, -ortband und -griff, Gürtel, Hemd, Stiefel und sogar sein Kopf- und Barthaar, denn wenn ich mich nicht irre, so ließ er auch diese grün färben – grün waren Barettfeder, Agraffe, Nesteln, Schnürbänder und Überrock, und mit einem Wort: Alles an ihm war grün.

Pippa: Was für ’ne Krautschüssel!

Nanna: Hahaha! Er aß sogar nur noch Grünzeug: Kürbisse, Gurken, Wassermelonen, Kräutersalat, Kohl, Lattich, Borretsch, frische Mandeln und grüne Erbsen. Damit sein Wein grün aussähe, goß er ihn in ein grünes Glas. Gab es beim Essen Gelee, so saugte er nur die Lorbeerblätter ab, mit denen die Schüssel verziert war; sein Rosmarinbrot tränkte er mit Öl, so daß es eine grünliche Farbe bekam. Er setzte sich nur auf grüne Bänke, schlief in einem grünen Bett und sprach fortwährend von Gras, Wiesen, Gärten und Frühling. Wenn er sang, hörte man nur von Hoffnung, die ihre Bäume auf ährengrünen Feldern sprossen läßt, und seine Verse spickte er mit lauter Weinlauben, Pimpernellen und Löwenzahn. Wenn er seiner Diva einen Brief sandte, schrieb er ihn auf grünes Papier, und ich glaube, auch sein Stuhlgang war grün, desgleichen sein Urin – denn sein Gesicht, das war grün.

Pippa: Was für ein auserlesener Narr!

Nanna: Eine auserlesene Närrin war die, die daran glaubte, einer täte so was um ihrer göttlichen Schönheit willen und nicht wegen ihrer Dummheit. Willst du noch mehr davon hören? Er spielte so gut den Hoffnungsreichen und predigte soviel von seiner Liebe, daß die gute Kuh, um seine Hoffnung nicht zu enttäuschen, auf den Leim ging, indem sie sich einbildete, dieser Einfall mit der allgemeinen Grünigkeit sei ein schöner Tribut für ihre Schönheiten. Was sie von dem Grünling hatte, war einfach: Er plünderte sie gänzlich aus und ließ ihr nicht mal den Strohsack im Bett.

Pippa: Der Galgenvogel!

Nanna: Es war hier in Rom ein armes Frauchen, eine gewisse Quinimina. Die Natur hatte ihr ein bißchen Gesicht und ein bißchen hübsche Figur gegeben – gerade genug für sie, um sich leichter den Hals zu brechen und sich sicherer um Ehr und Ruf zu bringen – ähnlich wie’s dem Spieler geht, der vom Spiel gerade so viel versteht, um sich ganz bestimmt zu ruinieren. Von den Buchstaben wußte sie gerade so viel, daß sie einen Brief lesen konnte, den ein Schelm ihr schickte. O du lieber Gott! wie, zum Teufel, kommt es, daß Cupido die Leute im Dunkeln fängt? Wie kommt es, daß so ein kleiner Hemdenscheißer schon den Bogen zu spannen und die Herzen zu treffen weiß? Er trifft die Leistenbeule, die wir Frauen kriegen, wenn wir den Scharlatanerien Glauben schenken, wenn wir glauben, wir hätten Sonnenaugen, einen Goldkopf, Granatwangen, Rubinlippen, Perlenzähne, eine erhabene Miene, einen göttlichen Mund und eine Engelszunge. Wir lassen uns von den Briefen verblenden, die die Weiberjäger uns schicken, und so ließ sich auch die Unglückliche fangen, von der ich eben spreche. Damit alle ihre Bekannten davon sprächen, daß sie lesen könne, stand sie jeden freien Augenblick, den sie sich abknapsen konnte, am Fenster, mit ’nem Buch in der Hand. Da sah sie so ein Reimeschmied, und es fiel ihm ein, es könnte leicht möglich sein, daß er sie durch irgendein Geschreibsel, wenn’s mit Gold geschrieben wäre, auf den Leim lockte. Er färbte ein Blatt Papier mit dem Saft von Gelbveigelein – von der scharlachroten Sorte –, tunkte seine Feder in Feigensaft und schrieb ihr, ihre Schönheiten brächten die Engelein zur Verzweiflung, das Gold erhielte seinen Glanz von ihren Haaren, der Frühling entliehe seine Blumen ihren Wangen, und er brachte sie sogar so weit, daß sie steif und fest glaubte, die Milch würde weißer durch das Weiß ihres Busens und ihrer Hände. Nun urteile selber, ob sie im Punkte der Eitelkeit sündigte, da sie sich auf diese Art bis in den Himmel erhoben sah.

Pippa: Die dumme Gans!

Nanna: Als sie den Brief, der ihr Unglück werden sollte, zu Ende gelesen hatte, da kam es ihr vor, als hörte sie mehr Lob, als im Laudamus vorkommt, und sie fühlte sich im innersten Herzen zärtlich bewegt, und da sie sich beschworen sah, dem Schreiber eine Antwort zu geben, so warf sie sich jenem allein und ganz verschwiegen in die Arme – jener unvermeidlichen Redensart, die die Betrüger mit einem Anschein von freimütiger Offenheit in all diesen Briefen anbringen, damit wir ihnen sofort ein geneigtes Ohr leihen. Sie gab ihm ein Stelldichein auf den dritten Tag, weil dann ihr Mann Geschäfte in der Stadt hätte, und wartete auf sein Kommen.

Pippa: Wie? Sie hatte einen Mann?

Nanna: Leider, ja.

Pippa: Aber er, scheint mir, ist auch nicht zu beneiden!

Nanna: Sobald der Herr Sonettenmacher das Jawort hatte, trommelte er ich weiß nicht wie viele Tintenkleckser und Lautenrupfer zusammen und sagte zu ihnen: »Ich will einem verheirateten Hürchen ein Ständchen bringen; sie ist ein nettes Dingelchen, und ich werde sie demnächst unter die Presse nehmen. Und damit ihr mir’s glaubt – seht mal her, da steht sie Manu propria.« Er zeigte ihnen ein paar Zeilen, die sie ihm geschrieben hatte, und sie lachten ’ne gute Weile darüber. Dann nahm er seine Laute, die er im Nu gestimmt hatte, schlug darauf einen Triller in ziemlich bäuerischem Geschmack, räusperte sich aus voller Kehle mit einem Haha! und stellte sich unter das Kammerfenster seiner Geliebten, das auf ein Nebengäßchen hinausging, wo vielleicht alle Jahre einmal ein Mensch durchkam. Die Schultern an die gegenüberliegende Hauswand gestützt, stemmte er das Instrument gegen seine Brust, wandte sein Antlitz nach oben, wo sie ab und zu ans Fenster huschte, um gleich wieder zu verschwinden, und sang das folgende Ständchen:

Geliebte, nicht um alles Gold der Welt
Möcht ich zu deinem Preis zur Lüge mich bequemen,
Denn dessen müßtest du und müßte ich mich schämen.
Dem Wohlgeruch aus Indiens Zauberreichen
Will deines Atems Duft ich nicht vergleichen;
Auch sag ich nicht, daß golden sei dein Haar
Und daß in deinen Augen wunderbar
Gott Amor wohne, daß von ihrem Schein
Die Sonne müsse ihre Strahlen leihen;
Daß wie Rubinen rot dein Lippenpaar,
Wie weiße Perlen deiner Zähne Reihen.
Und dein Benehmen ist auch nicht so fein,
Daß zum Bordell mit mächtgem Überschwang
Die Flüsse zöge heißer Sehnsuchtsdrang.
Doch sag ich gern: Du bist ein süßer Fratz;
Ich wünsche mir auch keinen andern Schatz.
Um dir’s zu machen, schlüpfte hurtig wohl
Ein Eremit aus seinem Klausnerkamisol.
Doch eine Göttin? Dazu langt es nicht –
Von solchem Unsinn schweige mein Gedicht!
Auch strömet ja aus deinem Risse
Nicht Rosenwasser, sondern Pisse.

Pippa: War ich an ihrer Stelle gewesen, ich hätte ihm den Nachttopf an den Kopf geworfen.

Nanna: Sie war nicht grausamer, als du mal sein wirst, wenn dir so was passiert, und war mit dem Ständchen sehr zufrieden und sehr stolz darauf. Sie wartete nicht einmal den Tag ab, an welchem ihr Mann Geschäfte in der Stadt hatte, sondern begab sich schon am nächsten Tag heimlich zu einem Stelldichein mit dem Mosje Firlefanz in das Haus eines mit diesem befreundeten Bäckers. Bei dieser Gelegenheit gab sie ihm einen Damengürtel zum Aufbewahren. Kaum sah er den Gürtel, so dachte er bei sich selber: ›Die Bernsteinperlen werden ein hübsches Armband für mich abgeben, und die Goldkugeln werden mir Geld in den Beutel bringen‹ Gedacht, getan! Er ging in die Münze und tauschte für das ungeprägte Metall blanke Dukaten ein; siebenunddreißig vollwichtige Dukaten bekam er für die goldenen Paternosterkugeln, die zwischen den Bernsteinperlen gewesen waren. Diese verspielte er sofort. Und als er ohne das Geld in das Haus des Bäckers kam, kriegte er einen Wutanfall, wie er Leuten, die dank den Würfeln aufgeschmissen sind, oft zu Kopfe steigt; er gab der Leberblume die Schuld, die die Petersilie hatte – oder das Prezzemolo, wie die gelehrten Sibyllen das Kraut nennen –, schlug sie mit seinem Stock braun und blau und ließ zum Schluß Fausthiebe auf sie niederhageln, daß sie die Treppe herunterfiel.

Pippa: Wohl bekomm’s ihr!

Nanna: Sie verbarg sich im Kämmerchen der Wäscherin Soundso und blieb dort die ganze Nacht, ohne für eine Unze Schlaf zu kriegen. Sie hatte also Zeit in Hülle und Fülle, um an ihre Rache zu denken; und was für eine Rache sie sich ausdachte, will ich dir sagen: Den Gürtel, den der schlechte Kerl ihr stibitzte, den hatte ihr Mann selber gestohlen, und zwar in dem Hause dahinten, neben dem Palast des Kardinals della Salle, du weißt wohl? Wo es vor nicht gar langer Zeit brannte, und sie hatte ihn wiederum ihrem Mann aus einem Koffer gemaust. Als sie nun sah, daß sie ihren Gürtel nicht mehr hatte, wollte sie sich an dem Grobian rächen, der sie so nach Noten verdroschen hatte, und begab sich, ohne weiter an die Folgen zu denken, zu dem Besitzer des abgebrannten Hauses und erzählte ihm, der Soundso habe seinen Gürtel. Als der Edelmann die ganze Geschichte gehört hatte, ließ er zunächst den Dieb greifen, der den Gürtel zuerst gestohlen hatte; und der Vorsitzende der Corte Savella dachte sich, der Mann müßte wohl noch ’ne ganze Menge andere Sachen gestohlen haben, und ließ ihn ein bißchen am Galgen zappeln. So hatte das dumme Schaf von der ganzen Geschichte nichts als Schaden und Schande für sich und ihren Mann, und der Bursche, der sie zum besten gehabt und verprügelt hatte, wußte den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Pippa: Geschieht einer recht, die sich betölpeln läßt.

Nanna: Aber was ich dir bis jetzt vorführte, waren nur Pfeffer-, Hirse- oder Getreidekörner, höchstens Trauben- oder Granatapfelkerne. Nun aber entfalte ich das Bettuch in seiner ganzen Größe und zeig es dir von oben und von unten: Ich erzähle dir nur noch eine einzige Geschichte, in der kein Wörtlein Bombast ist, und dann geb ich dir für heute frei. Darum hör mir zu, und wenn du dir das Weinen verhalten kannst, so verhalt es dir!

Pippa: Die Geschichte handelt wohl von irgend ’ner Frau, die erst geschwängert und dann weggejagt wurde?

Nanna: Schlimmer!

Pippa: Von einem Mädchen, das der Mama und dem Papa weggenommen, darauf geprügelt und mitten auf der Straße stehengelassen wurde?

Nanna: Meiner erging es schlimmer als einer, die bloß ins Gesicht geschlagen wird, der man die Nase abschneidet und die im bloßen Hemde, geschändet, von dem Franzosenübel angesteckt und in der allertraurigsten Verfassung auf die Straße gejagt wird.

Pippa: O du himmlischer Herrgott, steh uns bei!

Nanna: So geht’s einer, wenn sie sich ohne Maß und Ziel verliebt.

Pippa: Die Geschichte stammt gewiß von einem jener Poeten, die ich, wie Ihr meint, einlassen und umsonst rüberlassen soll.

Nanna: Davon habe ich dir nichts gesagt! Ich wünsche, daß du ihnen Liebkosungen, aber niemals etwas Reelles gibst. So gehört es sich, damit sie dich nicht mit ihren spöttischen Lobliedern zerfetzen und damit, selbst wenn sie dich mit ihren Narrengedichten anulken, es nicht aussieht, als bezögen sich diese auf dich.

Pippa: Wenn’s so gemeint ist, dann lasse ich mir Euren Rat gern gefallen.

Nanna: Ich erinnere mich nicht mehr, was ich dir sagen wollte.

Pippa: Ich auch nicht.

Nanna: Darum solltest du mir nicht das Wort aus dem Munde nehmen!

Pippa: Ich muß mich aber doch um das bekümmern, was mich so nahe angeht.

Nanna: Jetzt hab ich’s – ein König! von einem König wollte ich dir erzählen und nicht von ’nem Dokterchen oder ’nem Rittmeisterchen – nein, von ’nem richtigen König! Der zog mit ’ner ganzen Welt von Fußsoldaten und Reitern ins Feld und fiel in das Land eines andern Königs ein, seines Feindes. Nachdem er nun geplündert, gesengt und verwüstet hatte, zog er gegen eine feste Stadt, in die sich sein Gegner, der trotz allen möglichen Anerbietungen seinen harten Sinn nicht hatte rühren können, mit seinem Weibe und seiner einzigen Tochter geflüchtet hatte. Nun konnte, solange der Krieg dauerte, der König, der die Stadt einnehmen wollte, sich weidlich abquälen, denn sie war so stark, daß Herr Giovanni de Medici, der der Kriegsgott Mars selber ist, sie nicht würde eingenommen haben, und hätte er noch soviel bombardiert, kanoniert und arkebusiert. Aber wie dem auch sei – der König, der sie belagerte, vollbrachte Wunderdinge in den Scharmützeln; dem einen spaltete er den Kopf, dem andern hieb er einen Arm ab oder eine Hand, einen dritten traf er mit seiner Lanze, daß er ’ne Meile hoch in die Luft flog – und bei Freund und Feind war des Wunderns und Preisens kein Ende. So warf sich die ruhmredige Fama zu seiner Führerin auf, zog ihm voran im Triumph durch das Lager und begab sich dann in die Stadt, ging zur Tochter des unglücklichen Königs und sprach: »Geh auf die Mauer, und du wirst den schönsten, tapfersten und herrlichst gerüsteten Jüngling sehen, der jemals auf Erden erstand.« Kaum hatte Fama dies gesagt, so lief die Prinzessin schon hin. Sie erkannte ihn an dem furchtbaren Federbusch, der auf seinem Helm nickte, an seinem Mantel von Silberbrokat, der die Strahlen der Sonne blind machte, wenn ihr Glanz sie traf. Sie geriet ganz außer sich, und während sie mit ihren Augen sein Pferd, seine Rüstung und alle seine Bewegungen verschlang, da war er auf einmal dicht unterm Tor. Und als er das Schwert schwang, um einen Soldaten zu töten, der eilig davonhinkte, zerbrach der Kinnriemen seines Helms, und dieser fiel ihm vom Kopf. Da sah sie sein rosiges Antlitz, das in der Hitze des Kampfes hochrot geworden war, und die Schweißtropfen, die von der Anstrengung auf seiner Stirne perlten, glichen dem Tau, der die Rosen badet, wenn die Morgenröte dämmert.

Pippa: Macht’s bitte kurz!

Nanna: Sie entflammte sich dermaßen, daß sie blind wurde, und ohne sich weiter darum zu kümmern, was er ihrem Vater angetan hatte und noch antun wollte, liebte sie ihn heißer, als er ihren Erzeuger haßte. Die Unglückliche! Sie wußte doch, es ist nicht alles Gold, was glänzt! Wie dem auch sei, die Liebe machte sie so beherzt, daß sie eines Nachts das geheime Pförtchen ihres Palastes öffnete. Dieses Pförtchen war für vorkommende Fälle bestimmt, und man konnte durch dasselbe eintreten und herausgehen, ohne gesehen zu werden. Sie hatte die Schlüssel zu diesem Ausgang, und so eilte sie denn durch das Pförtchen ins Freie und ging ganz allein zu dem Feinde, der nach ihrem Blut dürstete.

Pippa: Wie fand sie denn im Dunkeln den Weg?

Nanna: Man sagt, das Feuer ihres Herzens habe ihr als Fackel gedient.

Pippa: Das muß ich sagen: Dann brannte sie aber ganz gehörig!

Nanna: Sie brannte so sehr, daß sie sich nicht nur ohne alle Umstände dem treulosen und verräterischen König zu erkennen gab, sondern daß sie sogar bei ihm schlief und sich betören ließ, als er ihr sagte: »Abgemacht, Signora, ich nehme Euch zum Weibe, und ich erkenne als meinen Schwiegervater und Herrn Euren Vater an, unter der Bedingung, daß Ihr mir, der ich nicht in feindlicher Absicht, sondern aus Liebe zum Ruhm mit Seiner Majestät Krieg führe, die Tore der Stadt öffnet. Sobald ich alles besiegt habe, werde ich ihm meinen ganzen Sieg als Geschenk darreichen und mein eigenes Königreich noch obendrein.«

Pippa: Wie sie sich so in ihn vernarrte und er sich in sie, das müßte erstaunlich anzuhören sein, wenn sie’s selber erzählten!

Nanna: Du kannst dir denken, daß sie, von der Liebe belehrt, beraten und bewegt, Bedingungen stellte, sich weigerte und schließlich doch in alles einwilligte, ganz wie diese Liebe sie trieb. Es ist anzunehmen, daß sie kein unerfahrenes und furchtsames kleines Mädchen war, sondern ein überlegendes und kühnes Weib, daß sie alle Worte anwandte, mit denen man edle Herzen rührt, daß sie ihre Worte mit Tränen und mit Schluchzen mischte und mit jenen herzbrechenden Klagen, durch die man erhält, was man wünscht. Auch können wir glauben, daß ihr Geliebter, der äußerlich so mild und innerlich so grausam war, für den das Leben ihres Vaters den Tod bedeutete, sein Geschwätz zuckersüß zu machen wußte und daß er sie mit Schwüren und Versprechungen schließlich dahin brachte, ihm das Pförtchen zu öffnen – denn die Einfältige öffnete es ihm wirklich. Kaum war der Verräter drinnen, so bemächtigte er sich ihres alten Vaters und ihrer alten Mutter und schlug der einen wie dem andern in ihrer Gegenwart den Kopf ab.

Pippa: Und sie starb nicht?

Nanna: Man stirbt nicht vor Schmerz.

Pippa: Avemaria!

Nanna: Als sie tot waren, warf er den Feuerbrand in Häuser, Kirchen, Paläste und Hütten; die eine Hälfte der Bevölkerung kam in den Flammen um, die andere Hälfte ließ er über die Klinge springen, und kein Unterschied wurde gemacht zwischen groß und klein, zwischen Mann und Weib.

Pippa: Und sie hängte sich nicht auf?

Nanna: Habe ich dir nicht gesagt, daß die Liebe sie blind gemacht und ganz außer sich gebracht hatte? Wie eine Wahnsinnige erging sie sich in leidenschaftlichen Klagen, und doch – wenn ihr Auge auf den König fiel, der mehr ihr Feind als ihr Gatte war, dann sah sie ihn an, wie wenn sie ihm zum größten Dank verpflichtet wäre.

Pippa: Das war Verrücktheit und keine Liebe!

Nanna: Pippa! Gott bewahre die Hunde, Gott bewahre die Mohren vor solchem Unglück! Ganz gewiß, die Liebe ist eine ganz verfluchte Geschichte; und glaub nur einer, die’s selber durchgemacht hat, glaub nur, Töchterchen, die Liebe … ah! Ich für meinen Teil möchte lieber sterben als einen Monat lang die Folterqualen eines Menschen aushalten, der keine Hoffnung hat, die von ihm angebetete Frau wiederzubekommen; lieber wollt ich ’s Fieber haben! Keinen Heller in der Tasche haben – ist gar nichts dagegen; angefeindet zu werden – Lappalie. Aber grausames Leid kann man’s nennen, wenn ein Liebender nicht mehr schlafen, essen, trinken kann, wenn er’s weder im Gehen noch im Stehen aushält, wenn seine Phantasie ihn immer zu ihr zieht, wenn er bis zur Erschöpfung immer nur an sie denkt und doch seine Gedanken des Denkens niemals müde werden!

Pippa: Und doch liebt ein jeder!

Nanna: Allerdings, aber davon bekommen sie solche Gesichter, wie es Haufen, Scharen und unendliche Mengen liebestoller Weiblein vom vielen Huren kriegen, denn von hundert Huren sieht man neunundneunzig in perspektivischer Verdünnung, wie Romanello sagte. Und das ganze Hurengewerbe gleicht überhaupt einem Gewürzkramladen, der heimlich schon bankrott ist: die Schachteln sind alle in Ordnung und die Töpfe sauber in Reihen aufgestellt mit Zetteln drauf, auf denen geschrieben steht: Zuckerplätzchen, Anis, gezuckerte Mandeln, eingemachte Nüsse, Pfefferkörner, Safran, Pistazien; aber öffnet man ein Schächtelchen oder Töpfchen, so ist in keinem was drin. So sind die Kettchen, Fächer, Ringe, hübschen Kleider und fein parfümierten Hauben nur die Aufschriften der erwähnten leeren Schachteln und Töpfe. Darum kommen auf einen Verliebten, der sich mit heiler Haut aus seiner Verliebtheit herauszieht, Tausende, die der Verzweiflung verfallen.

Pippa: Kommt jetzt bitte wieder auf Eure Geschichte; sonst könnte man Euch nachsagen, der Faden Eurer Erzählung habe sich verfitzt.

Nanna: Das wird man ganz gewiß nicht sagen – denn Frauen sind Frauen, und wenn ihnen einer vorwirft, sie machten etwas, was gegen ihre Natur sei, so können sie dem Tadler antworten: »Ihr versteht wohl was Rechtes davon!« … Das schnöde verratene Mädchen zog also mit dem Verwüster ihrer Heimat, dem Mörder ihres Vaters und ihrer Mutter; und als eine Zeit vergangen war, da war sie schwanger von ihm und sollte gebären. Als das der Schurke vernahm, befahl er, sie nackt in eine Dornenhecke zu werfen, damit deren Stiche sie und die Frucht ihres Leibes zerfleischten. Ah! Sie behielt in all ihrer Verzweiflung ihre Zuversicht, entkleidete sich selber und sprach: »O Undankbarer, ist dies der Lohn für meine Treue? Glaubst du, eine Königin verdiene einen solchen Tod? Wo hat man jemals davon gehört, daß ein Vater seinen Sohn tötete, ehe er noch gesündigt hatte, ja ehe er noch geboren war?«

Pippa: Barmherzigkeit!

Nanna: Als sie diese Worte sprach, da waren die Dornen gerührt und wichen zur Seite: und das frische grüne Gras, das unter den Dornen gewachsen war, empfing sie in seinem Schoß, und sie genas eines Knäbleins, das in allen seinen Zügen dem glich, der es ihr gemacht hatte. Da kam ein Diener mit einem teuflischen Gesicht, nahm das arme Wesen auf seinen Arm und rief: »Mein König befiehlt, daß ich das Kind töte, damit es auf einmal mit seinem Haß, mit deinem Leben und mit diesem niederträchtigen Geschlecht zu Ende ist.« Als er dies gesagt, zerstückelte er mit seinem Messer – das auch mir, während ich erzähle, das Herz durchbohrt – die zarten Glieder, die noch nicht einmal feste Form angenommen hatten, und dem Seelchen, das den Himmel früher sah als Sonne, wurde der Lebensfaden abgeschnitten, als kaum noch der Knoten geschlungen war. Aber ein solcher Tod ist süßer als das Leben: Sterben, ehe man noch weiß, was Leben ist, das gleicht der Seligkeit der Heiligen.

Pippa: Ich glaub es Euch. Aber wen empörte nicht eine so rohe Grausamkeit!

Nanna: Hierauf wurde sie wieder bekleidet, und während sie weinte, daß sie fast erstickte, siehe, da brachte man ihr in einer goldenen Schüssel eine Schlinge, Gift und Dolch. Und die Unglückliche hörte die Worte: »Wähle eine von diesen Todesarten; auf einem dieser drei Wege wirst du Seele und Leib aus aller Verlegenheit befreien!« Ohne Zagen und ohne Zittern nahm sie den Strick, das Gift und das Messer und bemühte sich, mit einem dreifachen Tod sich gleichzeitig das Leben zu nehmen; und als es ihr nicht gelang, da klagte sie zum Himmel, daß er ihr nicht erlaubte, sich gleichzeitig zu erhängen, zu vergiften und zu erstechen.

Pippa: O du lieber Gott!

Nanna: Sie umschlang sich den Hals mit dem Strick, knüpfte ihn an und sprang in die Luft; aber der Strick riß, und sie konnte nicht sterben. Sie trank das Arsenik, und es schadete ihr nicht, denn als sie noch ein Kind war, hatte ihr Vater sie durch Gegengifte gegen alles Gift gefeit. Sie nahm den Dolch und erhob den Arm, um sich das Herz zu durchbohren, aber als sie die Spitze ansetzen wollte, da trat Amor zwischen den Stahl und ihren Busen und zeigte ihr das Bild ihres falschen Abgotts, das sie in verschiedenfarbiger bunter Seide gestickt auf ihrer Brust trug; da entglitt ihrer Hand das Messer, denn dieses gemalte Bild stand ihr höher als ihr eigenes Leben.

Pippa: Niemals hat man so seltsame Sachen vernommen!

Nanna: Er aber haßte sie mehr als den Tod, weil sie dem Blute seines Feindes entstammte; und glaube nur nicht, daß ihn ihre fromme Zärtlichkeit, die sie seinem Bilde bezeigte, gerührt hätte! Im Gegenteil, er ließ sie in das nahe Meer stürzen; die Meeresgöttinnen aber trugen sie gesund und lebendig wieder ans Ufer.

Pippa: Ich will zu Ehren dieser Göttinnen, von denen Ihr sprecht, zwei Kerzen anzünden!

Nanna: Als der Drache sie wieder auf dem Strande sah, rief er einen fürchterlichen Kerl heran und sagte ihm: »Ziehe dein Schwert aus der Scheide und schneide ihr den Hals ab.« Der Mensch gehorcht, das Schwert blitzt in der Luft, sie sinkt nieder – und Unsere Liebe Frau steht ihr bei!

Pippa: Wie denn?

Nanna: Indem sie bewirkte, daß das Schwert sie nur mit der flachen Klinge traf.

Pippa: Gelobt sei Gott!

Nanna: Aber es ist noch nicht zu Ende: Der grausame Schurke ließ ein großes Feuer anzünden und sie mit roher Gewalt hineinwerfen, aber sie verbrannte nicht; denn im Augenblick, wo sie in die Flammen fiel, hatte der Himmel Mitleid mit ihr: Er verfinsterte sich plötzlich und vergoß eine solche Menge Regen, daß er die Höllenfeuer der Unterwelt damit hätte auslöschen können, geschweige denn ein Häuflein Reisig und dürre Äste!

Pippa: Wackerer Himmel! Mitleidiger Himmel!

Nanna: Sobald die Flamme, die mit dem Rauch gen Himmel steigen wollte, erloschen war, da schrie alles Volk: »Ach, Herr König! Wollet doch nicht etwa, was der dort oben nicht will! Ach! verzeihet der Unglücklichen, die Euch nur allzusehr liebt; denn nur ihre übergroße Liebe zu Euch hat Euch Rache und Sieg verschafft.«

Pippa: Wurde denn nicht sein Herz weich, als er solche Bitten hörte?

Nanna: Werden etwa die Herzen der Gekrönten weich, wenn sie die Not braver Menschen sehen?

Pippa: Entschuldiget!

Nanna: Man riß sie von dem durch den Regen ausgelöschten Scheiterhaufen herab, zum Schmerz all derer, die für sie gebeten hatten, und warf sie in einen Zwinger, worin ein Löwe gefangengehalten wurde; indessen beschnupperte er sie kaum, sondern ehrte ihren edlen Sinn; auch wollte er sich nicht entwürdigen, indem er einer so unglücklichen Frau etwas zuleide täte.

Pippa: Möge Gott es ihm vergelten!

Nanna: Hast du jemals einen tollen Hund gesehen, der in seiner Wut sogar sich selber in die Pfoten beißt?

Pippa: Das hab ich.

Nanna: Wenn du das gesehen hast, so kannst du dir auch diesen eingefleischten Teufel vorstellen, wie er vor Verzweiflung, nicht mit ihrem Tode seinen Rachedurst stillen zu können, sich seine Hände zernagte. Er faßte sie an ihren Zöpfen und schleifte sie in das Verlies eines Turmes; dort ließ er sie acht Tage lang und duldete nicht, daß jemand ihr Speise und Trank brächte. Aber sie aß und trank doch – diesem Ekel zum Trotz!

Pippa: Wie bekam sie denn was?

Nanna: Frag ihren Schmerz und ihre Tränen – die werden dir sagen, wie sie ihr zu Brot und Wein wurden. Als man nun den Kerker öffnete und sie immer noch lebend fand, da rannte der schurkische Renegat mit dem Kopf gegen alle Wände. Und nachdem er sich den Kopf zerschlagen hatte – aus Wut über sich selber –, band er sie mit eigener Hand an einen Baumstumpf und ließ seine Bogenschützen mit ihren Pfeilen nach ihr schießen. Aber wer möchte es glauben? Der Wind hatte Mitleid mit ihr und hielt alle Pfeile fern; er teilte die Wolke der Pfeile, und die eine Hälfte fiel auf dieser, die andere auf jener Seite von ihr nieder!

Pippa: Du lieber Wind!

Nanna: Jetzt kommt das Grausamste: Angestachelt von jenem Gift, das einem den von unverlöschbarem Feuer der Wut angefüllten Busen schwellt, befahl er, sie solle vom höchsten Turm herabgestürzt werden. Man packte sie und schleppte sie hinauf; aber als sie sah, daß man ihr gar die Hände band, da rief sie: »So müssen denn also Königstöchter wie Sklavinnen sterben?« Der Turm ragte mit seinen Zinnen fast bis in den Himmel hinauf, und unter den Henkersknechten, die sie hinaufschleppen mußten, war keiner, der den Mut hatte, das Volk anzusehen, das mit aufgerissenen Augen den Todessprung erwartete, den die unglückliche Königin, die ein besseres Los verdient hatte, wider ihren Willen tun sollte. Sie aber zitterte an allen Gliedern, als sie nur ein kleines Stückchen von der fürchterlichen Tiefe bemerkte. Die Sonne, die in diesem Augenblick in ihrer ganzen Schönheit leuchtete, verbarg sich hinter den Wolken, um nicht den Sturz mit anzusehen. Die Königin aber begann zu weinen, und aus ihren Augen strömten ein Tiber und ein Arno. Aber sie weinte nicht vor Furcht, daß sie in ihrem Sturz zerschmettern und in Stücke zerschellen müßte – sondern vor Scham, daß sie in jener Welt dem Geiste ihrer Mutter begegnen würde, und sie glaubte schon der Seele ihrer Mutter gegenüberzustehen und deren Worte zu vernehmen: ›O Himmel, o Höllenabgrund! da ist sie, die mir das Fleisch vom Leibe riß, womit ich sie genährt hatte!‹

Pippa: Ich bin erschüttert!

Nanna: Fürchte dich noch nicht! Als sie fühlte, daß rohe Fäuste sie packten und emporrissen, da erhob sie die Stimme und rief: »O ihr, die ich in dieser Welt zurücklasse, entschuldigt mich bei den lebenden und bei den künftigen Geschlechtern: Ich habe mehr als je ein Weib gesündigt, denn ich liebte mehr als je ein Weib gel…«

Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, so erschütterten gellende Schreie die Luft, und Nanna rief: »O weh! Pippa! weh mir, mein Töchterlein! Schnell ein Messer her! schneidet ihr die Nesteln auf! Wasser her! spritzt es ihr ins Gesicht! Helft mir, sie auf ihr Bett zu tragen!« Auf diesen Lärm liefen Nannas zwei Mägde herbei; sie brachten die Pippa wieder zu sich, die in Ohnmacht gefallen war, weil die Königin in der Geschichte vom Turm herabgestürzt wurde, wie gar manche Frau es nicht mit ansehen kann, wenn in der Karfreitagsnacht die verrückten Genuesen hinter dem Kruzifix sich mit Geißeln zerfleischen, daß ihnen das Blut über die Lenden läuft. Aber als sie wieder zu sich gekommen war, wollte Nanna sie nicht noch mehr aufregen und erzählte deshalb die Geschichte nicht zu Ende, obwohl sie mit ihrer Wortstickerei schon bei der Spitze des Pantoffels angelangt war und obwohl sie so gut zu erzählen wußte, wenn ihr der Sinn danach stand. Und während sie einige Stärkungsmittel für ihre Tochter auftragen ließ, da kamen die Gevatterin und die Amme, die als alte Bekannte in aller Seelenruhe an die Tür klopften; und nachdem sie die Nanna und ihre Tochter umarmt hatten, sagte die Gevatterin: »Nanna, morgen ist ein halber Feiertag, oder wenigstens wird doch der Tag meistens gefeiert, und da möchten wir uns ein bißchen deines Gartens erfreuen. Ich möchte gern von dir hören, was du dazu meinst, ob ich der Amme hier guten Rat geben soll – sie will nämlich Kupplerin werden.« – »Das ist ja gerade, was ich selber wünschte!« versetzte Nanna. »Und ich ärgere mich bis in meine Seele hinein, daß ihr nicht mit angehört habt, was ich gestern und heute meiner Pippa erzählte: Was man wissen muß, um ’ne gute Hure zu sein, und was für Schurkenstreiche die Männer gegen uns Huren und gegen die anderen Frauen verüben. So wie ich – ich sage das nicht, um mich zu rühmen –, so wie ich nicht meinesgleichen in der Kurtisanenkunst habe, so gibt es keine, die es mit dir in der Kuppelei aufnehmen könnte. Kommt also auf alle Fälle! Denn meine Tata, mein Puttchen, mein Herzblättchen wird auch zuhören und wird vom Zuhören lernen – nicht wie man das Kuppelhandwerk betreibt, sondern wie eine Hure sich mit den Kupplerinnen zu stellen hat.« An diesem Tage gab’s keine Rede und Antwort mehr zwischen ihnen; aber sie kamen der Abrede gemäß und setzten sich unter den Pfirsichbaum. Die Gevatterin kam mitten zwischen Nanna und der Amme zu sitzen, und die hübsche Pippa saß der Gevatterin gegenüber. In diesem Augenblick fiel ein dicker Pfirsich, der einzige, der noch am Baum gewesen war, der Gevatterin auf den Kopf; die Amme hielt sich den Bauch vor Lachen und rief: »Du kannst jetzt nicht mehr leugnen, daß es einstmals deine Lust gewesen ist, deine Pfirsiche hinzustrecken!« – »Da irrst du!« sagte die Gevatterin, »im Gegenteil, die paar Male – oder die ziemlich vielen Male –, die ich mich dazu bequemen mußte, kam es mir immer vor, als ginge ich zum Galgen. Aber wenn das Geld alles macht und kann – was Wunder, wenn’s uns auch dazu bringt, uns herumzudrehen?« Nachdem sie nun über den Fall der Pfirsiche genugsam gelacht hatten, setzte die Pippa sich zurecht, um aufmerksam zuzuhören. Mit offenem Munde saß sie da und sah aus, als schlürfte sie die Worte der Gevatterin, die sofort zu reden anhub.

  1. Das in diesem Satz liegende Wortspiel läßt sich wohl kaum wiedergeben: ›Che maladetta sia le cera e il mele.‹ Wörtlich. »Hole der Kuckkuck das Wachs und den Honig!‹ ›Cera‹ bedeutet Wachs und zugleich Gesicht.
  2. Kardinal Gian Matteo war Datarius (Vorsteher der päpstlichen Pfründenkammer) unter Clemens VII.
  3. Stoppa: Werch; Lino: Flachs, Leinen. Die Ausspielung, die in diesen Worten zweifellos liegt, habe ich nicht aufklären, also auch nicht wiedergeben können.
  4. Die Kugeln des Mediceer-Wappens wurden vom Volk scherzhaft als Pillen gedeutet, natürlich eine Anspielung auf Namen und Abstammung der Medici. Aretino hatte Papst Clemens VII. bei einer Zusammenkunft, die von einem seiner Gönner vermittelt war, gebeten, ihn zum Kardinal zu machen. Der Papst hatte das für einen Witz Aretinos gehalten und darüber gelacht. Aretino hatte es aber völlig ernst gemeint und ließ sich seitdem niemals eine Gelegenheit entgehen, Clemens VII. eins auszuwischen. Die fortwährenden Sticheleien auf die Knausereien des Mediceers erscheinen ein bißchen komisch aus der Feder eines Mannes, der für ein einziges Sonett von Papst Clemens 1000 Goldgulden geschenkt erhalten hatte – immerhin ein ganz stattlicher Dichterlohn. Aber Aretino hatte nun mal durchaus Kardinal werden wollen.
  5. Nach einer Anmerkung in der Elzevierschen Ausgabe von 1660 sollen damit die Bordelle gemeint sein.
  6. Das Abenteuer des Äneas mit der Dido nimmt ungefähr den vierten Teil der ›Aeneis‹ ein.
  7. Trentuno ist zugleich eine scherzhafte Bezeichnung des Hinterns. Vgl. übrigens in dem Kapitel von den Ehefrauen die Geschichte von der Frau des Spielers.