Wessen ein Edelmann sich gegen eine flandrische Prinzessin kecklich unterfing und welche Schmach und Schande ihm daraus erwuchs.

»In Flandern lebte einst eine Frau alleredelster Abkunft, die schon zwei Gatten verloren hatte und sich in ihrer Witwenschaft auch keiner Kinder erfreute. Sie hatte sich zu einem Bruder zurückgezogen, der ihr sehr zugetan war – einem hochgestellten Mann und Gemahl einer Tochter des Königs. Dieser junge Fürst war dem Vergnügen sehr ergeben und liebte Jagd, Kurzweil und Tanz, gleichwie es seiner Jugend geziemte. Sein Weib dagegen war grämlich und verabscheute des Gatten Frohsinn. Darum ließ jener auch gern seine Schwester teilnehmen, die bei aller Tugend und Ehrbarkeit doch fröhlich und äußerst gesellig war. Nun verkehrte bei dem Fürsten ein Edelmann, des Anstand, Schönheit und Liebenswürdigkeit alle seine Gefährten überstrahlte. Da dieser inne ward, wie fröhlich die Schwester seines Herrn sich erging, bedachte er zu erproben, ob es ihr wohl mißfallen würde, wenn er ihr seine ergebenste Freundschaft zu Füßen legte. Das tat er auch. Doch strafte die Antwort sein Erwarten Lügen und war der Wohlanständigkeit jener Prinzessin gar geziemend angepaßt. Trotzdem verzieh ihm die Prinzessin angesichts seines Ansehens und seiner Schönheit sein dreist Gebaren und gab ihm zu verstehen, daß sie wohl gern die Unterhaltung mit ihm pflegen mochte, sofern er künftig solche Reden ließe. Das versprach er auch, um nicht des Vergnügens und der Ehre eines Gespräches mit ihr verlustig zu gehen.

Doch wuchs nur mit der Zeit seine Neigung zu ihr, also daß er seines Versprechens vergaß. Zwar wagte er nicht neuerdings kecke Worte, denn ihre tugendsame Abweisung war ihm noch recht frisch in Erinnerung. Vielmehr gedachte er, sie einmal gelegenen Ortes zu stellen, so daß sie (eine junge Wittib feurigen Temperaments) womöglich sich seiner und ihrer zugleich erbarme. Zu diesem Behufe sagte er seinem Herrn, auf seinem Gute wäre eine gar herrliche Jagd, und wenn es ihm behage, dort einmal einige Hirsche im Mai zu jagen, so könne er eines wundervollen Zeitvertreibes sicher sein. Der Fürst nahm seine Einladung gerne an, da er den Edelmann schätzte und zudem die Jagd liebte, und kam zu ihm aufs Schloß, das also schön und wohlgerichtet war, wie das des reichsten Mannes im Lande. Der Fürst und seine Gemahlin bezogen alsdann den einen Flügel des Hauses, in dem andern aber brachte der Edelmann die Dame seines Herzens unter.

Das Gemach der Prinzessin war so herrlich mit Stoffen und Wandteppichen ausgestattet, daß man unmöglich eine Falltür entdecken konnte, die sich in der Wand neben dem Bett befand und zu der Stube seiner greisen Mutter führte. Diese hustete viel, und um die Prinzessin nicht zu stören, hatte sie ihr Zimmer mit dem des Sohnes vertauscht. Allabendlich brachte die Greisin der Prinzessin Süßigkeiten, um ihr zu Gefallen zu sein. Und diese erlaubte hinwiederum dem Edelmann, da er sich also ihres Bruders Gunst und Hochschätzung erfreute, bei ihrer Morgen- und Abendtoilette zugegen zu sein. Der Anblick, der sich ihm so bot, vermochte seine Leidenschaft nur zu erhöhen.

Nachdem er dergestalt eines Abends bis zu später Stunde mit der Prinzessin geplaudert hatte, ging er in seine Stube erst, als sie der Schlaf zu übermannen anfing. Dort legte er sich sein reichstes, wohlparfümiertes Hemd an, nahm dann eine gleich prächtige Nachtmütze und wiegte sich nun in der Gewißheit, daß kein Weib der Welt solcher Pracht und Anmut zu widerstehen vermöchte. So war er auch seines Erfolges sicher, stieg ins Bett in der Erwartung und Hoffnung, sich bald eines köstlicheren und vergnüglicheren Lagers erfreuen zu können, und schickte die Dienerschaft fort. Alsdann verschloß er hinter ihnen die Tür und lauschte, ob sich droben im Gemach der Prinzessin noch etwas rege.

Kaum war er sicher, daß alle zur Ruhe gegangen waren, so machte er sich sacht ans Werk, öffnete vorsichtig die Falltür, die wohlgefügt und tuchbeschlagen war, so daß sie lautlos arbeitete, und stieg zum Alkoven der Prinzessin empor, die eben in Schlummer gesunken war. Und ohne sich an die Achtung zu kehren, die er ihr und ihrer Abkunft schuldete, ohne ihre Erhörung zu erbitten oder ihr anheimzustellen, legte er sich neben ihr nieder und sie ward seines Kommens erst inne, als sie sich in seinen Armen spürte. Doch sie war stark, riß sich los und fiel mit Schlagen, Beißen und Kratzen über ihn her, derweile sie ihn fragte, wer er sei. Voll Angst, sie könnte Leute herbeirufen, suchte er ihr mit der Decke den Mund zu schließen. Aber das gelang ihm nicht; und als sie gewahrte, daß er an Kräften nicht sparte, sie zu schänden, nahm auch sie alle zusammen, um ihn abzuwehren, und schrie zugleich so laut als möglich nach ihrer Ehrendame, einer bejahrten, tugendsamen Frau, die im Nebenzimmer schlief. Die kam alsbald im Hemd angelaufen.

Als sich der Edelmann also entdeckt sah, fürchtete er gar sehr, von der Ehrendame erkannt zu werden und entschlüpfte eiligst durch die Falltür. Und gleich groß wie seine Hoffnung und Zuversicht auf dem Hinwege war nun seine Verzweiflung über diesen schmählichen Abzug. Beim Kerzenschein besah er im Spiegel sein Gesicht, das aus zahllosen Biß- und Kratzwunden blutete, sah, wie dies Blut in Strömen auf sein schönes Hemd floß und ihm alle Pracht raubte, und er stöhnte darob: ›Wehe, du Schönheit, wie hast du mir üblen Lohn gebracht. Dein eitles Locken trieb mich zu unmöglichem Unterfangen, und nun fand ich statt neuen Glückes nur schlimmres Leid. Erfährt sie, daß ich so mein Versprechen brach, dann gehe ich des Verkehrs mit ihr verlustig. Wie konnte ich nur meiner Vorzüge entraten und ihren keuschen Leib durch Kraft zu nehmen suchen, statt ihr Herz durch Liebe zu gewinnen und hierzu ergeben und demütig ihr zu dienen. Denn ohne Liebe ist alle Kraft und Stärke des Mannes machtlos.‹

Also verbrachte er die Nacht in Tränen und unbeschreiblichem Gram und Schmerz. Und als er am Morgen sein Gesicht so gar zerfetzt sah, stellte er sich krank. Die siegreiche Prinzessin aber war sicher, daß einzig nur der Mann von allen am Hofe so böser Tat fähig war, der schon einmal die Keckheit gehabt hatte, ihr seine Liebe zu erklären. Und um Gewißheit zu haben, daß es ihr Wirt gewesen war, durchsuchte sie mit ihrer Ehrendame das ganze Zimmer in allen Winkeln. Doch da sie nichts fand, rief sie gar zornig: ›Ich will bestimmt wissen, daß es der Herr des Schlosses war, und morgen soll sein Kopf mir für meine Keuschheit haften.‹ Als die Ehrendame ihren Grimm gewahrte, sprach sie: ›Hohe Frau, wohl steht Euch diese Ehrsamkeit an. Doch mag es Eure Ehre nur lieben, wenn Ihr dem Manne das Leben schenkt, das er selbst ob allzugroßer Liebe zu Euch wagte. Oft wähnt man seinen Wert zu heben und vermindert ihn; so bitte ich Euch, erzählet mir den wahren Hergang.‹

Das tat die Prinzessin ausführlich, und die Ehrendame fragte sodann: ›So hat er also gewißlich nichts von Euch davongetragen, denn Kratzwunden und Schläge?‹ – ›Gewißlich nichts sonst. Und wenn er keinen guten Wundarzt findet, wird sein Gesicht wohl morgen die Spuren tragen.‹ – ›So lobet Gott‹, entgegnete die Ehrendame, ›und überlaßt ihn der Qual der Reue. Statt höchsten Lohnes erntete er nur schlimmste Schmach. Würdet Ihr ihn durch eine Klage bei Euerm Bruder zum Tode bringen, so könnte er wohl verbreiten, Ihr wäret ihm zu Willen gewesen. Und viele werden sagen, ohne großes Entgegenkommen von Eurer Seite wäre solch Unterfangen nicht möglich gewesen. Im ersten Falle wird er schweigen, im andern Falle kann man Eure Ehre allenthalben in den Schmutz ziehen.‹

Die Prinzessin erkannte wohl, wie richtig diese Erwägungen waren und daß man sie im Hinblick ihres freundlichen Umganges mit dem Edelmanne wohl falsch beurteilen könne. So fragte sie die Ehrendame um Rat, wie sie sich künftig verhalten solle und die sprach: ›Seid froh, in diesem Falle Eure Ehre gerettet zu haben, und weiset künftig jede Aufmerksamkeit zurück, denn oft fällt eine Frau zum zweiten Male in eine Schlinge, der sie das erstemal entgangen ist, maßen die Liebe blind macht und oft auf abschüssige Wege führt. Sprecht auch mit niemandem von diesem Vorfall und stellt Euch ahnungslos, wenn jener ihn gar andeuten sollte. Damit er aber nun nicht vermeint, Euch sei dies Unterfangen etwa im Grunde genehm gewesen, so brecht allmählich den Verkehr mit ihm ab. Dann wird er verstehen, wie Ihr seine Torheit verachtet und wie erhaben Eure Großmut ist, da Ihr keinerlei Rache übt.‹ Und die Prinzessin beschloß, diesen Rat zu befolgen und schlief ebenso fröhlich ein, als der Edelmann trübselig wachte.

Tags darauf wollte der Fürst von dannen gehen und fragte nach seinem Wirte. Man sagte ihm, er sei so krank, daß er nicht ans Licht kommen noch mit jemand reden dürfe. Voll Schreckens und Verwunderung wollte der Fürst ihn aufsuchen. Doch da es hieß, er schliefe gerade, vermied er es, ihn zu wecken und verließ so mit seiner Gemahlin und der Schwester das Schloß, ohne Abschied von ihm zu nehmen. Als die Prinzessin vernahm, daß der Edelmann sich entschuldigen ließ, und ihnen nicht das Geleit gab, war sie überzeugt, daß er ihr den Schimpf angetan hatte und nun sein Gesicht nicht zu zeigen wagte, weil sie es ihm so zerkratzt hatte.

Obgleich dann sein Herr oftmals nach ihm schickte, kehrte er doch erst zum Hofe zurück, als alle Wunden geheilt waren, mit Ausnahme derer, die Liebe und Schmerz ihm im Herzen geschlagen hatten. Als er endlich kam und vor seiner siegreichen Feindin erschien, vermochte er seine Röte nicht zu verbergen. Und trotzdem er sonst so keck war, verlor er nun oft aus Verlegenheit alle Haltung, so daß sie alle Zweifel aufgab und sich allgemach von ihm zurückzog. Zwar tat sie es sehr feinfühlig, aber er spürte es wohl. Doch ließ er sich nichts merken, aus Angst, es könne ihm noch schlimmer ergehen. Und so barg er seine Liebe in seinem Herzen und trug die verdiente Entfremdung in Geduld.

Diese Geschichte, meine Damen, mag alle abschrecken, die mehr begehren, als ihnen zukommt. Doch mag die Tugendhaftigkeit der Prinzessin und ihrer Ehrendame wohl auch den Herzen der Frauen Kraft verleihen, Wenn jemand gleichen Fall erleben sollte, weiß er nun, was tun.«

»Mir scheint der Edelmann so mutlos,« meinte Hircan, »daß man sein Angedenken wahrlich nicht zu pflegen braucht. In solchem Falle durfte man nicht vor alt, nicht vor jung zurückweichen. Ganz sicherlich war seine Liebe nicht zu groß, da er noch Angst vor Tod und Schande kannte.« – »Und was«, fragte Nomerfide, »hätte jener den beiden Frauen gegenüber denn beginnen sollen« – »Die Alte mußte er töten. Hätte sich die Junge dann allein gesehen, so wäre sie schon halb besiegt gewesen.« – »Töten!« rief Nomerfide aus. »So wollt Ihr aus dem Liebenden einen Mörder machen! Wenn Ihr so denkt, sollte man wohl besorgen, je in Eure Hände zu fallen.« – »Wenn ich erst einmal so weit wäre, würde ich mich wahrlich für entehrt halten, falls ich nicht ganz zum Ziele käme.«

Nun mischte sich Guebron ein: »So scheint es Euch seltsam, daß eine Prinzessin, die in aller Tugend aufgezogen wurde, sich eines einzelnen Mannes erwehrte? Wie mag euch da eine einfache Frau in Erstaunen versetzen, die den Händen zweier Männer zu entgehen wußte.« – »Guebron,« sprach Emarsuitte, »ich gebe Euch das Wort zur fünften Erzählung. Denn ich glaube, Ihr wißt uns von diesem armen Weibe Unterhaltsames zu berichten.«

»Wenn denn die Wahl auf mich fällt,« erklärte Guebron, »so will ich euch einen Vorfall mitteilen, dessen Wahrhaftigkeit ich an Ort und Stelle nachgeprüft habe. Ihr werdet daraus entnehmen, daß sich Tugend und gerader Sinn nicht nur bei Prinzessinnen findet und Liebe und feine List auch denen zu eigen ist, bei denen man es oft am wenigsten vermutet.«