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989. Nacht

Am folgenden Tag trat der vierte Wesir herein, und bat um
das Leben des Prinzen, und um seine Bitte zu bekräftigen, erzählte er folgende
Geschichte.

Geschichte
von dem jungen Mann und einer Frau

Ein junger Mann sah eine Frau von außerordentlicher
Schönheit. Da er indessen bemerkte, dass die Frau nichts von ihm hören wollte,
so wandte er sich an eine alte Frau, welcher er alles entdeckte, und die ihm
sogleich versprach, seinen Wünschen behilflich zu sein. Eines Tages verreiste
der Mann dieser schönen Frau, und diesen Zeitpunkt benutzte die Alte, um zu ihr
zu gehen, und mit ihr Bekanntschaft anzuknüpfen. Sie hatte eine Hündin an sich
gewöhnt, und zwar dadurch, dass sie ihr oft etwas zu fressen gab. Diese Hündin
nahm sie jedes Mal mit sich zu der schönen Frau. Eines Tages aber hatte diese
Alte einen Teig bereitet, worin sie Fett und sehr viel Pfeffer getan hatte, und
gab diesen der Hündin zu fressen. Hierauf ging sie zu der jungen Frau, wohin
ihr die Hündin, wie gewöhnlich, folgte. Da nun aber der viele Pfeffer seine
Wirkung tat, und ihr die Augen von Tränen überliefen, so fragte sie die Alte:
Woher es käme, dass die Hündin ihr immer nachliefe, und dass sie immer weinte.
„Ach,“ sagte die Alte, „es hat sich mit jener Hündin etwas sehr
sonderbares zugetragen. Sie war nämlich einst eine sehr schöne Frau, und ein
Christ wurde in sie verliebt, und hielt um sie an. Sie verweigerte ihm aber ihre
Hand, und da er alle Hoffnung verlor, sie zu besitzen, verwandelte er sie, wie
Du siehst, in eine Hündin. Sie war meine vertraute Freundin, daher liebe und
pflege ich sie jetzt, und sie kann mich nicht sehen, ohne zu weinen, wodurch sie
mir gleichsam ihren Zustand klagt.“ – „Ach,“ sagte die junge
Frau, „liebe Alte, ich kenne auch einen jungen Mann, der mich liebt. Ich
habe ihn aber nie anhören wollen. Nun aber machst Du mir vor ihm Furcht, dass
er mich auch wohl bezaubern könne.“ – „Da hast Du ganz Recht,“
erwiderte die Alte, „es ist sehr möglich, dass er es tun könnte. Ich rate
Dir es als Freundin, wenn Dich jemand um Deine Liebe bittet, sie ihm nicht
abzuschlagen. Kennst Du nicht das Sprichwort: Der Vernünftige nimmt ein
Beispiel an anderen?“ – „Wohl,“ sagte die junge Frau, „ich
werde jetzt gleich Speise und Trank zurecht machen, und Dich bitten, ihn zu
holen.“ Da sich aber die Alte stellte, als wenn sie ihn nicht kenne, so
musste sie ihr vorher genau seine Wohnung beschreiben. Die Alte begab sich
nunmehr auf den Weg, und suchte den Mann auf. Allein er war nirgends zu finden.
„Was?“, sagte die Alte bei sich selbst, „ich sollte den heutigen
Tag dieses Essen, dieses Trinken unbenutzt lassen? Ich sollte ihr niemanden
bringen, dass er davon genieße? Nein, das soll nicht sein.“ Sie begab sich
nunmehr auf den Markt, wo sie einen Mann sah, der von allen Leuten gegrüßt und
mit Auszeichnung behandelt wurde. An diesen wandte sie sich, und sprach zu ihm:
„Mein Herr, willst Du diesen Abend bei einer schönen Frau zubringen, und
von ihr köstlich bewirtet werden?“ – „Und wo ist diese?“, fragte
er. – „Bei mir,“ erwiderte sie. – „Nun wohl, so gehe voran, ich
werde Dir folgen,“ sagte er darauf. Sie ging nun von einem Ort zum anderen,
er immer hinter ihr, bis sie endlich in das Viertel der Stadt kam, wo der Mann
selber wohnte. Als sie hier auch durch einige Straßen gegangen war, blieb sie
endlich an seiner eigenen Haustür stehen. Hier ließ ihn die Alte an der Türe
warten, während er gar nicht wusste, was er sich davon denken sollte.

Unterdessen sah die junge Frau, am Fenster stehend, ihren
Mann mit der Alten ankommen. „Leider,“ sagte die Alte zu ihr,
„habe ich den, den Du wünschest, nicht finden können. Ich bringe Dir aber
einen anderen, der weit schöner ist.“ – „Wehe Dir,“ erwiderte
die junge Frau, „das ist ja mein Mann, der eben von der Reise gekommen
ist.“ – „So?“, sagte die Alte, „nun wohl, das hat gar nichts
zu sagen. Stelle Du Dich nur, als hättest Du mich ausgeschickt, um ihn auf die
Probe zu stellen, ob er auch die Treue hält, die er Dir geschworen hat.“
Als nun der Mann eintrat, eilte ihm seine Frau mit einem Pantoffel entgegen,
schlug ihn damit, und rief ihm zu: „Sehr schön, so hältst du mir also
Deine Treue? So muss ich’s anstellen, um zu erfahren, wie Du gegen mich gesinnt
bist? Du führst ein schönes Leben, dass Du Dich so zu Frauen führen
lässt!“ Sie fügte noch mehreres der Art hinzu, und hörte nicht auf, ihn
zu schlagen, während er sich entschuldigte, und ihr schwur, dass er sie nie
hintergangen, und weit entfernt sei, ihren Verdacht zu verdienen. Er tat nun
alles mögliche, um sie zu besänftigen, küsste ihre Hand, und brachte es
endlich dahin, dass sie wieder freundlich wurde.

„Siehe also, o König, wie weit die List der Weiber
gehen kann.“

Diese Erzählung bewog auch wirklich den König, den Tod
seines Sohnes aufzuschieben.

Als die fünfte Nacht anbrach, trat die Frau zum König
herein, indem sie in ihrer Hand einen Becher mit Gift trug. „O
König,“ sagte sie zu ihm, „wenn Du mir nicht gegen Deinen Sohn
Gerechtigkeit verschaffst, so trinke ich dieses Gift, und dies Verbrechen wird
dann an jenem Tag schwer auf Dir lasten. Deine Wesir dichten mir List und
Kunstgriffe an: Aber es gibt auf der Welt nicht listigeres, als die Männer.
Dies will ich Dir durch folgende Geschichte, von dem ich das Bildnis eines Mädchens
verliebten Juwelier, beweisen1).


1)
Dieses ist eben dieselbe Geschichte, welche in dem ersten Band Seite 179 unter
dem Titel: „Geschichte Mahmuds“ erzählt wird, nur mit dem
Unterschied, dass Mahmud in der Tunesischen Handschrift nicht Maler, sondern
Juwelier ist, und dass er sich in Persien befindet, nicht aber nach Persien,
sondern nach Indien, und zwar nach der Stadt Sanhag reist. diese Erzählung
füllt in unserer Tunesischen Handschrift die 990-igste und den Anfang der
991-igsten Nacht aus.