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986. Nacht

Am folgenden Tag begab sich der vierte Wesir zum König,
machte ihm Vorstellungen wegen seines Sohnes, bat ihn, nicht den einzigen
Thronerben auf eine leichte Anlage zu töten, und erzählte ihm folgende
Geschichte.

Geschichte
des Jägers

Ein Jäger verfolgte einst Wild in einer gebirgigen
Gegend. Da stieß er plötzlich auf eine Höhle, in die er sofort eintrat. Zu
seinem Erstaunen erblickte er in derselben eine Grube, die voll Honig war. Er
eilte, seinen Schlauch damit zu füllen, und brachte ihn in die Stadt, um ihn zu
verkaufen. Sein Jagdhund, der ihm sehr wert war, war mit ihm. Er trat zu einem
Krämer ein, und bot ihm den Honig an. Als sie über den Preis verhandelten,
öffnete jener den Schlauch, um den Honig zu kosten. Da fielen einige Tropfen
auf die Erde, auf welche sich sogleich Fliegen setzten, welche die Katze des
Krämers eiligst wegzufangen suchte. In demselben Augenblick stürzte sich der
Hund des Jägers auf die Katze, und erbiss sie. Darüber ergrimmt, ergriff der
Krämer einen Stock, und schlug den Hund tot. Der Jäger, dem sein Hund teurer
als alles war, warf sich auf den den Krämer. Dieser verteidigte sich, und so
entstand zwischen beiden ein Streit, der sich sehr in die Länge zog. Die
Freunde des Jägers, der auf einem Dorf, nahe bei der Stadt her war,
benachrichtigen die Dorfbewohner davon, und der Krämer, der ebenfalls aus einem
Dorf, nahe bei der Stadt her war, ließ desgleichen die Freunde in seinem Dorf
davon benachrichtigen. Die Bewohner beider Dörfer eilten ihren Freunden zu
Hilfe, und so entstand ein mörderisches Gefecht, welches sich mit dem Tot vieler
Leute endigte, und das alles wegen eines Tropfen Honigs, dieses alles ist ein
Folge der List der Weiber. Daher beeile Dich nicht, Deinen Sohn zu töten. Es
könnte Dich sonst zu spät reuen1).
Auch kann ich Dir noch ein anderes Beispiel von der List der Frauen erzählen.

Geschichte
der Frau und des Krämers

Ein Mann gab einst seiner Frau Geld, um Reis zu kaufen.
Sie nahm es, ging zum Krämer, gab es ihm, und sprach: „Gib mir für dieses
Geld Reis.“ Da die Frau sehr schön war, so fing der Krämer an, ihr
Schmeicheleien zu sagen, und sie zu liebkosen. Endlich sprach er zu ihr:
„Der Reis taugt nicht, ohne Zucker.“ – „Nun wohl, so gib mir
Zucker und Reis,“ sagte sie. Während er sie nun so in den laden lockte, um
ihr Zucker zu geben, sagte er einem seiner Leute, er solle in das Tuch der Frau,
statt Reis, Steine und Sand hinein tun. Er bezweckte nämlich dadurch, die Frau
zur Wiederkehr zu nötigen. diese nahm ihr Tuch, und ging fort, in dem Glauben,
sie trüge in demselben Reis und Zucker. Als sie nach Hause kam, übergab sie
das Tuch ihrem Mann, und ging unterdessen, um einen topf zu holen. Während
dieser Zeit öffnete der Mann das Tuch, und fand darin Steine und Sand. Sobald
sie wiederkam, fragte sie ihr Mann: „Was fällt Dir denn ein, dass Du
Steine und Sand bringst?“ Als die Frau den Sand sah, merkte sie wohl, dass
der Krämer sie angeführt hätte. Sie sagte zu ihrem Mann: „Ich bin so in
Gedanken gewesen. Ich wollte das Sieb hineinholen, und habe den Topf gebracht.
ich muss Dir nämlich nur sagen, lieber Mann, dass, als ich auf dem Markt war,
mir das Geld aus der Hand in den Sand fiel. Ich schämte mich, vor den Leuten
den Sand zu durchwühlen und da habe ich den ganzen Sand in mein Tuch
eingescharrt, und wollte Dich bitten, den Sand durchsieben. Der Mann ging also,
holte ein Sieb, und siebte den ganzen Sand durch, ohne ein Stück Geld zu
finden. Sein Bart hatte er dabei ganz eingestaubt, und war doch weit entfernt,
zu glauben, dass das eine List seiner Frau war.

„Hüte Dich also, o König, Deinen Sohn übereilt zu
töten.“

In der vierten nacht kam die Frau wieder zum König, bat
wiederholt um Gerechtigkeit, und bekräftigte ihre Bitte durch folgende
Geschichte:

Der
Königssohn und der Wesir

Einer der ältesten Könige hatte einen einzigen Sohn, den
er mit der Tochter eines anderen Königs verheiratete. Sie war sehr schön, und
einer ihrer Vettern, der sie schon längst liebte, hatte mehrere Male bei ihrem
Vater um sie angehalten. Es schmerzte ihn daher sehr, seine Geliebte an jenen
Prinzen verheiratet zu sehen. Seine Verzweiflung trieb ihn so weit, dass er sich
an den Wesir seines Vaters wandte, ihm seinen Plan entdeckte, und ihn bat,
irgend ein Mittel ausfindig zu machen, um entweder jenen ganz zu verderben, oder
zu verhindern, dass er nicht geliebt würde. So quälte ihn sein Gram. Er
begleitete diese Bitte mit vielen kostbaren Geschenken, und der Wesir willigte
ein, und versprach, ihm beizustehen.


1) Wo in
dieser Geschichte die Weiberlist zu finden sein soll, vermag der übersetzer
nicht zu ergründen.