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98. Nacht

Die bei dem Großwesir von Balsora versammelten Herren
hatten ihm kaum ihre Freude über die Heirat seiner Tochter mit Nureddin-Ali
bezeigt, als man sich zur Tafel setzte. Gegen Ende der Mahlzeit gab man
Zuckerwerk herum, wovon jeder, der Sitte gemäß, so viel nahm, als er mit sich
nehmen konnte: Worauf dann die Kadis mit dem Heiratsvertrag in der Hand
eintraten. Die vornehmsten Herren unterzeichneten ihn, und die ganze
Gesellschaft ging auseinander.

Als nun niemand mehr da war, als die Hausleute, befahl der
Großwesir denen, die er mit der Zubereitung des Bades beauftragt hatte, den
Nureddin-Ali in dasselbe zu führen, wo dieser ungebrauchte Wäsche von einer
Feinheit und Sauberkeit, die man mit Vergnügen beschaute, und alles andere
Nötige vorfand. Der Gatte, nachdem er gewaschen und gerieben worden war, wollte
das Kleid, welches er ausgezogen hatte, wieder anziehen; aber man reichte ihm
ein anderes, höchst prächtiges. In diesem Zustande und von den ausgesuchtesten
Wohlgerüchen duftend, ging er wieder zu dem Großwesir, der über sein Wohlaussehen
höchst erfreut war, und der, nachdem er ihn neben sich hatte niedersetzen
lassen, zu ihm sagte: „Mein Sohn, du hast mir entdeckt, wer zu bist, und
welchen Rang du an dem Hof des Königs von ägypten bekleidest; du hast mir
sogar gesagt, dass du einen Streit mit deinem älteren Bruder gehabt und dich
deshalb aus deinem Vaterland entfernt hast: Ich bitte dich, mir dein ganzes
Vertrauen zu schenken und mich von dem Gegenstand eures Streites zu
unterrichten. Du musst mir jetzt gänzlich vertrauen und mir nichts verbergen;
denn ich empfehle dir die Wahrheit, wie der Dichter sagt:

„Ich empfehle dir die Wahrheit, sollte dich auch ihre
Offenbarung brennen, wie das höllische Feuer.

Denn dein höchster Zweck muss sein, Gott wohl zu gefallen;
und wehe dem Menschen, der den Herrn erzürnt, um den Beifall des Dieners zu
erhalten.“

Nureddin-Ali erzählte ihm alle Umstände seiner
Zwistigkeit mit seinem Bruder. Der Großwesir konnte diese Erzählung nicht ohne
Lachen anhören. „Das ist,“ sagte er, „die seltsamste Geschichte
von der Welt! Ist es möglich, dass euer Streit über eine Heirat in der
Einbildung so weit gegangen ist? Es tut mir sehr leid, dass du dich wegen einer
solchen Kleinigkeit mit deinem älteren Bruder entzweit hast. Ich sehe freilich
ein, dass er Unrecht hatte, über das, was du ihm im Scherze gesagt hast,
beleidigt zu sein, und ich muss dem Himmel für einen Zwist danken, der mir
einen Schwiegersohn, wie dich, verschafft hat. „Aber,“ fügte der
Greis hinzu, „die Nacht ist schon vorgerückt, und es ist Zeit, dich zu
entfernen. Geh, meine Tochter, deine Gattin, erwartet dich. Morgen werde ich
dich dem Sultan vorstellen. Ich hoffe, dass er dich auf eine Weise aufnehmen
wird, womit wir beide zufrieden sein können.“ Nureddin-Ali verließ seinen
Schweigervater, um sich in das Zimmer seiner Gattin zu begeben.

„Merkwürdig ist,“ fuhr nun der Großwesir
Giafar fort, „dass an eben dem Tage, an welchem diese Hochzeit in Balsora
gefeiert wurde, auch Schemseddin Mohammed sich in Kairo verheiratete; mit
welcher Heirat es sich folgendermaßen verhielt. Nachdem Nureddin-Ali sich aus
Kairo in der Absicht entfernt hatte, nie wieder dorthin zurückzukehren, war
Schemseddin Mohammed, sein älterer Bruder, nach Verlauf eines Monates, von der
Jagd heimgekehrt, welche durch die Jagdlust des Sultans so verlängert worden.
Er eilte in die Wohnung des Nureddin-Ali, und war höchlich erstaunt, zu
erfahren, dass dieser, unter dem Vorwand, eine Reise von zwei oder drei Tagen zu
machen, an eben dem Tage, an welchem der Sultan auf die Jagd ging, auf einer
Mauleselin abgereist und seitdem nicht wieder gekommen wäre. Er war darüber um
so verdrießlicher, da er nicht zweifelte, dass die harten Dinge, welche er
seinem Bruder gesagt hatte, die Ursache seiner Entfernung wären. Er sandte
einen Eilboten ab, der durch Damaskus bis Aleppo ritt; aber Nureddin war damals
in Balsora. Als der Eilbote bei seiner Heimkehr berichtet hatte, dass seine
Nachforschungen vergebens gewesen wären, nahm sich Schemseddin Mohammed vor,
ihn anderswo aufzusuchen, und fasste inzwischen den Entschluss, sich zu
verheiraten. Er heiratete die Tochter eines der ersten und mächtigsten Herren
von Kairo, an demselben Tag, an welchem sich sein Bruder mit der Tochter des
Großwesirs von Balsora verheiratete.

„Das ist nicht alles, Beherrscher der
Gläubigen,“ fuhr Giafar fort, „es begab sich noch Folgendes. Nach
neun Monaten kam die Frau des Schemseddin Mohammed in Kairo mit einem Mädchen,
und an demselben Tag die Frau des Nureddin-Ali zu Balsora mit einem Knaben
nieder, der Bedreddin-Hassan genannt wurde. Der Großwesir von Balsora bezeigte
seine Freude durch große Geschenke, die er austeilte und durch öffentliche
Freudensbezeugungen, die er der Geburt seines Enkels zu Ehren anstellen ließ.
Um hierauf seinem Schwiegersohn zu beweisen, wie sehr er ihm zufrieden war, ging
er in den Palast und bat den Sultan sehr demütig, dem Nureddin-Ali die
Anwartschaft auf sein Amt zu bewilligen, damit,“ sagte er, „er vor
seinem Tod den Trost hätte, seinen Schweigersohn an seiner Stelle als
Großwesir zu sehen.“

Der Sultan, welchem Nureddin-Ali sehr gefallen hatte, als
er ihm nach seiner Verheiratung vorgestellt worden war, und welcher seitdem
immer sehr vorteilhaft von ihm reden gehört hatte, bewilligte die verlangte
Gnade mit der größten Freundlichkeit. Er ließ ihn in seiner Gegenwart mit der
Amtskleidung des Großwesirs bekleiden.

Die Freude des Schwiegervaters erreichte ihren Gipfel am
folgenden Tage, als er seinen Schwiegersohn in der Ratsversammlung in seiner
Stelle und alle Geschäfte eines Großwesirs verrichten sah. Nureddin-Ali
entledigte sich ihrer so vollkommen, als hätte er sein ganzes Leben hindurch
dies Amt bekleidet. Er fuhr in der Folge fort, der Ratsversammlung so oft
beizuwohnen, als die Schwächen des Alters seinem Schwiegervater nicht
erlaubten, dabei gegenwärtig zu sein. Dieser gute Greis starb vier Jahre nach
der Verheiratung seiner Tochter, mit der Freude, einen Sprössling seiner
Familie zu sehen, der sie lange Zeit mit Glanz zu erhalten versprach.

Nureddin-Ali erwies ihm die letzte Pflicht und Ehre mit
aller möglichen Freundschaft und Dankbarkeit, und sobald Bedreddin-Hassan, sein
Sohn, das Alter von sieben Jahren erreicht hatte, übergab er ihn den Händen
eines trefflichen Lehrers, der ihn auf eine seiner Geburt würdige Weise zu
erziehen begann. Es ist wahr, dass er in diesem Kind einen lebhaften,
durchdringenden und für den Eindruck aller seiner guten Lehren fähigen Geist
fand …“

Scheherasade wollte fortfahren, da sie aber sah, dass es
Tag wurde, hörte sie auf, zu erzählen. In der folgenden Nacht nahm sie jedoch
ihre Erzählung wieder auf und sagte zum Sultan von Indien: