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975. Nacht

Als sie bei Maria angekommen war, erzählte sie ihr alles,
was sie bei Abbaas gesehen und gehört hatte, so wie auch, dass er entschlossen
sei, bald in sein Vaterland zu reisen. Als Maria dies hörte, weinte und seufzte
sie, und starb fast vor Betrübnis. Sie warf sich auf ihr Ruhekissen, worauf sie
lange Zeit unbeweglich liegen blieb. Endlich rufte sie die Schafyke, und sprach:
„Dir will ich anvertrauen, was ich fühle. Gott weiß es, ich werde
Sterben! Wenn ich daher meinen letzten Atemzug ausgehaucht habe, so nimm die
Halsschnur und den Beutel, den mir Abbaas geschenkt hat, und trage sie ihm
zurück. Sage ihm zugleich, dass ich nicht mehr bin, dann wird er ihren Anblick
nicht mehr ertragen, und nach mir nicht mehr leben können. Wenn nun Gott auch
über ihn mein Schicksal ergehen lässt, und er selbst nicht mehr sein wird, so
ist mein letzter Wille, dass man uns vereinige, und in dasselbe Grabmal
begrabe.“

Maria veränderte sich hierauf sichtlich, und ihre Farbe
wurde immer bleicher. Da nun Schafyke ihre Gebieterin in diesem Zustand sah, so
benachrichtigte sie ihre Mutter davon, und sagte, dass sie jetzt nun auch zu
essen und zu trinken sich weigere. – „Seit wann geschieht das?“,
fragte die Mutter. – „Seit gestern,“ war Schafykes Antwort. Dies
bekümmerte ihre Mutter außerordentlich. Sie begab sich sogleich zu ihr, und
fand sie in einem Zustand, der dem Tod nahe war. Als sie sich neben ihr
Kopfkissen gesetzt hatte, öffnete sie die Augen, und erblickte ihre Mutter. Da
suchte sie sich, so gut sie konnte, aufzurichten, und ihre Mutter fragte sie,
was ihr fehle? Sie antwortete: „Ich bin ins Bad gegangen. Das hat mich sehr
geschwächt, und es ist mir davon ein Kopfschmerz zurückgeblieben, den ich kaum
ertragen kann. Ich bitte Gott, dass er bald vergehen möge.“ Als ihre
Mutter sich wieder entfernt hatte, fing Maria an, das Mädchen sehr zu schelten,
dass sie jener etwas gesagt hatte. „Der Tod ist mir lieber,“ fügte
sie hinzu, „als ein solches Leben. Aber unterstehe Dich ja nicht, irgend
jemandem etwas von mir zu sagen.“ Kaum hatte sie ausgeredet, als eine lange
Entkräftung sie überfiel. So wie sie wieder zu sich selbst kam, sah sie das
Mädchen weinen. Sie erinnerte sich sogleich an den ihr früher gegebenen
Befehl, und band das Halsband ab, sowie den Beutel, den sie ebenfalls auf ihrem
Körper trug, und sprach zu ihr: „Binde dieses in ein Tuch, trage es zu
Abbaas, und schildere ihm die Sehnsucht, die ich habe, die Welt zu verlassen,
und seiner Entfernung durch die meinige zuvorzukommen.“ Schafyke nahm
dieses, und ging damit zu Abbaas, den sie ganz mit seiner Abreise nach Jemen
beschäftigt fand. Als sie ihm aber das Tuch samt seinem Inhalt überreichte,
und er das Halsband und den Beutel darin fand, geriet er in den höchsten Zorn,
und seine Augen funkelten vor Wut. Als Schafyke ihn in diesem Zustand sah, sagte
sie zu ihm: „O edler Herr, meine Gebieterin schickt Dir dieses nicht aus
Verachtung zurück, sondern sie ist dem Tod nahe, und findet, dass Du allein
würdig bist, diese Sachen wieder in die Hände zu bekommen.“ Da sprach
Abbaas: „Was ist die Ursache ihres Zustandes?“ – „Du weißt es am
Besten,“ erwiderte sie: „Denn bei Gott, ich kenne weder unter Arabern,
noch unter fremden Völkern, noch unter den Königssöhnen einen, der ein
unempfindlicheres Herz hätte, als Du. Wie kann Dir es so leicht fallen, das
Leben der Maria zu verbittern, so dass sie es bedauert, auf der Welt zu sein,
und sie dieselbe nun wirklich bald wegen Dir verlassen wird. Bei Gott, unter den
Königstöchtern ist keine, die ihr gleicht.“ Abbaas wurde durch diese Rede
sehr gerührt, und es war ihm keineswegs gleichgültig, Maria so leidend zu
wissen. Daher sagte er Schafyke, ob sie ihm könne eine Unterhaltung mit Maria
verschaffen? „Vielleicht gelingt es mir,“ fügte er hinzu, „sie
zu beruhigen.“ Als sie ihm dieses versprochen hatte, begab er sich mit ihr
ins Schloss. Nach ihrem Eintritt in die Gemächer der Maria, verschloss Schafyke
alle Türen, und als er in das Zimmer der Fürstin trat, fand er sie auf einen
Teppich ausgestreckt liegen. Ihr Gesicht glich der untergehenden Sonne. Um sie
herum lagen mit Straußfedern ausgestopfte Polster. Sie selbst aber bewegte kein
Glied. Als Schafyke sie in diesem Zustand sah, glaubte sie, sie wäre tot, und
wollte schon das Schloss mit ihrem Klagegeschrei anfüllen, allein Abbaas hielt
sie davon ab. „Warte,“ sprach er, „bis wir genau uns überzeugen,
und sollte Gott ihren Tod beschlossen haben, so öffne mir die Türe, und lass
mich unbemerkt wieder hinausgehen. Dann kannst Du tun, was Dir beliebt.“
Hierauf näherte er sich der Maria, legte seine Hand auf ihre Brust, und
fühlte, dass ihr Herz noch ganz leise schlug, und dass noch Leben in ihr wäre.
Er berührte nun ihre Wange. Da öffnete sie ihre Augen, blickte die Schafyke
an, und fragte sie durch Zeichen, wer das wäre, der ihren Teppich beträte, und
sich in ihr Gemach gewagt hätte. Diese näherte sich ihr, und sprach: „O
Fürstin, es ist der König Abbaas, wegen welchem Du das Leben zu verlassen
wünschtest.“ Sobald Maria hörte, dass es Abbaas wäre, hob sie ihre Hand
unter der Decke empor, legte sie auf den Hals des Abbaas, und strengte ihre
Kräfte an, um sich etwas aufzurichten, worauf sie sich eine geraume Zeit
unterhielten. Dann wandte sie sich an Schafyke, und befahl, etwas zu essen zu
bringen. Dies wurde auch bald herbei geholt, und sie aßen, ohne zu fürchten,
dass jemand sie stören könnte. Als schon der Morgen beinahe anbrach, sprach
Abbaas: „Nun ist es Zeit, dass ich mich aufmache, und zu Deinem Vater gehe,
auf dass ich um Dich anhalte, wie es unser Gesetz und unsere Religion
vorschreibt.“ – „Bei Gott,“ sprach Maria, „das ist ein
schöner Vorschlag.“ Abbaas begab sich nunmehr nach seinem Haus zurück. Am
anderen Morgen begab er sich zu seinem Vater, der auf der grünen Weise am Ufer
des Tigris seine Zelte aufgeschlagen hatte, die so zahlreich waren, und die
wegen ihrer großen Menge, so nah aneinander aufgeschlagen werden mussten, dass
niemand dazwischen wegen der sich durchkreuzenden Stricke, womit sie befestigt
waren, gehen konnte. Als Abbaas dem Lager nahe kam, erkannten ihn die Truppen,
und einige Abteilungen begaben sich sogleich zu ihm, und bezeigten ihm ihre
Ehrerbietung. Endlich näherte er sich auch dem Zelt seines Vaters, der, so wie
er seine Ankunft vernahm, ihm sogleich entgegen ging, ihn umarmte, und ihn mit
sich in sein Zelt nahm. Als sie einige Zeit sich unterredet hatten, sprach der
König zu seinem Sohn: „Nun ist es Zeit, Dich zur Rückkehr zu bereiten,
denn die Untertanen sind in unserer Abwesenheit wie eine Herde ohne Hirten. Da
blickte Abbaas seinen Vater an, und eine große Traurigkeit bemächtigte sich
seiner. Als er sich wieder erholt hatte, sagte er folgende Verse:

„Ich habe ihn umarmt und bin trunken worden von dem
entzückenden Muskusgeruch, ich habe mich ergötzt an dem Anblick dieses
schlanken Zweiges.
Trunken wurde ich von dem Wein, der aus seinem Mund floss, doch noch trunkener
von der Wohne seiner Liebe.
Die Schönheit hat auf ihre Wangen ihr Siegel aufgedrückt, und alles, was
schön ist, widmet sich ihr als Sklave, daher herrschte sie auch über die
Herzen.
Wie kann man mich schelten, sie zu lieben, nachdem die Sehnsucht mich von ihren
Lippen nehmen ließ, was ich nahm.
Bei Gott, nie wird in meinen Sinn kommen, sie zu vergessen, so lange mich noch
das Leben fesselt.
Nur in Liebe zu ihr will ich leben, und in der Liebe zu ihr will ich sterben!
Wie wonnevoll ist das für mich!“

Als er geendigt hatte, sprach der Vater zu ihm: „Bei
Gott, mein Sohn, gibt es etwas, was Du nicht erreichen kannst, so eile ich Dir
alle meine Schätze anzubieten um Dir dazu zu verhelfen.“ – „O mein
Vater,“ antwortete Abbas, „ich habe freilich ein sehr beunruhigendes
Anliegen, wegen welchem ich auch mein Land und meine Familie verlassen, und mich
vielen Mühseligkeiten ausgesetzt habe. Ich bitte dich, Du wollest mir mit
Deiner einsichtsvollen Weisheit dazu verhelfen.“ – „Was kann ich
tun?“, fragte der Vater. – „Ich bitte Dich, Du mögest gehen, und für
mich um Maria, die Tochter des Königs von Bagdad, anhalten, denn mein Herz ist
ganz für sie eingenommen.“ Er erzählte hierauf seinem Vater alles
umständlich, was sich zwischen ihm und Maria zugetragen hatte. Als der König
dieses hörte, stand er sogleich auf, befahl, dass man ihm das Pferd, an dem die
Reihe war, vorführte, und mit ihm begaben sich zugleich vierundvierzig
Fürsten, die Vornehmsten seines Reiches, zu Ross zu dem König von Bagdad. Da
dieser sie ankommen sah, lies er sogleich die Tore seines Schlosses öffnen,
ging ihnen entgegen, ersuchte sie, mit auf sein Schloss zu kommen, und ließ
ihnen die kostbarsten Teppiche ausbreiten. Der König von Bagdad aber setzte
sich auf seinen Thron, ließ den König Asys neben sich auf einen goldenen
Stuhl, dessen Füße von Elfenbein, und mit Perlen und Juwelen verziert waren,
setzen, und ihnen die kostbarsten Speisen auftragen. Vierundzwanzig Hammel und
ebenso viele Ochsen und Gänse mussten geschlachtet, Hühner und Tauben mussten
gefüllt und gebraten werden, und in einer verhältnismäßig sehr kurzen Zeit
wurden die Speisen in goldenen und silbernen Schüsseln aufgetragen. Nach
eingenommenem Mahl wurde Wein in den kostbarsten Gefäßen vorgesetzt. Nach
diesem wurden die Tonkünstler des Hofes hereingerufen, und sogleich betraten
vierundzwanzig Mädchen den Saal. Unter ihnen befanden sich Lauten-, Klavier-
und Violin-Spielerinnen. Als diese ihr Talent gezeigt hatten, sprach der König
Asys zu dem König von Bagdad: „Ich habe Dir etwas zu sagen, wovon mich die
Anwesenden nicht abhalten sollen. Genehmigst Du es, so soll alles, was ich habe,
zu Deinen Diensten stehen, und Deine Feinde sollen auch die meinigen sein.“