Project Description
972. Nacht
Amer tat dies, und als sie aus dem Zelt traten, fanden sie
die Reiterei, zwölftausend Mann stark, und angeführt von Sahal, dem Sohn Kaabs.
Dieser ritt auf einem prächtigen schwarzen Rappen, und hieb nach Amer, welcher
sofort die Flucht ergriff. Nunmehr stürzte er sich auf Abbaas, welcher dem Amer
zurief: „Siehe nur auf mein Pferd, und beschützte meinen Rücken.“
Jener tat dieses, und Abbaas stürzte sich in die Reihen der Reiter, brachte die
Tapfersten zum Weichen, und tötete beinahe zweitausend Mann derselben, ohne
dass jemand wusste, woher die Niederlage käme, und wen sie zu bekämpfen
hätten. Auch verbreitete sich unter ihnen das Gerücht von dem Tod des Königs.
„Für wen sollen wir denn kämpfen?“, sprachen sie nun, „da der
König tot ist? Nun ist es Zeit, entweder vor dem Feind zu fliehen, oder sich
unter seine Fahnen zu begeben.“ Dies letzte befolgten sie denn auch,
stiegen von ihren Pferden, legten ihre Waffen ab, und begaben sich mit dem
Zeichen der Untertänigkeit zu Abbaas, den sie für den Anführer eines großen
Kriegsheeres hielten. Die Nachricht von diesem Ereignis verbreitete sich bald in
der Umgegend, und von allen Seiten kamen die Leute zu Abbaas geströmt. Drei
Tage hielt er sich auf dem Schlachtfeld auf, während welcher Zeit er von den
erbeuteten Schätzen unter die zu ihm übergegangene Armee und unter die zu ihm
gekommen Bewohner der Umgegend Geschenke austeilte, und ihre Huldigungen
empfing. Sodann befahl er ihnen, zum Okeel aufzubrechen, bei welchem sie denn
auch am siebenten Tag anlangten. Vorher befahl er seinem Diener Amer, ihm in das
Lager Okeels voranzugehen, und diesem seine Ankunft zu melden. Dieser entledigte
sich seines Auftrags, und meldete diesem zugleich den Tod Sohairs und den Sieg
über dessen Scharen. Okeel freute sich ebenso über die Ankunft des Abbaas, als
über den Tod seines Feindes, und beides verbreitete Frohlocken in dem ganzen
Lager. Amer wurde mit Ehrenkleidern bedeckt, und Okeel befahl sogleich, dem
Abbaas entgegen zu ziehen. Niemand durfte sich ausschließen, weder Groß noch
Klein, weder Herr noch Knecht. Nach einem Zug von drei Parasangen trafen sie ihn
auch wirklich an. Abbaas und Okeel stiegen von ihren Pferden, umarmten sich, und
im Triumph zog der erstere in Okeels Lager ein, wo für alle sehr prächtige
Zelte errichtet wurden, in denen das ehemals feindliche Kriegsheer freundliche
Aufnahme fand. Die kostbarsten Gemüse und seltensten Fleischarten wurden
verteilt, und königliche Gastmahle zwanzig Tage lang gefeiert.
Was unterdessen den König Asys, den Vater des Abbaas
betrifft, so war er nebst seiner Gemahlin seit der Abreise seines Sohnes, sehr
betrübt. Als nun die Nachtrichten von ihm so lange ausblieben, und die zu seiner
Rückkehr festgesetzte Zeit verstrichen war, befahl er, ein Kriegsheer zu
versammeln, und die Reiterei aufsitzen zu lassen. Drei Tage lang ließ er in
seinen Staaten diesen Befehl kund tun, mit dem Beifügen, dass keine
Entschuldigung irgend eines Saumseligen angenommen werden würde. Am vierten Tag
befahl der König, das Heer zu zählen, und es fand sich, dass es sich bis auf
24000 Mann zu Ross belief, die Dienerschaft und den Tross ungerechnet. Darauf
wurden die Fahnen erhoben, und die Trommeln zum Aufbruch geschlagen, und das
Heer zog nun, den König an der Spitze, gerades Weges nach Bagdad. Als sie nur
noch eine halbe Tagesreise von dieser Stadt entfernt waren, befahl er, dass das
Heer an dem Ort, welcher die grüne Wiese genannt wurde, sein Lager aufschlagen
sollte. Fast hätte es in dieser großen Ebene nicht Platz gehabt. Dem König
wurde dort ein Zelt aus grünem Damast, welches mit Perlen und Edelsteinen
besetzt war, errichtet. Nach kurzem Aufenthalt dort verlangte der König, dass
die fünfundzwanzig Mamelucken seines Sohnes, die sich mit bei dem Heer
befanden, vorgeführt würden. Von den zehn Mädchen, die seinem Sohn gehörten,
und die von ausgezeichneter Schönheit waren, hatte der König bloß fünf
mitgenommen. Die übrigen hatte er bei der Mutter des Abbaas zurückgelassen.
Als die Mamelucken erschienen, gab er jedem von ihnen eine grün damastne
Mütze, und befahl ihnen, Rosse zu besteigen, welche einander ganz gleich waren,
sodann nach Bagdad zu reiten, und sich dort nach ihrem Herrn, dem Abbaas zu
erkundigen. Sobald sie dort angelangt waren, durchstreiften sie Straßen und
Märkte, und erregten durch ihre Pracht so viel Aufsehen, dass niemand, weder
alt noch jung, zu Hause blieb, und alle sich aufmachten, um diesen schönen
Anblick zu sehen. Endlich gelangten sie auch an das Schloss des Königs, welcher
sie eben kommen sah, und über ihre Schönheit, Pracht und jugendliche Gestalt
ganz erstaunt war. „Ich möchte doch wohl wissen,“ sagte er bei sich selbst,
„von welchem Stamm diese Leute sind.“ Zugleich befahl er einem seiner
Verschnittenen, Kundschaft über sie einzuziehen.
Dieser eilte sofort zu ihnen, und befragte sie. –
„Gehe zu Deinem Herrn,“ sagten sie zu ihm, „und frage ihn nach
dem König Abbaas, ob er etwas zu ihm gekommen ist. Denn bereits hat er den
König, seinen Vater, seit länger als einem Jahr verlassen. Die Sehnsucht,
seinen geliebten Sohn wieder zu sehen, hat ihn bewogen, persönlich mit einem Teil
seines Heeres auszuziehen, und ihn zu suchen.“ – „Ist denn unter Euch
irgend einer seiner Brüder oder ein Sohn von ihm?“, fragte sie der
Verschnittene hierauf. – „Nein,“ antworteten sie, „wir sind alle
seine Sklaven, die er mit seinem Geld gekauft hat. Sein Vater, der König Asys,
hat uns gesandt, um uns wegen ihm zu erkundigen. Gehe also zu Deinem Herrn,
frage ihn, und bringe uns seine Antwort.“ – „Wo ist denn der
König?“, fragte der Verschnittene weiter. „Er befindet sich auf der
grünen Wiese,“ war ihre Antwort. Der Verschnittene begab sich sogleich zum
König zurück, um ihm seine Kunde mitzuteilen. Da merkte endlich der König,
und bereute es, dass er den Abbaas nicht nach Würden behandelt habe, ob er
gleich vermutet hatte, dass er ein Königssohn sei. Wie er eben noch mit diesen
Betrachtungen beschäftigt war, trat seine Gemahlin herein, und bemerkte, dass
er über irgend etwas sehr in Sorge sein müsse. „Was macht Dir solchen
Kummer?“, fragte sie ihn. – „Erinnerst du Dich noch an den jungen
Fremden,“ antwortete er, „welcher mir die zwei goldnen Kästchen mit
den Rubinen verehrte?“ – „Ja, wohl.“ – „Siehst Du die jungen
Leute, die dort auf dem Schlossplatz versammelt sind? Das sind seine Mamelucken,
und sein Vater Asys, der König von Jemen, ist auf der grünen Wiese mit seinem
Kriegsheer, um ihn abzuholen.“ Als die Königin das hörte, betrübte sie
sich sehr, nahm vielen Anteil an Abbaas, und riet zugleich dem König die Mamelucken
auf das köstlichste bewirten zu lassen. Diesen Vorschlag befolgte er sogleich,
sandte seine Verschnittenen aus, um jene in schönen Häusern unterzubringen,
und ließ ihnen zugleich sagen, sie möchten warten, bis er ihnen Nachricht von
ihrem Herrn geben würde. Bei diesen Worten entrannen ihren Augen Tränen der
Freude, weil sie nun hofften, ihren Herrn bald wieder zu sehen. Der König aber
riet seiner Gemahlin, sich hinter das Gitterwerk zu verbergen, während er die Mamelucken
vorfordern lassen würde. Als sie erschienen, küssten sie die Erde vor seinen
Füßen, und erwiesen ihm die größten Ehrenbezeigungen. Er lud sie ein, sich
zu setzen. Sie schlugen es aber aus, bis er sie endlich im Namen ihres Herren,
des Abbaas, darum bat. Da taten sie es endlich, und nun wurden ihnen alle Arten
Speisen, Früchte und Zuckerwerk vorgesetzt. Während sie speisten, schickte die
Königin Assyse zu ihrer Tochter Maria, und ließ ihr sagen, sie möchte doch zu
ihr kommen. Es ging nämlich von dem Gemach aus, in welchem sich die Königin
befand, ein unterirdischer Gang bis zum Schloss Marias. Durch diesen Gang begab
sich diese nun ungesehen hinter das Gitterwerk zu der Königin. Sobald sie dort
angelangt war, zeigte ihre Mutter ihr an, dass Abbaas der Sohn des Königs von
Jemen gewesen sei, dass die Anwesenden seine Mamelucken seien, und dass sein
Vater mit seinem Heer auf der grünen Wiese angelangt sei, um ihn zu suchen:
Maria betrachtete nun voll Verwunderung diese Mamelucken, und die Schönheit
ihres Anzuges. Als sie gespeist hatten, wiederholte ihnen der König nochmals,
was er ihnen bereits von Abbaas gesagt hatte, und verabschiedete sie alsdann.
Nachdem Maria in ihr Schloss zurückgekehrt war, dachte sie an alles, was
zwischen ihr und Abbaas vorgefallen war, und bereute innigst, dass sie ihn auf
eine so schnöde Art behandelt hatte. Nunmehr fasst die Liebe zu ihm in ihrem
Herzen Wurzel. so wie die Nacht herangenaht war, befahl sie ihrer ganzen
Dienerschaft, sich zu entfernen, und nun nahm sie alle die Briefe vor, die sie
von Abbaas empfangen hatte, um sie durchzulesen. Dies Geschäft machte sie nun
so traurig, dass sie die ganze Nacht mit Weinen zubrachte. Als der Morgen
anbrach, rufte sie eines ihrer Mädchen, mit Namen Schafyke1).
So wie diese kam, sagte sie zu ihr: „Ich habe Dir etwas mitzuteilen, was
mich sehr betrübt, wobei ich aber von Dir das strengste Geheimnis verlange. Ich
wünschte nämlich, dass Du zu der Frau des Kaufmanns gehst, und sie zu mir
führst, denn ich bedarf ihrer in einer sehr traurigen Angelegenheit.“