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971. Nacht

Ganz entstellt vor Schmerz kam sie zu Abbaas zurück.
Dieser schien vor Betäubung wie aus einem Schlaf zu erwachen, als er sie in
diesem Zustand ankommen sah. „Sage, was ist Dir begegnet?“, rief er
ihr zu. – „Ich bitte Dich, schicke mich nie mehr zu Maria, sie hat mich
schändlich behandelt, und so ist es mir ergangen.“ Darauf erzählte sie
ihm alles genau, und Abbaas, von Ehrgefühl ergriffen, fühlte sich so
beleidigt, dass seine Liebe zu ihr erlosch. „Wie viel bekamst du monatlich
von Maria?“, fragte er sie. – „Zehn Goldstücke,“ war ihre
Antwort. – „Betrübe Dich nicht,“ sagte er nun zu ihr, indem er ihr
zweihundert Goldstücke gab, „hier gebe ich Dir Dein Jahresgehalt. Höre
von nun an auf, irgend jemandem vom königlichen Hofe Dienste zu leisten. Wenn
das Jahr vorüber ist, sollst Du das doppelte erhalten, sowohl für Deine
Bemühungen um mich, als auch weil Du von Maria ausgestoßen bist.“
Zugleich übergab er ihr ein schönes Kleid, und sprach: „Da Du mir nun die
Handlungsweise Marias offenbart hast, fühle ich mich ganz frei von ihr. Gott
hat meine Liebe zu ihr aus meinem Herzen gerissen, und nie wird sie wieder in
mir rege werden. Gepriesen sei der, der die Herzen und die Gesinnungen ändert.
Sie ist Ursache, dass ich Jemen, mein Vaterland, verlassen habe, nun ist die
Zeit verstrichen, binnen welcher ich meinem Vater zurückzukehren versprach. Ich
fürchte sogar, er möchte mit seinem Heer aufbrechen und mich aufsuchen. Denn
er hat keinen anderen Sohn, als mich. Mein Vater und meine Mutter werden über
mein langes Ausbleiben untröstlich sein.“ – „Mein Herr,“
erwiderte die Frau des Kaufmanns, „welcher König ist Dein Vater?“ –
„Mein Vater ist Asys, König von Jemen und Nubien, Beherrscher der Inseln
Kachtaan und der zwei heiligen Städte Medina und Mekka, die Gott beschützen
möge. Wenn mein Vater sich in den Krieg begibt, so umgeben ihn 124000 tapfere
Reiter, den Hofstaat und das Gefolge ungerechnet. Alle folgten seinen Befehlen,
so wie auch den meinigen.“ – „Warum aber,“ fragte sie ihn
hierauf, „hast Du ein Geheimnis daraus gemacht, und Deine edle Abkunft
verborgen? Warum hast Du Dich in das Gewand der Unbekannte und Fremdlinge
geworfen? Welcher Schimpf für uns, dass wir Dir nicht die gebührende Ehrfurcht
erwiesen haben! Wie können wir uns darüber bei Dir entschuldigen?“ –
„Bei Gott,“ erwiderte er, „Du hast in nichts gefehlt, sondern ich
werde Dir lebenslang große Dankbarkeit schuldig bleiben, wenn ich auch noch so
fern von Dir sein werde.“ – Zugleich rief er seinen Diener Amer, und befahl
ihm, das Ross zu satteln. Als die Frau dies hörte, und die Pferde vorführen
sah, flossen Tränen aus ihren Augen, und sie sprach: „Wie schmerzt mich
Deine Trennung, Du Wonne meiner Augen! Wohin begibst Du Dich jetzt, damit ich
Nachrichten von Dir erfahren kann?“ – „Von hier,“ erwiderte er,
„begebe ich mich zu Okeel, meinem Vetter. Er ist eben bei dem Stamm Kenda
ben Hescham. Schon zwanzig Jahre habe ich jenen nicht gesehen. Ich will mich
daher nun zu ihm begeben, und sehen, wie es ihm geht, und dann wieder hier durch
nach Jemen reisen.“ Hierauf empfahl er sich bei ihr und ihrem Mann um sich
zu Okeel, dem Sohn seines Oheims, zu begeben, bis zu welchem er von Bagdad aus
noch vierzig Tagesreisen hatte. Er schwang sich auf sein Ross, und sein Diener
folgte seinem Beispiel.

Als sie unterwegs warne, sagte Abbaas folgendes Gedicht:

Ich bekämpfe die gegen mich Verbündeten. Ich bin der
seltene Tapfere. Ich töte die Feinde, ich durchdringe ihre Reihen.
Ich mache mich auf, um Okeel zu besuchen. Ich verdopple meine Schritte, ich
durcheile die Wüsten, und mein treuer Amer folgt mir.
Wer uns mit Feindschaft droht, oder uns den Weg streitig macht, auf den stürze
ich mich, wie der Tiger auf seine Beute.
Mit Wehe und Schimpf überdecke ich ihn, und zum letzten Trank reiche ich ihm
den Becher des Todes.
Mein Wurfspieß bahnt sich den Weg durch die Lüfte zu jedem Feind, und mein
blankes Schwert ist Felsen durchdringend.
Mit mir ist weder ein Heer, noch irgend jemand, der mir hilft, nur allein Gott,
mein Herr und mein Schöpfer. Ihm sei Preis.
Auf ihn baue ich in allen Schrecknissen, auf ihn, der dem Herrn so wie dem
Diener die Fehltritte verzeiht. –

Sie setzten nun ihren Weg fort, als sie auf einmal von
fern eine Menge arabischer Zelte erblickten. Als er nach ihnen fragte, wurde ihm
gesagt, dass es der Stamm der Benisachra sei, und dass sie Feinde des Okeel
wären. Eine Menge Lasttiere und Herden waren um diesen Stamm versammelt. Man
sagte ihm ferner, dass sie oft den Okeel überfielen, und ihm seine Lasttiere
raubten, obgleich er ihnen jährlich einen Tribut bezahle, weil er ihrer Macht
nicht zu widerstehen imstande sei. Als Abbaas sich den Zelten genähert hatte,
stieg er ab, so wie auch Amer, und sie setzten sich beide hin, um zu essen und
auszuruhen. Dann befahl Abbaas seinem Diener, Wasser zu holen, um die Pferde zu
tränken, und welches für die Reise mitzunehmen. Dieser nahm sofort den
Schlauch, und ging nach Wasser. Als er an den Brunnen gekommen war, fand er dort
zwei Leute mit Stricken. So wie sie den Amer erblickten, fragten sie ihn:
„Wohin willst Du? Und von welchen Arabern bist Du?“ – „Füllt
meinen Schlauch, ihr Männer, ich bin ein reisender Fremder. Mein Gefährte
wartet auf mich.“ – „Du bist kein Reisender,“ entgegnete ihm
jener, „sondern Du bist ein Kundschafter des Okeel.“ Zugleich
ergriffen sie ihn und brachten ihn zu Sohair, Sohn des Schabib. Als er vor ihn
kam, fragte ihn dieser ebenfalls, von welchen Arabern er wäre? Und er
beantwortete es ebenso wie das vorige mal: Auf die Frage: „Woher kommst Du?
Und wohin Willst Du?“, antwortete er: „Ich will zu Okeel.“ So wie
Sohair diesen Namen nennen hörte, zitterte er vor Wut, und winkte seinen
Leuten. Auf die Frage: Was er bei Okeel wolle? Antwortete er, dass er nebst
seinem Gefährten ihn besuchen wolle. Als Sohair dieses hörte, befahl er, den
Amer zu enthaupten. Sein Wesir indessen riet ihm davon hab, bis er auch seinen
Gefährten in seiner Gewalt haben würde. Er befahl sogleich zweien Sklaven, ihn
zu holen. Als sie bei Abbaas angekommen waren, riefen sie ihm zu: „Komm und
gib dem König Sohair Red und Antwort.“ – „Und was verlangt der König
von mir?“, fragte sie Abbaas. – „Das wissen wir nicht,“ war die
Antwort. – „Und wer hat den König von meiner Ankunft unterrichtet?“ –
„Wir waren eben Wasser holen gegangen, als ein Mann ankam, den wir
befragten. Da er uns aber keine befriedigende Antwort gab, so schleppten wir ihn
zum König Sohair. Diesem sagte er nun, dass er zu Okeel gehe. Okeel aber ist
ein Feind es Königs, und deshalb hat dieser beschlossen, ihn anzufallen, und
seine Kinder fortzuführen, um seine Nachkommenschaft zu vernichten.“ –
„Und was hat denn Okeel getan, dass der König sich dieses vorgenommen
hat?“ – „Er hat sich verpflichtet,“ erwiderten sie, „dem
König jährlich tausend Pferde, zweihundert Sklaven, und fünfzig Mädchen zu
geben. Der König hat aber erfahren, dass Okeel damit umgehe, diesen Tribut
nicht mehr zu zahlen. Daher ist er nun entschlossen, ihn anzugreifen. Komm also
bald mit uns, ehe der König sich erzürnt.“ Da sprach Abbaas zu ihnen:
„Bleibe indessen ei meinen Waffen und Pferden, bis ich zurückkehre.“
– „Du machst sehr viel Worte,“ sagten sie zu ihm, „das ziemt Dir
gar nicht. Mache Dich schnell auf. Wo nicht, so bringen wir dem König Dein
Kopf. Denn er will Dich und Deinen Gefährten ohnehin töten, und Deine Sachen
rauben.“ Als Abbaas dieses hörte, wurde er entrüstet, jagte ihnen durch
seine Worte Furcht ein, sprang aufs Pferd, und eilte zum Zelt des Sohair. Dort
rief er mit lauter Stimme: „Zu Pferde ihr Tapferen, zu Pferde!“ Und zu
gleicher zeit richtete er seine Lanze nach dem Zelt Sohairs, um welches
Schwertträger die Wache hielten. auf diese stürzte er sich, durchbrach ihre
Reihen, und gelangte in das Zelt Sohairs, in welchem er diesen ganz allein sah.
Hier rief er ihm zu: „O Sohair, genügt es Dir nicht, dem Okeel einen
Tribut auferlegt zu haben, willst Du noch ihn und seine Nachkommen ausrotten?
Weißt Du nicht, dass er zum Geschlecht Kenda gehört, welcher ein Nachkomme des
Schaiban ist, so berühmt durch seine Tapferkeit? Bist Du so begierig, ihn wegen
seiner Schätze zu überfallen, da Du schon so viele seiner Tapferen getötet
hast? Aber, bei Mohammed, ich werde Dich den Tod kosten lassen!“ Mit den
Worten zog er sein Schwert heraus, hieb auf den König, und spaltete ihn. In
demselben Augenblick trat sein Wesir herein, den er ebenfalls tötete.
Plötzlich hörte er jetzt die Stimme Amers, der ihm zurief. „Komm, rette
mich, sonst bin ich verloren!“ Abbaas eilte zu ihm hin, und fand ihn
zwischen vier Ketten gebunden, auf dem Rücken liegend. Sogleich löste er seine
Banden, und sprach: „Komm, Amer, und gehe mir voran!“