Project Description

96. Nacht

Geschichte
der zerstückelten Frau und des jungen Mannes, Ihres Gatten

„Beherrscher der Gläubigen, ihr sollt wissen, dass
die zerstückelte Frau meine Frau und eine Tochter meines Oheims von
väterlicher Seite, hier dieses Greises, war. Als ich sie heiratete, war sie
erst zwölf Jahre alt, und es sind seit dieser Zeit elf Jahre verflossen. Ich
habe von ihr drei lebende Knaben, und ich muss ihr die Gerechtigkeit widerfahren
lassen, dass sie mir nie das geringste Missvergnügen verursacht hat. Sie war
verständig, wohlgesittet, und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit darauf, mir zu
gefallen. Ich meinerseits liebte sie innigst, und kam allen ihren Wünschen
zuvor, statt mich ihnen zu widersetzen.

Vor ungefähr zwei Monaten wurde sie krank. Ich trug alle
möglichen Sorge für sie und sparte nichts, um ihre schnelle Genesung zu
bewerkstelligen. Nach Verlauf eines Monats fing sie an, sich besser zu befinden
und wollte ins Bad gehen. Ehe sie die Wohnung verließ, sagte sie zu mir:
„Mein Vetter (denn so nannte sie mich vertraulich), ich habe ein großes
Gelüst auf äpfel, und du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du mir
welche verschafftest. Seit langer Zeit quält mich dieses Gelüst, und es hat
sich, ich gestehe dir’s, so vermehrt, dass ich fürchte, es begegnet mir irgend
ein Unfall, wenn es nicht bald befriedigt wird.“ – „Sehr gern,“
erwiderte ich ihr, „ich will mein Möglichstes tun, um dich zu
befriedigen.“

Ich ging sogleich auf alle Märkte und zu allen Buden, um
äpfel zu holen, konnte aber keine finden, obgleich ich für das Stück eine
Zeckine bot. Ich kam wieder nach Hause, sehr ärgerlich über meine vergebliche
Mühe. Als nun meine Frau aus dem Bad zurückgekommen war und keine äpfel sah,
fühlte sie darüber einen Verdruss, der sie die Nacht nicht schlafen ließ. Ich
stand am frühen Morgen auf und ging in alle Gärten, aber mit so wenigem
Erfolg, als am vorhergegangenen Tag. Ich traf bloß einen alten Gärtner, der
mir sagte, was für Mühe ich mir auch geben möchte, ich würde doch nirgends,
als im Garten Euer Majestät zu Balsora, äpfel finden.“

Da ich meine Frau leidenschaftlich liebte und mir nicht
den Vorwurf zuziehen wollte, irgend etwas zu ihrer Befriedigung verabsäumt zu
haben, so zog ich ein Reisekleid an und reiste, nachdem ich sie von meinem
Vorhaben unterrichtet hatte, nach Balsora. Ich eilte so sehr, dass ich nach
Verlauf von vierzehn Tagen wieder heimgekehrt war. Ich brachte drei äpfel mit,
wovon mir das Stück eine Zeckine gekostet hatte. Es waren im ganzen Garten
nicht mehr zu finden, und der Gärtner hatte sie mir nicht wohlfeiler geben
wollen. Bei meiner Ankunft überreichte ich sie meiner Frau, aber es fand sich,
dass ihr das Gelüst vergangen war. Sie begnügte sich also damit, sie in
Empfang zu nehmen und an ihre Seite zu legen. Doch war sie fortwährend krank,
und ich wusste nicht, durch welches Mittel ich ihr übel heilen sollte.

Als ich einige Tage nach meiner Heimkehr, an dem
öffentlichen Ort, wo man alle Arten von feinen Stoffen verkauft, in meinem
Laden saß, kam ein großer schwarzer Sklave mit sehr widerwärtigem Gesicht,
und hielt einen Apfel in der Hand, den ich sogleich für einen der aus Balsora
mitgebrachten erkannte. Auch konnte ich nicht daran zweifeln, da ich wusste,
dass es in Bagdad und allen umliegenden Gärten keinen gab. Ich rief den
Sklaven: „Guter Sklave,“ sagte ich zu ihm, „woher hast du diesen
Apfel?“ – „Er ist,“ antwortete er mir lächelnd, „ein
Geschenk, welches mir meine Liebste gemacht hat. Ich bin heute bei ihr gewesen
und habe sie unpässlich gefunden. Es lagen drei äpfel neben ihr, und als ich
sie fragte, woher sie sie hätte, antwortete sie mir, dass die gute Seele, ihr
Mann, ausdrücklich eine Reise von vierzehn Tagen gemacht, um sie ihr zu
verschaffen, und dass er sie ihr mitgebracht hätte. Wir haben zusammen einen
Imbiss zu uns genommen, und als ich fort ging, nahm ich mir diesen Apfel hier
mit.“

Diese Worte brachten mich außer mir. Ich stand auf,
schloss den Laden, eilte nach Hause und in das Zimmer meiner Frau. Ich sah
sogleich nach den äpfeln, und da ich nur zwei erblickte, fragte ich nach dem
dritten. Als hierauf meine Frau den Kopf auf die Seite wendete, wo die äpfel
lagen und deren nur zwei sah, so antwortete sie mir kalt: „Mein Vetter, ich
weiß nicht, wo er hingekommen ist.“ Nach dieser Antwort stand ich nicht
an, zu glauben, der Sklave habe mir die Wahrheit gesagt. Zu gleicher Zeit
überließ ich mich einer eifersüchtigen Wut, zog einen Dolch, den ich in
meinem Gürtel trug, und stieß ihn in die Brust dieser Unglücklichen. Hierauf
schnitt ich ihr den Kopf ab, zerteilte ihren Rumpf, machte daraus einen Pack,
den ich in einen Korb zum Zusammenlegen steckte, und nachdem ich die öffnung
des Korbs mit einem Faden roter Wolle zugenäht hatte, verschloss ich ihn in
einer Kiste, die ich, sobald es dunkel war, auf meinen Schultern lud und in den
Tiger warf.

Meine beiden kleinsten Kinder hatten sich schon
niedergelegt und schliefen, und das dritte war außer dem Hause. Ich fand es bei
meiner Rückkehr an der Türe sitzend und heiße Tränen weinend. Ich fragte es,
warum es weinte. „Mein Vater,“ sagte es zu mir, „ich habe heute
Morgen meiner Mutter, ohne dass sie etwas davon gesehen hat, einen von den drei
äpfeln genommen, die du ihr mitgebracht hast. Ich habe ihn lange behalten, aber
als ich vorhin mit meinen kleinen Brüdern auf der Straße spielte, hat mir ihn
ein vorübergehender großer Sklave aus der Hand gerissen. Ich bin ihm
nachgelaufen, um den Apfel wieder zu fordern. Aber obgleich ich ihm sagte, dass
er meiner kranken Mutter gehörte und dass ihr eine Riese von vierzehn Tagen
gemacht hättet, um ihn zu holen, ist doch alles unnütz gewesen. Er hat mir ihn
nicht wiedergeben wollen, und da ich ihm schreiend nachgelaufen bin, hat er sich
umgedreht, hat mich geschlagen und ist nachher aus Leibeskräften durch mehrere
abgelegene Straßen gelaufen, so dass ich ihn aus dem Gesicht verloren habe.
Seit dieser Zeit bin ich außerhalb der Stadt spazieren gegangen, um eure
Rückkehr abzuwarten, und ich wartete euer, mein Vater, um euch zu bitten, dass
ihr meiner Mutter nichts sagen möchtet, damit sie das nicht kränker
mache.“ Indem er diese Worte endigte, verdoppelten sich seine Tränen.

Die Rede meines Sohnes versetzte mich in eine
unbegreifliche Betrübnis. Nun erkannte ich die ungeheure Größe meines
Verbrechens, und ich bereute es, aber zu spät, den Lügen des elenden Sklaven
Glauben beigemessen zu haben, der aus dem von meinem Sohn Gehörten sich die
traurige Fabel zusammengesetzt hatte, die ich für Wahrheit hielt. Mein Oheim,
der hier gegenwärtig ist, kam, um seine Tochter zu sehen, aber statt sie lebend
zu finden, erfuhr er von mir, dass sie nicht mehr wäre, denn ich verschweig ihm
nichts, und ohne darauf zu harren, dass er mich verdammte, erklärte ich mich
selber für den größten Verbrecher. Dessen ungeachtet verband er, statt mich
mit Verwürfen zu überhäufen, seine Tränen mit den meinigen, und wir
beweinten drei Tage lang unaufhörlich, er den Verlust einer Tochter, die er
immer zärtlich geliebt hatte, und ich den einer Frau, die mir immer teuer
gewesen war, und deren ich mich auf eine so grausame Art beraubt hatte, weil ich
gar zu leicht den Worten eines lügnerischen Sklaven traute. Dies ist,
Beherrscher der Gläubigen, das aufrichtige Geständnis, welches Euer Majestät
von mir verlangt hat. Ihr wisst nun alle Umstände meines Verbrechens, und ich
bitte Euch demütigst, dessen Bestrafung zu befehlen. So streng sie auch sein
mag, ich werde nicht darüber murren, sondern sie zu leicht finden.“