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959. Nacht

Die Schöne sagte hierauf zu ihm: „Komm näher.“
Als er sich ihr nun näherte, stieß sie ihn mit den Füßen von sich, so dass
er auf die Erde fiel, und sagte: „Diesen garstigen Mann mag ich nicht zum
Herrn.“ Annahas stand wieder auf, schüttelte sich den Staub ab, und
sprach: „Wer will mehr bieten?“ Da nahte sich ein anderer Kaufmann,
und der Verkäufer fragte sie, ob sie von diesem gekauft werden wollte. Als sie
ihm aber wiederum sagte: „Komm näher,“ so antwortete er:
„Erkläre Dich nur, ich werde Dich schon von meinem Ort aus hören.“
Sie sagte ihm nun, dass sie auch diesen nicht wolle. Zugleich aber stand sie
auf, und näherte sich dem jungen Mann aus Damaskus. Denn dieser hatte einen
tiefen Eindruck auf sie gemacht, so wie anderseits auch er durch ihre Schönheit
ganz bezaubert war. Sowie Annahas dies bemerkte, trat er zu ihm und tat an ihn
die Frage: „Bist Du hier bloß Zuschauer oder Käufer?“ – „Ich
bin beides,“ war die Antwort: „Willst Du mir aber wohl das Mädchen
für 1600 Goldstücke verkaufen?“ Mit diesen Worten zog er zugleich seinen
Beutel heraus, und Annahas kehrte voll Freude sich um, und sprach zu sich
selbst: „So muss es kommen, so, sonst wird nie etwas daraus.“ Zugleich
wendete er sich zu dem Mädchen und fragte sie: „Soll ich Dich diesem
jungen Mann aus Damaskus um 1600 Goldstücke verkaufen?“ –
„Nein,“ sagte sie aus Scham vor ihrem Herrn und vor der versammelten
Menge, welche nach und nach auseinander ging. Auch Abunnawas und Nureddin entfernten sich.

Das Mädchen aber, deren Herz ganz von Liebe für Nureddin
entbrannt war, dachte die ganze Nacht hindurch an ihn, und konnte nicht
schlafen, und da dieser Zustand mehrere Tage so fortdauerte, verfiel sie in
Schwermut, erkrankte, und wollte nichts mehr essen. Da trat einst ihr Herr zu
ihr herein, und fragte sie nach ihrem Befinden. „Ach,“ erwiderte sie,
„ich muss sterben, daran ist kein Zweifel. Nur eine einzige Bitte habe ich
noch an Dich, nämlich die, dass Du mir mein Leichentuch kaufst, damit ich es
ansehe, und mich an den Gedanken des Todes gewöhne.“ Da ging ihr Herr ganz
betrübt hinaus, begab sich auf den Markt, wo er einen seiner Freunde, einen
Seidenhändler antraf, der an jenem Tag, wo auf das Mädchen geboten wurde,
gegenwärtig gewesen war. „Warum bist Du so betrübt?“, fragte ihn
dieser. – „Ach,“ antwortete er, „Sittulmulach ist todkrank. Seit
drei Tagen schon isst und trinkt sie nicht mehr, und als ich heute zu ihr kam,
da bat sie mich, ich möchte ihr ein Leichentuch kaufen.“ Da sagte der
Seidenhändler: „Ich glaube, sie ist in den jungen Mann aus Damaskus
verliebt. Ich rate Dir, wenn Du jetzt nach Hause kommst, so sprich mit ihr von
ihm, und stelle Dich, als wenn er Dir gesagt hätte, er wolle zu Dir kommen, um
sie singen zu hören. Wenn sie Dir dann sagt: überhebe mich dessen, denn mich
beschäftigt jetzt etwas ganz anderes, als der junge Mann aus Damaskus, so
kannst Du überzeugt sein, dass sie Dir die Wahrheit gesagt hat. Wenn sie Dir
aber etwas anderes antwortet, so zeige mir es nur an.“ Annahas begab sich
demnach sogleich nach Hause zurück, und sagte zu der Sklavin: „O
Sittulmulach, ich bin wegen Dir ausgegangen, und da ist mir der junge Mann aus
Damaskus begegnet. Er lässt Dich grüßen, und wünschte sehr, Dich näher
kennen zu lernen, auch hat er mich gebeten, ihm zu erlauben, dass er zu mir
kommen dürfe, um etwas von Dir singen zu hören.“ Als sie das Wort
Damaskus hörte, stieß sie einen Seufzer aus, und sprach: „Ach, er weiß
wohl nicht den traurigen Zustand, in dem ich mich befinde. Ich bitte Dich, gehe
hin und entschuldige mich bei ihm.“ Als Annahas dieses hörte, war er vor
Freuden außer sich, ging zu seinem Freund, dem Seidenhändler, und sprach zu
ihm: „Du hast ganz recht, sie liebt den jungen Mann. Was ist nun zu
tun?“ – „Gehe nur jetzt auf den Markt,“ erwiderte der andere,
„und wenn Du ihn siehst, so sage ihm: Es hat mir neulich sehr leid getan,
Dich so unverrichteter Sache weggehen zu lassen. Wenn Du sie aber noch kaufen
willst, so will ich Dir aus Achtung, und um Dir gefällig zu sein, hundert
Goldstücke vom gebotenen Preis nachlassen, besonders darum, weil Du bei uns
hier fremd bist. Wenn er Dir nun antwortet: Ich will sie nicht mehr kaufen, so
zeige mir es an, damit ich etwas anderes aussinne. Wenn er Dir aber etwas
anderes sagt, so verbirg mir es ebenfalls nicht.“ Er ging also auf den
Markt, und traf dort den bewussten Mann, der da eben große Handlungsgeschäfte
machte. Sie grüßten sich sehr freundschaftlich, und Annahas redete mit ihm von
der Sklavin, bot sie ihm um hundert Goldstücke weniger an, und fügte dann
hinzu: „Ja um Dir, als Fremden eine Gefälligkeit zu erweisen, will ich sie
Dir noch billiger lassen.“ – „Bei Gott,“ erwiderte jener,
„ich nehme sie nicht an, außer Du empfängst von mir mehr noch, als ich
Dir geboten habe. Darum musst Du sie mir schon für 1700 Goldstücke
verkaufen.“ – „Das tue ich sehr gern,“ antwortete jener,
„Gott segne Dir diesen Kauf.“ Nureddin ging nun sogleich in sein Haus,
nahm einen Beutel, und begab sich zu Annahas, dem er den eben gebotenen Preis in
Gegenwart des ebenen angekommenen Seidenhändlers auszahlte, und verlangte, dass
sie herausgeführt würde. „Ach,“ sagte Annahas, „das ist jetzt
in diesem Augenblick nicht möglich, aber habe die Güte, und sei heute Tag und
Nacht mein Gast. Morgen kannst Du dann Dein Mädchen mitnehmen, und in Gottes
Namen fortgehen.“ Nureddin willigte ein, und nach einer Stunde wurden die
Speisen aufgetragen.