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958. Nacht
Geschichte von Abul Hassan aus Damaskus und seinem Sohn
Nureddin Ali 1)
In Damaskus lebte vor sehr alten Zeiten ein sehr reicher
Kaufmann. Er besaß sowohl Grundstücke in Syrien, als auch Schlösser, Gärten
und Bäder in Damaskus selbst. Dieser Mann, welcher Abulhassan hieß, war schon
bejahrt, hatte aber noch keine Kinder. Daher flehte er unablässig Gott um die
Verleihung dieser Gnade an, sowohl in seinen öffentlichen Gebeten, als auch in
denen, die er in der Einsamkeit verrichtete: Da er doch gern einem Sohn seine
großen Reichtümer hinterlassen wollte. Endlich erhörte Gott seine Bitten, und
seine Gattin gebar ihm einen Sohn, dessen Schönheit allgemeine Bewunderung
erregte. Er nannte ihn Nureddin Ali, kleidete, aus Dankbarkeit gegen Gott, die
Armen, beschenkte die Witwen und Waisen. Als sein Sohn zehn Jahre alt war,
bracht er ihn in die Schule, wo er den Koran, die Schreibkunst, und Auszüge aus
Büchern zu machen erlernte. In dem Alter von zwölf Jahren aber lernte er
reiten, Pfeile abschießen, und sich mit Wissenschaften jeder Art beschäftigen.
Dabei war er höflich, wohlwollend, mildtätig und angenehm, so dass er
jedermann, der ihn sah, bezauberte. Nunmehr bewarb er sich um die Freundschaft
mehrerer junger Leute, und mischte sich unter die Kaufleute und unter die
Reisenden. Von diesen hörte er nun erzählen, was sie auf ihren Reisen in den
verschiedenen Ländern für Merkwürdigkeiten und Seltenheiten gesehen hatten.
Auch pflegten sie wohl hinzuzufügen: „Wer das und das nicht gesehen, der
hat nichts gesehen, vor allen aber die Stadt Bagdad.“ Da betrübte er sich
sehr, dass er noch nie gereist war. Er scheute sich selbst nicht, seinem Vater
seinen Missmut merken zu lassen, und als ihn dieser einst darüber befragte, so
antwortete er ihm: „Ich wünschte sehr, eine Reise zu machen.“ –
„Ach, mein Sohn,“ antwortete jener, „wie kannst Du Lust haben, zu
reisen, da man nur in der höchsten Not es zu tun pflegt. Ohne gründlichen
Zweck wird wohl niemand eine Reise unternehmen. Du aber, Du Bist ja so
glücklich. Begnüge Dich daher mit dem, was Dir Gott verliehen hat, und tue
Gutes, wie er Dir Gutes erwiesen hat. Belaste Dich aber nicht mit den
Mühseligkeiten und Sorgen einer Reise, sondern bedenke nur, dass man
sprichwörtlich sagt: „Reisen ist eine Art von Strafe.“ Der Sohn
erwiderte indessen: „Ich will dennoch nach Bagdad reisen, denn man hat mir
zu viel anziehendes von diesem Ort erzählt.“
Als sein Vater sich von der großen Neigung seines Sohnes
überzeugte, entschloss er sich, seinem Wunsch zu willfahren, ließ die nötigen
Vorbereitungen treffen, gab ihm fünftausend Goldstücke bar, und für ebenso
viel Geld an Waren mit, und zugleich zwei Diener zur Begleitung. Der Sohn reiste
nun ab, unter den Segenswünschen seines Vaters, der ihn eine Strecke weit
geleitete, und ihn alsdann verließ. Nureddin Ali aber setzte seine Reise
ununterbrochen fort, bis er endlich Bagdad erreichte, wo er sein Gepäck in eine
Niederlage ablegen ließ. Er selbst begab sich hier sogleich in ein
Reinigungsbad, legte nachher seine Reisekleider ab, welcher er mit den
kostbarsten Gewändern vertauschte, streckte in seinen ärmel einen Beutel mit
tausend Goldstücken, und spazierte dann, oder stolzierte vielmehr, in den
volkreichen Straßen dieser prächtigen Stadt umher, wo er die Aufmerksamkeit
eines jeden auf sich zog, indem man seinen Wuchs mit einem schlanken Zweig, und
seine Wangen mit Rosen verglich, und sich beeilte, ihn zu grüßen. Irgend ein
Dichter äußert sich über einen ähnlichen jungen Mann folgendermaßen:
„Dich sehen, oder Dich hören, gleichviel, beides
erregt Dir Neider. Nehmt Euch ein nützliches Beispiel, die ihr dieses höret!
Wahr bleibt es immer: Stolz darf der nicht darauf sein, den ein köstliches
Gewand ziert, sondern der nur kann es sein, dessen Tugenden seine Kleider
zieren.“
Nureddin begab sich hierauf auf die öffentlichen Plätze
und Märkte, wo er das Leben unter der Volksmenge bewunderte. Hier traf ihn ein
gewisser Abunnawas an, der in dem Ruf stand, dass er sich auf das Schöne wohl
verstehe. Dem sei aber wie ihm wolle, genug dieser Abunnawas, der ganz von der
Schönheit des Nureddin bezaubert war, näherte sich ihm, grüßte ihn, und
fragte ihn: „Warum sehe ich meinen Herrn so einsam, so abgesondert. Wie es
scheint, so bist Du hier fremd und kennst diese Stadt gar nicht? Mit Deiner
gütigen Erlaubnis will ich Dir meine Dienste anbieten, und Dir die
öffentlichen Plätze, Märkte und Gebäude zeigen und kennen lehren, denn mir
ist alles dieses wohl bekannt.“ Da sprach Nureddin: „Du wirst mir
damit eine große Gefälligkeit erweisen, und mich zur höchsten Dankbarkeit
verpflichten.“ Darüber freute sich Abunnawas außerordentlich, und begann
seinem neuen Freunde alle Merkwürdigkeiten Bagdads zu zeigen. So kamen sie denn
auch an das Haus des Sa’yd Annahas2).
Hier blieb Abunnawas stehen, und fragte den Nureddin, woher er wäre, und auf
die Antwort desselben: Er sei aus Damaskus, konnte dieser in seinen Lobsprüchen
auf diese Stadt gar nicht aufhören, welches dem Nureddin viele Freude machte.
Endlich traten sie in das Haus, wo dem Abunnawas alle Bewohne raus Hochachtung
entgegen kamen, weil sie wussten, wie sehr er beim Kalifen geschätzt war.
Annahas ließ sogleich zwei Stühle bringen, auf welche sie sich setzten, aber
er begab sich wieder in das Innere des Hauses zurück, und brachte eine sehr
schöne Sklavin heraus, die mit einem köstlichen Gewand bekleidet war, und
ließ sie auf einen Sessel von Ebenholz setzen. „So will ich Euch,“
fragte er dann die beiden Fremden, indem er ihr den Schleier aufhob, „ein
Gesicht zeigen, das einem Vollmond gleicht, wenn er in seiner ganzen Pracht
hinter den Wolken hervortritt?“ – „Tue es,“ sagten sie, und in
diesem Augenblick glaubten sie die Sonne vor sich zu sehen, so sehr waren sie
geblendet und entzückt. Ein Dichter sagt von ihrer Schönheit folgende Verse:
„Wenn sie den Götzendienern vorgestellt würde, so
würden sie selbige statt ihrer Götzen, wahrlich zu ihrem einzigen Gott machen.
Und wenn von ungefähr etwas von ihrem Speichel in das Weltmeer fiele, so würde
dieses Salzwasser zu süßem trinkbaren Wasser werden.“
Einer von den anwesenden Kaufleuten, die sich zum
Sklaveneinkauf eingefunden hatten, bot gleich bei ihrem Anblick tausend
Goldstücke für sie. Ein anderer überbot ihn um hundert Goldstücke, ein
dritter sagte: „Ich gebe fünfzehnhundert Goldstücke für sie.“ Da
nach diesem kein Gebot mehr getan wurde, erklärte der Besitzer, dass er mit ihr
das Abkommen getroffen hätte. Sie nur dann dem Meistbietenden zu überliefern,
wenn er ihr gefiele. Da fragten ihn die Anwesenden nach ihrem Namen, und er
sagte: Sie hieße Sittulmulach3).
Da sprach Annahas zu ihr: „Wenn es Dir beliebt, so werde ich Dich diesem
Kaufmann um 1500 Goldstücke verkaufen.“