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951. Nacht

Die Könige der Geister fanden sich ebenfalls bald ein,
und grüßten sie, so wie auch Kamrye mit ihren Schwestern. Die Tische wurden
bereitet, man aß und trank, und Kamrye überreichte der Tochfa einen Becher,
und da sie eben ein Veilchen in der Hand hielt, bat sie dieselbe, ein Lied auf
dieses zu singen. Tochfa tat es denn auch auf folgende Weise:

„Mich umgibt ein Obergewand von grünen Blättern,
und ein lasurfarbenes Ehrengewand umgibt meinen Körper.
Klein bin ich, doch mit Schönheit geziert, und mein Geruch, der so sanft ist,
hat wenig seines gleichen.
Mit Stolz wird zwar immer der Rose Erwähnung getan, aber gleich mir, hat sie
ihr Beginnen und ihr Vergehen.“

Die Königin beschenkte sie darauf mit einem Ehrenkleid,
gestickt mit Perlen und Edelsteinen, und wohl 20000 Goldstücke wert, nebst
einem Becken, worin sich 10000 Goldstücke befanden. Dies alles geschah vor den
Augen des Maimun, der keine Blick von ihr verwandte. Dieser bat sie sodann, ihm
auch etwas zu singen. Doch da erhub sich eine andere Königin, mit Namen Salsala1)
und sprach: „Daraus kann nichts werden. Du lässt ja Tochfa kaum Zeit, uns
anzusehen, und belagerst sie ja völlig.“ – „Ich wünsche aber, dass
sie mir etwas singen soll.“ Da antwortete ihm die Königin Salsala mit
Heftigkeit, so dass ein förmlicher Streit entstand, und sie sich genötigt sah,
ihre Geistergestalt anzunehmen. In ihrem Zorn ergriff sie nun eine Granitsäule,
und sprach: „Wehe Dir, bist Du so übermütig geworden, dass Du es wagst,
so mit mir zu sprechen? Wenn nicht die Ehrfurcht, die ich den Königen schuldig
bin, und die Besorgnis, diese Versammlung zu beleidigen, so wie die Hochachtung,
die dem Ablys gebührt, mich abhielt, so würde ich die Torheit schon aus Deinem
Kopf zu treiben wissen.“ Als Maimun dieses hörte, funkelten seine Augen
vor Wut, und er sprach: „O Du Tochter Amlaks, wie kannst du so verwegen
sein, mir dieses zu sagen?“ Sie aber antwortete ihm mit Schimpfworten, und
wollte eben die Säule auf ihn schleudern, als Ablys aufstand, seinen Turban auf
die Erde warf, und sprach: „Maimun, so ist es von jeher gewesen. Stets,
wenn Du gegenwärtig bist, hast Du unsere Freude gestört. Du kannst nie
schweigen, und auch dieses Mal störst Du unsere Freude. Ist alles beendigt, und
jeder an seinen Ort gegangen, dann kannst Du machen, was du willst. Wehe Dir,
Maimun! Weißt Du nicht, dass Amlak einer der größten Geister ist? Und wenn
ich nicht so enthaltsam wäre, so würdest Du die Strafe sehen, die ich über
Dich verhängen kann. Aber die Freude, in der wir jetzt sind, mäßigt mich. Sei
also vernünftig, und bedenke, mit wem Du es hier zu tun hast.“ Ablys
wandte sich nunmehr zu Tochfa, beruhigte sie, und machte ihr einige Geschenkte
für die Gesänge, mit denen sie ihn ergötzt hatte. Ebenso tat auch die
Königin Salsala, welche befahl, ihre Schatzkammer zu öffnen, und daraus der
Tochfa einen Korb zu überreichen, in welchem sich fünfzig Paar Ohrgehänge,
mehrere Kleider, alles von Gold und mit Edelsteinen besetzt, nebst 100000
Goldstücken befanden. Zugleich überreichte sie ihrer Schwester Scharare einen
Becher, und da eben eine Narzisse vor ihr lag, bat sie Tochfa, etwas darüber zu
singen. Diese begannen, wie folgt:

„Meine Gestalt gleicht einem Zweig von Smaragd, und
mein Geruch hat seines gleichen nicht.
Meinen Kelch bewundert man mit Wonne, und geringer als ich erscheint mir alles,
was in den Gärten ist.“

Scharare freute sich über diesen Vers, überreichte den
Becher der Königin Vahime, welche in ihrer Hand eine Anemone hielt, und bat
Tochfa, nachdem sie ihr viele Geschenke überreicht hatte, etwas darüber zu
singen, welches sie in folgenden Worten tat:

„Die Gattung Blumen, zu der ich gehöre, scheint von
Gott selbst gefärbt zu sein, denn meine Farbe ist die schönste unter allen.
Zwar bin ich aus der Erde entsprossen, aber mein Bleiben ist auf den Wangen der
Schönen.“

Vahime war entzückt über diese Verse, machte ihr
kostbare Geschenke von 200000 Goldstücken, überreichte den Becher der Königin
Scha’ae2), welche die
Beherrscherin des vierten Meeres war, welche auch ihrerseits die schönen
Gesänge der Tochfa mit 100000 Goldstücken belohnte. Ablys nötigte jetzt die
Gesellschaft aufzubrechen. Tochfa blieb allein zurück, begab sich in den
Garten, nahm ein Bad, betete und überließ sich ihren Gedanken. Die Sonne war
bereits aufgegangen, und hunderttausende von Vögeln bedeckten die Bäume, und
erfüllten die Luft mit ihrem Gesang. Plötzlich erschien eine Menge von
Sklaven, die einen goldenen Thron trugen, zu dem man auf vier Stufen
emporsteigen musste, die ferner eine Menge von Teppichen ausbreiteten, Kissen
darauf legten, und Wohlgerüche auf Kohlen streuten. Hierauf erschien eine
Königin, schöner, als je die Augen sie gesehen, und herrlicher, als je irgend
jemand beschrieben worden ist, umgeben von fünfhundert Sklavinnen, welche, so
schön sie auch waren, alle von der Königin überstrahlt wurden. Auf ihrem
Haupt trug sie eine Krone mit Perlen und Edelgesteinen besetzt, und so trat sie
zu Tochfa, welche sie erstaunt anblickte, vor ihr aufstand, und sich vor ihr
tief neigte.


1)
Erbeben