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940. Nacht
Jedoch um uns genauer davon zu überzeugen, gingen wir an
den Fluss, und wuschen ihn ab, und er überzeugte sich, dass er sich nicht
geirrt habe. „Ja,“ sagte er hierauf, „es ist mein Bruder. Er
hatte die Gewohnheit, sich bei den Leuten einzuschleichen, um eine gute Mahlzeit
zu genießen und sich zu belustigen.“ Der Mann warf indessen doch den Kopf
ins Wasser. Ich aber war tödlich bestürzt. „Fürchte nichts,“ sagte
er indessen zu mir, „Du sollst die Strafe dieses Unglücks nicht tragen, da
es ganz wider Willen geschehen ist.“ Er half mir alsdann meine Kleider
abwaschen, begleitete mich bis an mein haus, und verließ mich da, indem er mir
nochmals sagte: „Fürchte nichts, und sei unbesorgt, denn Du hast mir
früher Freundschaft erwiesen, und von nun an sollst Du mich nicht mehr wieder
sehen.“ Mit diesen Worten ging er davon.
Da wunderten sich die Anwesenden über die Zurückhaltung
des Mannes, über sein Verzeihen und über seine Höflichkeit.
Nun fing der vierzehnte Beamte an, folgende Posse zu
erzählen:
„Ein Dieb ging in ein Haus, um von einem großen
Haufen Getreide einen Sack voll zu stehlen. Auf dem Getreide lag ein großer
kupferner Kessel, dessen man sich als Maß zu bedienen pflegte. Indessen er
merkte, dass die Leute des Hauses ihn bemerkt hatten, und hörte, dass sie ihm
nachliefen. Nirgends sah er einen Schlupfwinkel, und fand sogar daher kein
anderes Mittel, als sich in den ungeheuren Haufen Korn schnell zu verbergen und
jenen Kessel über seinen Kopf zu decken. Die Leute kamen, suchten ihn überall,
fanden ihn aber nicht. Jedoch der Staub des Getreides war dem Mann so in die
Nase gefahren, dass er auf einmal schrecklich niesen musste, und da dieser Ton
aus dem Kessel kam, so hoben sie diesen auf, und fanden den Mann darunter. Sie
ergriffen ihn nun, und wollten ihn auf das Polizeiamt führen. Allein er bat
sie, und sprach: „Seid barmherzig gegen mich, und habt Mitleid mit mir, wie
ich gegen Euch Mitleid gehabt habe, denn als ich sah, dass ihr Euch so mühtet,
mich zu suchen, nieste ich, um Euch den Ort anzuzeigen, wo ich mich verborgen
hielt. Erbarmt Euch meiner, so wird sich auch Gott Eurer erbarmen.“ Da
ließen sie ihn laufen, ohne ihn zu strafen.
Hierauf sprach der Sultan: „O liebe Scheherasade,
erzähle mir noch eine Geschichte.“
„Eine ähnliche fällt mir eben ein,“ erwiderte
sie. „Ein Mann hatte sich bei folgender Gegebenheit den Namen des
Unerschrockenen erworben. Einst ging er mit einem seiner Gefährten auf einen
Markt, wo sie viele Sachen stahlen; dann trennten sie sich, und jeder ging heim
in seine Stadt. Aber an einem gewissen Tag versammelte sich die ganze
Diebesbande, und als sie im besten Trinken waren, zog einer unter ihnen eine
sehr kostbaren Stoff hervor, und sagte: „Wer unter Euch wird wohl die
Kühnheit haben, es zu wagen, diesen Stoff auf demselben Markt, ja auf demselben
Platz zu verkaufen, auf welchem er gestohlen worden ist? Einem solchen wollen
wir dann den Zunamen des Unerschrockenen geben.“ Da sagte jener: „Ich
will es tun.“ – „Nun, so mache Dich auf,“ sagte die Gesellschaft
zu ihm, „wir wünschen Dir glück zu Deinem Unternehmen.“ Er nahm nun
am anderen Morgen den Stoff, ging auf den Markt, wo er genommen worden war, und
setzte sich an denselben Laden, woraus man ihn gestohlen hatte. Hier ließ er
ihn durch den Ausrufer feil bieten. Dieser nahm den Stoff, bot ihn dem
Meistbietenden zum Kauf an, und da der Herr des Ladens den Stoff für den
seinigen erkannte, so tat er ebenfalls einige Gebote darauf, schickte aber zum
Polizeiaufseher. Dieser kam, und bemächtigte sich dessen, der den Stoff
gebracht hatte. Indessen, er war erstaunt, an ihm eine so unerschrockenen Mann
zu sehen. Auch fand er, dass er schöne Kleider und ein sehr ehrbares Aussehen
hatte. Er fand sich daher veranlasst, ihn vorher zu fragen, woher er dieses
Stück habe? „Von diesem Markt,“ antwortete er ganz unbefangen,
„und aus diesem Laden, an welchem ich saß.“ – „hast Du ihn denn
von dem Herrn des Ladens gekauft?“ – „Nein,“ erwiderte er,
„ich habe diesen Stoff und noch mehreres andere gestohlen.“ –
„Wie kannst Du denn aber,“ fragte der Polizeibeamte, „eine Sache
an demselben Ort verkaufen, wo sie gestohlen worden ist?“ –
„Das,“ erwiderte er, „kann ich nur dem Sultan entdecken, und
zugleich will ich ihn wegen etwas wichtigen warnen.“ – „Entdecke mir
es,“ erwiderte der Polizeibeamte. „Bist Du der Sultan?“, fragte
ihn hierauf der Dieb. Ein kurzes nein war seine Antwort. „Nur dem Sultan
will ich mich offenbaren, habe ich Dir schon gesagt, bringe mich zu ihm.“
Als sie vor diesen kamen, sprach der Dieb: „O Herr, ich will Dir etwas
entdecken, bitte aber zugleich um Deine Gnade.“ – „Und was willst Du
mir denn entdecken?“, fragte ihn der Sultan, welchen der Polizeibeamte
schon von allen Umständen der Verhaftung jenes Mannes benachrichtigt hatte.
„O Sultan,“ antwortete er, „ich war ein Dieb, nun aber tue ich
Buße, und verspreche Dir alles Diebesgesindel und alle übeltäter in Deine
hand zu liefern, und wen ich Dir anzuzeigen unterlasse, an dessen Stelle will
ich selber die Strafe leiden.“ Der Sultan, der wohl einsah, dass der Zweck
dieses Mannes nur dahin ging, sich ihm vorstellen zu lassen, weil er dieses
sonderbare Mittel gewählt hatte, traute seinen Worten, ließ ihm ein schönes
Kleid geben, schenkte ihm seine Freiheit, und wünschte, dass er in seiner Buße
fortfahren möchte. Von da ging dann der Dieb zu seinen Genossen, denen er die
ganze Geschichte erzählte, und die ihn dafür den Unerschrockenen nannten, und
ihm auch noch den preis dieser Tat, über welchen sie unter sich einig geworden
waren, einhändigten. Nun aber nahm der Unerschrockene den ganzen übrigen Teil
des gestohlenen Gutes in Beschlag, und überlieferte ihn dem Sultan, wodurch er
bei diesem zu hohem Ansehen kam, so dass dieser befahl, das ganze Gut ihm zum
Lohn zu lassen. Dann fuhr er fort, manchmal Kleinigkeiten zu überliefern, bis
man endlich ganz vergaß, dass er früher ein Dieb gewesen war.“
Nunmehr trat der fünfzehnte Vorsteher hervor, und sagte:
„Ich kann Euch ein Beispiel erzählen, dass Gott das eigene Zeugnis der
Diebe gegen sie selbst gewandt hat, und zwar kann ich das durch folgende
Geschichte beweisen.“
„Ein Mann hatte lange Zeit das Räuberhandwerk für
sich allein betrieben. nachdem er nämlich anfangs kleine Diebereien begangen
hatte, war er endlich so weit gekommen, dass er allein es wagte, einer Karawane
etwas zu stehlen. Dabei entging er stets der Wachsamkeit der Behörde, indem er
jedes mal in die Gebirge flüchtete. Einmal reiste auch ein Mann durch die
Gegend, wo dieser Räuber sich aufhielt. Er war ganz allein, und ahnte nicht das
Unglück, das ihm hier bevorstand. Kaum hatte er die Hälfte seines Weges
zurückgelegt, als jener Räuber auf ihn zukam, und ausrief: „Liefere mir
aus, was Du bei Dir hast, denn dies ist die letzte Stunde Deines Lebens.“ –
„Töte mich nicht, sondern nimm den vierten Teil von allem, was ich bei mir
habe, an.“ – „Ich will das Ganze,“ erwiderte der Dieb. „Nun
wohl,“ sagte der Kaufmann, „nimm die Hälfte, und lass mich
gehen.“ – „Ich teile nicht mit Dir,“ sagte jener, „das Ganze
will ich nehmen, und dann Dich töten.“ – „So nimm es denn hin,“
erwiderte der andere. Der Räuber nahm es, und schickte sich hierauf an, ihn zu
töten. „Was tust Du da?“, sprach jetzt der Kaufmann, „lastet
denn auf mir ein Vergehen, welches Blutrache verdient?“ Doch jener ließ
sich durchaus nicht erbitten. Da fiel ihm der Mann zu Füßen, drang mit Bitten
in ihn, und flehte seine Barmherzigkeit an. Allein der Räuber hörte gar nicht
auf ihn, sondern warf ihn zu Boden. Da sah soeben der Kaufmann ein Rebhuhn hoch
über ihm fliegen. In seiner Verzweiflung rief er aus: „O Rebhuhn, bezeuge,
dass dieser hier auf die ungerechteste Art mein Mörder ist. Alles, was ich bei
mir führe, habe ich ihm angeboten, um mein Leben für meine Kinder zu erhalten.
Allein er hat sich dadurch nicht bewegen lassen. Zeuge also wider ihn, denn in
dem heiligen Koran steht: „Gott ist nicht unaufmerksam auf die Taten der
Gottlosen.“ Indessen alles dieses war vergebens, und der Räuber hieb ihm
den Kopf ab. Nach einiger Zeit wurden die Bemühungen der Behörde endlich mit
Erfolg gekrönt, und der übeltäter eingezogen. Allein er wusste sich so gut zu
benehmen, dass er sich bei den Vornehmsten einschmeichelte, und dass sie, in
Hoffnung, er würde ihnen bei Einfangung anderer Räuber nützlich sein können,
ihn nicht nur gut behandelten, sondern auch noch reichlich beschenkten. Ja er
wurde sogar ein Freund des Präfekten, aß und trank fast täglich bei ihm, und
wurde so vertraut mit ihm, dass er ihm manche Begebenheit seines früheren
Treibens erzählte. Eines Tages wurden bei der Mahlzeit auch gebratene
Rebhühner aufgetragen. Als der Räuber diese sah, lachte er laut auf. Darüber
erzürnte sich der Präfekt, und fragte ihn: „Warum lachst Du? Spottest Du
meiner, oder findest Du hier etwas unschickliches?“ – „Nein, gewiss
nicht,“ sprach jener, „allein als ich diese Rebhühner sah, erinnerte
ich mich an etwas aus meinem früheren Zeiten.
„Da ich nämlich noch Straßenräuber war, überfiel
ich einst einen Mann, der in seinem Mantelsacke viel Geld hatte. „Gib mir
den Sack,“ rief ich ihm zu, „Deine letzte Stunde hat geschlagen. Er
bot mir den vierten Teil an, dann die Hälfte, endlich das Ganze, damit ich ihn
nur möchte gehen lassen. Allein ich sagte: „Ich muss Dich töten.“
Während dieses Gespräches sah er Rebhühner fliegen und rief aus: Ihr
Rebhühner, seid zeugen, dass dieser ungerechter Weise mein Mörder ist, und
mich nicht für meine Kinder leben lassen will, da ich ihm doch alles, was ich
habe, angeboten habe.“ Allein ich hörte nicht auf ihn, sondern tötete
ihn, ohne mich um das Zeugnis der Rebhühner zu bekümmern.“ über diese
Schändlichkeit ergrimmte der Präfekt so sehr, dass er sein Schwert zog, und
ihm mit eigener Hand den Kopf abhieb, welcher auf den Tisch fiel. In demselben
Augenblick hörte man eine Stimme folgende Verse hersagen:
„Wenn Du nicht willst mit Bösem behandelt sein, so
tue Du selbst nichts Böses. Tue vielmehr Gutes, so wird Dir Gott mit gleichem
vergelten.
Denn alles, was dir zustößt, ist mir von Gott vorher bestimmt. Allein Deine
Taten, die Gott auch voraus sah, legen den Grund dazu.“
Auf diese Art hatten denn die Rebhühner wirklich gegen
ihn Zeugnis abgelegt.
Da wunderten sich die Gegenwärtigen, und riefen:
„Wehe den Gottlosen!“
Der sechzehnte Vorsteher erzählte seine Geschichte mit
folgenden Worten:
„Eines Tages begab ich mich auf die Reise. Unterwegs
kam ein Räuber auf mich zu, und wollte mich töten. „Bei mir wirst du
nichts finden,“ sagte ich zu ihm, „ich habe nichts bei mir, und Du
wirst von mir nichts gewinnen.“ – „Nun wohl,“ erwiderte der
Räuber, „so habe ich doch wenigstens den Vorteil, dich zu töten.“ Da
nun nichts half, und er sich meiner bemächtigen wollte, gelang es mir, ihm zu
entfliehen. Jedoch am Ufer des Nils holte er mich ein, warf mich auf die Erde,
und kniete mir auf die Brust. Da flehte ich Gott um Hilfe, und sprach: „O
Herr, rette mich von diesem Bösewicht.“ Dieser zog unterdessen sein Messer
hervor, und wollte mich erstechen. In demselben Augenblick aber kam ein Krokodil
aus dem Fluss, stürzte ihn von meiner Brust, nahm ihn in seinen Rachen,
während er noch das Messer in der Hand hatte, und ich pries Gott, dass er mich
auf eine so wunderbare Art gerettet hatte.“
Hier schwieg Scheherasade, weil sie den Morgen anbrechen
sah, und in der nächsten Nacht begann sie folgende Geschichte: