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928. Nacht

Alle drei, Selma, Selim und seine Gattin überließen sich
drei Tage lang der Freude über ihre Wiedervereinigung, und lebten diese Zeit
über von allen Menschen zurückgezogen. Unterdessen verbreitete sich die
Nachricht in der Stadt, dass der König seinen Bruder wieder gefunden habe,
welcher zwei Jahre lang vermisst, und beim Koch angetroffen worden sei. Es
versammelten sich daher am vierten Tag die vornehmsten Einwohner der Stadt nebst
den Anführern des Kriegsheers, und baten um Erlaubnis, vorgelassen zu werden,
welche ihnen denn auch bewilligt wurde. Darauf befahl Selma, die bis jetzt als
König regiert hatte, auch ihrem Bruder zu huldigen, welches sofort geschah.
Hierauf hielt der König (nämlich Selma) eine Anrede, worin sie ihnen
vorstellte, dass sie nicht ganz freiwillig, sondern bloß auf ihre Bitten, das
Königreich übernommen habe, und das sie sich freue, sie mit ihrer Regierung
zufrieden zu sehen. „Wisst indessen,“ fügte sie hinzu, „dass ich
eine Frau bin, und dass ich mich nur als Mann gekleidet habe, um, nachdem ich
meinen Bruder verloren, meinen Zustand vor der Welt verborgen zu halten. Da nun
aber Gott mich ihn hat wieder auffinden lassen, und es mir nicht ziemt, als Frau
zu herrschen, da die Weiber keine Macht haben sollen, solange Männer da sind,
so schlage ich Euch vor, meinen Bruder zum König zu erwählen. Ich für meine
Person will mich von der Welt zurückziehen, und bloß dem Dienst Gottes fortan
mich widmen. Wollt ihr aber lieber einem anderen das Königreich übertragen, so
trefft nach Belieben eine Wahl.“ Sie riefen indessen alle: „Nein, wir
wollen Deinen Bruder als König anerkennen.“ Sie huldigten ihm nun auf der
Stelle. Die Gebete wurden in seinem Namen verlesen, die Dichter priesen ihn, und
er verteilte Geschenke an die Armen und an seinen Hofstaat. Sodann befahl er,
den Koch vor den Diwan zu führen, so wie auch dessen Familie. Nach gefälltem
Urteilsspruch wurden alle vor die Stadt gebracht, dort gemartert, und sodann
getötet. Die alte Frau aber, die an seiner Rettung Ursache war, ließ er
unbestraft. Als er noch ein Jahr lang mit aller Gerechtigkeit und Auszeichnung
regiert hatte, begab er sich nach Mansoura, wo er ein ganzes Jahr verblieb. In
der Folge wechselte Selim alljährlich mit seinem Aufenthalt in seinen beiden
Hauptstädten, bis er endlich mit Kindern gesegnet wurde, in deren Mitte er mit
seiner Schwester und seiner Gattin noch lange Jahre glücklich lebte.

Doch diese Geschichte ist nichts im Vergleich mit
derjenigen von dem König von Indien und seinem ungerechten Wesir.

Geschichte von dem König von Indien und
dem ungerechten Wesir 1)

In Indien lebte einst ein sehr mächtiger und
verständiger König, Namens Schachbacht. Dieser hatte einen frommen, gerechten
Wesir, dem er sein ganzes Zutrauen schenkte. Dies zog dem Wesir viel Neider zu,
die ihm alle Arten von Fehlern andichteten, dem König Argwohn einflößten, ja
endlich den König veranlassten, ihn vom Hof zu entfernen. Allein sehr bald
vermisste der König seinen treuen Ratgeber, und niemand von allen denen, die
sich um seine Person befanden, vermochte ihm die Weisheit des Verabschiedeten zu
ersetzen. Je länger dieser Zustand währte, desto mehr Missgriffe wurden in der
Regierung gemacht, die ihm das Herz der Untertanen abwendig machten, so dass das
Reich zuletzt dem Untergang nahe war.


1)
Achtundzwanzigste Nacht des Wesirs.