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925. Nacht

Selim antwortete hierauf: „Ich leiste Dir den Schwur,
den Du mir vorschreiben wirst, dass ich Dein Geheimnis verschweigen, und Deines
Betragens mit keinem Buchstaben erwähnen will, so lange ich lebe.“ –
„Nun wohl,“ sprach der Koch, „ich bin entschlossen, Dich frei zu
lassen, insofern nämlich, dass ich Dich mit meinem Bruder zur See abreisen
lassen will, und zwar in der Eigenschaft seines Sklaven. Wenn er mit Dir dann in
Indien angekommen sein wird, kann er Dich verkaufen, und so wirst du von Deiner
Gefangenschaft befreit und vor dem Tod gesichert sein.“ – „Wohl,“
sprach Selim, „ich genehmige diese Bedingungen, und bitte Gott, dass er Dir
dafür gnädig sein möge.“

Der Koch bereitete also alles zur Reise seines Bruders
vor, besorgte ihm ein Schiff, das er mit kostbaren Waren belud, und in welches
sodann Selim mit des Koches Bruder sich begab. Sie segelten ab, und Gott
beschied ihnen eine glückliche Fahrt. Die erste Stadt, bei welcher sie
ankerten, hieß Mansoura. In dieser Stadt war der König gestorben, und hatte
eine Gattin und eine Tochter hinterlassen. Die Frau hatte einen ganz
vorzüglichen Verstand und einen sehr lebhaften Geist. Diese gab vor, dass ihre
Tochter ein Sohn wäre, damit das Land nicht in fremde Hände geraten möchte.
Das Kriegsheer und die Fürsten glaubten, die Sache verhielte sich wirklich so
und gehorchten ihr deshalb. Die Königin verwaltete somit das Reich, während
ihre Tochter Mannskleider anlegen musste, in denen sie dann dem Volk öffentlich
Audienz erteilte, und sich von demselben huldigen ließ.

So hatte die Königin bereits einige Jahre regiert, als
das Schiff des Kochs, worauf sich Selim befand, ankam. Der Bruder des Kochs
begab sich sogleich zur Königin, und bot ihr Selim zum Kauf an. Dieser gefiel
ihr auch sehr wohl, und in der Meinung, dass er gute Eigenschaften besitzen
möge, kaufte sie ihn, erwies ihm alles mögliche Gute, und ehrte ihn selbst.
Hierauf fing sie an, ihn auszuforschen, und ihn auf verschiedene Arten zu
versuchen, und sie entdeckte an ihm alle diejenigen Eigenschaften des
Verstandes, den Anstand und die feinen Sitten, die fast nur Kinder der Könige
zu haben pflegen. Einst forderte sie ihn auf, zu ihr in ihr geheimes Kabinett zu
kommen. Dort sprach sie zu ihm: „Ich will Dir Gutes erweisen, aber Du musst
das Geheimnis, das ich Dir jetzt anvertrauen werde, bewahren.“ Nachdem er
es ihr versprochen hatte, eröffnete sie ihm alles, was ihre Tochter betraf.
„Ich will,“ fügte sie hinzu, „Dich mit ihr verehelichen, Dir die
Geschäfte des Reiches übertragen, und dich zum König und Herrn dieser Stadt
machen.“ Er dankte ihr, und gelobte, alles zu vollziehen, was sie ihm
irgend befehlen würde. „Entferne Dich also,“ sagte sie zu ihm, indem
sie näher zu ihm trat, „heimlich aus dieser Stadt, bis in die und die
Gegend, da werde ich Dich dann abzuholen kommen.“ Diesem Befehl leistete er
sofort Gehorsam. Die Königin ließ nun am anderen Morgen Lasttiere, mit
Geschenken und Kostbarkeiten beladen, bereit halten, und gab bei den Leuten vor,
dass ein Neffe des verstorbenen Königs angekommen wäre. Demzufolge erteilte
sie zugleich Befehle an die Vornehmsten des Reiches, und an die Truppen, dass
sie ihm entgegen gehen und ihn empfangen sollten. Die ganze Stadt wurde
geschmückt, die Pauken wurden geschlagen, und der ganze Hofstaat begab sich
aufs Schloss, wo Selim, unter dem Namen eines Neffen des Königs, anlangte. Die
Vornehmsten des Reiches setzten sich nach ihrem Rang in den Saal, in welchem er
empfangen wurde. Aus seinem ganzen Betragen leuchtete so viel Scharfsinn und
Herablassung hervor, dass er die vorzüglichsten Eigenschaften seiner Vorgänger
überstrahlte, und in Vergessenheit brachte. Als ihm die Edelsten vorgestellt
worden waren, ließ die Königin einen nach dem anderen zu sich kommen, und
ließ sie schwören, ein Geheimnis zu bewahren, welches sie ihnen eröffnen
wolle. Nachdem sie sich ihrer Verschwiegenheit versichert hatte, erklärte sie
ihnen, dass der König nur eine Tochter hinterlassen, und sie die bis jetzt
bloß darum verheimlicht habe, damit das Reich in ihrer Familie, und die
Angelegenheiten desselben in den Händen der Großen des Reiches verbleiben
möchten. Zugleich fügte sie hinzu, dass sie entschlossen sei, ihre Tochter mit
dem eben angekommenen Neffen des Verstorbenen zu verehelichen, welcher von nun
an das Königreich verwalten werde. Alle waren damit sehr zufrieden. Sie ließ
nun sogleich die Richter und die Rechtsgelehrten kommen, den Heiratskontrakt
aufsetzen, und Geschenke unter die Truppen verteilen. Hierauf führte man die
Braut dem jungen Mann vor, die Hochzeit wurde gefeiert, und er lebte mit ihr ein
volles Jahr ganz glücklich.

Nach Verlauf dieser Zeit sprach Selim einst zu seiner
Frau: „Ach! Dies glückliche Leben kann ich nicht ertragen, solange ich
nicht weiß, was aus meiner Schwester geworden ist. Ich muss mich aufmachen, ich
will eine Zeit lang mich von Euch entfernen, und dann, so Gott will,
wiederkehren, nachdem ich, wie ich hoffe, meinen Zweck erreicht haben
werde.“ Da antwortete sie ihm: „Ich traue Deinen Worten nicht. Ich
fürchte, es könnte Dir ein Unglück begegnen. Indessen ich will mit Dir
reisen, Dir helfen und Dir beistehen wo ich nur kann.“ Hierauf ließ sie
sogleich ein Schiff ausrüsten, und füllte es mit den kostbarsten Waren und
allerhand nötigen Sachen an. An das Ruder des Staats aber setzte sie Männer,
auf die sie bauen konnte, und besonders einen der Wesire, zu welchem sie sagte:
„Bleibe hier ein ganzes Jahr, und schalte über alles, was Du
bedarfst.“ Die Königin Mutter, nebst ihrer Tochter und Selim bestiegen nun
das Schiff, und reisten, bis sie an das Land Bachchuan gelangten, wo sie nach
mehreren Wochen gegen Abend ankamen. Sie blieben bis an den Morgen in ihrem
Schiff, und erst nachdem sie das Morgengebet verrichtet hatten, stieg Selim ans
Land, um sich ins Bad zu begeben. Als er über den Markt kam, und schon nahe am
Bad war, begegnete ihm der Koch, der ihn erkannte, und ihn auch sogleich ergriff
und in sein Haus schleppte, wo er ihm sofort die Kette um die Füße legte, und
ihn an denselben Ort brachte, wo er schon früher gefangen gewesen war. Selim,
als er sich wieder in dem Zustand sah, weinte heftig, und betrübte sich über
sein Unglück, welches ihn, der auf dem Thron hätte sitzen sollen, in Ketten,
Gefangenschaft und Hungersnot warf. Er wehklagt, und sagte folgende Verse her:

„Mein Gott, meine Geduld geht zu Ende, und die Kraft
fehlt mir, mein Geschick zu ertragen. Meine Brust beengt sich, o Herr aller
Herren!
O mein Gott, wer hat mehr Kraft, als Du, um zu helfen? Denn Du bist der
wohlwollende, und Du kennst meinen Zustand.“

Was aber seine Gemahlin und deren Mutter anbetrifft, so
hatten sie die bangesten Vorgefühle, da Selim bis zum anderen Morgen noch nicht
zurückgekehrt war. Sie sandten sogleich ihre Dienerschaft aus, um ihren Gatten
zu suchen, aber niemand konnte ihr Kunde von ihm bringen. Sie überdachte nun
ihren Zustand in der ganzen Fülle seiner Traurigkeit. Sie weinte, jammerte, und
klagte das verräterische Schicksal an, und geriet fast in Verzweiflung. In
ihrem Schmerz sagte sie folgende Verse:

„Sparsam zählt Gott die Tage der Vereinigung und des
Glücks zu, weil sie die Lebenswonne und dessen Herrlichkeit ausmachen.
Wäre doch nie der Trennungstag für uns erschienen! Jener Tag, welcher den
Liebenden dem Tod nahe bringt, und das Herzblut versiegen lässt.
Ohne Schuld vergieße ich mein Blut und meine Tränen, weil ich den vermisse,
den ich liebe, jedoch leider umsonst.“

„Doch,“ fügte sie hinzu, „nichts kann ohne
Gottes Willen geschehen. Mein Schicksal hat er ja vorher bestimmt, und es war
stets auf meine Stirn geschrieben.“ Sie stieg nun aus dem Schiff ans Land,
ging nach einem Ort, wo sie Leute fand, befragte sie über mehreres, mietete
dann in dem nächst gelegenen Ort ein Haus, und ließ alle Kostbarkeiten, die
sie im Schiff hatte, in dasselbe bringen. Hierauf schickte sie nach
Warenmaklern, und verkaufte alles, was sie hatte, wofür sie einen Teil des
Wertes auf der Stelle erhielt. Nach diesem suchte sie bei den Leuten Nachrichten
einzuziehen, teilte viele Almosen aus, half denen, die krank waren, und pflegte
sie, bekleidete die Armen und Hilflosen, und nachdem sie dieses ein Jahr lang
getan hatte, verbreitete sich ihr Ruf in der Stadt, und alles war voll von ihrem
Lob. Dieses alles trug sich zu, während Selim in den Fesseln schmachtete und in
der größten Verzweiflung lebte.