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911. Nacht

Sie gab ihm nun etliche Drachmen, wofür er ihr einige
Arzneimittel hinreichte, welche aber dieser Krankheit gar nicht angemessen
waren, sondern sie im Gegenteil verschlimmern mussten. Dies bemerkte Galenus,
und erkannte deutlich den Fehler. Er rief daher einige seiner Schüler, die
gerade gegenwärtig waren, zu sich, und trug ihnen auf, den Arzt nebst seinen
Mitteln und Gerätschaften zu ihm zu bringen.

Nichts war schneller ausgeführt als dieses, denn in einem
Augenblick hatten ihn die Schüler vor ihren Lehrer gebracht. Galenus fragte ihn
hierauf, ob er ihn kenne? Welches er mit nein beantwortete. „Kennst Du den
Galenus?“, fragte er ihn ferner. „Nein,“ war die Antwort.
„Was hat Dich denn veranlasst, Dich für einen Arzt auszugeben?“ Auf
diese Frage erzählte ihm nun der Weber seine ganze Geschichte, und dass bloß
seine Frau daran Schuld sei. Galenus, der hierüber ganz erstaunt war,
behandelte ihn sehr freundschaftlich, und bat ihn, ihm zu sagen, woran er
erkannt habe, dass in der ihm dargereichten Flasche das Wasser eines Mannes, und
zwar eines Fremden, ja eines Juden enthalten gewesen sei. „Und woher hast
Du bemerkt,“ fuhr er fort, „dass er an der Unverdaulichkeit
litt?“ – „Das kommt daher,“ erwiderte der Weber, „dass wir
Perser insgesamt uns sehr gut auf die Physiognomie verstehen. Ich hatte nämlich
sogleich bemerkt, dass die Frau kleine blaue und verweinte Augen hatte, welches
mich vermuten ließ, das sie den Mann liebte, und woraus ich zugleich schloss,
dass es seine Gattin sein müsste. Dass er aber ein Fremder sei, habe ich daraus
ersehen, dass die Frau anders gekleidet war, als es hier Sitte ist, ferner
bemerkte ich an der öffnung des Gefäßes ein gelbes Bändchen, woraus ich
richtig schließen konnte, dass er ein Jude und sie eine Jüdin sei. Endlich kam
sie Sonntags. Da ich nun weiß, dass die Juden zur Gewohnheit haben, Sonnabends
Brei und andere, schwer verdauliche Speisen zu essen, dass sie dieselben bald
heiß, bald kalt hintereinander verschlingen, und sich daher wegen ihres vielen
Essens Unverdaulichkeit zuziehen. Da urteilte ich, dass er sich Sonnabends, als
den Tag vorher, seiner jüdischen Gewohnheit müsste überlassen haben.“

Diese Erzählung freute den Galenus so sehr, dass er sich
vornahm, den Mann von seiner Frau zu erlösen. Er gab ihm daher so viel, als ihm
seine Frau mitgebracht hatte, befahl ihm, es ihr zu übergeben, und sich von ihr
zu trennen, verbot ihm aber auch zugleich, je wieder die Arzneikunst auszuüben,
und nie wieder eine Frau zu heiraten, die edlerer Abkunft als er wäre. Hierauf
entließ er ihn, indem er ihm noch einige Geschenkte gab, und ihm einschärfte,
nur ja zur Weberei wieder zurückzukehren.

Doch diese Geschichte ist nichts gegen diejenige, von den
sich gegenseitig überlistenden Schlauköpfen.