Project Description

91. Nacht

„Wir begaben uns insgesamt nach der Stadt Serendyb1),
denn auf dieser Insel befand ich mich. Die Schwarzen stellten mich ihrem König
vor. Ich nahte mich dem Thron, auf welchem er saß, und grüßte ihn, wie man
die indischen Könige zu grüßen pflegt, das heißt, ich warf mich zu seinen
Füßen und küsste die Erde. Der Fürst gebot mir aufzustehen, und hieß mich
auf sehr verbindliche Weise näher kommen und neben ihm Platz nehmen. Er fragte
zuerst nach meinem Namen. Ich antwortete ihm, dass ich Sindbad hieße, wegen der
vielen Seereisen, die ich gemacht hätte, den Beinamen der Seefahrer führte,
und dass ich ein Einwohner der Stadt Bagdads wäre. „Aber,“ versetzte
er, „wie und auf welchem Weg seid ihr in meine Staaten gekommen?“

Ich verschwieg dem König nichts, sondern erzählte ihm
Alles, was ich euch eben erzählt habe, und er war darüber so erstaunt und
erfreut, dass er mein Abenteuer mit goldenen Buchstaben aufzuschreiben und die
Schrift in den Archiven seines Königreichs aufzubewahren befahl. Hierauf wurde
das Floß herbeigebracht und die Ballen wurden in seiner Gegenwart geöffnet. Er
bewunderte die Menge des Aloeholzes und des grauen Ambras, aber vorzüglich die
Rubinen und Smaragden, denn er hatte in seinem Schatz keine ähnlichen.

Da ich bemerkte, dass er meine Edelsteine mit Vergnügen
beschaute, und die seltensten der Reihe nach genau betrachtete, so warf ich mich
vor ihm nieder und war so frei ihm zu sagen: „Herr, nicht nur meine Person
ist Euer Majestät zu Diensten, auch die Ladung des Floßes gehört euch, und
ich bitte, darüber wie über ein Eigentum zu schalten.“ Er antwortete mir
lächelnd: „Sindbad, ich werde mich wohl hüten, Lust dazu zu hegen und
euch das geringste von dem zu nehmen, was Gott euch gegeben hat. Weit entfernt,
eure Reichtümer zu vermindern, gedenk‘ ich sie noch zu vermehren, und ich will
nicht, dass ihr meine Staaten verlasst, ohne Zeichen meiner Freigebigkeit mit
euch zu nehmen.“ Meine Antwort und diese Worte beschränkte sich darauf,
Wünsche für das Wohl des Fürsten auszusprechen und seine Güte und Großmut
zu preisen. Er gab einem seiner Beamten den Auftrag, Sorge für mich zu tragen,
und ließ Leute anstellen, die mich auf seine Kosten bedienen mussten. Dieser
Beamte erfüllte die Befehle seines Herrn sehr getreulich, und ließ in die
Wohnung, in welche er mich führte, alle Ballen bringen, mit welchen das Floß
belastet war.

Ich ging täglich zu gewissen Stunden zum König, um ihm
meinen Hof zu machen, und wendete die übrige Zeit dazu an, die Stadt und was
darin meiner Neugier am wertesten war, zu sehen.

Die Insel Serendyb liegt gerade unter dem äquator2),
weshalb auf ihr Tag und Nacht das ganze Jahr hindurch immer die gleiche Länge
von zwölf Stunden haben. Sie ist achtzig Parasangen3)
lang und eben so breit. Die Hauptstadt liegt am äußersten Ende eines schönen
Tales, welches von einem Berg gebildet wird, der mitten auf der Insel gelegen,
und wohl der höchste auf der Erde ist4).
Man sieht ihn in der Tat auf dem Meer in einer Entfernung von drei Tagesreisen.
Man findet dort Rubine, mehrere Gattungen von Mineralien, und alle Felsen
bestehen größtenteils aus Schmergel, einem metallischen Stein, dessen man sich
zum Schneiden der Edelsteine bedient. Auch gibt es dort alle Arten von seltenen
Pflanzen und Bäumen, vorzüglich Zedern und Kokospalmen. Längs des Ufers der
Insel und in den Mündungen ihrer Flüsse fischt man Perlen, und einige ihrer
Täler liefern Diamanten. Ich machte auch eine Wallfahrt auf den Berg, nach dem
Ort, wohin Adam nach seiner Vertreibung aus dem Paradies verbannt wurde, und ich
war so neugierig den Gipfel zu ersteigen.

Als ich in die Stadt zurückgekehrt war, bat ich den
König um die Erlaubnis zur Heimkehr, die er mir auch auf eine sehr ehrenvolle
und verbindliche Weise gab. Er zwang mich, ein reiches Geschenk aus seinem
Schatz anzunehmen, und als ich mich bei ihm beurlaubte, gab er mir noch ein viel
ansehnlicheres, und zugleich einen Brief an den Beherrscher der Gläubigen,
unseren Kalifen Harun Arreschyd, unsern unumschränkten Gebieter, und sagte zu
mir: „Ich bitte dich, dieses Geschenk und diesen Brief dem Kalifen Harun
Arreschyd von meinetwegen zu übergeben und ihn meiner Freundschaft zu
versichern.“ Ehe ich mich einschiffte, ließ dieser Fürst den
Schiffshauptmann und die Kaufleute, welche sich mit mir einschiffen sollten, zu
sich holen und befahl ihnen, für mich alle erdenklichen Rücksichten zu haben.

Dieser Brief des Königs von Ceylon war auf die gelbliche
Haut eines, wegen seiner Seltenheit sehr kostbaren Tieres geschrieben. Die
Schriftzeichen dieses Briefes waren himmelblau, und er enthielt in indischer
Sprache folgendes:

Der König von Indien, vor welchem Tausend Elefanten
einhergehen, welcher in einem Palast wohnt, dessen Dach vor dem Glanze von
hunderttausend Rubinen strahlt, und der in seinem Schatz zwanzigtausend
diamantene Kronen besitzt, dem Kalifen Harun Arreschyd.

„Obgleich das Geschenk, welches wir Euch senden, von
seinem großen Wert ist, so mögt ihr es doch als Bruder und Freund annehmen, in
Erwägung der Freundschaft, welche wir für euch in unserm Herzen hegen und von
welcher wir euch mit Vergnügen einen Beweis geben. Wir erbitten und dasselbe
Gefühl in dem eurigen in maßen wir es zu verdienen glauben, da wir mit euch
von gleichem Range sind. Wir beschwören euch darum als Bruder. Lebt wohl.“

Das Geschenk bestand, erstens: in einem Gefäß, aus einem
einzigen Rubin verfertigt und zu einem Becher von der Höhe eines halben Fußes
und von der Dicke eines Fingers verarbeitet, mit sehr runden, zusammen eine
halbe Drachme schweren, Perlen besetzt; zweitens: in einer Schlangenhaut, welche
Schuppen von der Größe eines gewöhnlichen Goldstückes hatte und die
Eigenschaft besaß, die darauf Liegenden vor Krankheit zu bewahren; drittens: in
fünfzigtausend Drachmen des auserlesensten Aloeholzes, mit dreißig Gran
Kampfer von der Größe einer Pistazie; und dies alles war endlich von einer
entzückend schönen Sklavin begleitet, deren Kleidungsstücke mit Edelsteinen
bedeckt waren.

Das Schiff ging unter Segel, und nach einer langen und
glücklichen Fahrt kamen wir in Balsora an, von wo ich mich nach Bagdad begab.
Das erste, was ich nach meiner Ankunft tat, war, dass ich mich des erteilten
Auftrages entledigte.


1)
Serendyb ist der arabische Name der Insel Ceylon. Die Hauptstadt aber heißt
eigentlich Kandy. Die Eingeborenen nennen die Insel Lanka.
2)
Mehrere morgenländische Erdbeschreiber, Diodor und Ptolemäus, versetzen
ebenfalls Ceylon unter die Linie, aber um so irriger, als ihre Linie nächste
Spitze noch 5 Grad und 49 Minuten davon entfernt ist.
3)
Die Parasange oder Farsang ist ein Wegemaß bei den alten Persern, ein wenig
länger als eine französische Meile (22 1/2 gehen auf einen Grad). – Die Insel
Ceylon hat in der Tat ungefähr 100 französische Meilen in der Länge, aber nur
etliche 50 in der Breite.
4)
Dieser Berg ist, wie auch das Folgende zeigt, der Adams-Berg (pic d’Aam), auf
welchem man noch die Fußtapfen unseres gemeinsamen Vaters zeigt. Er ist von
bedeutender Höhe, obwohl bekanntlich nicht der höchste der Erde.