Project Description
901. Nacht
Sie nahm die siebenhundert Drachmen in Empfang, und kehrte
in ihr Haus zurück, wo sie bei anbrechendem Morgen anlangte, und dem Dieb seine
Freiheit schenkte. „Liebster Freund,“ rief sie ihm im Weggehen zu:
„Wenn sehen wir Dich wieder kommen, um den Schatz zu holen?“ –
„Du Schuldenbock,“ erwiderte er ihr, „wenn Du wirst wieder
siebenhundert Drachmen nötig haben, um Deine Schulden zu bezahlen, und die
Angelegenheiten Deiner Familie in Ordnung zu bringen.“ Hierauf machte er
sich davon, und konnte kaum an seine Rettung glauben.
Doch diese Erzählung steht weit hinter der Geschichte des
Herrn Jesus, seiner Jünger und der drei Leute.
Geschichte von dem Herrn Jesus, seinen
Jüngern und den drei Leuten
1)
Drei Männer gingen aus nach der Stadt, um den König
aufzusuchen. Da fanden sie an dem Weg einen Stein von gediegenem Gold, welcher
fünfzig Pfund schwer war. Als sie ihn sahen, huben sie ihn auf, und trugen ihn
auf ihren Schultern weiter. Als sie in die Nähe der Stadt kamen, sagte einer zu
dem anderen: „Wir wollen uns in die Moschee setzen, während dass einer von
uns etwas zu essen besorgen mag. Sogleich machte sich auch einer auf, um diesen
Auftrag zu vollführen. Als er nun in der Stadt angelangt war, fiel es ihm ein,
dass er wohl die anderen hintergehen und das Gold für sich allein behalten
könnte. Er kaufte daher Speise und vergiftete sie. Doch so wie er zu seinen
Gefährten zurück kam, fielen diese über ihn her, und töteten ihn, um das
Gold nicht mit ihm teilen zu müssen. Sodann aßen sie von der Speise und fanden
durch sie sogleich ihren Tod, so dass der Rest vor ihnen stehen blieb.
Jesus, der Sohn Maria,2)
über den Heil und Segen komme, ging so eben vorüber, und erblickte sie in
diesem Zustand. Da bat er Gott, den erhabenen, dass er ihm sagen möge, was sich
mit diesen zugetragen habe. Gott erhörte sein Gebet, und erzählte ihm ihre
Geschichte. Da verneigte sich Jesus dankend, pries Gott, und wunderte sich über
dieses Ereignis. Als er es nun auch seinen Jüngern erzählte, rief einer von
ihnen aus: „O Du Geist Gottes, wie gleicht doch diese Geschichte dem
Ereignis, das sich mit mir zugetragen hat.“ – „Und wie lautet
dies?“ – Der Jünger antwortete:
„Ich war in einer Stadt, wo ich in einem gewissen
Kloster tausend Drachmen verborgen hatte. Nach einem kurzen Zeitraum ging ich,
sie mir zu holen, und band sie in meinen Gurt. Als ich in die Wüste kam, wurde
mir doch ihre Last zu schwer, und da ich einen Reiter hinter mir herkommen
hörte, so wartete ich ihn ab, und sprach: „Lieber Reiter, trage mir doch
meine Drachmen, Gott wird Dir es lohnen.“ Er aber erwiderte: „Das
werde ich wohl bleiben lassen, denn ich matte mich und mein Pferd dabei
ab.“ Indessen, als er ein kleines Stück weiter geritten war, dachte er bei
sich selbst: „Wenn ich sie angenommen, und mein Pferd angetrieben hätte,
und ihm vorgeeilt wäre, wie hätte er mich da einholen können?“ Ich
dachte aber bei mir selbst: „Ich hätte doch sehr töricht gehandelt, wenn
er mir sie nun aufs Pferd genommen hätte und fortgeeilt wäre? Was hätte ich
da getan?“ In demselben Augenblick kehrte er zu mir zurück, und sagte:
„Gib die Drachmen her, ich will sie Dir tragen.“ Ich aber sagte zu
ihm: „Was Dir jetzt eingefallen ist, ist mir eben auch eingefallen. Reise
also in Frieden weiter.“
Da sagte Jesus, über den Heil und Segen komme: „Wenn
diese Leute mit Vorsicht und Vernunft gehandelt hätten, so hätten sie sich
keiner Gefahr ausgesetzt. Aber sie haben die Folgen ihrer Taten nicht gehörig
bedacht, denn wer mit Einsicht und Vorsicht handelt, besiegt jede Gefahr. Wer
aber diese Regel aus den Augen setzt, muss es bereuen.“
Doch diese Geschichte ist nicht so schön, als die des
gerechten Königs, seines Wesirs und seines ungerechten Bruders.
Geschichte von dem gerechten König,
seinem Wesir und seinem ungerechten Bruder
3)
In einer Stadt Indiens war ein sehr gerechter König,
dessen Wesir sehr vernünftig und einsichtsvoll war. Auf ihn verließ sich der
König in allen Angelegenheiten, und bei den Untertanen war er wegen seiner
guten Eigenschaften allgemein beliebt.
Der König hatte noch einen Bruder, welcher schon längst
gewünscht hatte, ihm den Thron zu rauben, denn des Königs Leben dauerte ihm zu
lange. Er beratschlagte daher mit seinen Freunden, und diese sagten zu ihm:
„Beim König ist der Wesir alles. Wenn wir also den Wesir aus dem Weg
räumen, so wird sein Herr bald aufhören, König zu sein.“