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899. Nacht

Doch ist diese Geschichte nicht so schön, als diejenige
des Gehässigen.

Geschichte
von dem Gehässigen 1)

Ein mächtiger, aber sehr ungerechter König bewohnte ein
sehr schönes, gesegnetes Land. Da er indessen seine Völker drückte, so flohen
viele aus seinem Land. Er hatte die schreckliche Gewohnheit, dass, wenn er von
irgend einem schlechten oder ungerechten Menschen hörte, er nach ihm schickte,
und ihn durch große Versprechungen an sich zog. Ein Zollbeamter hatte einst
diesen Ruf. Nach diesem schickte er, und als ihn der König erblickte, sagte er
zu ihm: „Du bist mir zwar schon geschildert worden, indessen finde ich Dich
noch weit über der mir gemachten Schilderung. Sage mir doch etwas, was Du getan
hast.“ Nachdem der Zollbeamte ihm einige Streiche erzählt hatte, bezeigte
ihm der König seine Zufriedenheit und ernannte ihn zum Einnehmer der Zehnten.

Als er nun eines Tages in seinen Amtbeschäftigungen
ausging, sah er einen Holzfäller, der Holz mit sich fortschleppte. Von diesem
forderte er sogleich eine Drachme als Zehnten. „Willst Du mich und meine
Kinder umbringen?“, fragte ihn der Holzfäller. „Wer spricht vom
Umbringen?“, erwiderte der Einnehmer. „Ja wohl,“ sagte der
andere, „heißt das mich und meine Familie umbringen, wenn Du hier von mir
eine Drachme als Zehnten forderst, da mein ganzes Holz hier außer der Stadt
kaum eine Drachme gilt. Lässt Du mich aber los, so dass ich in die Stadt komme,
wo ich meine Last um drei Drachmen verkaufen kann, so werde ich Dir eine Drachme
geben, und für die übrigen zwei Unterhalt für meine Familie kaufen. Ich finde
überhaupt Deine Handlungsweise mit mir ganz dem Verfahren ähnlich, welches der
weise König David einst beobachtete.“ – „Und wie war das?“ – Der
Holzfäller erzählte ihm hierauf die Geschichte Davids und Salomons, über
welche Frieden komme.

Geschichte
von David und Salomo

Einst wurde David, über den Frieden komme, von
Ackerbesitzern gegen Hirten um Hilfe gebeten, deren Herden bei Nachtzeit in ihre
Saaten gelaufen waren, und sie abgefressen hatten. Da befahl David den Schaden
zu schätzen, und ihn zu vergüten. Gegen dieses Urteil erhub sich Salomo, über
den Frieden komme, und sprach: „Mitnichten, sondern die Herden müssen den
Ackerbesitzern überliefert werden, welche so lange ihre Milch und den Ertrag
ihrer Wolle benutzen können, bis sie den Wert ihrer verwüsteten Saat daraus
erhalten haben, dann können die Besitzer ihre Herden zurücknehmen.“ Auf
diese Art behielt das Urteil Salomons den Vorzug über dasjenige Davids. Dieser
war aber deshalb nicht ungerecht, sondern das Urteil Salomos war bloß billiger
und annehmbarer.

Diese Geschichte gefiel dem Einnehmer so gut, dass er ihm
seinen Zehnten erließ, und ihn nötigte, bei ihm zu bleiben.
„Vielleicht,“ fügte er hinzu, „werde ich durch Dich von meinen
Ungerechtigkeiten auf den rechten Weg geführt werden.“ Da folgte ihm der
Mann nach, bis sie einen anderen Holzfäller antrafen. Diesem wurde befohlen den
Zehnten zu zahlen. Da bat ihn dieser um Erlass bis auf morgen, weil er die
Mietzins seines Hauses noch entrichten müsse. Auf morgen aber versprach er, ihm
den Zehnten von zwei Tagen zu zahlen. Doch er bekam eine abschlägige Antwort.
Da sagte der Begleiter zu ihm, „wenn Du ihn zur Bezahlung zwingen willst,
so wirst Du ihn nötigen, das Land zu verlassen, denn er ist nicht einheimisch
und hat keine eigene Wohnung. Wenn Du also die heutige Drachme mit Gewalt
einforderst, so gehen Dir im Laufe des Jahres 360 Drachmen verloren. Du wirst
also das Ganze verlieren, um einen kleinen Teil zu erhalten.“ – „Du
hast ganz Recht,“ erwiderte ihm der Einnehmer. „Ich schenke dem Mann
im Gegenteil monatlich eine Drachme zu seinem Wohnungszins,“ und so
entließ er ihn.

Darauf begegneten sie einem dritten Holzfäller.
„Zahle Deine Zehnten,“ rief er ihm zu. „Ach,“ erwiderte
dieser, „ich bin Dir eine Drachme schuldig, aber habe Geduld mit mir, bis
ich von der Stadt zurückkomme, oder nimm jetzt von mir vier Danik2)
an.“ – „Nein,“ rief der Beamte ihm zu, „das werde ich nicht
tun.“ Da sagte ihm sein Begleiter: „Nimm lieber jetzt von ihm hier die
vier Sechsteil einer Drachme an, denn es ist leichter, das zu nehmen, was
gegenwärtig ist, als auf das Kommende zu warten.“ – „Bei Gott, Du
hast Recht,“ rief der Einnehmer aus. „Ich sehe ein, dass Langmut
besser ist als Ungerechtigkeit. Ich kann nicht mehr schlecht handeln, ich will
mich bessern. “ Er bereute auch wirklich seine Bedrückungen und tat Buße.

Doch diese Geschichte ist in keinem Vergleich mit der
Erzählung von dem Dieb und der Frau.

Geschichte
von dem Dieb und der Frau 3)

Ein sehr feiner Dieb hatte die Gewohnheit, sich stets von
anderen Dieben entfernt zu halten, damit er nie mit ihnen verwechselt würde.
Auch stahl er nie in seiner Nachbarschaft. Dieses Handwerk trieb er so im
Verborgenen, dass niemand den mindesten Verdacht haben konnte. Da fügte es sich
einstens, dass er bei Nacht zu einem bettelarmen Mann eindrang, den er aber für
reich hielt. Da er indessen nicht das mindeste bei ihm fand, und er sich fest
vorgenommen hatte, heute noch einen guten Fang zu tun, weckte er in seinem Grimm
den Mann, welcher neben seiner Frau schlief, auf, und verlangte von ihm,
er möchte ihm seinen verborgenen Schatz anzeigen.


1)
Zehnte Nacht des Wesirs.