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898. Nacht

Geschichte
von dem Toren, der sich in alles mengte
1)

Es gab vor alten Zeiten einen Narren, der war reich, und
hatte eine sehr schöne Frau. Diese liebte einen jungen Mann, welcher sie in der
Abwesenheit ihres Gatten besuchte. Dieses dauerte eine Weile so fort. Doch nach
längerer Zeit sagte ihr Geliebter zu ihr: „Wenn Du mich liebst, so
veranstalte es, dass ich Dich in Gegenwart Deines Mannes küssen kann, wo nicht,
so komme ich, so lange ich lebe, nicht mehr zu Dir. Die Frau, die ihn sehr
liebte, und ohne ihn nicht leben konnte, auch ihn nicht gern verdrießlich sah,
sagte: „Es sei, mein Augapfel! Möge der doch nicht leben, der Dir
widersteht.“ – „Heute noch?“, fragte er sie hierauf. „Auch
dieses sei Dir gewährt,“ war die Antwort.

Als ihr Mann nun heim kam, sagte sie zu ihm:
„Geliebter Mann, ich hätte große Lust, mich heute außer der Stadt zu
zerstreuen. Könnten wir nicht in unsern Weingarten gehen?“ – „Sehr
wohl,“ sagte der Mann, und begab sich mit ihr auf den Weg. So wie sie dort
angelangt waren, schlug er ihr ein Zelt neben einem großen Baum auf. Sie aber
grub in der Eile eine Höhlung neben dem Zelt aus.

Nach Verlauf einiger Tage sagte sie zu ihrem Mann, dass
sie große Lust habe, auf den Baum zu steigen. „Tue es doch in Gottes
Namen,“ erwiderte der Mann. Als sie nun auf dem Baum war, erhub sie
sogleich ein jämmerliches Geschrei, und schlug sich ins Gesicht, und schrie
ihrem Mann zu: „Du Taugenichts, Du Schändlicher, sind das Deine schönsten
Gewohnheiten? Du schwörst mir, und lügst?“ Dies wiederholte sie mehrere
Male, und eilte im Zorn vom Baum herab, zerriss ihre Kleider und sagte: „Du
Niederträchtiger, so benimmst Du Dich gegen mich? Vor meinen Augen wagst Du es,
ein Mädchen zu liebkosen, wie magst Du erst handeln, wenn Du fern von mir
bist!“ – „Was fehlt Dir denn?“, rief der erstaunte Mann aus.

„Du kannst noch fragen? Soeben,“ erwiderte sie, „habe ich Dich
gesehen, ein Mädchen küssen.“ Der Mann mochte noch so sehr seine Unschlud
beteuern, die Frau blieb dabei, und als sie kurz darauf wieder auf den Baum
gestiegen war, wiederholte sie ihre Scheltworte. Dieses trieb sie so lange, bis
der Mann sich entschloss, selber auf den Baum zu steigen. Doch kaum befand er
sich oben, als die Frau sogleich ihren Geliebten rief, und sich von ihm küssen
ließ. Der Mann sah in demselben Augenblick diesen Vorfall, und begann nun
seinerseits auch zu schelten und zu schimpfen. Er eilte hinunter und die Frau
fragte ihn: „Was hast Du denn gesehen?“ – „Ich sah eben einen
Mann Dich umarmen.“ – „Du lügst,“ erwiderte sie, „das kann
nicht sein. Das bildest Du Dir nur ein.“ Er stieg daher noch einige Male
hinauf, und sogleich erschien auch wieder der Geliebte, und umarmte des Mannes
Frau, welche ihrem Mann jedes mal den Vorfall leugnete, bis er endlich sich
entschloss, den Garten zu verlassen, weil, wie er sagte, er von Geistern und
Spukgestalten wimmeln müsse. Sie reisten ab und der Geliebte hatte auf diese
Art seinen Zweck erreicht.

1)
Neunte Nacht des Wesirs.