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892. Nacht

Da unterbrach ihn der Kaufmann: „Willst Du denn bei
den Perlen ein Inneres und ein äußeres annehmen?“ – „Ja wohl,“
sprach der Greis, „in ihrem Innern ist ein Wurm, der sie aushöhlt. Jene
aber ist tadellos, und kann nie zerbrochen werden.“ – „Mache uns das
deutlich,“ sagte der Kaufmann, „und überhaupt, woran sollen wir
erkennen, dass Du die Wahrheit sagst?“ – „Wir wollen sie
zerbrechen,“ erwiderte der Greis, „und wenn ich Unrecht habe, so ist
hier mein Kopf. Habe ich aber Recht, so ist die Perle für Dich verloren.“
– „Das gehe ich ein,“ sprach der Kaufmann. Die Perle wurde hierauf
zerbrochen, und es war, wie der Greis gesagt hatte, in ihrem Inneren sie
aushöhlender Wurm. Darüber erstaunte der Fürst, und befragte ihn nach der
Kunst, wodurch man dieses zu erkennen imstande sei. „Wisse, o
Fürst!“, antwortete der Greis, „Dass diese Art Perlen in dem Inneren
eines Tieres entstehen, welches Almutabattel1)
heißt. Ihr Entstehen ist ein Regentropfen. Hält man nun diese Perlen in der
Hand, so zeichnen sie sich durch eine lange ausdauernde Kälte aus. Als ich aber
diese in der Hand hielt, und ihr schnelles Warmwerden bemerkte, urteilte ich,
dass sie hohl sei, und dass sich in ihrem Innern ein Tier befinden müsse: Denn
den Tieren teilt sich die Wärme bald mit.“ Der König erfreut über diese
Erklärung, vermehrte sein Jahresgehalt.

Kurz darauf kamen zwei Kaufleute mit zwei Pferden. Der
eine forderte für das seinige tausend Goldstücke, der andere fünftausend. Der
Koch nahte sich nunmehr wieder dem Fürsten, und sagte: „Wir haben von dem
Greis schon einige Mal uns guten Rat geholt. Meinst Du, dass wir ihn
rufen?“ Als ihm der Fürst dazu Befehl erteilt, und der Greis die zwei
Pferde gesehen hatte, sprach derselbe: „Dieses hier ist tausend Goldstücke
wert, jenes aber zweitausend.“ – „Was?“, sagten die Leute,
„jenes da ist zwar offenbar ein guter Läufer, dieses aber ist jung,
schneller noch, gedrungener an Gliedmaßen, und hat ein feineres Gesicht, eine
reinere Farbe, und eine glättere Haut. Wie kannst Du denn den Preis so niedrig
bestimmten?“ – „Alles, was ihr sagt, hat seine Richtigkeit, nur dass
der Vater des ersteren ein sehr altes Pferd, dieses dagegen der Sohn eines
jungen Pferdes ist. Wenn das erstere nach einer starken Anstrengung stehen
bleibt, so kommt es nicht bald wieder zu Atem, und der Reiter würde auf ihm
bald von seinem Verfolger ereilt werden. Dieses aber, der Sohn eines jungen
Pferdes, wenn Du es um die Wette laufen lässt, und absteigst, und Dich wieder
auf dasselbe setzt, kommt bald wider zu Atem und läuft unermüdet weiter.“
Da sagte der Kaufmann: „So verhält es sich auch wirklich. Dieser Greis ist
ein vortrefflicher Kenner.“ Der Fürst befahl sofort, ihm eine Vermehrung
seines Jahresgehaltes zu reichen. Als der Greis aber sich nicht fortbegab,
sondern stehen blieb, fragte ihn der Fürst: „Warum gehst Du nicht an Deine
Arbeit?“ – „Meine Arbeit hält mich beim Fürsten zurück.“ –
„Was begehrst Du?“ – „Ich wünsche, dass Du mich nach dem Wesen
der Menschen fragst, wie Du mich nach den Perlen und Pferden befragt hast.“
– „Diese Frage brauche ich nicht erst an Dich zu tun,“ entgegnete der
Fürst. „Ich aber,“ antwortete der Greis, „fühle das Bedürfnis,
Dich davon zu unterrichten.“ – „Nun wohl, so sage es.“ Da sprach
der Greis: „Ich benachrichtige Dich, dass Du der Sohn eines Bäckers
bist.“ – „Wo hast Du das gesehen?“ – „Das habe ich in der
Konstellation und in den Mansionen des Mondes gesehen.“ Hierauf begab sich
der Fürst sogleich zu seiner Mutter, welche ihn benachrichtigte, dass ihr
erster Gemahl zwar König gewesen, dass sie aber nach dessen Tod heimlich einen
Bäcker geheiratet habe, dessen Sohn er sei, dass sie ihn indessen immer als
Prinzen habe erziehen lassen, aus Furcht, dass Reich möchte aus ihrer Familie
kommen. Der Fürst begab sich nunmehr zum Greis und sagte: „Du hast ganz
Recht, ich bin der Sohn eines Bäckers, aber zeige mir doch an, wie Du dies
vermuten konntest.“ – „Ich sah wohl ein,“ erwiderte der Greis,
dass, wenn Du der Sohn eines Königs gewesen wärst, Du mir Kostbarkeiten und
Juwelen gespendet hättest. Wärst du aber der Sohn eines Kadi gewesen, so
würdest Du mich Drachmenweise belohnt haben. Wärst Du der Sohn irgend eines
Kaufmanns, so hättest Du mich mit vielem Geld beschenkt. Allein ich sah, dass
Du Deine Wohltaten an mir durch Zulagen an Brot zu erkennen gabst, da habe ich
denn gleich gemerkt, dass Du der Sohn eines Bäcker sein müsstest.“ Der
Fürst sagte hierauf: „Du hast recht geurteilt,“ gab ihm vieles
Vermögen und überhäufte ihm mit Würden.

Diese Geschichte gefiel dem König Schach Bacht sehr wohl,
doch versicherte ihn der Wesir Arrachuan, dass sie nichts sei gegen die
Geschichte des reichen Mannes, der seine schöne Tochter mit einem armen Greis
verheiratet hatte. Der König wurde auf diese Geschichte neugierig, und er
befahl dem Wesir, den anderen Tag wieder zu kommen.

Geschichte
des reichen Mannes, der seine Tochter an einen armen Greis verheiratet hatte
2)

Ein reicher Kaufmann hatte eine Tochter, die schön war,
wie der Vollmond. Als sie achtzehn Jahre erreicht hatte, nahm ihr Vater einen
alten armen Mann zu sich, den er sehr gut aufnahm, ihm sein ganzes Zutrauen
schenkte, und ihn zu seinem Trinkgenossen machte. Nach einiger Zeit eröffnete
er ihm, dass er sich vorgenommen habe, ihn mit seiner Tochter zu verheiraten.
Der Arme schlug es aber, seiner Armut wegen, ab. „Ich bin zu arm für
sie,“ sagte er, „und für Dich bin ich zu gering.“ Der Reiche
aber drang in ihn, ohne indessen von ihm eine andere Antwort erhalten zu
können. Endlich aber willigte er doch mit der Bedingung ein, dass er ihm die
Ursache sagte, warum er eben ihn zum Schwiegersohn verlangte. „Finde ich,
dass Dein Grund richtig ist,“ fügte er hinzu, „so nehme ich Dein
Anerbieten an. Wo nicht, so geschieht es niemals.“ Da antwortete ihm der
Reiche: „Wisse, dass ich aus China gebürtig bin, und ich meiner Jugend ein
schöner Mann war. Ich hatte viel Vermögen, konnte aber die Frauen im
allgemeinen gar nicht leiden. Ich gelangte in die Jünglingsjahre. Da träumte
mir, ich wäre in einer Versammlung, wo jedem sein Teil von Glücksgütern
zugeteilt, und immer dabei ausgerufen wurde: Das ist das Teil von dem, dieses
von jenem. Endlich hörte ich auch meinen Namen rufen, und zugleich wurde mir
ein abscheulich hässliches Weib zugeführt. Ich erwachte ganz erschrocken, und
schwur, mich nie zu verheiraten, aus Furcht, einst ein so hässliches Weib zu
bekommen. Hierauf reiste ich in dieses Land mit Waren, die ich mit vielem
Vorteil verkaufte. Ich blieb hier die ganze Zeit, während welcher ich mir
Freunde erwarb, und mir Handlungsdiener, der vielen Geschäfte wegen, annehmen
musste.


1)
Ein mir unbekanntes Tier.