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891. Nacht

Da sagte der Perser zu ihm: „Kannst Du noch keine
Ruhe finden? Bist Du noch nicht zufrieden, mit Deiner Raubsucht ungestraft davon
gekommen zu sein?“, und fing nun von neuem an, auf ihn loszuschlagen, und
warf ihn zuletzt zur Tür hinaus.

Der Sänger war nun genötigt, den noch übrigen Teil der
Nacht in einer Ruine zuzubringen. Am Morgen dachte er über sein Schicksal nach,
und sprach: „Es hat sich doch niemand hierbei etwas vorzuwerfen. Denn ich
suchte bloß mein eigenes Beste, und es ist ja keine Torheit, für sein Bestes
zu sorgen. Hat doch die Gewürzkrämerin auch nur für ihr eigenes Beste sorgen
wollen, aber das Geschick vereitelt alle menschliche Vorsicht. Ich habe in
diesem Land nichts mehr zu suchen, und werde mich davon machen.“ Welches er
denn auch zuletzt tat.

Indessen so artig diese Geschichte auch ist, so ist sie
doch in keinem Vergleich mit der Geschichte von dem König und seinem Sohn.

Geschichte
des Königs und seines Sohnes
1)

Ein König wurde einst in seinem spätesten Alter noch
Vater eines Sohnes, der mit den Jahren an Schönheit und Verstand alle seines
Gleichen weit übertraf. Als er die Jünglingsjahre erreicht hatte, meldete ihm
sein Vater, dass er ihm das Reich übergeben wollte, damit er es an seiner Statt
verwalte. „Ich sehne mich nämlich,“ fügte er hinzu, „nach der
Zurückgezogenheit, in der ich mich Gott widmen, ein härnes Kleid anziehen und
ein ganz religiöses Leben führen will.“ – „Auch ich,“ erwiderte
der Sohn, „fühle keinen Beruf zum Herrschen, sondern im Gegenteil, wie Du,
Liebe zu der Einsamkeit.“ – „Wohlan,“ sprach der Vater,
„komm, lass uns die Menschen meiden, und uns in die Gebirge begeben, wo wir
Gott dienen wollen.“ Sie verschafften sich sogleich härne Kleider, legten
sie an, und begaben sich damit in die Wüste.

Als indessen einige Tage vergangen waren, und sie schon
Mangel an Lebensmitteln litten, wurden sie von Schwäche und Hunger überfallen,
und bereuten ihre Tat, als die Reue ihnen leider nichts mehr nutzte. Der Sohn
beklagte sich beim Vater über seinen Hunger und seine Müdigkeit. Der Vater
aber sagte: „Ich habe, mein Sohn, meine Pflicht gegen Dich erfüllt, indem
ich Dir das Reich anbot. Warum hast Du mir nicht gefolgt? Nun ist keine
Möglichkeit da, dass Du je zu Deinem früheren Zustand zurückkehren könntest,
denn des Reiches hat sich schon ein anderer bemächtigt, welcher jeden, der
darauf etwa Ansprüche macht, zurücktreiben wird. Ich werde Dir aber etwas
raten, wobei Du mir willfahren musst.“ – „Was ist dies?“, fragte
der Sohn. – „Nimm mich bis in die nächste Stadt mit, führe mich da auf
den Markt, und verkaufe mich. Mit dem Geld, was Du für mich erhalten wirst,
kannst Du dann tun, was Dir beliebt. Ich aber werde dadurch wenigstens an
jemanden gelangen, der mich versorgen wird.“ – „Wer,“ sprach der
Sohn, „wird Dich kaufen, da Du schon so sehr alt bist? Verkauf mich lieber,
denn nach mir wird man sich reißen.“ Der König erwiderte: „Wenn Du
gekauft wirst, so wird man Dich mit Arbeit überladen. Nicht so aber ist es mit
mir. übrigens aber befehle ich Dir, zu tun, was ich Dir sage.“

Da gehorchte der Sohn, und führte den Vater zu dem
berühmten Sklavenhändler Annachas, und sagte zu diesem: „Verkaufe doch
diesen Greis.“ – „Wer wird mir den abkaufen?“, erwiderte der
Händler, „er ist ja schon über achtzig Jahre alt. Was kannst Du
denn?“, fragte er hierauf den König. – „Ich kann,“ antwortete
dieser, „das Wesen oder das Vorzügliche in den Juwelen, in den Pferden, in
den Menschen, und in allem, was nur einigen Wert hat, erkennen.“ Der
Sklavenhändler trug ihn hierauf einigen Leuten an, die ihn aber nicht kaufen
mochten. Nun kam auch Aarif, der Koch eines Fürsten, und fragte: „Was das
für ein Mann wäre?“ – „Es ist ein Sklave, der verkauft werden
soll.“ Darüber wunderte sich der Koch, und kaufte ihn der Seltenheit
halber, nachdem man ihn von seiner Wissenschaft unterrichtet hatte, für
zehntausend Drachmen. Er bezahlte den Preis, und nahm ihn mit nach Hause.

Hier duldete er nicht, dass er mit Arbeiten geplagt
würde, sondern setzte ihm etwas Bestimmtes aus, was für ihn hinreichend war.
Indessen nach einiger Zeit reute ihn dieser Kauf, denn er wusste nicht, was er
mit dem Mann anfangen sollte.

Nun begab es sich, dass einst der Fürst Lust bekam, sich
in seinen Gärten zu belustigen. Er befahl daher dem Koch, ihm zu folgen, oder
jemanden in der Stadt zurück zu lassen, der für ihn die Speise besorgte, dass
er sie bei seiner Rückkehr fertig fände. Der Koch dachte soeben darüber nach,
wen er wohl zurücklassen sollte, als ihn der Greis in diese Gedanken vertieft
fand, und zu ihm sagte: „Vertraue mir doch, was Dich bekümmert. Vielleicht
finde ich einen Ausweg.“ Da erzählte ihm der Koch den ganzen Hergang der
Sache. „Sei Du deshalb nur ganz unbesorgt,“ erwiderte der Alte,
„vertraue mir bloß einige Diener an, und gehe in Gottes Namen. Ich werde
Dir schon alles zu Deiner Zufriedenheit machen.“

Der Koch reiste hierauf mit dem Fürsten von dannen,
nachdem er dem Greis die nötigen Gerätschaften und einen Mann zur Bedienung
gegeben hatte. Dieser letztere wurde sogleich vom Greis beauftragt, die
Gerätschaften der Küche zu waschen, und hierauf bereitete er eine ganz
vorzügliche Speise.

Als nun der Fürst zurückkam, wurde ihm die Speise
vorgesetzt, und dieser fand daran ein Wohlgefallen, das er noch an keiner
anderen Speise gehabt hatte. In seinem Befremden darüber fragte er nach dem Anfertiger
der Speise. Man nannte ihm den Greis, den er sogleich vor sich fordern ließ und
ihn deshalb befragte. Da ihn seien Antworten befriedigten, setzte er ihm einen
Jahresgehalt aus, und legte ihm die Verpflichtung auf, dass er zugleich mit dem
Koch für ihn kochen solle. Diesem Befehl gehorchte denn auch der Greis. Nach
einiger Zeit gelangten zwei Kaufleute bei dem Fürsten an, deren jeder ein
vorzügliches Kleinod, nämlich eine kostbare Perle, besaß. Der eine forderte
für seine Perle tausend Goldstücke. Der Fürst wollte sie schätzen lassen,
allein niemand vermochte es. Da nahte sich der Koch dem Fürsten, und erwähnte
vor ihm, dass der Greis versichert habe, er verstehe die edelsten unter den
Kleinodien zu erkennen. „Er hat ja schon bewiesen,“ fuhr er fort,
„dass er gut kochen kann, und wir haben ihn darin erprobt gefunden. Wie
wäre es, wenn wir ihn nun rufen ließen, und ihn auch wegen der Kleinodien
befragten? Vielleicht würde sich sein Vorgeben auch hierin bestätigt
finden.“

Der Greis sogleich vor den Fürsten geführt, und über
die zwei Perlen, die man ihm vorzeigte, befragt. Er erwiderte sogleich:
„Was diese Perle hier anbetrifft, so ist sie tausend Goldstücke
wert.“ – „So viel fordert auch ihr Besitzer,“ unterbrach ihn der
Fürst. – „Diese Perle aber hier ist nur fünfhundert Goldstücke
wert.“ – Da lachten die Leute, und wunderten sich, und der Kaufmann sagte
zornig zu ihm: „Wie kann denn das sein? Meine ist ja viel größer, viel
reiner, und besser gerundet, und sie sollte weniger als jene kosten?“ Doch
der Greis sprach: „Ich habe gesagt, was ich zu sagen habe.“ –
„Aber an äußerem Ansehen,“ sagte hierauf der Fürst, „sind ja
beide Perlen einander ganz gleich. Warum sollte sie denn nur halb so viel als
jene wert sein?“ – „Du hast ganz Recht,“ erwiderte der Greis,
„aber in ihrem Inneren ist ein Wurm.“


1)
Dritte Nacht des Wesirs.