Project Description

890. Nacht

Am anderen Morgen begab er sich wieder zum Gewürzkrämer,
den er nach freundlichem Empfang wieder von den Begebnissen des vorigen Tages
unterrichtete. Als er nun an die Stelle kam, wo er erzählte: „Da kam
wieder ihr Mann, der Dummkopf, und sie streckte mich diesmal in einen Kasten,
den sie zudeckte. Der Mann aber kehrte das Haus von unterst zu oberst, und als
der arme Narr wieder wegging, kroch ich hinaus, und wir fingen von neuem unsere
Tändeleien an.“ Da wurde es dem Gewürzkrämer ganz klar, dass das Haus
das seinige war, und die Frau seine Gattin. „Und was wirst Du nun heute
beginnen?“, fragte er ihn. – „Ich gehe den Augenblick wieder zu ihr
hin, ich bin nur gekommen, um Dir für Deinen guten Rat zu danken.“ Und
hiermit verließ er ihn.

Allein in dem Herzen des Gewürzkrämers loderte nun eine
Flamme auf. Er schloss seinen Laden zu, ging nach Hause, und klopfte an die
Tür. Da sagte der Sänger zu der Frau: „Lass mich wieder in den Kasten
kriechen, denn dort hat er mich gestern nicht gesehen.“ – „Nein,“
sagte diese, „sondern wickle Dich in den Teppich.“ Dieses tat er denn
auch, aber in einem Nebengemach. Der Gewürzkrämer trat nun herein, schien aber
vor Eifer keinen anderen Gegenstand zu bemerken, als den Kasten, den er sogleich
öffnete. Da er aber nichts darin fand, so durchlief er das Haus, von oben bis
unten, aber ebenso erfolglos. Nun wurde er zweifelhaft, ob er sich dennoch nicht
irrte, und ob wirklich der Sänger bei seiner Frau wäre, und er machte sich
Vorwürfe, dass er sie in Verdacht gehabt hätte. Es schien ihm vielmehr ihre
Unschuld klar wie der Tag, und er ging froh in den Laden zurück. Der Sänger
kroch nun auch wieder hervor, und blieb bei ihr bis auf den Abend. Sie gab ihm
dieses Mal ein Hemd von den Hemden ihres Mannes, womit er davon ging.

Am anderen Morgen besuchte er wie gewöhnlich den
Gewürzkrämer, welcher ihn freundlich begrüßte, herzlich über seine
Erzählung lachte, bis er ihm nun auch erzählte von der Ankunft des Mannes, und
wie die Frau ihn verhindert hätte, in den Kasten zu kriechen, und ihn genötigt
habe, sich in den Teppich zu wickeln. „Wie nun der Mann herein trat, und
nichts eifrigeres zu tun hatte, als in den Kasten zu gucken, so durchlief er wie
verrückt das Haus von oberst bis zu unterst, und ich verbrachte sodann wieder
mit seiner Frau den Abend wie gewöhnlich. Da hat sie mir gestern dieses Hemd
hier gegeben, und nun gehe ich wieder zu ihr.“ Als der Gewürzkrämer das
hörte, wurde er seiner Sache gewiss und überzeugt, dass das Unheil alles in
seinem Haus stattgefunden habe. Bei dem Anblick des Hemdes aber schwand ihm
jeder Zweifel, und er fragte ihn bloß noch: „Du gehst also jetzt wieder
hin?“ – „Ja wohl, lieber Bruder,“ antwortete ihm der Sänger, und
entfernte sich.

Der Gewürzkrämer schloss nunmehr seinen Laden, und
während er damit beschäftigt, trat der Sänger schon in dessen Haus. Bald kam
auch der Gewürzkrämer an, und klopfte an die Türe. Der Sänger wollte sich
wieder in den Teppich verkriechen. Allein die Frau hinderte ihn daran und sagte
zu ihm: „Gehe hinunter in das Haus, krieche in den Backofen und mache ihn
zu.“ Dieses tat er denn, und sie ging dann hinunter, um ihrem Mann
aufzumachen. Dieser durchsuchte sogleich das Haus, ließ aber den Backofen
unbemerkt. Nun blieb er nachdenkend stehen, und beschloss, nicht eher aus seinem
Haus zu gehen, als bis am anderen Morgen.

Als nun dem Sänger die Zeit zu lang wurde, ging er aus
dem Ofen heraus, in der Meinung, der Mann wäre weggegangen. Doch guckte er
glücklicherweise zuvor durch einen Ritz, und erkannte zu seinem Erstaunen den
Gewürzkrämer, seinen Freund. Dieses betrübte ihn sehr, und er sprach bei sich
selbst: „Es ist doch schrecklich: Diesen, meinen Freund, der mir so viel
Gutes erwiesen hat, habe ich mit Undank belohnt.“ Nunmehr fürchtete er,
sich wieder vor ihm sehen zu lassen, und wollte unbemerkt aus dem Haus gehen.
Allein er fand die Türe verschlossen, und musste es nun versuchen, über das
Dach in das Haus des Nachbars zu kommen.

Allein in diesem Haus hörten die Bewohner das Geräusch,
das er verursachte, und glaubten, es wäre ein Dieb. Sie ergriffen ihn, und
brachten ihn zum Hausbesitzer, der ein Perser war. Dieser schlug ihn und nannte
ihn einen Räuber. „Ich bin kein Dieb,“ erwiderte der Sänger,
„sondern ein Fremder, der sich durch Gesang ernährt: Ich habe Euch
sprechen hören, und kam, um Euch etwas vorzusingen.“ Nunmehr fingen die
Leute an, ihm Gehör zu geben, und versuchten ihn zu retten. Allein der Perser
sagte: „Lasst Euch nicht von seinen Reden betören. Er ist weiter nichts
als ein Dieb, der etwas singen kann, und wenn er zu Leuten kommt, wie wir, die
auf ihrer Hut sind, so ist er Sänger. Kommt er zu anderen, so ist er
Dieb.“ Da er nun fortfahren wollte, ihn zu prügeln, so verhinderten ihn
noch glücklicherweise seine Leute daran, und schleppten den Sänger mit sich in
eines ihrer Zimmer, wo er ihnen etwas vorsingen musste. Sie ergötzten sich sehr
daran, besonders eine Sklavin des Persers, die ihn lieb gewann, und ihm
Gegenliebe einflößte. „Wenn meine Herrschaft,“ sagte sie zu ihm,
„sich schlafen gelegt haben wird, so werde ich Dich abholen.“ Der
Sänger fuhr nun fort, bei den Leuten zu singen, bis spät Abends, wo der Perser
mit seiner Sklavin hinwegging.

Nun fügte es sich, dass der Perser kurze Zeit darauf aus
seinem Zimmer heraustrat, wobei ihm das Licht auslöschte, so dass er deshalb in
der Finsternis einen Fehltritt tat, und hinfiel. Bei diesem Geräusch glaubte
der Sänger, es wäre die Sklavin, und indem er herbeieilte, um sie aufzuheben,
küsste und drückte er den Perser auf das zärtlichste an sein Herz. Dieser
aber, solcher Zärtlichkeiten ungewohnt, hielt den Umarmenden fest, bis ihn das
herbeigebrachte Licht überzeugte, dass er den Sänger ergriffen habe. Da er nun
nichts Gutes von diesem erwartete, so schleppte er ihn in den Hof, und band ihn
an einen Baum fest.

Eine Sängerin, die in demselben Haus wohnte wollte sich
des Gefesselten erbarmen, und ihn losbinden. Da sie indessen hierzu sehr viel
Zeit brauchte, so machten ihre Anstrengungen eine Ziege aufmerksam, welche der
Perser abgerichtet hatte, um mit ihm zu spielen. Diese glaubte nun, der Perser
lockte sie. Sie lief also auf die Sängerin zu, und wollte nach ihrer Gewohnheit
mit ihr spielen. Stieß sie aber so unglücklich mit ihren Hörnern, das sie ihr
den Kopf spaltete, und diese sofort mit einem großen Schrei tot hinfiel. Als
der Perser dadurch aus seinem Schlaf geweckt wurde, stand er eilig auf, und
erblickte den Sänger zwar noch immer angebunden, aber die Sängerin tot vor ihm
liegend.