Project Description

89. Nacht

„Die Kaufleute, mit welchen ich im Wald war,“
fuhr Sindbad fort, „rafften Steine auf und warfen sie aus Leibeskräften
nach den auf den Gipfeln der Bäume befindlichen Affen. Ich folgte ihrem
Beispiel, und sah, dass die Affen, von unserer Absicht unterrichtet, eifrig
Kokosnüsse pflückten und sie uns mit zornigen und erbitterten Gebärden
zuwarfen. Wir sammelten die Nüsse, und warfen von Zeit zu Zeit Steine, um die
Affen zu reizen. Durch diese List füllten wir unsere Säcke mit jener Frucht,
zu der wir auf andere Weise unmöglich gelangen konnten.

Wir kehrten nun mit vollen Säcken in die Stadt zurück,
wo der Kaufmann, der mich in den Wald geschickt hatte, mir den Wert der in
meinem Sack mitgebrachten Kokosnüsse bezahlte.

„Fahrt fort,“ sagte er zu mir, „täglich
dasselbe zu tun, bis ihr genug habt, um heimkehren zu können.“ Ich dankte
ihm für seinen guten Rat, und brachte unmerklich einen solchen Haufen von
Kokosnüssen zusammen, dass die dafür erhaltene Summe sehr beträchtlich war.

Das Schiff, welches mich mitgebracht hatte, war mit den
Kaufleuten und den von diesen erkauften Kokosnüssen abgesegelt. Ich wartete,
bis ein anderes, zu gleicher Ladung bestimmtes, in dem Hafen der Stadt landete.
Ich ließ alle mir gehörigen Kokosnüsse darauf einschiffen, und als alles zur
Abreise bereit war, nahm ich Abschied von dem Kaufmann, dem ich so viele
Verpflichtungen schuldig war. Er konnte nicht mitreisen, weil er seine
Geschäfte noch nicht beendigt hatte.

Wir gingen unter Segel, und nahmen unsern Weg nach der
Insel, auf welcher der Pfeffer im größten überfluss wächst. Von dort
schifften wir nach der Halbinsel Komari1), welche die beste Art von Aloeholz
trägt und deren Einwohner sich das unverletzliche Gesetz auferlegt haben,
keinen Wein zu trinken, noch irgend eine Art von Ausschweifungen zu dulden. Ich
vertauschte auf beiden Inseln meine Kokosnüsse gegen Pfeffer und Aloeholz, und
begab mich mit andern Kaufleuten auf die Perlenfischerei, wozu ich auf meine
Kosten Taucher in Gold nahm. Sie fischten eine Menge sehr großer und schöner
Perlen. Freudig ging ich wieder in See mit einem Schiff, welches glücklich in
Balsora anlangte. Von dort kehrte ich nach Bagdad zurück, wo ich aus den
mitgebrachten Waren, dem Aloeholz, dem Pfeffer und den Perlen, sehr große
Summen löste. Ich verteilte, wie nach der Heimkehr von meinen anderen Reisen,
den zehnten Teil meines Gewinnes als Almosen, und suchte mich in allen Arten von
Ergötzlichkeiten von meinen Beschwerden zu erholen.“

Nach diesen Worten ließ Sindbad dem Hindbad hundert
Zeckinen geben, und dieser entfernte sich mit den anderen Gästen. Am folgenden
Tage fand sich dieselbe Gesellschaft wieder bei dem reichen Sindbad ein, der
nachdem er sie, wie an den vorhergegangenen Tagen, bewirtet hatte, ihnen seine
sechste Reise erzählte.

Sechste
Reise
Sindbads des Seefahrers, nach Ceylon

„Meine Herren,“ sagte er, „ihr seid ohne
Zweifel begierig, zu wissen, wie ich mich, nach fünf erlittenen Schiffbrüchen
und so vielen anderen ausgestandenen Gefahren, nochmals entschließen konnte,
das Glück zu versuchen und mich neuen Unfällen auszusetzen. Wenn ich jetzt
darüber nachdenke, erstaune ich selbst, und es musste unstreitig mein Gestirn
sein, das mich antrieb. Wie dem auch sei, nach Verlauf eines in Ruhe verlebten
Jahres bereitete ich mich zu einer sechsten Reise, ungeachtet der Bitten meiner
Verwandten und Freunde, die ihr Möglichstes taten, um mich zurückzuhalten.

Statt meinen Weg durch den persischen Meerbusen zu nehmen,
durchstreifte ich nochmals mehrere Provinzen Persiens und Indiens, und gelangte
an einen Seehafen, in welchem ich mich auf einem guten Fahrzeug einschiffte,
dessen Hauptmann entschlossen war, eine lange Seereise zu machen. Sie war in der
Tat sehr lang, aber zugleich so unglücklich, dass der Hauptmann und der
Steuermann den Weg ganz und gar verloren, und nicht mehr wussten, wo wir waren.
Endlich fanden sie sich wieder zurecht, aber wir Reisende hatten gar keine
Ursache, uns darüber zu freuen, und waren nicht wenig erstaunt, als wir eines
Tages den Hauptmann mit großem Geschrei seinen Posten verlassen sahen. Er warf
seinen Turban auf die Erde, riss sich den Bart aus und schlug sich vor den Kopf,
wie ein Mensch, dem die Verzweiflung den Verstand verwirrt hat. Wir fragten ihn,
worüber er sich so betrübe? „Ich verkünde euch,“ erwiderte er,
„dass wir uns an der gefährlichsten Stelle des Meeres befinden. Eine sehr
schnelle Strömung reißt das Schiff mit sich fort, und in weniger als einer
Viertelstunde werden wir alle umkommen. Bittet Gott, dass er uns aus dieser
Gefahr befreie. Wenn er sich unser nicht erbarmt, können wir ihr nicht
entrinnen.“ Nach diesen Worten befahl er, die Segel einzuziehen, aber das
Tauwerk zerriss bei dieser Arbeit, und das Fahrzeug wurde, ohne dass es möglich
war, dem abzuhelfen, von der Strömung an den Fuß eines unersteigbaren Berges
getrieben, wo es scheiterte, jedoch so, dass wir nicht nur unsere Personen,
sondern auch unsere kostbarsten Waren retteten.

Als dies geschehen war, sagte der Hauptmann: „Gott
hat getan, was ihm gefiel. Wir können uns hier ein jeder sein Grab graben, und
uns das letzte Lebewohl sagen, denn wir sind an einem so Unheil bringenden Ort,
dass niemand von den früher hierher verschlagenen bis jetzt davon gekommen
ist.“ Diese Worte versetzten uns alle in eine tödliche Betrübnis, wir
umarmten unser unglückliches Geschick.

Der Berg, an dessen Fuß wir uns befanden, machte die
Küste einer sehr langen und sehr ausgedehnten Insel aus. Diese Küste war ganz
mit den Trümmern gescheiteter Schiffe und mit einer unzähligen Menge von
Gebeinen bedeckt, die man von Raum zu Raum erblickte, die uns Schaudern erregten
und uns bezeugten, dass hier viele Menschen umgekommen wären. Ganz unglaublich
war auch die Menge von Waren und Reichtümern, die sich auf allen Seiten unsern
Augen darboten. Alle diese Dinge dienten nur dazu, unsere Betrübnis zu
vermehren. Statt das anderswo überall die Flüsse aus ihrem Bett ins Meer
fließen, strömt hier im Gegenteil ein großer Fluss aus süßem Wasser2)
von der Küste landeinwärts durch eine dunkle Grotte, deren öffnung sehr hoch
und breit ist. Es ist sehr bemerkenswert, dass hier alles Gestein des Berges aus
Kristall, Rubinen oder anderen Edelsteinen besteht3).
Man sieht daselbst auch die Quelle einer Art von Pech oder Erdharz, welches ins
Meer fließt4)
und von den Fischen verschlungen wird, die es dann als grauen Ambra wieder von
sich geben, den die Wellen an das flache und sandige Ufer werfen, das ganz damit
bedeckt ist. Es wachsen auch Bäume dort, größtenteils Aloe, die denen von
Komari nichts nachgeben.

Um die Beschreibung dieses Ortes zu beenden, den man einen
Abgrund nennen kann, weil keine Rückkehr aus ihm statt finden kann, so sollt
ihr wissen, dass es den Schiffen nicht möglich ist, sich von ihm zu entfernen,
sobald sie sich ihm auf ein gewissen Grad genähert haben. Werden sie durch
einen Seewind hingetrieben, so bringt der Wind und die Strömung ihnen
Verderben: und wenn sie sich beim Wehen eines Landwindes dort befinden, was ihre
Entfernung begünstigen könnte, so hält ihn die Höhe des Berges ab und
verursacht eine Windstille, welche der Strömung ihre Gewalt lässt, die sie
dann gegen die Küste treibt, wo sie gleich dem unsrigen scheitern. Zur
Vermehrung des Missgeschicks ist es nicht möglich, den Gipfel des Berges zu
ersteigen und sich irgend wohin zu retten.

Wir blieben am Ufer, wie Leute, die den Verstand verloren
haben, und erwarteten den Tod von Tage zu Tage. Unsere Lebensmittel hatten wir
zu gleichen teilen verteilt, und so lebte jeder, nach Maßgabe seiner
körperlichen Beschaffenheit und des Gebrauches, den er von seinem Vorrat
machte, längere oder kürzere Zeit, als die anderen.


1)
Komari, mit dem Vorgebirge Komorin, ist die Spitze der Halbinsel diesseits des
Ganges. – Die Pfefferinsel liegt in der sondischen Meerenge. – Seit undenklichen
Zeiten, wie  heute auch noch, fischt man Perlen in diesen Gegenden,
zwischen dem Vorgebirge Komorin und der Nordküste von Ceylon.