Project Description

886. Nacht

Geschichte
von dem Mann aus Chorassan, seinem Sohn und dessen Lehrer

„Dieser Mann hatte einen Sohn, dessen Bestes er
eifrig wünschte. Der Sohn aber entzog sich den Augen des Vaters, um allen Arten
von Ergötzlichkeiten nachzugehen. Einst bat er ihn, er möchte ihm die
Pilgerreise nach dem Hause Gottes und den Besuch des Grabes des Propheten, über
den Heil und Segen komme, gestatten. Das betrug eine Entfernung von fünfhundert
Parasangen. Gleichwohl konnte sein Vater seinen Wünschen nicht widerstehen,
weil ohnehin das Gesetz es verlangte, und er es für das Heil seines Sohnes
dienlich hielt. Er suchte daher für ihn einen Lehrer, auf den er sich verlassen
konnte. Diesem gab er vieles Geld, und ließ ihn dann mit seinem Sohn die
Wallfahrt antreten. Als er nach Mekka gelangt war, ließ er sich da zu vielen
unüberlegten Ausgaben verleiten. In seiner Nachbarschaft wohnte ein armer Mann,
welcher eine ungemein schöne Sklavin hatte, in die sich der junge Mensch so
heftig verliebte, dass er darüber in den tiefsten Kummer geriet. Aber auch das
Mädchen liebte ihn, und zwar noch heftiger, als er: Weshalb sie sich an eine
alte Frau wandte, die sehr freundschaftlich gegen sie gesinnt war, um ihr ihren
Herzenszustand zu entdecken. Dieser erzählte sie alles, und endigte mit der
Versicherung, dass sie ohne seinen Besitz vor Schmerz sterben würde. Die Alte
versprach ihrerseits dem Mädchen, ihr zu diesem Besitz zu verhelfen. Sie
verschleierte sich dann sogleich, und verfügte sich zu dem jungen Menschen. Sei
schilderte ihm den Zustand des Mädchens, und äußerte, dass ihr Besitzer sehr
geldgierig wäre. „Locke ihn daher an,“ sagte sie, „und erwecke
in ihm Verlangen nach Deinem Geld, dann wird er Dir gewiss das Mädchen
verkaufen.“ Er veranstaltete daher ein Fest, ging an einen Ort, wo er
seinem Nachbar begegnen musst, und lud ihn dazu ein. Da dieser die Einladung
annahm, so führte er ihn sogleich mit in sein Haus, wo sie aßen und tranken,
und sich unterhielten. „Ich habe gehört,“ sagte hierauf der junge
Mensch, „dass Du eine Sklavin hast, die Du verkaufen willst.“ –
„Bei Gott,“ sprach der andere, „ich denke nicht daran, sie zu
verkaufen.“ – „Man hat mir gesagt, Du wolltest tausend Goldstücke
für sie haben. Ich gebe Dir aber noch sechshundert mehr.“ – „Ja, um
den Preis sollst Du sie haben,“ sagte der Nachbar. Sogleich ließen sie
Rechtskundige kommen, und der Verkauf wurde gerichtlich abgefasst. Er bezahlte
ihm die Hälfte sogleich, und bat ihn, das Mädchen so lange bei sich zu
behalten, bis er den ganzen Wert entrichtet haben würde. Sie blieb also bei
ihrem Herrn als Unterpfand zurück, der sich schriftlich verpflichtete, sie ihm
für die übrige Hälfte der Summe zu überliefern. Der junge Mensch gab nun
seinem Lehrmeister tausend Drachmen, und ließ ihn zu seinem Vater reisen, um
das nötige Geld von ihm zu erbitten, wobei er ihm die größte Eile empfahl.
Der Lehrmeister aber dachte bei sich selbst: „Wie kann ich zu seinem Vater
gehen, und ihm sagen, dass sein Geld schon durchgebracht ist, und dass sein Sohn
sich verliebt hat? Werde ich mich wohl mit gutem Gewissen ihm vorstellen
können, da ich mich doch für seinen Sohn verbürgt habe? Nein, das werde ich
nicht tun, sondern ich will diese Pilgerreise weiter fortsetzen, gegen den
Willen seines törichten Sohnes, und wenn er sieht, dass kein Geld ankommt, so
wird er wohl zu seinem Vater zurückkehren und ich werde aller
Unannehmlichkeiten überhoben sein. Dies tat denn auch der Lehrer. Der junge
Mensch aber, als er vergeblich die Rückkehr seines Lehrmeisters erwartet hatte,
war in der größten Verzweiflung. Beinahe hätte er sich das Leben genommen,
wenn nicht das Mädchen zu ihm geschickt hätte, um ihn nach allem zu befragen.
Auf seinen Bericht erwiderte sie: „Wahrscheinlich ist Dein Abgesandter
umgekommen, oder Dein Vater hat ihn im ersten Zorn getötet. Ich will Dir aber
all mein Geschmeide und meine Kostbarkeiten geben. Verkaufe alles, und bezahle
mich damit, dann wollen mir zusammen zu Deinem Vater reisen.“ Sie gab ihm
hierauf alles, was sie hatte, er verkaufte es, und entrichtete davon das übrige
ihres Kaufpreises. Nur noch hundert Drachmen bleiben ihm, welche er als Almosen
spendete.

Ganz entzückt nahm er nun das Mädchen zu sich. Jedoch
schon am anderen Morgen zerfloss er in Tränen. Von dem Mädchen nach der
Ursache seiner Betrübnis befragt, antwortete er: „Ich weiß nicht, wie es
mit meinem Vater steht, ob er vielleicht gar tot ist? Ich bin doch sein einziger
Erbe und ich weiß nicht, wie ich hinreisen soll, da ich keine Pfennig mehr
habe.“ Da sprach das Mädchen zu ihm: „Ich besitze ein schönes
Armband, welches Du verkaufen kannst. Kaufe dafür kleine Perlen: Diese
zerstoße, und mache davon große Perlen. Damit kannst du viel Geld verdienen,
und es wird dir dann nicht schwer fallen, Dein Vaterland zu erreichen.“ Der
junge Mann ging mit dem Armband zum Goldschmied, und sagte zu diesem:
„Zerbrich dieses Armband und kaufe mir es ab.“ Dieser antwortete:
„Der König verlangt soeben ein echtes Armband wie dieses. Ich gehe jetzt
sogleich zu ihm, und bringe Dir den Preis.“

Der König lobte es sehr, und bewunderte die schöne
Arbeit. Zugleich aber rufte er ein altes Weib, das sich in seinem Schloss
befand, und trug ihr auf, ihm die Besitzerin dieses Armbandes zu verschaffen.
Sie versprach es ihm. Um ihr Versprechen auszuführen, verkleidete sie sich als
eine Betschwester, ging zum Goldschmied, und fragte ihn, wer der Besitzer des
Armbandes wäre, das der König bei sich hätte. Da antwortete er ihr, es wäre
ein Fremder, der ein hiesiges Mädchen gekauft hätte, und an dem und dem Ort
wohnte.

Sogleich begab sich die Alte in das Haus des jungen
Menschen, und klopfte an die Türe. Das Mädchen öffnete, grüßte sie, und da
sie an ihr die Kleidung der Frommen erblickte, fragte sie, was ihr beliebe.
„O,“ erwiderte das Weib, „vergönnt mir ein einsames Gemach, denn
ich wohne sehr weit von hier, und ich muss jetzt mein Gebet und die
vorgeschriebenen Waschungen verrichten.“ – „Tritt herein,“
antwortete das Mädchen, und die Alte fing sogleich ihre religiösen Handlungen
an. Dann zog sie den Rosenkranz hervor, und betete. Als sie geendigt hatte,
fragte das Mädchen sie, woher sie käme? „Ich komme von dem Götzen der
Abwesenden aus dem und dem Tempel. Keine Frau kann vor diesen Götzen treten,
die, wenn sie einen Bekannten abwesend hat, nicht von ihm Nachricht einziehen
könnte.“ Da rief das Mädchen aus: „Wir haben auch einen Abwesenden,
und das Herz meines Herrn hängt ganz an ihm. Ich habe große Lust zu dem
Götzen zu gehen, um ihn wegen ihm zu befragen.“ Da sprach die Frau:
„Warte bis morgen, und bitte Deinen Mann um Erlaubnis. Ich werde Dich
abzuholen kommen.“ Als nun die Frau weggegangen, und der Mann
zurückgekommen war, erhielt das Mädchen von ihm die Erlaubnis, mit der Alten
zu gehen. Diese kann auch wirklich, holte sie ab, und brachte sie an die Pforten
des königlichen Schlosses, welches die junge Frau nicht wusste. Als sie nun
eingetreten waren, und sie Schönheit des Innern bemerkte, und schön
ausgeschmückte Zimmer erblickte, die ihr gar nicht für Götzen geeignet
schienen, erweckte dies Besorgnis in ihr. Nun aber erschien der König, der, von
ihrer Schönheit bezaubert, sich ihr alsbald nahte, um diese zu küssen. Da fiel
sie vor Schrecken in Ohnmacht, und sträubte sich mit Händen und Füßen.