Project Description

876. Nacht

Hier
erblickte er ein Mädchen von außerordentlicher Schönheit und Vollkommenheit,
die in Tränen zerfloss. Während er von ihrer Schönheit ganz betroffen war,
machte er auf sie einen nicht minder tiefen Eindruck. "Wer bist Du?",
fragte ihn das Mädchen. – "Sage mir vielmehr, wer bist Du?",
entgegnete er. "Ich bin Schame, die Tochter des Königs Asrach." –
"Du bist Schame?", rief er aus, "und ich bin Wachs el-Fellath,
den Dein Vater erziehen ließ." Als sie sich gegenseitig erkannt hatten,
setzten sei sich zu einander und erzählten einander ihre Begebenheiten. Bei
dieser Gelegenheit berichtete sie ihm nun, was sich mit dem Geist zugetragen
hatte, und dass er kommen würde, sie zu holen. "Oh, Du sollst sehen, wie
ich mit ihm verfahren werde," unterbrach er sie. Doch in demselben
Augenblick nahte sich der böse Geist, und seine Flügel verfinsterten die
Sohne. Während die Einwohner ein schreckliches Geschrei ausstießen, stürzte
sich der Geist auf das Zelt, und wollte es empor heben, als er einen Mann darin
erblickte, der sich mit der Tochter des Königs unterhielt. "Wehe Dir, Du
Erdensohn!", rief er ihm zu, "was berechtigt Dich, neben meiner
Erwählten zu sitzen?" Als Wachs el-Fellath die schreckliche Gestalt des
Geistes erblickte, ergriff ihn ein Schauder, und er bat Gott um Hilfe. Zugleich
zog er sein Schwert und schlug den Geist, der soeben seine rechte Hand
ausgestreckt hatte, um ihn zu ergreifen. Der Schlag war so kräftig, dass er die
Hand abhieb. – "Was? Du willst mich töten?", rief Muchtatif, hob
seine Hand auf, steckte sie unter dem Arm und flog davon. Nun erscholl ein
lautes Freudengeschrei von den Wällen der Stadt. Die Tore wurden geöffnet, und
der König Asrach trat heraus, und zugleich eine Menge Volks mit musikalischen
Instrumenten, die sie in ihrer Freude ertönen ließen, Wachs el-Fellath aber
wurde mit Ehrenkleidern angetan. Als ihn Sikar Dium erblickte, ergoss sich seine
Galle. Der König indessen ließ für Wachs el-Fellath ein besonderes Gemach
bereiten, und während Schame sich in ihr Schloss zurück begab, veranstaltete
der König ein großes Fest, um die Befreiung von dem Bösen zu feiern. Nachdem
dieses sieben Tage gedauert hatte, begab sich Schame zu Wachs el-Fellath, und
sagte ihm: "Halte morgen bei meinem Vater um mich an, denn Du hast mich
befreit, und er wird es Dir nicht abschlagen können." – Sehr gern willigte
dieser ein, und begab sich am anderen Morgen früh zum König. Dieser nahm ihn
sehr wohl auf, und ließ ihn neben sich auf den Thron setzen. Gleichwohl hatte
Wachs el-Fellath nicht den Mut, seine Bitte vorzutragen, so das sie nach einer
kurzen Unterhaltung sich wieder trennten. Noch nicht lange war er in seinem
Zimmer angelangt, als Schame eintrat, ihn grüßte und fragte: "Warum hast
Du nicht um mich angehalten?" – "Ich scheute mich es zu tun,"
erwiderte er. – "Lass ab von dieser Scheu," erwiderte sie, "und
halte um mich an." – "Wohl, morgen tue ich es gewiss," erwiderte
er. Sie brach nun wieder auf und begab sich in ihr Gemach zurück. Am anderen
Tage früh trat Wachs el-Fellath wieder beim König ein. Dieser kam ihm
freundlich entgegen und ließ ihn zu sich setzen. Jener aber vermochte wiederum
nicht, sein Anliegen vorzutragen, und so kehrte jeder wieder in seine Gemächer
zurück. Bald darauf kam Schame zu ihm: "Wie lange wird diese
Verschämtheit dauern? Fasse Mut, wo nicht, so beauftrage jemanden, der für
Dich spricht." Sie verließ ihn hierauf, und am anderen Morgen wiederholte
er seinen Besuch beim König. "Was ist Dein Begehr?", fragte ihn
dieser. "Ich komme als ein Bewerber und bitte Dich um den Besitz Deiner
edlen Tochter Schame." Als Sikar Dium diese Rede hörte, schlug er sich ins
Gesicht. "Was fehlt Dir," fragte der König. "Das war’s, was ich
voraus gesehen habe," erwiderte jener, "wenn diese beiden Male sich
begegnen: Gegenwärtig also die Zerstörung Abessiniens." – "Wie kann
ich sie ihm abschlagen," erwiderte der König, "da er sie doch erst
von dem Bösen gerettet hat." – "Sage ihm," erwiderte Sikar Dium,
"dass Du diese Angelegenheiten Deinem Wesir überlassen wirst." –
Hierauf wendete sich der König zu Wachs el Fellath und sagte: "Mein Sohn,
Dein Anliegen ist bei uns so gut wie bewilligt, indessen ist alles, was sie
betrifft, meinem Wesir übertragen. Bei diesem musst du um sie anhalten."
Sogleich wandte sich Wachs el-Fellath zu diesem, und trug sein Anliegen vor. Mit
freundlicher Miene erwiderte ihm Sikar Dium. "Deine Sache ist so gut wie
abgemacht. Nur für Dich ziemt sich die Tochter des Königs, aber Du weißt,
dass den Töchtern der Könige eine Morgengabe gebührt." – "Verlange,
was Du willst," sagte Wachs el-Fellath. – "Geld oder Geldeswert
verlangen wir nicht," sprach der Wesir, "aber wir verlangen das Haupt
eines Mannes, der Sudun, der äthiopier, heißt." – "Wo ist er
anzutreffen?" – "Man sagt," war die Antwort, "er sei in der
Festung Reg, drei Tagesreisen von uns entfernt." – "Wenn ich aber das
Haupt Suduns nicht bringe?", fragte er. "Nun Du sollst es haben,"
war die Antwort. Bei dieser Bedingung wurde die Sitzung aufgehoben, und jeder
begab sich in sein Gemach.