Project Description
843. Nacht
Die unglückliche Jasmin, als sie das Ziel ihrer
Schwangerschaft erreicht hatte, gebar sie einen Knaben, so schön wie der Tag.
Als ihre Genossinnen sie fragten, welchen Namen sie ihm geben wollte, antwortete
sie: „Ach, wenn sein Vater noch lebte, würde er selber ihn benamen; weil
er aber nicht mehr ist, so soll dieses teuere Kind Aslan heißen.“
Jasmin säugte selber den kleinen Aslan und spänte ihn
nicht eher als nach Verlauf von dritthalb Jahren, wo er sich schon auf seinen
kleinen Händen umher schob und selbst schon anfing, ganz allein zu gehen.
Eines Tages, als Jasmin wie gewöhnlich in der Küche
beschäftigt war, bemerkte der kleine Aslan, der überall umherkletterte, die
Treppe, welche nach dem Saal führte, fing an, die Stufen, so gut er konnte,
hinaufzusteigen, und kam so dahin, wo der Emir Chaled saß.
Der Wesir, verwundert über die Schönheit des Knaben und
von seiner Anmut hingerissen, hob ihn auf und setzte ihn auf seine Knie. Indem
er aufmerksam seine Züge betrachtete, war er erstaunt über seine ähnlichkeit
mit Alaeddin Abulschamat.
Jasmin, beunruhigt, als sie ihren Sohn nicht um sich sah,
suchte ihn anfangs in der Küche und auf den Höfen; da sie ihn aber nirgends
fand, stieg sie auch hinauf zu dem Saal und war höchst verwundert, als sie beim
Eintritt sah, wie der Emir Chaled ihn auf seinen Knien hielt und sich ergötzte,
mit ihm zu spielen. Als das Kind seine Mutter erblickte, wollte er zu ihr
hinauf, aber der Wali hielt ihn fest in seinen Armen und fragte Jasmin, wem er
angehörte.
„Es ist mein Sohn, Herr,“ antwortete Jasmin
zitternd.
„Wer ist denn sein Vater?“, fuhr der Wali
lebhaft fort.
„Es ist der unglückliche Alaeddin Abulschamat,“
antwortete Jasmin. „Jetzt hat dieses Kind keinen andern Vater und keinen
anderen Beschützer als Euch.“
„Wie,“ sagte der Wali, „ich sollte mich des
Sohnes eines Verräters annehmen?“
„Ach, Herr,“ rief Jasmin aus, „lernt besser
meinen seligen Herrn und Gemahl kennen: Alaeddin war kein Verräter. Er war
einer der treuesten und eifrigsten Diener des Kalifen und dachte nie daran, das
Vertrauen seines Herrn zu missbrauchen.“
Der Wali, gerührt von dem Schicksal dieses Kindes,
fühlte, dass seine beim ersten Anblick für dasselbe gefasste Liebe zunahm, und
sagte zu der Mutter: „Wenn Dein Sohn größer wird und Dich fragt, wer sein
Vater ist, so sag‘ ihm, es ist der Emir Chaled, Wali von Bagdad.“
Jasmin, hocherfreut über diese Worte, erzog ihren Sohn
mit der größten Sorgfalt. Als er sieben Jahre alt war, ließ der Wali ihn
beschneiden und gab ihm die geschicktesten Lehrmeister, welche sich um die Wette
bemühten, seinen Geist auszubilden und ihn auf eine Weise zu unterrichten, wie
sie dem Sohn eines der ersten Emire am Hof des Kalifen gemäß war. Der Wali
behielt sich selber vor, ihn im Reiten und Fechten zu unterweisen; und allemal,
wenn er seine Soldaten künstliche Bewegungen machen ließ, nahm er ihn mit sich
und bildete ihn so für alle kriegerische übungen.
Im Alter von achtzehn Jahren war der junge Aslan ein
vollkommener Ritter. Bei den vornehmsten Herren des Hofes, die ihn für den Sohn
des Emirs Chaled ansahen und von seinem edlen und vornehmen Wesen eingenommen
waren, fand er die schmeichelhafteste Aufnahme. Achmed Komakom war nicht der
letzte, ihm den Hof zu machen. Er wusste dermaßen sich in seine Gunst zu
setzen, dass beide unzertrennlich wurden.
Eines Tages, als sie beisammen in der Schenke saßen, zog
Achmed Komakom aus seinem Busen den goldenen mit Edelsteinen besetzten Leuchter,
welchen der Kalif so sehr vermisst hatte. Er stellte ihn vor sich hin, setzte
sein Glas davor und ergötzte sich, den Glanz des Goldes und der Diamanten durch
das Getränk blinken zu sehen. Er wiederholte diese Belustigung mehrmals, trank
so mehrere Gläser aus und berauschte sich.