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814. Nacht

Geschichte
Alaeddins

„Es war einmal in ägypten ein Kaufmann namens
Schemseddin, der einen sehr ausgebreiteten Handel trieb und durch sein
pünktliches Worthalten des größten Vertrauens genoss. Er besaß unermessliche
Reichtümer, hatte eine große Anzahl Sklaven zu seinem Dienst und behauptete
den ersten rang unter den Kaufleuten von Kairo, welche ihn zu ihrem Vorsteher
erwählt hatten.

Mit allen diesen Vorzügen vereinigte Schemseddin noch den
Besitz einer Gattin, welche er herzlich liebte, und welche seine Liebe aufs
zärtlichste erwiderte. Aber obwohl beide schon zwanzig Jahre vermählt waren,
so hatten sie doch immer noch keine Kinder. Diese Entbehrung bekümmerte
Schemseddin tief. Er maß sie heimlich seiner Gattin bei, aber er hatte nie
gewagt, ihr darüber den geringsten Vorwurf zu machen.

Eines Tages, als er in seinem Warenlager saß und seine
Nachbarn betrachtete, welche alle mehr oder weniger Kinder hatten, fühlte er
den Kummer, keine zu haben, umso lebhafter und war folglich umso unmutiger gegen
seine Gattin.

Es war ein Freitag: Schemseddin ging ins Bad; und nachdem
er sich gebadet hatte, ließ er sich beräuchern, den Kopf scheren und den Bart
stutzen, wie er alle Freitage zu tun pflegte. Während er noch unter den Händen
des Badewärters war, nahm er den Spiegel und betrachtete sich darin. Sein Bart,
der schon anfing zu grauen, vermehrte den Kummer, welchen er nährte, sich
kinderlos zu sehen. Er ging also in sehr übler Laune nach Hause.

Die Gattin des Kaufmanns, welche die Stunde seiner
Heimkunft wusste, hatte die Aufmerksamkeit gehabt, sich auch zu baden und sich
zu seinem Empfang mit ihren schönsten Kleidern zu schmücken. Als er eintrat,
kam sie ihm treulich entgegen und wünschte ihm guten Abend. Er aber nahm sie
sehr unfreundlich auf und erwiderte ihr, er bedürfte ihres guten Abends nicht.

Bestürzt über eine so kalte Begegnung, ließ sie das
Abendessen auftragen und bat ihn, sich zu Tisch zu setzen.

„Ich will nichts essen,“ antwortete er ihr. Zu
gleicher Zeit stieß er den Tisch, auf welchem das Abendessen stand, mit dem
Fuß von sich.

„Warum denn,“ sagte sie zu ihm, „willst Du
nicht essen, und was macht Dich heute so übler Laune?“

„Du selbst,“ antwortete der Kaufmann mit
Bitterkeit. „Diesen Morgen, als ich mein Warenlager öffnete, sah ich alle
Kaufleute unserer Nachbarschaft von ihren Kindern umgeben, und ich sprach zu mir
selber: „Ich bin sehr einfältig gewesen, meiner Frau in unserer ersten
Hochzeitsnacht zu schwören, dass ich keine andere Frau neben ihr heiraten und
dass keine Sklavin ihre Nebenbuhlerein werden, ja, dass ich nimmer eine Nacht
außer meinem Haus zubringen wollte. Ich sah damals nicht voraus, dass meine
Gattin unfruchtbar sein und mir niemals Kinder schenken würde.“

„Was nennst Du unfruchtbar?“, entgegnete ihm die
Frau gereizt, „es liegt vielmehr an Dir, dass wir keine Kinder haben!“

Der Kaufmann, verwundert über diese Entgegnung und über
den zuversichtlichen Ton, mit welchem sie ausgesprochen wurde, begann gegen sich
selbst Misstrauen zu schöpfen und sagte zu seiner Gattin:

„Wäre es möglich? Und sollte es in diesem Fall
nicht irgend ein Mittel geben, welches mir zu Kindern verhelfen könnte? Ich bin
berit, es zu erkaufen, wie hoch auch der Preis sei, um es zu versuchen.“

„Ich glaube,“ antwortete ihm seine Frau,
„dass es dergleichen Mittel gibt; und Du findest sie, denke ich, bei den
Apothekern.“

Der Kaufmann brachte die ganze Nacht hin, über das
nachzudenken, was seine Frau ihm gesagt hatte. Sie waren beide innerlich
erbittert durch ihre gegenseitigen Vorwürfe.

Der Mann stand in aller Frühe auf und begab sich auf den
Markt. Er trat bei einem Apotheker ein, grüßte ihn und fragte ihn, ob er
irgend ein Mittel besäße, welches die Kraft hätte, Kinder zu verschaffen.

„Ich hatte dergleichen noch unlängst,“
antwortete ihm der Apotheker, „aber es ist nichts mehr davon vorrätig: Ich
habe alles verkauft. Wenn Ihr Euch aber zu meinem Nachbarn bemühen wollt, so
wird der vielleicht haben, was ihr sucht.“