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801. Nacht

Hierauf begann sie ihre Gebete, und hörte nicht eher auf
mit Kniebeugungen und Anrufungen, als bis die Nacht gekommen war.

Die junge Sklavin sprach hierauf zu ihr: „Meine gute
Mutter, ruht Euch ein wenig aus.“

„Gnädige Frau,“ erwiderte die Alte, „wer
in jener Welt glücklich werden will, muss in dieser leiden.“

Naam ließ zu essen bringen, und sagte zu der Alten:

„Nehmt ein wenig, gute Mutter, von dem, was ich Euch
anbiete. Bittet Gott, mein Herz zu rühren und sein Erbarmen auch über mich zu
verbreiten.“

„Ihr seid noch jung, edle Frau,“ antwortete ihr
die Alte, „und in Eurem Alter muss man der Freuden des Lebens genießen.
Gott wird, ich bin es versichert, eines Tages noch Euer Herz rühren, denn man
liest im heiligen Koran1),
dass Gott denjenigen vergeben wird, die den wahren Glauben angenommen haben,
weil er gut und barmherzig ist.“

Naam unterhielt sich so eine Zeit lang mit der Alten, und
sagte hierauf zu ihrem Mann:

„Ich wünschte wohl, dass Du etwas zu Gunsten dieser
guten Alten tätest, denn sie trägt den Ausdruck der Frömmigkeit auf dem
Gesicht.“

„Nun gut,“ antwortete er, „lass ihr ein
Gemach bereiten, worin sie bleiben kann, und sorge dafür, dass niemand dahin
komme und ihre frommen übungen störe. Vielleicht segnet uns Gott ihretwegen
mit seinen Wohltaten, und lässt nicht zu, dass wir jemals voneinander getrennt
werden.“

Die Alte brachte die ganze Nacht mit Lesen und Beten zu.
Mit Anbruch des Tages kam sie zu Naam und Naama, wünschte ihnen guten Morgen,
und wollte von ihnen Abschied nehmen.

„Wo wollt ihr hin, meine Gute?“ sagte Naam zu
ihr, „mein Mann hat mir befohlen, Euch ein Gemach einzurichten, wo ihr
allein sein, und nach Eurer Bequemlichkeit beten könnt.“

„Möge Gott,“ sagte die Alte, „Eure Tage
verlängern und Euch mit seinen Segnungen überschütten! Ich gehe, die
Moscheen, die Bethäuser und die Gräber der frömmsten Menschen zu besuchen,
und werde es mir angelegen sein lassen, für Euch zu beten. Erlaubt mir nur,
Euch manchmal zu besuchen, und befehlt Eurem Pförtner, mich einzulassen.“

Als die Alte weggegangen, war Naam, deren Verrauen sie
schon zu gewinnen gewusst hatte, und die nichts von ihrer treulosen Absicht
argwöhnte, über ihre Entfernung so betrübt, dass sie sich nicht enthalten
konnte zu weinen.

Die Alte begab sich auf der Stelle zu Hedschadsche, der,
sobald er sie erblickte, sie fragte, wie weit sie vorgerückt wäre. Sie
erzählte ihm, was vorgegangen, und gestand ihm, dass sie noch niemals eine
solche Schönheit gesehen hätte. Er versprach ihr reichen Lohn, wenn ihre
Unternehmung gelänge. Die Alte übertrieb die Schwierigkeiten, welche sie zu
übersteigen hätte, und forderte einen Monat Frist. Der Statthalter bewilligte
ihn ihr.

Die Alte kam den folgenden Tag wieder zu Naama, und fuhr
fort, die jungen Gatten fleißig zu besuchen, welche ihr täglich neue Beweise
der Verehrung und Zuneigung gaben. Ebenso waren alle Leute des Hauses ihr
zugetan und beeiferten sich, sie wohl zu empfangen.

Eines Tages, als die Alte sich mit der jungen Sklavin
allein befand, sagte sie zu ihr:


1) Surate 33, Vers 77.