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800. Nacht

Naama, immer mehr und mehr hingerissen, konnte nicht
Ausdrücke finden, welche stark genug waren, sein Entzücken zu schildern.
Täglich hörte er seine Gattin singen und sich mit der Zither und dem Tamburin
begleiten, und täglich hörte er sie mit neuem Vergnügen.

Aber während diese jungen Gatten so glückselige Tage
spannen, hatte Hedschadsche1),
des Kalifen Abdalmelek eben Mervan Statthalter zu Kusah, die Reize und
Geschicklichkeit der Naam rühmen gehört, so dass er einen Anschlag machte, sie
zu entführen und den Händen des Kalifen zu überliefern. Er glaubte, ihm damit
ein umso angenehmeres Geschenk zu machen, als er wohl wusste, dass der Kalif in
seinem Harem keine Frau hatte, deren Schönheit mit Naam zu vergleichen wäre,
noch eine, welche so schön sänge, wie sie.

Um seinen Anschlag auszuführen, ließ Hedschadsche ein
altes Weib kommen, deren Geschicklichkeit und Gewandtheit er schon oft bei
dergleichen Gelegenheiten erprobt hatte. Er befahl ihr, sich in Rabias Haus
Eingang zu verschaffen, Bekanntschaft mit Naam zu stiften, und irgend ein Mittel
ausfindig zu machen, um sie zu entführen. Die Alte versprach dem Statthalter
seinen Befehl auszuführen.

Am folgenden Morgen hüllte sich die Alte in ein
grobwollenes Gewand, legte einen Rosenkranz von dicken Kugeln um den Hals, und
stütze sich auf einen Stock, an dessen Ende eine Kürbisflasche befestigt war.

In diesem Aufzug wanderte sie nach Rabias Haus, indem sie
so laut, dass man es hören konnte, einige Gebete hersagte und oft die Worte
wiederholte:

„Ehre sei Gott, Lob sei Gott! Es ist kein anderer
Gott, als er, alle macht und alle Gewalt ist des Herrn, des Allerhöchsten, des
Allergrößten!“

Zur Stunde des Mittagsgebetes gelangte sie an das Haus,
und klopfte an die Türe. Der Pförtner kam, zu öffnen, und fragte, was sie
wollte.

„Ich bin,“ antwortete die Alte, „eine arme
Dienerin Gottes. Die Stunde des Mittagsgebetes hat mich überrascht, und ich
möchte gern in dieses heilige und ehrwürdige Haus eintreten, um mein Gebet zu
verrichten.“

„Gute Frau,“ sagte der Pförtner zu ihr,
„dieses Haus ist weder eine Moschee, noch ein Bethaus: Es ist das Haus
Naamas, Rabias Sohn.“

„Ich weiß es,“ fuhr die Alte fort, „und
kenne durch den Ruf sehr wohl dieses Haus und die es bewohnen, denn ich gehöre,
wie ihr mich hier seht, zu dem Palast des Kalifen: Ich bin nur vor kurzen erst
ausgegangen um meine Andacht zu verrichten und mich einiger Wallfahrten zu
entledigen.“

„Das alles ist ganz gut,“ erwiderte der
Pförtner, „aber ich kann Euch nicht herein lassen.“

Die Alte bestand darauf, und sagte, mit immer mehr und
mehr erhobener Stimme:

„Wie! Einer Frau, wie ich bin, die zu jeder Stunde in
die Paläste der Fürsten und Großen Zutritt hat, verwehrt man, in Naamas Haus
einzutreten!“

Naama, der diese Worte hörte, fing an zu lachen. Er ging
hinaus, gab dem Pförtner einen Wink, die Alte einzulassen, und führte sie in
das Zimmer seiner Frau.

Die Alte wurde von Naams Schönheit ganz betroffen. Sie
grüßte sie ehrerbietig, und sprach zu ihr:

„Ich preise Euch glücklich, edle Frau, von dem
Himmel mit so viel Reiz und Anmut begabt, und mit einem Mann vereint zu sein,
der selber für ein Muster der Schönheit gelten kann.“


1) Ein berühmter arabischer
Feldherr, Statthalter, und sozusagen unumschränkter Beherrscher von Irak und
mehreren anderen Provinzen, unter dem Kalifen Abdalmelek, dem fünften vom Stamm
der Ommiaden.