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80. Nacht

„Wir verließen den Palast gleich dem Riesen,“
fuhr Sindbad fort, „und begaben uns ans Meeresufer, an den Ort, wo unsere
Flöße waren. Wir brachten sie sogleich ins Wasser und warteten, bis es Tag
war, um uns auf sie zu werfen, falls wir den Riesen mit einigen Begleitern
seiner Art kommen sahen, doch schmeichelten wir uns, dass, wenn er nicht bald
nach Sonnenuntergang erscheinen und wir sein Geheul, das immerfort zu unseren
Ohren drang, nicht mehr hören würden, dies für einen Beweis gelten könnte,
dass er sein Leben verloren hätte und in diesem Fall nahmen wir uns vor, auf
der Insel zu bleiben und uns nicht auf unsere Flöße zu wagen. Aber kaum war es
Tag, so erblickten wir unseren grausamen Feinden, von zwei ihn führenden gleich
großen Riesen begleitet und von sehr vielen anderen, die mit schnellen
Schritten vor ihm her gingen.

Bei diesem Anblick zögerten wir nicht, uns auf unsere
Flöße zu werfen und uns durch starkes Rudern vom Ufer zu entfernen. Die
Riesen, welche das bemerkten, versahen sich mit großen Steinen, liefen ans
Ufer, gingen selbst bis an den Leib ins Wasser und warfen so geschickt nach uns,
dass mit Ausnahme des Floßes, auf welchem ich mich befand, alle andere davon
zertrümmert wurden. Die darauf befindlichen Menschen ertranken. Ich und meine
beiden Gefährten aber, da wir aus Leibeskräften ruderten, waren am fernsten
und außerhalb der Wurfweite.

Als wir auf das offene Meer kamen, wurden wir Spielwerk
des Windes und der Wellen, die uns von einer Seite zur anderen warfen, und wir
brachten diesen Tag und die folgende Nacht in einer grausamen Ungewissheit über
unser Schicksal zu. Aber am folgenden Tag hatten wir das Glück, an eine Insel
getrieben zu werden, auf welche wir uns mit vieler Freude retteten. Wir fanden
dort treffliche Früchte, die uns zur Wiedererlangung unserer verlorenen Kräfte
treffliche Dienste leisteten.

Gegen Abend schliefen wir am Meeresufer ein, wir wurden
aber von dem Geräusche aufgeweckt, welches eine Schlange, lang wie ein
Palmbaum, im Kriechen mit ihren Schuppen machte. Sie war uns so nahe, dass sie
einen meiner Gefährten, trotz seinem Geschrei und seiner Anstrengung, sich
loszumachen, verschlang, nachdem sie ihn vorher wiederholt geschüttelt und
gegen die Erde geschmettert hatte. Mein anderer Gefährte und ich, wir ergriffen
sogleich die Flucht, und obgleich wir ziemlich fern waren, so hörten wir doch
einige Zeit nachher ein Geräusch, welches vermuten ließ, dass die Schlange die
Knochen des von ihr überfallenen Unglücklichen wieder von sich gäbe. „O
Gott,“ rief ich da aus, „was für Dingen sind wir ausgesetzt! Gestern
freuten wir uns darüber, unser Leben der Grausamkeit des Riesen und der Wut der
Wellen entzogen zu haben, und nun sind wir in eine nicht minder schreckliche
Gefahr geraten!“

Im Umhergehen bemerkten wir einen dicken und hohen Baum,
auf welchem wir, unserer Sicherheit wegen, die folgende Nacht zuzubringen
beschlossen. Wir aßen wieder Früchte wie am vorigen Tage, und gegen Abend
kletterten wir auf den Baum. Bald hörten wir nun die Schlange, die zischend bis
an den Fuß des Baumes kam. Sie erhob sich am Stamm, und da sie meinen unter mir
sitzenden Gefährten erreichte, so verschlang sie ihn auf einmal und entfernte
sich sodann.

Ich blieb bis Tagesanbruch auf dem Baum, und steig sodann
mehr tot als lebendig herab. Ich konnte in der Tat kein anderes Schicksal, als
das meiner beiden Gefährten erwarten, und da mir dieser Gedanke Schaudern
erregte, so machte ich einige Schritte, um mich ins Meer zu stürzen. Da es aber
doch angenehm ist, so lange als möglich zu leben, so widerstand ich diesem
Anfall von Verzweiflung und unterwarf mich dem Willen Gottes, der nach seinem
Gutdünken über unser Leben schaltet.

Ich unterließ jedoch nicht, eine große Menge kleines
Holz und trockenes Gestrüpp und Dorngebüsch zu sammeln. Ich machte daraus
mehrere Bündel, aus welchen ich einen großen Kreis um den Baum bildete und
einige überquer oben drüber band, um meinen Kopf zu decken. Hierauf sperrte
ich mich beim Anbruch der Nacht in diesen Kreis, mit dem traurigen Trost, nichts
zur Vermeidung des mich drohenden grausamen Schicksals vernachlässigt zu haben.
Die Schlange unterließ nicht, wiederzukommen und den Baum zu umkreisen. Indem
sie mich zu verschlingen suchte, was ihr jedoch wegen des von mir aufgebauten
Walles nicht gelingen konnte, und sie gebärdete sich vergebens bis an den
Morgen gleich einer Katze, welche eine Maus belagert, die sich in einem
unüberwindlichen Zufluchtsort befindet. Endlich, bei Tagesanbruch, entfernte
sie sich, aber ich wagte mich vor Sonnenaufgang nicht aus meiner Festung.

Ich war von der Arbeit, zu welcher mich die Schlange
genötigt hatte, so ermüdet, und ich hatte von ihrem verpesteten Atem so
gelitten, dass es mir schien, der Tod sei diesem Schrecken vorzuziehen, und ohne
mich meiner Ergebung am vorhergegangenen Tage zu erinnern, lief ich ans Meer, um
mich kopflings hinein zu stürzen.“