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8. Nacht

Sobald Dinarsade gewahrte, dass es Zeit wäre, die
Sultanin anzureden, bat sie ihre Schwester, ihr, bis es Tag würde, irgend eine
Geschichte zu erzählen.

„Erzähle uns die des dritten Greises,“ sagte
der Sultan zu Scheherasade, „ich kann kaum glauben, dass sie noch
wunderbarer sei, als die des Greises mit den beiden schwarzen Hunden.“

„Herr,“ antwortete die Sultanin, „der
dritte Greis erzählte seine Geschichte folgendermaßen.“

Geschichte
des dritten Greises mit dem Maultier

„Wisse, o Geist, dass dieses Maultier meine Gattin
war. Eines Tages verreiste ich, und blieb ein ganzes Jahr von ihr abwesend. Bei
meiner Heimkehr kam ich bei Nacht in meiner Wohnung an, und fand meine Frau mit
einem schwarzen Sklaven in den zärtlichsten Umarmungen liegen.

Sobald sie mich erblickte, sprang sie schnell auf, trat
mir mit einem Becher voll Wasser entgegen, über welchen sie einige Worte
murmelte, bespritzte mich damit, und sprach: „Verlass deine Gestalt, und
verwandle dich in die eines Hundes!“ Ich ward auf der Stelle zu einem
Hunde, und sie jagte mich aus dem Hause.

Als ich vor die Türe kam, lief ich fort, bis an den Laden
eines Fleischers, wo ich verweilte und an den Knochen nagte. Der Fleischer aber,
dem ich gefiel, nahm mich auf in sein Haus.

Als mich aber hier seine Tochter erblickte, verschleierte
sie sich sogleich vor mir, und sprach zu ihrem Vater: „Wie kannst du denn
einen fremden Mann bei uns einführen, und ihn sogar in unser Zimmer
bringen?“ – „Und wo ist denn der Mann?“ fragte der Vater. –
„Dieser Hund hier ist es, den seine Frau soeben verzaubert hat. Indessen
vermag ich ihn zu befreien.“ Als der Vater diese Worte hörte, sprach er zu
seiner Tochter: „Bei Gott, ich beschwöre dich, befreie ihn, aus
Dankbarkeit für deine Genesung.“

Hierauf stand die Tochter des Fleischers auf, nahm einen
Becher voll Wasser, sprach darüber einige Formeln aus, und spritzte davon ein
wenig auf mich, indem sie sagte: „Gehe aus dieser Gestalt in deine erste
Gestalt zurück, mit der Erlaubnis des erhabenen Gottes!“ Und auf der
Stelle war ich wieder in meine vorige Gestalt umgewandelt.

Ich nahte mich nunmehr der Jungfrau, küsste ihr die
Hände und sprach: „Bei Gott, ich bitte dich, verzaubere mein Weib, wie sie
mich verzaubert hat.“ Da gab sie mir von dem Wasser und sagte. „Wenn
du sie schlafen findest, so sprenge dieses Wasser über sie, und sage dabei,
worin du wünschest, dass sie verwandelt werde, so wird es auf der Stelle
geschehen.“

Ich nahm das Wasser, und begab mich zu meiner Frau; und da
ich sie im tiefem Schlafe fand, besprengte ich sie damit, indem ich ausrief:
„Verlass diese Gestalt und verwandle dich in die eines Maultiers!“
Sogleich ward sie das, was ich gewünscht hatte, und sie ist es, die du hier mit
deinen eigenen Augen siehst, o du Beherrscher und Oberhaupt der Könige und
Geister!“

Zugleich wandte der Greis sich zu dem Maultiere, und
fragte: „Ist dieses nicht die Wahrheit?“ Worauf das Maultier mit dem
Kopfe nickte, und durch dieses Zeichen es bejahte.

„Dieses ist also meine Geschichte,“ beschloss
der dritte Greis. Der Geist war ganz erstaunt darüber, und sprach: „Ich
schenke dir das letzte Drittheil der Begnadigung für den Kaufmann; er hat wohl
Ursache euch zu danken, dass Ihr ihn durch eure Geschichtchen aus dieser
Verlegenheit gezogen habt: ohne euch wäre er nicht mehr auf der Welt.“
Indem er also sprach, verschwand er, zur großen Zufriedenheit der ganzen
Gesellschaft.

Der Kaufmann ermangelte nicht, seinen drei Befreiern allen
Dank zu sagen, den er ihnen schuldig war. Sie freuten sich mit ihm, ihn außer
Gefahr zu sehen; worauf sie Abschied voneinander nahmen, und jeder seinen Weg
verfolgte. Der Kaufmann kehrte Heim zu seiner Frau und seinen Kindern, und
verlebte ruhig mit ihnen seine übrigen Tage.

„Aber Herr,“ fügte Scheherasade hinzu,
„wie schön auch die Geschichten sein mögen, welche ich euer Majestät
bisher erzählt habe, so kommen sie doch der von dem Fischer nicht gleich.“

Als Dinarsade sah, dass die Sultanin hier inne hielt,
sprach sie zu ihr: „Liebe Schwester, weil uns noch Zeit übrig ist, so sei
so gut, und erzähle uns die Geschichte dieses Fischers; der Sultan wird es gern
erlauben.“ Schachriar willigte ein, und Scheherasade nahm die Rede wieder
auf, und begann folgendermaßen:

Geschichte
des Fischers mit dem Geist

„Herr, es war einmal ein alter und so armer Fischer, dass
er kaum so viel erwerben konnte, um seine Frau und drei Kinder zu ernähren,
welche seine Familie ausmachten. Er ging alle Tage sehr früh auf den Fischfang,
hatte es sich aber zum Gesetze gemacht, nur viermal jeden Tag seine Netze
auszuwerfen.

Er ging eines Morgens beim Mondschein hinaus an das Ufer
des Meeres. Er entkleidete sich, und warf sein Netz aus. Als er es ans Ufer zog,
fühlte er bald Widerstand; er glaubte einen guten Fang getan zu haben, und
freute sich schon innerlich darüber. Als er aber bald darauf bemerkte, dass
anstatt der Fische in seinem Netz nur das Gerippe eines Esels war, welches sogar
sein Netz zerrissen hatte, so war er sehr verdrießlich darüber, und sprach
folgende Verse aus:

„O du, der du dich während der Dunkelheit der Nacht
in Gefahren begibst, lass nach in deinen Bemühungen; denn der Lebensunterhalt
wird dir trotz deinen Anstrengungen doch nicht zu Teil!

Betrachte den Fischer im Meere, wie er in der sternlosen
Nacht, seines Erwerbes wegen, sich aussetzt!

Bis an die Brust watet er im Wasser, die Wellen peitschen
ihn von allen Seiten; doch hört sein Auge nicht auf, jede Bewegungen des Netzes
zu beobachten.

Endlich beschließt er noch freudig seine Nacht, wenn er
nur ein Fisch an seiner Angel sich verwundet hat.

Derjenige kauft ihm denselben ab, welcher seine Nacht in
Ruhe, und ohne sich der Kälte auszusetzen, in den Segnungen des Glücks
zugebracht hat.

Gepriesen sei der Herr, der diesem gibt, und jenem
vorenthält! Jener verzehrt die Fische mit Ruhe, die dieser mit Mühe gefangen
hat.“

Scheherasade hörte hiermit auf zu reden, weil sie den Tag
anbrechen sah.

„Meine Schwester,“ sagte Dinarsade zu ihr,
„ich gestehe dir, dass dieser Anfang mich reizt, und ich sehe voraus, dass
die Folge sehr anmutig sein wird.“ – „Nichts ist überraschender, als
die Geschichte vom Fischer,“ antwortete die Sultanin; „und du wirst in
der Nacht mir darin beistimmen, wenn der Sultan die Gnade hat und mich leben lässt.“

Schachriar, neugierig, den Erfolg des Fischzuges zu
vernehmen, wollte diesen Tag Scheherasade noch nicht töten lassen. Er stand
also auf, ohne diesen furchtbaren Befehl zu erteilen.