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793. Nacht
„Ich habe sonst niemals einen Strom hier
gesehen,“ antwortete der Wesir, „und ich kenne keinen anderen Strom in
Bagdad, als den Tigris, welcher mitten durch die Stadt fließt. Dieser hier muss
durchaus ein Werk irgend einer Zauberei sein.“
Von dieser Vorstellung eingenommen, versicherte der Kalif
und sein Wesir die Soldaten, das Wasser, welches sie vor sich sähen, wäre nur
eine Täuschung, eine leere Gaukelei, und befahlen ihnen, weiter vorzudringen,
ohne etwas zu fürchten.
Ein Teil des Heeres wagte sich hierauf auch vorwärts,
wurde aber sogleich von den Fluten verschlungen.
Der Wesir erkannte nun seinen Irrtum, und sagte zu dem
Kalifen, das klügste Mittel wäre jetzt, dass man die Leute in dem Haus
aufforderte, zu sagen, wer sie wären, indem man ihnen verspräche, ihnen kein
Leid zuzufügen.
Der Kalif billigte diesen Rat, und ließ mit lauter Stimme
ausrufen, dass die Bewohner des Hauses sich nur zu erkennen geben möchten,
indem man ihnen kein Leid antun würde.
Der Arzt ließ die Leute des Kalifen lange rufen und sagte
hierauf zu dem jungen Mann:
„Steigt auf das Dach, und versichert dem Kalifen,
dass, wenn er nach seinem Palast zurückkehren will, wir alsbald vor ihm
erscheinen werden.“
Der junge Mann stieg auf das Dach, und verkündigte mit
lauter Stimme, was der Arzt ihm eben gesagt hatte.
Als der Kalif diesen Antrag vernahm, schämte er sich,
dass er nicht auf der Stelle die Entführung seiner Tochter rächen konnte, und
sich noch aufgehalten sah, nachdem er schon ein Teil seines Heeres eingebüßt
hatte. Er wollte bleiben, und irgend ein Mittel suchen, in das Haus
einzudringen. Der Wesir machte ihm bemerkbar, dass es von Zauberern oder bösen
Geistern bewohnt würde, dass es vergeblich wäre, sich mit derlei Leuten messen
zu wollen, dass er aber, wenn sie selber sich seinen Händen zu überliefern
kämen, sie bestrafen lassen könnte, wie sie es verdienten. Der Kalif kehrte
aber, ungeachtet dieser Vorstellungen, traurig und missvergnügt zurück.
Er war kaum eine Stunde wieder in seinem Palast, als der
Arzt mit dem jungen Mann an der Türe erschien. Der Kalif befahl, sie herein zu
lassen. Sobald sie vor ihm standen, ließ er den Scharfrichter holen, und befahl
ihm, dem jungen Mann den Kopf abzuhauen.
Der Scharfrichter zerriss diesem den Schoß seines Rockes,
verband ihm damit die Augen, und ging drei Mal um ihn her, das Schwert über
seinem Haupt schwingend, und fragte, ob er zuhauen sollte.
„Es sollte schon längst geschehen sein,“
antwortete der Kalif zum letzten Mal.
Sogleich hub der Scharfrichter den Arm empor, und tat den tödlichen
Streich, aber sein Arm drehte sich unwillkürlich, und der Streich traf seinen
Begleiter, der hinter ihm stand, so dass dessen Haupt zu den Füßen des Kalifen
hinflog.
„Ungeschickter!“, rief dieser aus, „wie
kannst Du so blind sein, Deinen Begleiter zu treffen, anstatt den Schuldigen,
der vor Dir steht! Sieh ihn recht an, und nimm Dich in Acht, was Du tust.“
Der Scharfrichter holte abermals aus, und schlug seinem
Sohn neben ihm den Kopf ab. Alle die gegenwärtig waren, wurden von Entsetzen
ergriffen.
Der Kalif konnte sich gar nicht von seinem Erstaunen
erholen, und fragte seinen Wesir, was das bedeuten sollte.
„Großer Fürst,“ antwortete dieser, „all
eure Macht wäre hier unnütz: Was soll man den Wundern und Verzauberungen
entgegen stellen? Derjenige, der Eure Tochter in ihrem Bett entführt, der
plötzlich aus seinem Haus eine von Wasserschlünden umgebene Insel macht,
könnte der Euch nicht auch das Reich und das Leben rauben? Ich rate Euch also,
dem Arzt entgegen zu gehen, ihn ehrenvoll zu empfangen und ihn zu bitten, dass
er uns kein Leid zufügen wolle.“