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792. Nacht

„Unglückselige! Ich bin Beherrscher der Gläubigen.
Alle Könige der Erde haben um Deine Hand bei mir angehalten. Ich habe die
Verbindung mit ihnen verschmäht: Und also entehrst Du mich nun? Ich schwöre
bei dem Grab meines Vaters, und bei den Gräbern aller meiner Vorfahren: Wenn du
mir die Wahrheit entdeckst, so will ich Dir das Leben schenken. Aber wenn Du mir
nicht auf der Stelle bekennst, was mit Dir vorgegangen, wer der Urheber dieses
Verbrechens, und wie es ihm gelungen ist, es zu begehen, so stoße ich selber
Dir den Dolch in den Busen.“

Die erschrockene Prinzessin erzählte nun ihrem Vater,
dass sie alle Nächte in ihrem Bett entführt und in ein Haus versetzt worden,
welches sie nicht kenne, und bei einem jungen Mann, schöner als der Tag,
gewesen wäre. Dass sie dann mit Aufgang der Morgenröte wieder in ihr Zimmer
zurückgebracht worden, dass sie aber nicht wüsste, wie solches alles zuginge.

Der Kalif war aufs höchste erstaunt über dieses
Geständnis seiner Tochter. Er schickte hin und ließ seinen Wesir holen, der
ein geistvoller, geschickter und verständiger Mann war, und in welchen er
großes Vertrauen setzte. Er teilte ihm mit, was er soeben vernommen hatte, und
fragte ihn, was er unter diesen Umständen für ratsam hielte zu tun.

Der Wesir sagte, nach einigem Nachdenken, zu dem Kalifen:

„Mein Fürst, nur durch Anwendung einer List könnt
ihr den Ort entdecken, wohin Eure Tochter so entführt wird. Ich habe ein
einfaches, aber gewiss wirksames Mittel im Sinn. Man nehme ein kleinen Sack,
fülle ihn mit Hirse, binde ihn an das Bett Eurer Tochter zu ihrem Haupt, auf
solche Art, dass wenn diese Nacht wieder das Bett Eurer Tochter aufgehoben und
versetzt wird, die Hirse aus einer kleinen öffnung desselben, sowohl auf dem
Hinweg als auf dem Herweg, sich ausstreut, und uns die Spur zeigt, welche von
dem Palast nach dem Haus führt, das ihr sucht.“

Der Kalif lobte sehr den Scharfsinn des Wesirs, fand das
Mittel vortrefflich, und zweifelte nicht an dem Erfolg. Er vertraute die
Ausführung einem gescheiten Menschen, der es so bewerkstelligte, dass die junge
Prinzessin nichts davon merkte.

Als die Nacht gekommen war, wurde das Bett, wie
gewöhnlich, entführt. Am folgenden Morgen, beim Anbruch der Morgenröte, ging
der Arzt mit dem jungen Mann, wie sie zu tun pflegten, ins Bad, und sagte ihm,
dass man die Schwangerschaft der Prinzessin erkannt, und eine List angewendet
hätte, um sein Haus zu entdecken, und dass man darauf ausginge, ihm übel
mitzuspielen.

Der junge Mann bezeigte, ohne zu erschrecken, dem Arzt
sein Genügen, das ersehnte Glück genossen zu haben, und ergab sich in den Tod.
Er dankte ihm von neuen für seine Wohltaten, wünschte ihm alles mögliche
Heil, und riet ihm, sich zu entfernen, und sich nicht selber der Gefahr
auszusetzen. „Lasst den Kalifen,“ beschloss er seine Rede, „über
mein Leben schalten, wie es ihm beliebt.“

„Seid unbesorgt für Euer Leben,“ sagte der Arzt
zu ihm, „es wird Euch so wenig, als mir, etwas Böses widerfahren. Ich will
Euch neue Wunder und Erscheinungen anderer Art sehen lassen.“

Diese Worte beruhigten den jungen Mann und erregten ihm
unendliche Freude. Sie verließen beide das Bad und gingen wieder nach Hause.

Als der Kalif und der Wesir in aller Frühe in das Zimmer
der Prinzessin traten, fanden sie dieselbe wieder darin, und sahen, dass der
Sack mit Hirse leer war.

„Sicherlich,“ sprach der Wesir, „haben wir
nun den Schuldigen.“

Sie stiegen sogleich zu Pferd, und in Begleitung eines
zahlreichen Trupps Soldaten folgten sie der Spur der Hirse nach.

Als sie nahe bei dem Haus waren, hörte der junge Mann den
Lärm der Menschen und Pferde, und machte den Arzt darauf aufmerksam. Dieser
sagte nun zu ihm: „Nehmt eine Kanne, füllt sie mit Wasser, steigt auf das
flache Dach, gießt Wasser rings um das Haus her, und steigt dann wieder
herab.“

Der junge Mann tat, was der Arzt ihm geheißen hatte.

Als nun der Kalif und der Wesir mit den Soldaten hinkamen,
fanden sie das Haus von einem breiten Strom umgeben, dessen empörte Fluten mit
schrecklichem Getöse durcheinander rauschten.

„Was will das sagen?“, sprach der Kalif zu dem
Wesir, „und seit wann fließt dieser Strom hier?“