Project Description

79. Nacht

„Diese Rede ihres Hauptmanns,“ sagte Sindbad,
„versetzte die ganze Mannschaft des Schiffes in eine große Bestürzung,
und wir erkannten bald, dass er nur zu wahr gesprochen hatte. Wir sahen eine
zahllose Menge scheußlicher, nur zwei Fuß hoher Wilde erscheinen, deren ganzer
Körper mit roten Haaren bedeckt war. Sie warfen sich ins Wasser, schwammen auf
uns zu und umgaben in kurzer Zeit unser Schiff. Sie redeten uns an, als sie sich
näherten, aber wir verstanden ihre Sprache nicht. Sie hielten sich am Bord und
Tauwerk des Schiffes fest und kletterten von allen Seiten mit solcher
Leichtigkeit und Schnelle auf das Verdeck, dass man gar nicht sah, ob sie ihre
Füße aufsetzten.

Wir sahen diese Kletterei mit dem Schrecken, den ihr euch
vorstellen könnt, ohne dass wir wagten, uns in Verteidigungsstand zu setzen,
oder ihnen ein einziges Wort zu sagen, um es zu versuchen, sie von ihrem
Vorhaben abzuhalten, welches wir für Unheil bringend hielten. Sie zogen in der
Tat die Segel auf, machten das Ankertau los, ohne sich die Mühe zu geben, den
Anker herauszuziehen, und nachdem sie das Schiff ans Land gebracht hatten,
nötigten sie uns, alle auszusteigen. Das Schiff brachten sie nun nach einer
anderen Insel, von welcher sie hergekommen waren. Alle Reisende vermeiden
sorgfältig die, auf welcher wir uns befanden, und es war sehr gefährlich, dort
anzuhalten aus einem Grunde, den ihr erfahren sollt, aber wir mussten unser
übel mit Geduld ertragen.

Wir entfernten uns vom Ufer und gingen landeinwärts. Wir
fanden einige Früchte und Kräuter von welchen wir aßen, um den letzten
Augenblick unsers Lebens so lange als möglich zu verschieben, denn wir
erwarteten alle einen sicheren Tod. Im Gehen sahen wir ziemlich fern ein großes
Gebäude, nach welchem wir unsere Schritte richteten. Es war ein wohl gebauter
Palast, welcher eine Tür aus Ebenholz mit zwei Flügeln hatte, die wir
öffneten, indem wir sie aufstießen. Wir traten in den Hof und sahen in gerader
Ansicht ein weitläufiges Wohngebäude mit einer Vorhalle, in welcher auf der
einen Seite ein Haufen Menschenknochen und auf der anderen eine Menge
Bratspieße lag. Wir zitterten bei diesem Anblick, und da wir vom Gehen müde
waren, versagten uns unsere Füße den Dienst, wir fielen, von tödlichem
Schrecken befallen, auf die Erde und blieben dort eine Zeit lang unbeweglich
liegen.

Die Sonne ging unter und während wir uns in dem
kläglichen Zustand befanden, den ich euch beschrieben habe, erbebte die Erde,
die Türe des Wohngebäudes öffnete sich mit großem Geräusch und es trat die
schreckliche Gestalt eines schwarzen Mannes von der Größe eines Palmbaums
heraus. Er hatte mitten auf der Stirn ein einziges rotes, und gleich einer
brennenden Kohle glühendes Auge. Sehr lange und spitze Vorderzähne ragten aus
seinem Mund hervor, der nicht weniger gespalten war, als der eines Kamels, und
die Unterlippe hing ihm bis auf die Brust. Seine Ohren glichen denen eines Elefanten
und bedeckten seine Schultern. Er hatte Nägel so krumm und lang wie die Klauen
der schrecklichsten wilden Tiere. Bei dem Anblick eines so fürchterlichen
Riesen verloren wir alle die Besinnung und blieben wie tot.

Endlich kamen wir wieder zu uns und sahen ihn unter der
Vorhalle sitzen, und uns mit seinem einen Auge aufmerksam zu betrachten. Als er
uns wohl beschaut hatte, kam er auf uns zu, und als er uns nahe war, streckte er
seine Hand nach mir aus, packte mich beim Halsgenick und drehte mich nach allen
Seiten um, wie ein Schlächter, der einen Hammel handhabt. Nachdem er mich
aufmerksam betrachtet und gesehen hatte, dass ich sehr mager und nur aus Haut
und Knochen zusammengesetzt war, ließ er mich wieder los. Er packte die anderen
der Reihe nach, prüfte sie auf dieselbe Weise und da der Schiffshauptmann der
fetteste von der ganzen Mannschaft war, so hielt er ihn mit einer Hand, so wie
ich einen Sperling gehalten haben würde, streckte ihm einen Spieß durch den
Leib und nachdem er hierauf ein großes Feuer angezündet hatte, briet er ihn
und aß ihn, in seinem Wohngebäude, in welches er zurückging, zum Abendbrot.
Nach beendigter Mahlzeit kam er wieder in die Vorhalle, in welcher er sich
niederlegte, und einschlief; worauf er mit einem Geräusch, stärker als das des
Donners, schnarchte. Sein Schlaf währte bis zum anderen Morgen. Was uns betraf,
so war es uns nicht möglich, irgend einer Ruhe zu genießen und wir brachten
die Nacht in möglichst grausamer Unruhe zu. Als der Tag angebrochen war,
erwachte der Riese, stand auf, ging hinaus und ließ uns im Palast.

Als wir ihn fern glaubten, brachen wir das traurige
Stillschweigen, welches wir die ganze Nacht hindurch beobachtet hatten und
ließen, uns einander um die Wette betrübend, den Palast von Klagen und
Seufzern widerhallen. Obgleich wir zahlreich genug waren und nur einen einzigen
Feind hatten, so kam uns doch nicht sogleich der Gedanke ein, uns von ihm durch
den Tod zu befreien. Dieses Unternehmen, obschon schwer auszuführen, musste uns
doch natürlicher Weise in den Sinn kommen.

Wir beratschlagten noch über mehrere andere Pläne,
bestimmten uns jedoch für keinen und indem wir uns dem unterwarfen, was Gott
gefallen würde, über uns zu verhängen, brachten wir den Tag damit zu, die
Insel zu durchstreifen, indem wir uns, wie am vergangenen, von Früchten und
Kräutern nährten. Gegen Abend suchten wir irgend einen Schutzort, fanden aber
keinen und waren genötigt, wider Willen in den Palast zurückzukehren.

Der Riese unterließ nicht, heimzukommen und wieder einen
unserer Gefährten zum Abendbrot zu verzehren. Worauf er einschlief und bis
Tagesanbruch schnarchte. Er ging hierauf fort und verließ uns, wie am vorigen
Tage. Unsere Lage schien uns so grässlich, dass mehrere unserer Gefährten auf
dem Punkt waren, sich lieber ins Meer zu stürzen, als einen so seltsamen Tod zu
erwarten, und diese regten die anderen auf, ihrem Rat zu folgen. Aber einer
unter uns, der das Wort nahm, sagte: „Es ist uns verboten, uns selbst den
Tod zu geben, und wäre es auch erlaubt, ist es nicht vernünftiger, auf Mittel
zu denken, uns von dem Barbaren zu erlösen, der uns einen so traurigen Tod
bereitet?“

Da mir ein Anschlag eingefallen war, teilte ich ihn meinen
Genossen mit, die ihn billigten. „Meine Brüder,“ sagte ich zu ihnen,
„ihr wisst, dass längs des Meeres viel Waldung ist, wenn ihr mir glaubt,
so lasst uns mehrere Flöße bauen, die uns tragen können, und wenn sie fertig
sind, wollen wir sie an der Küste lassen, bis wir es für die rechte Zeit
halten, uns ihrer zu bedienen. Inzwischen werden wir ausführen, was ich euch
vorgeschlagen habe, um uns vom Riesen loszumachen. Gelingt unser Vorhaben, so
können wir hier geduldig abwarten, bis irgend ein Schiff vorüber fährt, das
uns von dieser bösen Insel fortschafft. Verfehlen wir im Gegenteil unseren
Streich, so machen wir uns schnell auf unsere Flöße und fahren ab. Ich
gestehe, dass wir Gefahr laufen das Leben zu verlieren, wenn wir uns auf so
gebrechlichen Fahrzeugen der Wut der Wellen aussetzen, aber sollten wir auch
umkommen, ist es nicht doch noch angenehmer, uns im Meer begraben zu lassen, als
in den Eingeweiden dieses Ungeheuers, das schon zwei von unseren Gefährten
verzehrt hat?“ Mein Rat fand allgemeinen Beifall und wir bauten Flöße zu
drei Personen.

Gegen Ende des Tages kehrten wir in den Palast zurück und
bald nach uns kam auch der Riese hinein. Wir mussten uns entschließen, noch
einen unserer Gefährten braten zu sehen. Doch wir rächten uns an der
Grausamkeit des Riesen auf folgende Weise. Als er sein abscheuliches Abendessen
verzehrt hatte, legte er sich auf den Rücken und schlief ein. Sobald wir ihn
nach seiner Gewohnheit schnarchen hörten, nahmen neun der kühnsten von uns und
ich, jeder einen Spieß, hielten die Spitze ins Feuer, um sie glühend zu
machen, und stießen ihm dann zu gleicher Zeit die Spieße ins Auge, welches wir
ihm ausstachen1).

Der Schmerz, welchen der Riese empfand, ließ ihn ein
schreckliches Geschrei ausstoßen. Ungestüm erhob er sich und streckte die
Hände nach allen Seiten aus, um einen von uns zu erfassen und seiner Wut zu
opfern, aber wir hatten Zeit genug, uns von ihm zu entfernen und uns an Stellen
auf die Erde zu werfen, wo er uns nicht unter seinen Füßen finden konnte.
Nachdem er uns vergebens gesucht hatte, fand er tappend die Türe und ging mit
furchtbarem Geheul hinaus.


1)
Diese Fabel erinnert unstreitig an die der Zyklopen (siehe die Odyssee).