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784. Nacht

Als Heykar nach Hause gekommen war, ließ er einige Jäger
rufen, und befahl ihnen, zwei große Adler zu fangen. Man brachte sie ihm und
nun ließ er zwei Kästen von sehr leichtem Holz machen und zwei seidene
Stricke, zwei tausend Ellen lang, drehen.

Als alles dieses fertig war, ließ er sich zwei junge
Knaben bringen, und übte sie täglich, sich in den beiden Kästen, welche er an
den Klauen der Adler befestigte, aufrecht zu halten, so dass diese Vögel, wenn
sie sich zum Flug emporschwangen, sie mit in die Lüfte führten, während Heykar
das Ende der Stricke, woran die Adler geknüpft waren, in seinen Händen
behielt. Sehr oft wurde diese übung wiederholt, und allmählich gewöhnten sich
die Adler daran. Man gab ihnen Hammelfleisch zur Speise, und diese Nahrung
stärkte sie sehr. Anfangs ließ man sie nur zu einer mäßigen Höhe
emporsteigen, sodann wagte man sich etwas höher. Kurz, die vierzig Tage waren
noch nicht verflossen, als sie sich schon so hoch erhuben, wie die Länge der
Seile es nur gestattete. Heykar hatte dabei die Knaben abgerichtet, wenn sie in
der Luft schwebten, mit aller Macht auszurufen:

„Bringt uns Steine und Mörtel, damit wir hier dem König
Pharao einen Palast erbauen. Wir warten nur noch auf dieses Bauzeug. sputet Euch
doch, es uns zukommen zu lassen!… Es ist unerhört, dass ihr uns hier so
müßig lässt!“

Nunmehr des Erfolges seiner Erfindung versichert,
verfügte Heykar sich wieder zu dem König von Assyrien, und erbot sich, in
seiner Gegenwart einen Versuch damit zu machen. Sencharib, in Begleitung der
Großen seines Hofes, begab sich auf eine Ebene in der Nähe, um Zeuge dieses
neuen Schauspiels zu sein. Er war so verwundert über die sinnreiche Erfindung
seines Wesirs, dass er ihn vor seinem ganzen Hof umarmte, ihm neue Ehren
zuteilte, und ihm erlaubte, auf der Stelle nach ägypten abzureisen.

Heykar nahm Abschied von dem König, und im Gefolge einer
zahlreichen Bedeckung machte er sich noch denselben Tag auf den Weg, und nahm
die beiden Knaben und Adler mit sich.

Bald verbreitete sich durch ganz ägypten das Gerücht,
dass der König von Ninive einen Gesandten an Pharao geschickt hätte, welcher
seine Rätsel auflösen sollte. Als die Kunde davon auch zu Pharaos Ohren kam,
befahl er den vornehmsten Beamten seines Hofes, dem assyrischen Gesandten
entgegen zu gehen und ihn seinem Rang gemäß zu empfangen.

Sobald Heykar angekommen war, wurde er mit Gepränge zum
Palast des Königs geführt, und nachdem er sich hier ehrfurchtsvoll vor ihm
niedergeworfen hatte, redete er ihn also an:

„Herr, der König Sencharib, mein Gebieter grüßt
Euch! Ihr seht vor Euch denjenigen seiner Sklaven, welchen ihm gefallen hat Euch
zu senden, um auf Eure Fragen zu antworten. Ihr habt ihm Euer Verlangen
ausgedrückt, einen Palast zwischen Himmel und Erde zu erbauen: Ich komme, mit
Gottes Hilfe, und in Voraussetzung Eurer erhabenen Genehmigung, diesen Wunsche
Eurer Majestät zu erfüllen. Wenn dieses Unternehmen mir misslingt, oder ich
eine einzige Eurer Fragen unbeantwortet lasse, wird mein Herr Euch die
dreijährigen Einkünfte seiner Staaten entrichten. Wenn dagegen ich die von
Euch auferlegten Bedingungen erfülle, so werdet ihr ihm denselben Tribut
senden. König von ägypten! Solches ist Euer Versprechen gewesen, und ihr
werdet das selbe halten: Das Wort der Könige ist unwiderruflich, wie die
Beschlüsse des Himmels.“

Die edle Einfachheit dieser Worte, und der zuversichtliche
Ton, mit welchem sie ausgesprochen wurden, überraschten den König von ägypten
dermaßen, dass er den Namen des Gesandten Sencharibs zu wissen wünschte.

„Ich nenne mich Abimakam,“ antwortete Heykar,
der nicht erkannt sein wollte, „und ich bin nur einer der geringsten
Würmer in den Staaten des Königs von Assyrien.“

„Hat denn Dein Herr,“ fuhr Pharao fort,
„keinen Mann von höherem Ansehen und Rang gehabt, welcher der wichtigen
und schwierigen Sendung, womit er Dich bei mir beauftragt hat, angemessener
gewesen wäre?“

„Um dieser Sendung zu entsprechen,“ sagte
Heykar, „habe ich nur die Gnade des Himmels anzuflehen: Der Himmel bedient
sich oft der Schwachen, um den Mächtigen in Erstaunen zu setzen.“

Hiermit endigte sich diese erste Zusammenkunft. Der König
von ägypten befahl, den Gesandten von Assyrien und die Leute seines Gefolges in
die für sie bestimmte Wohnung zu führen, wo sie alle Bequemlichkeiten des
Lebens finden würden.

Am dritten Tag wurde Heykar zu Pharao berufen, der auf
seinem Thron saß, umgeben von den Großen seines Reiches und angetan mit dem
königlichen Purpur. Sobald der Minister Sencharibs herein geführt war, redete
der König ihn lebhaft mit folgenden Worten an:

„Blicke umher auf diese Versammlung, o Abimakam, und
sage uns, ohne Besinnen, wem gleich eich, und wem gleichen die Großen meines
Hofes?“

„Ihr, Herr,“ antwortete Heykar, „ihr
gleicht einem Götzen, und die Euch umgebenden Großen gleichen den
Götzendienern.“

Zufrieden mit dieser antwort, entließ der König den
Gesandten von Assyrien, und befahl ihm, am folgenden Morgen wieder zu
erscheinen.“

Pharao hatte heute ein rotes Kleid angezogen, und die
Großen des Reiches sich weiß kleiden lassen.

„Wem gleiche ich nun,“ fragte er abermals
Heykar, „und wem gleichen die Großen meines Hofes?“

„Ihr gleicht der Sonne,“ antwortete Heykar,
„und die Großen Eures Reiches gleichen den Strahlen dieses Gestirns.“