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783. Nacht

Die Wirkung dieser Rede auf das Gemüt des Königs von
Assyrien war wundersam. Anfangs konnte er nicht glauben, was er so eben hörte.
Sodann, durch die wiederholten Beteuerungen Abu-Someikas überzeugt, überließ
er sich einer so lebhaften und unmäßigen Freude, dass er beinahe den Verstand
darüber verloren hätte. Das erste Wort, was er sprach, war, dass man Heykar
herführen sollte.

Der edelmütige Abu-Someika war schon an der Türe des
Gewölbes: In eben diesem Augenblick betete Heykar zu Gott, und überließ sich,
mit steter Ergebung in sein Missgeschick, frommen Betrachtungen.

„Befreiung!“, rief ihm Abu-Someika aus der
weitesten Ferne zu, sobald er ihn erblickte, „Befreiung!“, und
sogleich erzählte er ihm, was eben vorgegangen war, und beide erschienen vor
dem König.

Sencharib konnte nicht, ohne von Mitleid gerührt zu
werden, den Zustand ansehen, in welchem sich gegenwärtig Heykar befand. Seine
Gesundheit war untergraben, sein Gesicht bleich, sein leib ganz mit Staub
bedeckt, seine Haare und seine Nägel waren von übermäßiger Länge. Er hatte
beinahe nicht mehr das Ansehen eines Menschen. Der König stand auf, lief ihm
entgegen und umarmte ihn mit Tränen.

„Gelobt sei der Ewige,“ sagte er zu ihm,
„dass er Dich dem Tod entrissen und meiner Freundschaft wiedergeschenkt
hat!“

„Meine Ungnade,“ antwortete Heykar, „ist
das Werk eines Treulosen und Undankbaren gewesen: Das ist’s, was man von den
Kindern des Frevels zu erwarten hat. Ich habe einen Palmbaum gezogen, damit er
zur Stütze meines Alters dienen sollte, und dieser Palmbaum hat sich auf mich
gestürzt und mich umgeworfen. Aber da der Himmel ein Eurem Dienst gewidmetes
Leben erhalten hat, so verbannt fortan alle Unruhe, und ladet die Sorgen des
Reiches auf mich.“

„Nicht weniger erwarte ich von Deinem Eifer,“
sagte Sencharib, „aber ich will, dass diese ersten Tage Deiner Freiheit
gänzlich der ruhe gewidmet seien.“

Heykar beurlaubte sich nun von dem König von Assyrien,
der ihm die Bezeigungen einer zärtlichen Freundschaft wiederholte. Der treue
Abu-Someika wurde mit einem Ehrenpelz bekleidet, und der Dienst, welchen er dem
Fürsten geleistet hatte, durch reiche Geschenke und glänzende Freigebigkeit
belohnt.

Nadan aber, als Zeuge von allen diesen Vorgängen, war
dergestalt von Unruhe und Schrecken ergriffen, dass er in seiner angst nicht
mehr wusste, wozu er sich entschließen, an wen er sich wenden sollte.

Unterdessen waren die Tage, welche Heykar der Ruhe widmen
sollte, verflossen und seine Gesundheit hergestellt: Er legte nun seine
prächtigsten Kleider an, und mit einem zahlreichen Gefolge erschien er wieder
vor Sencharib, mit allen Zeichen seines vorigen Ranges.

Sencharib empfing ihn mit großer Auszeichnung, ließ ihn
an seiner Seite sitzen, und zeigte ihm den Brief Pharaos. Zugleich machte er ihm
bekannt, dass schon eine große Menge Assyrer nach ägypten entflohen wären,
aus furcht, dass sie gezwungen werden möchten, ihren Teil an der von Pharao
geforderten Schatzung zu bezahlen, wenn seine Aufgabe nicht gelöst würde.

„Wohlan,“ rief Heykar aus, nachdem er den Brief
gelesen hatte, „ich selber will nach ägypten gehen: Ich will alle seine
Fragen beantworten, und alle seine Aufgaben auflösen. Ich verspreche es Euch,
nicht allein alle Flüchtlinge zurückzubringen, sondern auch Pharao zu
nötigen, selber Euch die Schatzung zu zahlen, welche er von Euch fordert.
Verbannt, Herr, von diesem Augenblick an, alle Furcht. Mit Gottes Hilfe will ich
alle Eure Feinde zu Schanden machen. ich verlange nur vierzig Tage zu den Vorbereitungen
meiner Reise.“

Diese Versicherung erfüllte Sencharibs Herz mit Freuden.
Alle seine Unruhe verschwand. Er vertraute der Kunde des geschickten Ministers,
welchen die Vorsehung ihm gewährt hatte, und die Ausforderung des ehrgeizigen
Pharao erschien ihm nur noch als eitle Spitzfindigkeit, welche vor der
bewährten Weisheit Heykars von selber in ihr Nichts verschwinden müsste.