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765. Nacht

Kurze Zeit nach diesem Gespräch wurde Adileh von einer
heftigen Krankheit befallen, welche sie ins Grab brachte. Der Kaufmann empfand
einen sehr tiefen Schmerz über den Verlust seiner Gattin, und, wie er ihr
versprochen hatte, brachte er die Nacht unter Weinen und Seufzen bei ihr am Grab
zu. Er befand sich schon mehrere Stunden in dieser traurigen Lage, als beim
Anbruch des Tages ein Geist, der auf dieser Begräbnisstätte hauste, sein
Schluchzen hörte. Er hatte Mitleid mit seiner tiefen Betrübnis, und fragte
ihn:

„Worüber bist du denn so trostlos?“

„Ach!“, antwortete ihm der Kaufmann, „ich
habe mein Teuerstes auf der Welt verloren: Ich hatte eine Gattin, welche ich
anbetete, und von welcher ich zärtlich geliebt wurde. Die hat der unbarmherzige
Tod mir jetzt geraubt.“

„Wenn ich sie nun wieder ins Leben riefe?“,
fragte der Geist.

„So würden meine heißesten Wünsche erfüllt
werden,“ sagte der Kaufmann.

„Wohlan, Du sollst befriedigt werden,“
antwortete der Geist. Zu gleicher Zeit nahte er sich dem Leichnam der Adileh,
sprach einige geheimnisvolle Worte aus, und kaum begann sie, das Haupt zu
erheben, da verschwand er augenblicklich.

Die junge Frau fragte ihren Mann, wie es geschehen, dass
sie wieder ins Leben gerufen wäre und dieser erzählte ihr alles, was
vorgegangen war. Adileh bezeigte ihm in den stärksten Ausdrücken ihre
Erkenntlichkeit und Zärtlichkeit, und gelobte ihm, durch ihre Hingebung und
Liebe ihre ewige Dankbarkeit zu beweisen.

„O meine Vielgeliebte,“ erwiderte der junge
Kaufmann, „ist es nicht schon der süßeste Lohn für mich, Dich dem Leben
und meiner Liebe wiedergeschenkt zu sehen? Lass uns nach unserer Wohnung heim
eilen, um wieder ruhig des Glückes zu genießen, welches der Tod so grausam
unterbrochen hatte.“

Bei diesen Worten bemerkte er, dass seine Frau kein
anderes Gewand an hatte, als das Leichentuch, in welches man sie gewickelt, und
dass er ihr unumgänglich einige Kleidungsstücke holen müsste, um sie in den
Stand zu setzen, durch die Stadt zu gehen: Er lief also eilig nach Hause, um das
Nötige herbeizuschaffen, und bat seine Frau, einige Augenblicke auf ihn zu
warten.

Während nun der junge Kaufmann heim gegangen war, um
Kleidungsstücke zur Bedeckung seiner Frau zu holen, kam der Sohn des Königs,
in Begleitung einiger Hofleute, an dem Gottesacker vorbei. Die sonderbare
Erscheinung der Adileh zog von Ferne schon seine Blicke an. Als er sich
näherte, erkannte er, dass es ein reizendes Weib war, und als er sie noch
genauer betrachtete, konnte er sich eines tiefen Eindrucks nicht erwehren. Einer
der Hofleute, der seine Verwirrung bemerkte, gedachte dem Prinzen einen Dienst
zu leisten, indem er ihm vorschlug, diese Schöne in seinen Palast zu führen,
und sein Erbieten wurde mit Freuden angenommen.

„Indessen,“ sprach der Prinz, „unterlass
nicht, Dich zu erkundigen, ob sie nicht durch die Bande der Ehe gebunden ist,
denn ich möchte nicht einem Mann seine Frau entführen. Sie würde sonst, ohne
Widerspruch, die Schönste meines Harems sein.“

Hierauf näherte der Höfling sich der Adileh, fragte sie,
ob sie vermählt wäre, und machte ihr den Antrag, sie in den Palast des Prinzen
zu führen.

„Herr,“ antwortete die Frau des Kaufmanns,
„ich nehme willig die Ehre an, welche der Prinz mir zu erweisen geruht:
Herrin meiner Handlungen und niemand angehörig, kann ich ihm meine Hand
reichen.“

Man bedeckte sie hierauf mit dem Pelz eines der Hofleute,
und führte sie nach dem Harem, wo sie mit den reichsten Gewändern bekleidet
wurde.