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764. Nacht

über diese Vorgänge erwachte der Herr des Hauses. Er
rief seiner Frau zu wiederholten Malen, denn diejenige, die ihre Stelle
eingenommen hatte, fürchtete, der Ton der Stimme möchte sie verraten, und
hütete sich wohl, zu antworten. Der Schuster, ungeduldig über ihr
hartnäckiges Stillschweigen, steht auf, ergreift sein Ledermesser, springt nach
dem Pfeiler, an welchen er seine Frau gebunden hatte, und schneidet der
Bartscherers-Frau die Nasenspitze ab:

„Da,“ sprach er zu ihr, indem er ihr ihre
Nasenspitze in die Hand gab, „ich will Dich lehren, mir nicht zu gehorchen.
Du kannst nun hingehen, und damit Deinem Buhlen ein neues Geschenk machen.“

Unterdessen wagte das unglückliche Schlachtopfer der
Gefälligkeit, aus Furcht vor dem Zorn eines so jähzornigen Mannes, keineswegs,
das Stillschweigen zu brechen, aber sie bedachte bei sich selber ihr
schmähliches Schicksal, während diejenige, welcher die Strafe galt, sich ihrer
Lust hingab.

Der Schuster hatte sich, nach dieser Züchtigung seiner
vermeintlichen Frau, wieder auf seine Matte gelegt. Bald darauf kam seine
wirkliche Frau heim, und als sie den kläglichen Zustand vernahm, in welchen ihr
Mann ihre Nachbarin versetzt hatte, war sie innerlich zwar heilfroh, dass sie
einer so unmenschlichen Behandlung entgangen war, stellte sich aber, als wenn
sie Tränen vergösse, und bezeigte der Bartscherers-Frau in den stärksten
Ausdrücken ihren vollen Schmerz über diesen unglücklichen Zufall. Nachdem sie
so ihr Beileid bezeigt hatte, nahm sie den verlassenen Platz wieder ein, und
ließ sich wieder an den Pfeiler binden.

Jetzt dachte sie auf Mittel, ihren Mann zu bereden, dass
sie ihre Nasenspitze wiedererhalten hätte, und sie ersann folgenden Kunstgriff,
um ihn durch eine neue List hinters Licht zu führen.

Nachdem sie einige Zeit schweigend da gestanden hatte,
erhub sie auf einmal ihre Stimme, und rief aus:

„Gnädiger und barmherziger Gott! Du, der in den
Herzen lesen und die Guten von den Bösen unterscheiden kannst! Du, dem nichts
verborgen ist! Willst Du zulassen, dass ich zum Schlachtopfer des
schmählichsten Verdachtes und der unmenschlichsten und ungerechtesten
Behandlung hingegeben sei? Wenn Du mein Gebet zu erhören würdigst, o Herr, so
gib mir die mir geraubte Zierde meines Antlitzes und diese Wohlgestalt wieder,
welche eigentlich das Erbteil edler und reiner Seelen ist! Möge dieses Wunder
meine Unschuld kund tun und die Flecken vertilgen, mit welchen das Kleid meiner
Ehre verunglimpft ist!“

Der Schuster, nachdem er dieses Gebet seiner Frau
angehört hatte, konnte seinen Unwillen nicht zurückhalten. „Elende,“
rief er ihr zu, „weißt Du denn nicht, dass Gott die Bitten der
Ehebrecherinnen nicht erhört? Und kannst Du hoffen, dass Dein Gebet bis zu
seinem Thron dringen werde?“

„Großer Gott!“, rief die Frau aus, „mein
Gebet ist erhört. Komm her, unmenschlicher Mann, und überzeuge Dich selber von
der Hilfe, welche die himmlische Allmacht der verfolgten Tugend angedeihen
lässt. Allah hat die schmähliche Entstellung wieder ausgetilgt, womit Du mich
beschimpft hattest.“

Diese Worte waren mit zu viel Zuversicht gesprochen, um
nicht auf den Schuster Eindruck zu machen. Er lief hin, zündete die Lampe
wieder an, näherte sie neugierig dem Gesicht seiner Frau, und erkannte, dass
ihre Nase nichts von ihrer vorigen Gestalt eingebüßt hatte. Er fragte nun
nicht weiter nach, sondern warf sich ihr zu Füßen, und rief aus:

„O ich Unglücklicher! Ja, ich bekenne Dir jetzt mein
großes Unrecht, und verspreche Dir, es wieder gutzumachen. Sei versichert, dass
ich durch meine Unterwürfigkeit, Lenksamkeit und Gefälligkeit, dich mein
bisheriges Betragen vergessen machen will: Gebiete gegenwärtig unbeschränkt,
Du bist von nun an die einzige Herrin all meiner Handlungen, und Du kannst mit
mir schalten, wie mit Deinem untertänigsten Sklaven.“

Selim, der in seinem Winkel, wo er lag, Zeuge all dieser
Auftritte war, konnte sich nicht enthalten, über die Gutmütigkeit des armen
Schusters zu lachen. Indem er nun sah, wie sehr dieser durch die Listen seiner
Frau hinters Licht geführt wurde, tröstete er sich etwas über sein eigenes
Missgeschick, und schlief umso ruhiger wieder ein, ohne die Folgen der
Versöhnung mit anzuhören.

Am folgenden Morgen erhub er sich mit Tages Anbruch,
dankte seinem Wirt für die edelmütige Gastfreundschaft, welche er ihm erzeigt
hatte, und ohne dessen Ruhe durch unvorsichtige Entdeckungen zu stören, setzte
er seinen Weg nach Ispahan fort.

Selim ging traurig auf die nächste Stadt zu, und traf
einen Kalender, welcher denselben Weg verfolgte: „Ihr scheint sehr
traurig,“ sprach der Reisende zu dem Prinzen, indem er sich ihm nahte,
„was ist der Gegenstand Eures Kummers?“

„Ach, Herr,“ antwortete Selim, „ich suche
meine Frau, die mir entlaufen ist.“

„Wie! Das ist der Gegenstand Eures Kummers?“,
sagte der Kalender, „tröstet Euch, Herr, Ihr seid nicht das erste Opfer
eines Unfalls dieser Art, und ihr dürft Euch glücklich preisen, dass er nicht
noch andere Folgen nach sich gezogen hat: Ich habe von einem unglücklichen
Kaufmann erzählen gehört, der nicht so leichten Kaufs davon gekommen
ist.“

„Was begegnete denn diesem Kaufmann?“, fragte
der Prinz von ägypten.

Da begann der Kalender, während sie zusammen fort gingen,
folgendermaßen:

Geschichte der Adileh

„Es war einmal in Arabien ein junger Seidenhändler,
der eine der schönsten Frauen Asiens zur Gattin hatte. Er hegte für sie die
zärtlichste Liebe, und Adileh (so hieß diese junge Frau) schien dieselbe zu
erwidern.

Eines Tages, als beide, in den Ergießungen ihrer
gegenseitigen Zärtlichkeit, sich ihr Leid ausdrückten, dass sie sich dereinst
durch den Tod getrennt sehen müssten, sprach der junge Kaufmann zu seiner Frau:
„Wenn ich das Unglück hätte, Dich zu verlieren, so würde ich die ganze
Nacht über Deinem Grab weinen. Das schwöre ich Dir hier zu.“

„Und ich,“ erwiderte ihm Adileh, „wäre ich
so unglücklich, Dich zu überleben, so würde ich mich auf Deinem Grab durch
Hunger töten, wenn der Schmerz, der mich überwältigen würde, nicht stark
genug wäre, uns wieder zu vereinigen.“