Project Description

757. Nacht

Der Tag zeigte sich noch nicht, als Scheherasade diese
Geschichte vollendete. Danach erzählte sie, auf die Aufforderung ihrer
Schwester Dinarsade, die Geschichte des berühmten Musikers Ibrahim el Mußely
folgendermaßen:

Geschichte
der Vermählung des Kalifen Almamun mit Buran

„Herr, der berühmte Musiker Irahim Abu Ishak, aus
Mussul gebürtig, erzählte sehr sonderbare Abenteuer von der Vermählung eines
der Kalifen, welche ich Euer Majestät mitteilen will.

„Eines Tages,“ sagte er, „war ich an dem
Hof des Kalifen Almamun1).
Wir tranken und machten Musik. Kurz, wir verbrachten einen sehr angenehmen Tag.
Schon begann die Nacht, als Almamun zu mir sagte:

„Abu Ishak, ich habe mich heute sehr ergötzt, und
ich will, dass wir morgen zusammen frühstücken. Ich gehe in mein Harem, und Du
bleib hier, damit ich Dich gewiss bei mir habe.“

Der Kalif entfernte sich, und ich blieb allein. Da
erinnerte ich mich, dass ich eine junge Sklavin zu Hause hatte, und mir
vorgenommen, diese Nacht zu ihr heimzukommen. Diese Vorstellung entflammte meine
Sinne, und ich brannte vor Verlangen, sie wieder zu sehen. Ich entschloss mich
also, nach Hause zu gehen. Der Türhüter und die Bedienten hielten mich an,
aber ich sagte ihnen: „Der Kalif ist in sein Frauenzimmer gegangen, und es
ist also sehr unnütz, dass ich hier bleibe.“

Ich hatte schon einen Teil des Weges zurückgelegt, als
ein Bedürfnis mich nötigte, vom Pferd zu steigen. Von ungefähr schaute ich um
mich her, und erblickte einen großen Korb, der von außen und innen mit einem
prächtigen persischen Stoff bekleidet war, und an seidenen Stricken hing. Ich
suchte zu erraten, zu welchem Gebrauch er bestimmt wäre, und da ich berauscht
war, kam ich auf den Einfall, mich drein zu setzen.

Kaum ließ das Gewicht meines Leibes sich darin spüren,
so sah ich mich in die Luft emporgezogen und auf ein flaches Dach gehoben.
Sogleich wurde ich von schönen Sklavinnen und Dienern umringt, welche mich mit
Fackeln empfingen, und sprachen: „Da ist ein Gesell!“ So zogen sie vor
mir her und führten mich fort. Ich stieg in einen Palast von königlicher
Pracht hinab, welcher mit Gerät versehen war, wie man es nur in den Zimmern der
Kalifen wieder findet. Weiter führten sie mich in einen mit Teppichen
geschmückten Saal, wie man sie nur im kaiserlichen Palast sieht. Im Hintergrund
dieses Saales standen zwei prächtige Sofas so schön, wie diejenigen, auf
welchen der Beherrscher der Gläubigen sitzt. Ich setzte mich auf den einen, und
dachte darüber nach, was vorginge.

Die Nacht war noch nicht weit vorgerückt, als meine Augen
von dem Glanz vieler Fackeln geblendet wurden, welche Sklavinnen trugen, in
deren Mitte eine junge Schöne erschien, die mit Juwelen bedeckt war,
dergleichen man nur an den Frauen des Kalifen sieht. Sie war umgeben von
reizenden Sklavinnen, welche die Schleppe ihres Gewandes trugen. Ihre Schönheit
war so hinreißend, dass ich sie für keine Sterbliche hielt.

Sobald sie erschien, erhub ich mich, und blieb
ehrfurchtsvoll stehen, bis sie mir befahl, mich zu setzen. Sie selber nahm ihren
Platz auf dem anderen Sofa, und redete mich liebreich an, denn sie hatte
bemerkt, dass ihre Erscheinung mich verwirrt gemacht. Hierauf ließ sie eine
Tafel von königlicher Pracht bringen. Wir wuschen uns die Hände, und man
setzte uns Gerichte vor, dergleichen man nur bei dem Beherrscher der Gläubigen
isst. Nach beendigtem Mahl wuschen wir uns wieder die Hände mit wohlriechenden
Wassern. Danach brachte man eine Tafel mit silbernen Aufsätzen, die allerlei
Blumen, duftende Kräuter, frische und trockene Früchte enthielten, und
dazwischen standen Kristallflaschen voll der köstlichsten Weine. Zu gleicher
Zeit ließ sich ein Konzert von Gesang und Saitenspiel hören, welches mich vor
Entzücken ganz außer mich versetzte. Danach kos’ten wir miteinander,
erzählten Neuigkeiten, Geschichten, und sangen Lieder. Da sprach sie zu mir:

„Du bist sehr liebenswürdig, und ich habe niemals
einen angenehmeren und gebildeteren Mann gesehen.“

„Was ich weiß, schöne Frau,“ antwortete ich
ihr, „verdanke ich einem meiner Vettern, der noch weit gebildeter und
liebenswürdiger ist, als ich.“

Ich brachte bei ihr eine der schönsten Nächte meines
Lebens zu.

Sobald die Morgenröte erschien, beurlaubte ich mich von
dem schönen Mädchen: Sie geleiteten mich wieder auf das flache Dach, von wo
ich vermittelst desselben Korbes wieder auf die Straße hinab stieg. Von hier
ging ich nach Hause, wo ich einen Augenblick verweilte, dann kehrte ich eilig zu
Almamun zurück, welchen ich sehr aufgebracht gegen mich antraf.


1) Al-Mamun ist Garuns Sohn
und Nachfolger.