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755. Nacht

Die unheilschwangere Weissagung des Geistes und der
Sterndeuter hatte nicht verhindert, dass er für seinen Sohn die innigste
Zärtlichkeit hegte, und selten verging eine Woche, ohne dass er ihn besuchte.

In diesem Stand blieben die Sachen sieben Jahre lang, und
eine der von dem Geist bezeichneten entscheidenden Zeiten nahte heran.

Die Amme, dieser ununterbrochenen Absonderung
überdrüssig, sagte eines Tages zu dem König: „Herr, wir sind nun fast
sieben Jahre in dieser unterirdischen Wohnung des Tageslichts beraubt: Wird es
uns nicht bald vergönnt sein, das Licht wieder zu sehen?“

„Ja, bald,“ antwortete der König, „sobald
das siebente Jahr vollendet ist, sollt ihr befreit werden und wieder bei uns
wohnen.“

Es waren wenige Tage seit diesem letzten Besuch vergangen,
als ein Löwe, der einen Fuchs verfolgte, von der Gier auf seinen Raub
fortgetrieben, gerade in die unterirdische Wohnung des jungen Prinzen
hinabstürzte. Sobald er diesen erblickte, ergriff er ihn mit dem Rachen und
schleuderte ihn gewaltig vor den Eingang hinaus und als die erschrockene Amme
nach Hilfe rief, stürzte er über sie her und zerriss sie. Ein Mann, der in der
Gegend jage, hatte das Geschrei gehört, und näherte sich dem Ort, wo es her
kam: Da fand er den verwundeten Knaben, bewies ihm alle Sorgfalt, nahm ihn mit
nach der Stadt, und da er ihn lieb gewann, so übernahm er seine Erziehung und
ließ ihn alles lernen, was zu einem vollständigen Mann gehört.

Unterdessen, als der König von Arabien nach seiner
Gewohnheit wieder die unterirdische Wohnung seines Sohnes besuchte, fand er sie,
zu seinem größten Herzensleid verlassen. Da die Amme ihm wenige Tage zuvor
ihren überdruss geäußert hatte, so wähnte er, dieses Weib wäre mit seinem
Kind von dort entflohen, und er sandte auf allen Straßen, welche aus seinem
Reich führten, Reiter zu ihrer Verfolgung aus. Es ist überflüssig
hinzuzufügen, dass alle Nachforschungen fruchtlos waren, und dass keiner ihm
weder über die Amme, noch über seinen Sohn Kunde zu bringen vermochte.

Der Jäger, welcher den Knaben aufgenommen hatte, gehörte
mit zum Hof des Königs, seines Vaters. Sobald er seinen Pflegesohn imstande
sah, ihm zu helfen, nahm er ihn mit sich. Eines Tages hatte Soleiman auf einer
Jagd den jungen Prinzen bemerkt, und empfand für ihn ein Gefühl des
Wohlwollens, dessen Grund er weit entfernt war zu erkennen. Er äußerte sein
Verlangen, ihn um sich zu haben, und ernannte ihn zu seinem Stallmeister.

Einige Jahre danach brach zwischen Arabien und einem der
benachbarten Staaten ein Krieg aus. Von beiden Seiten rüstete man sich
gewaltig. Jede der beiden Mächte brachte eine große Anzahl Truppen auf die
Beine und zog ins Feld. Der Tag einer entscheidenden Schlacht kam bald heran.
Die beiden Heere standen sich gegenüber. Sie griffen sich gegenseitig mit umso
größerer Hitze an, als die beiden Könige Zuschauer des Kampfes waren. Als der
König von Arabien den Sieg schwanken sah, entschloss er sich, eine äußerste
Anstrengung zu wagen, um seinen Feind zu besiegen, und von seinem Gefolge
begleitet, stürzte er sich in den Kampf, wo er am heftigsten war. Da erreichte
das Getümmel seinen Gipfel. Die von allen Seiten aufsteigenden Staubwirbel
verhinderten, Freund oder Feind zu erkennen.

In diesem Augenblick der Verwirrung geschah es, dass der
junge Prinz, fortgerissen von der Hitze des Kampfes und ohne seinen Gegner zu
erkennen, den König, seinen Vater, mit einem Säbelhieb in den Sand streckte.

„Schamloser Hund,“ rief der König aus, „Du
wagst es…“

Aber sein Stallmeister setzte, ohne diesen Ausruf zu
beachten, den Kampf weiter fort, und tat Wunder der Tapferkeit. Das Glück
krönte jedoch seine Anstrengungen nicht, und das Heer, zu welchem er gehörte,
wurde völlig in die Flucht geschlagen.

Der König Suleiman hatte, trotz seiner Wunde, noch so
viel Kraft, den Siegern zu entfliehen. Er irrte aufs Ungefähr die ganze Nacht
umher, und am folgenden Morgen hatte er das Glück, die überbleibsel seines
Heeres zu erreichen, welche in aller Hast der Hauptstadt zuflohen. Man leistete
ihm die Hilfe, welche sein Zustand erforderte, und trug ihn, fast sterbend, in
einer Sänfte heim.