Project Description

752. Nacht

Als der Posten an der Tür des Großwesirs abgelöst
wurde, verhaftete die neue Wache den Attaf, aber er wurde bald wieder entlassen,
infolge eines Befehls, welchen der Großwesir überall bekannt machte, und worin
der Kalif alle Gefangenen in Freiheit setzen ließ, zur allgemeinen Freude über
das neue glückliche Ereignis. Auch wurden dem Volk prächtige Feste gegeben,
und Attaf lebte so mehrere Tage, indem er an den öffentlichen Festen Teil nahm.

Eines Abends wollte er sich in eine Moschee zurückziehen,
um darin auszuruhen, aber der Aufseher zwang ihn, sie zu verlassen, weil ihm am
Tag zuvor ein Teppich gestohlen war. Attaf sah sich also genötigt, auf der
Straße zu bleiben. Hier wurde er von einer großen Menge Hunde verfolgt, und
von den Wächtern des Stadtviertels1),
welche ihm zuriefen, sich zu entfernen. Er wollte sich nun in einen dunklen
Winkel drücken, tat hier aber einen Fehltritt über einen Leichnam. Ganz mit
Blut bedeckt stand er wieder auf: In diesem Augenblick zog ein Polizeibeamter
mit seinen Leuten durch die Straße. Er zweifelte nicht, dass Attaf der Mörder
wäre, und man führte diesen ins Gefängnis, wo wir ihn einige Zeit lassen
wollen, um zu Giafar zurückzukehren, welchen wir mit der großmütig von Attaf
ihm abgetretenen jungen Frau auf dem Weg von Damask nach Bagdad aus dem Gesicht
verloren haben.

Am Ende der Tagesreise hielten beide mit ihrem zahlreichen
Gefolge an, um sich für die Nacht zu lagern. Als die Zelte aufgeschlagen waren,
eilte der verliebte Wesir in dasjenige, welches für seine Neuvermählte
bestimmt war. Diese schien bei seinem Anblick verwirrt, und bedeckte ihr Gesicht
mit ihren Händen.

„Ei wie!“, sprach Giafar zu ihr, „ihr
verbergt Euer Antlitz vor mir: Sind wir nicht beide vereinigt, und seid ihr
nicht meine rechtmäßige Gattin?“

„Ja, Herr,“ antwortete sie ihm, „wenn der
Großwesir des Beherrschers der Gläubigen ungroßmütig genug ist, das Opfer
eines Mannes anzunehmen, welcher, nachdem er alle seine Reichtümer für ihn
hingegeben, die Großmut so weit getrieben hat, ihm sogar seine Gattin
abzutreten.“

Hierauf fand eine Erklärung statt, und nicht ohne das
größte Erstaunen vernahm Giafar die Hingebung seines Wirtes. Er versicherte,
dass er, weit entfernt, Attafs Gefälligkeit zu benutzen, ihm seine Gattin
wiedergeben würde. Aber er achtete es für unziemlich, sie nach Damask
zurückzuschicken, und hielt es für besser, sie mit nach Bagdad zu nehmen, wo
sie als seine rechtmäßige Gemahlin aufgenommen werden, und die, in solcher
Eigenschaft ihr gebührenden Geschenke empfangen würde. Er versprach ihr, bei
seiner Ankunft in dieser Stadt ihr einen Palast und Einkünfte anzuweisen, um
bequem die Zeit abzuwarten, wo sie ohne übelstand wieder zu ihrem Mann
heimkehren könnte.

Der Großwesir hielt treulich sein Versprechen: Als sie in
der Hauptstadt anlangten, nachdem sie in den Städten, durch welche sie kamen,
mit allen Ehren aufgenommen worden, ließ er Attafs Gattin eine prächtige
Wohnung nahe bei seinem Palast beziehen, gab ihr Kleinode, und reiche Kleider,
um sie, so viel an ihm wäre, über die Trennung von ihrem Mann zu trösten. Er
eilte hierauf zu dem Kalifen, in Hoffnung, dass der Bericht von seinen
wundersamen Abenteuern den Zorn dieses Fürsten besänftigen möchte.

Als Giafar vor dem Beherrscher der Gläubigen erschien,
fragte ihn dieser, was ihm während seiner Abwesenheit begegnet wäre: Und nun
erzählte der Wesir seinem Herrn die Abenteuer, welche er in Damask erlebt
hatte.

„Ich wusste das alles voraus,“ erwiderte Harun,
„ich lasse sogleich aus meinem Kabinett der Seltenheiten die Handschrift
holen, in welcher Du mich lesen sahst: – Mesrur, nimm diesen Schlüssel, und
bringe sie her.“

Nachdem das Oberhaupt der Verschnittenen den Befehl des
Kalifen erfüllt hatte, las der Großwesir die Handschrift, und war höchst
erstaunt, darin die Weissagung von allem dem zu finden, was sich in Damask
zugetragen hatte. Er las bis zu der Stelle, welche seine Abreise von dieser
Stadt verkündigte: Da ließ der Kalif ihn das Buch zumachen, und erlaubte ihm
nicht, weiter zu lesen. Er befahl Mesrur, es wieder dahin zu tragen, wo er es
geholt hatte, und sprach zu seinem Großwesir.

„Du siehst, Giafar, was Dir so auffallend in meinem
Betragen vorkam, war ganz natürlich: Beim Lesen der Begebenheiten, deren Zeuge
du gewesen bist, musste ich abwechselnd von Freude zu Leid übergehen, und ich
hatte Grund, Dir zu sagen, Du solltest nicht eher wieder vor mir erscheinen, als
bis Du mir sagen könntest, was in dem Buch, welches ich in der Hand hatte,
enthalten wäre: Mein Zorn war nur verstellt. Kehre in Deinen Palast zurück,
tritt in Dein Amt wieder ein, dass ich Dir anvertraut habe, und rechne stets auf
die Gewogenheit Deines Herrn.“

Giafar dankte dem Kalifen, und befolgte seine Befehle.


1) In
fast jeder muselmännischen Stadt haben die einzelnen Stadtviertel ihre
Nachtwächter: Und diese Stadtviertel sind oft durch Mauern und Tore für sich
geschlossen (ähnlich den Judenvierteln, sonst in vielen christlichen Städten,
und hier und da noch oder wieder). Eine der seltsamen Städte ist in dieser
Rücksicht Ghadam, im innern Afrika. Folgendermaßen beschreibt sie der
englische Schiffshauptmann Lyom, welcher 1820 dort reiste:
„Es ist eine sehr auffallende Sonderbarkeit, dass in derselben Ringmauer
(von Ghadam) zwei feindliche Stämme wohnen, welche in gar keiner Verbindung
miteinander stehen. Ghadam ist nämlich kreisförmig gebaut, und von einer
dicken Mauer durchschnitten, welche sie in zwei gleiche Hälften teilt. In der
Mitte dieser Mauer ist ein Tor, welches bei unruhigen Zeiten gesperrt wird, denn
die Einwohner haben unter sich oft blutige Streitigkeiten. Beide Städte sind
ringsumher von Palmen- und Dattel-Gärten umgeben. Die Straßen sind bedeckt, so
dass nach Sonnenuntergang niemand ohne Licht sich zurecht finden kann. Die
Häuser sind wohl gebaut, aus Lehm, und haben nur ein Stockwerk. Die Einwohner
sind Araber, und obwohl sie eine Stadt bewohnen, so kennen sie doch ihre
Nachbarn so wenig, als wenn sie mehrere Meilen voneinander wohnten, denn einer
vom Stamm Beni-Walid, der die andere, dem Stamme Beni-Walid gehörige Stadt
betrete, würde vom Volk beschimpft werden. Eine und dieselbe warme Quelle
versieht beide Städte mit Wasser, die jede von einem Scheich, unter dem Befehl
eines Ka