Project Description
75. Nacht
„Herr,“ sagte sie, „Sindbad fuhr
folgendermaßen in seiner Erzählung fort: „Man bemerkte die Erschütterung
der Insel auf dem Schiff, von welchem man uns zurief, dass wir uns schnell
wieder einschiffen möchten, dass wir sonst alle umkommen würden, weil das, was
wir für eine Insel gehalten hatten, der Rücken eines Walfisches sei. Die
Gewandtesten retteten sich in das Boot, andere warfen sich ins Meer, um zu
schwimmen. Was mich betraf, so war ich noch auf der Insel, oder vielmehr auf dem
Walfisch, als dieser Fisch in das Meer tauchte, und mir blieb nur so viel Zeit,
als ich bedurfte, um mich an ein Stück Holz zu halten, welches, um Feuer zu
machen, aus dem Schiff mitgenommen worden war. Dazwischen wollte der
Schiffshauptmann, nachdem er die Leute im Boot an Bord genommen und einige der
Schwimmenden aufgefischt hatte, einen frischen Wind benutzen, der sich eben
erhob, ließ die Segel aufziehen und nahm mir dadurch die Hoffnung, das Schiff
zu erreichen.
Ich blieb also den Wellen preisgegeben, und hin und her
geworfen kämpfte ich mit ihnen den ganzen übrigen Tag und die folgende Nacht.
Am andern Morgen hatte ich keine Kräfte mehr, und ich verzweifelte daran, dem
Tod zu entgehen, als eine Woge mich glücklicherweise an eine Insel warf. Das
Ufer war hoch und steil, und ich würde viele Mühe gehabt haben, es zu
erklimmen, hätten mir nicht einige Baumwurzeln geholfen, welche das Schicksal
zu meinem Heil dort aufbewahrt hatte. Ich streckte mich auf die Erde, wo ich halbtot
liegen blieb, bis es heller Tag wurde und die Sonne aufging.
Obgleich ich nun durch die Meeresarbeit sehr geschwächt
war, weil ich seit dem vorigen Tage keine Nahrung zu mir genommen hatte, so
schleppte ich mich doch fort, um einige essbare Kräuter zu suchen. Ich fand
welche und war so glücklich, auch eine Quelle trefflichen Wassers zu finden,
die zu meiner Erfrischung nicht wenig beitrug. Als ich nun wieder zu Kräften
gekommen war, ging ich weiter landeinwärts, ohne jedoch einen bestimmten Weg zu
verfolgen.
Ich kam auf eine schöne Ebene, auf welcher ich ein
weidendes Pferd erblickte. Zwischen Furcht und Hoffnung schwankend, wendete ich
meine Schritte nach dieser Seite, denn ich wusste nicht, ob ich nicht viel eher
meinem Verderben, als einer Gelegenheit, mein Leben zu sichern, entgegen ging.
Als ich näher kam, sah ich, dass das Pferd eine an einen Pfahl gebundene Stute
war. Ihre Schönheit zog meine Aufmerksamkeit auf sich, aber während ich sie
betrachtete, hörte ich die Stimme eines unter der Erde sprechenden Mannes.
Einen Augenblick nachher kam dieser Mann zum Vorschein und auf mich zu, und
fragte mich, wer ich wäre. Ich erzählte ihm mein Abenteuer, worauf er mich bei
der Hand nahm und mich in eine Höhle führte, in welcher sich mehrere Personen
befanden, die nicht weniger erstaunt waren, mich zu sehen, als ich es war, sie
dort zu finden.
Ich aß von einigen Speisen, die sie mir vorsetzten, und
als ich sie hierauf gefragt hatte, was sie an einem Orte machten, der mir so
wüst vorkam, erwiderten sie, dass sie Stallleute des Königs Maha-radjah1),
des Beherrschers dieser Insel, wären, dass sie jedes Jahr, zu jeder Jahreszeit
des Königs Stuten dorthin zu führen pflegten, um sie von einem aus dem Meere
kommenden Seepferde bespringen zu lassen, dass das Seepferd, nachdem es die
Stuten besprungen hätte, sich anschickte, sie zu verschlingen, dass sie es aber
durch ihr Geschrei verhinderten und ins Meer zurückzukehren nötigten, dass,
wenn die Stuten trächtig wären, sie dieselben zurückführten, dass die dann
von ihnen geworfenen Pferde für den König bestimmt wären und Seepferde
genannt würden. Sie fügten hinzu, dass der folgende Tag zu ihrer Abreise
bestimmt wäre, und dass ich, einen Tag später angekommen, unfehlbar hätte
umkommen müssen, weil ich zu den sehr entfernten Wohnungen ohne Führer nicht
hätte gelangen können.
Während sie mich so unterhielten, stieg das Seepferd aus
dem Meere, wie sie es mir erzählt hatten, warf sich auf die Stute, belegte sie
und wollte sie nachher verschlingen, aber bei dem großen Lärm, den die
Stallleute machten, ließ es seine Beute fahren und tauchte sich wieder ins
Meer.
Am anderen Tage machten sie sich mit den Stuten auf den
Weg zur Hauptstadt und ich begleitete sie. Bei unserer Ankunft fragte mich der
König Maha-radjah, dem ich vorgestellt wurde, wer ich wäre und welches
Abenteuer mich in seine Staaten gebracht hätte. Als ich seine Neugier
vollständig befriedigt hatte, versicherte er mich, dass er sehr viel Teil an
meinem Unglück nähme. Zugleich befahl er, dass man Sorge für mich tragen und
mich mit allen Nötigen versehen sollte. Seine Befehle wurden auf solche Weise
befolgt, dass ich alle Ursache hatte, mit seiner Großmut und der Pünktlichkeit
seiner Beamten zufrieden zu sein.
Da ich Kaufmann war, so besuchte ich meine
Standesgenossen. Vorzüglich suchte ich die Fremden auf, um von ihnen
Nachrichten aus Bagdad zu erhalten und einen zu finden, mit dem ich dorthin
zurückreisen könnte. Die Hauptstadt des Königs Maha-radjah liegt am
Meeresufer und hat einen schönen Hafen, in welchem täglich Schiffe aus
verschiedenen Weltgegenden landen. Ich suchte auch die Gesellschaft der
indischen Weisen und erfreute mich daran, sie reden zu hören, doch verhinderte
mich das nicht, dem König regelmäßig meine Aufwartung zu machen, noch mich
mit den Befehlshabern und den kleinen ihm tributpflichtigen Königen zu
unterhalten, die um seine Person waren. Sie legten mir tausend Fragen über mein
Vaterland vor, und da ich mich meinerseits von den Sitten und Gesetzen ihrer
Staaten unterrichten wollte, so befragte ich sie um Alles, was mir meiner
Neugier wert schien.
Es befindet sich unter der Herrschaft des Königs Maha-radjah
eine Insel, Namens Cassel. Man hatte mich versichert, dass man daselbst
allnächtlich einen Paukenton höre, was bei den Matrosen die Meinung veranlasst
hat, Degal2)
habe dort seinen Aufenthalt. Ich bekam Lust, Zeuge dieses Wunders zu sein, und
auf meiner Reise sah ich Fische von 100 bis 200 Ellen Länge, die mehr Furcht
einjagen, als Gefahr bringen. Sie sind so schüchtern, dass sie die Flucht
ergreifen, wenn man auf Stücke Holz schlägt. Ich sah auch noch andere, nur
eine Elle lange Fische, deren Kopf dem der Nachteulen glich.
Als ich nach meiner Rückkehr eines Tages im Hafen war,
landete eben ein Schiff. Sobald es geankert hatte, fing man an, die Waren
auszuladen, und die Kaufleute, denen sie gehörten, ließen sie in die
Vorratshäuser bringen. Indem ich meine Augen auf einige Ballen und die darauf
befindliche, den Namen des Eigentümers bezeichnende Schrift warf, sah ich den
meinigen darauf. Nachdem ich sie aufmerksam betrachtet hatte, zweifelte ich
nicht mehr, dass es dieselben wären, die ich auf das Schiff hatte laden lassen,
auf welchem ich von Balsora abgefahren war. Ich erkannte auch den
Schiffshauptmann. Da ich aber überzeugt war, dass er mich für tot hielt, so
fragte ich ihn, wem die Ballen gehörten, die ich sähe. „Ich hatte auf
meinem Schiff,“ erwiderte er mir, „einen Kaufmann aus Bagdad, der sich
Sindbad nannte.
Eines Tages, als wir, wie es uns vorkam, in der Nähe
einer Insel waren, landete er mit mehreren Reisenden auf dieser vermeintlichen
Insel, die nichts anders, als ein auf der Oberfläche des Wassers schlafender
Walfisch von ungeheurer Größe war. Kaum fühlte dieser sich von dem auf seinem
Rücken angezündeten Feuer erwärmt, als er anfing, sich zu bewegen und sich
ins Meer zu tauchen. Der größte Teil der auf ihm befindlichen Personen
ertrank, und der unglückliche Sindbad war unter dieser Zahl. Diese Ballen
gehörten ihm, und ich habe beschlossen, sie zu verhandeln und sobald ich
jemanden von seiner Familie treffe, diesem den aus dem Kapital gezogenen Gewinn
auszuhändigen.“
„Hauptmann,“ sagte ich hierauf zu ihm, „ich
bin dieser Sindbad, den ihr für tot haltet und der es nicht ist. Diese Ballen
sind mein Gut und meine Ware.“
Scheherasade erzählte in dieser Nacht nicht weiter, aber
sie fuhr in der nächsten, wie folgt, fort:
1)
Dieses ursprüngliche sanskritische Wort bedeutet großer König. Ein Fürst
dieses Namens hat wirklich über den östlichen Teil Sumatras geherrscht.