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746. Nacht
Geschichte Attafs von Damask
„Herr, eines Tages, als der Kalif Harun Arreschyd,
ermüdet von der Last der Regierung, sich zerstreuen wollte, begab er sich mit
seinem Großwesir Giafar und seinem treuen Mesrur in sein Kabinett der
Seltenheiten, in welchem sich eine Menge merkwürdiger Sachen1)
in prächtigen Kasten oder in Schränken von wohlriechendem Holz befand.
Der Kalif befahl Mesrur, ihm einen dieser Schränke zu
öffnen, welcher eine große Menge Bücher enthielt, worin die Weltweisen und
die Gelehrten die Früchte ihrer Nachtwachen niedergelegt hatten: Man las darin
allerlei wichtige Geheimnisse und Weissagungen.
Der Großwesir war sehr verwundert, als er den Kalifen,
der eine dieser Handschriften genommen hatte, beim Lesen derselben zu dreien
verschiedenen Malen von der Traurigkeit zur Freude übergehen sah.
„Herr,“ sprach er zu ihm, „ist es mir wohl erlaubt, Euer
Majestät zu fragen, wie Ihr, nach der Art der Wahnsinnigen, fast zu gleicher
Zeit weinen und lachen könnt?“
Er war nicht wenig überrascht, als er den Harun folgendes
antworten hörte:
„Es ziemt sich nicht für einen Wesir, seinen Herrn,
dem er Gehorsam schuldig ist, einem Narren zu vergleichen. Du willst den Inhalt
dieses Buches wissen, und ich begreife Deine Neugier: Wohlan, reise auf der
Stelle ab, und erscheine nicht eher wieder vor mir, als bis Du mir sagen kannst,
was es enthält. Alsdann wirst Du die Ursache meiner Gebärden begreifen, und
einsehen, dass ich kein Wahnsinniger bin. Ich erkläre Dir, dass, wenn ich Dich
wieder sehe, bevor Du mir die Gründe meines Benehmens auslegen kannst, Du mit
dem Tod bestraft werden sollst.“
So sprach er, legte das Buch weg, verschloss den Schrank,
und ließ seinen Wesir in der tiefsten Bestürzung zurück.
Beim Nachhausegehen mit langsamen Schritten suchte Giafar
sich die Ursache seiner Ungnade zu erklären, aber er konnte den Grund derselben
nicht begreifen. Er sah sein Glück umgestürzt und sich vom Hof verbannt, ohne
Aussicht, jemals dahin zurückzukehren; und er durfte nicht hoffen, zu erraten,
was den Kalifen zum Lachen und zum Weinen gebracht hatte.
Da begegnete er seinem Vater Yahia dem Barmekiden, welcher
ihm Trost einzusprechen suchte, ihn zur Geduld ermahnte, ihm riet, sich nach
Damask zu begeben, und ihm nicht einmal gestattete, von seiner Gattin Abschied
zu nehmen: „Denn das ist,“ fügte er hinzu, „der Wille des
Schicksals.“
Der in Ungnade gefallene Großwesir gehorchte seinem
Vater, bestieg ein Maultier, und machte sich auf den Weg nach Damask. Nach einer
ziemlich beschwerlichen Reise erreichte er das herrliche Tal, in welchem diese
Stadt liegt. Er bewunderte ihre zauberhafte Umgebung, den Wohnort unsers
Stammvaters, ihre fruchtbaren Gefilde, ihre zahlreichen Ströme, welche in
tausend Kanälen verteilt, sich in einen großen See ergießen, nachdem sie
Erfrischung und Wachstum über die Fluren verbreitet, welche tausend Blumen und
ein ewiger Frühling schmückt2).
Mitten in diesem reizenden Gefilde lag die heilige Stadt Damask. In derselben
wohnte damals ein ebenso reicher als großmütiger Mann, dessen Freigebigkeit
wenigstens ebenso groß war wie die des berühmten Hatem Thay3).
1) Unter
der Regierung des Kalifen Harun Arreschyd waren die Künste zu einer hohen Stufe
der Vollkommenheit gelangt, und wir erinnern unsere Leser daran, dass dieser
Fürst an Karl den Großen die erste Schlaguhr sandte, welche in Europa gesehen
wurde. Die Araber waren zu dieser Zeit die gelehrtesten Astronomen, und sie
hatten die Chemie und mathematischen Wissenschaften weiter gebracht, als die
Griechen und Römer, deren beste Schriftstelle sie übersetzt hatten, wie Euklids,
Archimedes, Apollonius von Perga u.a. Unglücklicherweise aber mischten sich
unter ihre wahren und richtigen Vorstellungen von dem Lauf der Sterne, von den
Eigenschaften der Mineralien und Pflanzen, die falschen Schimmer der
Sterndeuterei und der alchimistischen und kabalistischen Wissenschaften, welche
oft zwar für diejenigen, die durch Betörung anderer davon Vorteil zu ziehen
wussten, eine Quelle des Reichtums wurden, aber traurigerweise den wahren
Fortschritt der am Hof der Kalifen mit so viel Erfolg getriebenen physischen und
mathematischen Wissenschaften aufhielten. Diese Erzählung hier selber gründet
sich auf den festen Aberglauben, welchen die Araber allezeit an täuschende
Weissagungen gehegt haben.